Z E H N
Der Weg zurück ins Schloss schien endlos. Elara und Gawain bewegten sich wie Schatten durch das Unterholz, immer darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen. Die Dunkelheit war ihr Verbündeter, doch sie wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Arics Männer ihnen in die Arme laufen würden. Jeder Moment zählte.
„Wir müssen uns beeilen," flüsterte Gawain, als sie die Silhouette der Burgmauern in der Ferne erkannten. Der Anblick der gewaltigen Steinmauern jagte Elara einen Schauer über den Rücken. Einst war dies ihr Zuhause gewesen – jetzt war es der Ort, an dem der Verräter lauern könnte.
„Und wie willst du uns als Niemande hineinbringen?" fragte sie leise. „Das Schloss ist seit Tagen verschlossen. Die Wachen sind überall."
Gawain grinste schwach. „Ich kenne einen Weg. Früher haben wir ihn genutzt, um unbemerkt aus dem Schloss zu schlüpfen."
Elara runzelte die Stirn, doch sie folgte ihm, als er sie zu einem unauffälligen Pfad führte, der durch die Bäume hinunter zu einem versteckten Zugang führte. Ein schmaler, überwucherter Tunnel, von dem Elara nicht einmal gewusst hatte, dass er existierte.
„Woher...?" begann sie, aber Gawain schnitt ihr das Wort ab.
„Ich habe meine Geheimnisse," murmelte er und hob eine alte Steintür an, die mit Moos und Erde bedeckt war. „Und das hier ist einer von ihnen."
Elara schauderte, als sie in den dunklen Gang hinabstiegen. Der Geruch von feuchtem Stein und modriger Erde lag in der Luft. Sie tasteten sich langsam vorwärts, die einzigen Geräusche waren das Tropfen von Wasser und ihr leises Atmen.
„Wie lange ist es her, dass dieser Tunnel benutzt wurde?" fragte Elara, als sie einen besonders niedrigen Durchgang passierten.
„Lange genug," antwortete Gawain, ohne anzuhalten. „Aber er führt direkt in einen der Keller des Schlosses. Wir sollten unbemerkt hineinkommen."
Elara versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie wusste, dass ihre Rückkehr riskant war, doch es gab keine andere Möglichkeit. Sie mussten Lysander finden. Wenn er wirklich mehr über die Machenschaften am Hof wusste, dann könnte er der Schlüssel sein, den Verräter zu enttarnen.
Nach endlosen Minuten im Dunkeln erreichten sie schließlich das Ende des Tunnels. Gawain schob vorsichtig eine versteckte Klappe nach oben, die in einen verlassenen Kellerraum führte. Staub wirbelte in der Luft auf, und der schwache Schein von Fackeln drang von einer nahegelegenen Treppe zu ihnen hinunter.
„Wir sind drin," flüsterte Gawain und half Elara hinauf. Sie stiegen vorsichtig aus dem Tunnel, bemüht, keine Geräusche zu machen. Der Keller war alt und muffig, gefüllt mit vergessenen Kisten und verrosteten Werkzeugen.
„Wo könnten wir Lysander finden?" fragte Elara, während sie sich vorsichtig nach einer Tür umsah.
„Er wird sich im Verborgenen aufhalten. Vermutlich in einem der weniger frequentierten Bereiche des Schlosses," murmelte Gawain.
Elara warf ihm einen überraschten Blick zu. „Und du bist sicher, dass er uns hilft?"
„Wenn er noch am Leben ist, ja." Gawain zögerte kurz. „Er hat sich zurückgezogen, nachdem dein Vater..." Er brach ab und sah Elara an. „Er hat gesehen, wie die Dinge sich ändern. Wenn jemand uns die Wahrheit sagen kann, dann er."
Elara nickte langsam. Sie hatte keine andere Wahl, als ihm zu vertrauen. Zusammen schlichen sie durch die dunklen Gänge des Schlosses, immer darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden. Das Schloss schien stiller als gewöhnlich. Es lag eine bedrückende Atmosphäre in der Luft, die Elara das Gefühl gab, beobachtet zu werden, obwohl kein Mensch zu sehen war.
