V I E R

Die Nacht senkte sich schwer und undurchdringlich über die Hauptstadt, während Prinzessin Elara mit Gawain durch die engen, dunklen Gassen des Verborgenen Bezirks schlich. Der Geruch von schalem Bier und brennendem Holz hing in der Luft, vermischt mit dem Gestank von Abfällen, der sich in jeder Ecke der verfallenen Straßen festgesetzt hatte. Hier, in den schattigen Ecken des Königreichs, war der Glanz der königlichen Hallen nichts weiter als ein ferner Traum.

Elara zog die