Nach einigen Minuten erreichten sie einen kleinen, kaum beleuchteten Raum tief im Herzen des Schlosses. Gawain klopfte dreimal gegen eine unscheinbare Holztür, und nach einer kurzen Pause hörten sie das Klicken eines Schlosses. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und ein Paar misstrauischer Augen erschien im Halbdunkel.
„Gawain?" Die Stimme war rau und brüchig, doch eindeutig die eines älteren Mannes.
„Lysander," flüsterte Gawain und trat in den Raum. Elara folgte ihm vorsichtig.
Lysander war älter geworden, sein Haar war grau, und tiefe Falten zogen sich über sein Gesicht. Doch seine Augen waren scharf, und sie funkelten vor Intelligenz, als er Elara musterte.
„Prinzessin Elara," sagte er leise und verbeugte sich leicht. „Ich hatte nicht erwartet, dich so bald zu sehen."
„Wir brauchen deine Hilfe," sagte Elara sofort, ohne Zeit zu verlieren. „Es gibt einen Verräter am Hof, und wir wissen nicht, wem wir noch trauen können. Jemand spielt mit dem Königreich, und Aric..." Sie brach ab, als sie merkte, wie sehr sie sich verriet. „Aric plant etwas. Etwas, das das Königreich zerstören könnte."
Lysander nickte langsam. „Das habe ich befürchtet." Er seufzte und ließ sich auf einen alten Stuhl sinken. „Es gibt viele, die am Hofe ihre eigenen Spiele spielen, Prinzessin. Aric ist nicht der Einzige, der seine Hände in diesem Attentat hat. Die Verstrickungen reichen tief."
Elara trat näher. „Was weißt du?"
Lysander zögerte einen Moment, als wäge er ab, wie viel er ihr anvertrauen sollte. „Es gibt mehr als nur einen Verräter, Elara. Selbst die, die du für deine Verbündeten hältst, führen ein Doppelleben. Aric hat viele von ihnen manipuliert, aber er ist nicht das eigentliche Problem."
„Was meinst du?" fragte Gawain misstrauisch.
Lysander beugte sich vor und senkte die Stimme. „Es gibt eine Gruppe innerhalb des Königshauses, die schon seit Jahren im Verborgenen operiert. Sie haben den König manipuliert, Entscheidungen beeinflusst, und jetzt, nach seinem Tod, wollen sie die volle Kontrolle übernehmen."
Elara spürte, wie ihre Kehle trocken wurde. „Wer sind sie?"
Lysander schüttelte den Kopf. „Das ist das Gefährliche. Sie verstecken sich gut, verschmelzen mit den Loyalen und mischen sich unter die Bediensteten. Sie haben über die Jahre Informationen gesammelt und Netzwerke geknüpft. Und sie haben Verbündete außerhalb der Schlossmauern. Die feindlichen Truppen an der Grenze..." Er machte eine bedeutungsvolle Pause. „Sie werden nur der Anfang sein."
„Du willst sagen, dass der Krieg... dass er geplant ist?" flüsterte Elara entsetzt.
„Mehr als das," sagte Lysander. „Er ist das Ziel. Wenn das Königreich in einen Krieg gestürzt wird, können diese Verräter das Chaos nutzen, um sich die Macht zu sichern. Aric ist nur eine Spielfigur – aber er weiß nicht, dass auch er benutzt wird."
Elara sank auf einen Stuhl und versuchte, die Informationen zu verarbeiten. Sie war in ein Netz aus Lügen und Intrigen hineingezogen worden, das tiefer reichte, als sie sich je vorgestellt hatte. Doch eine Frage brannte ihr auf der Zunge: „Wer ist der Drahtzieher?"
Lysander sah sie lange an, bevor er antwortete. „Das ist die schwierigste Frage, Prinzessin. Es gibt viele Verdächtige, aber ich weiß eines mit Sicherheit: Der Verräter ist näher, als du denkst. Viel näher."
Ein unheimliches Schweigen legte sich über den Raum. Elara spürte, wie sich ein Knoten in ihrem Magen bildete. Wem konnte sie noch trauen?
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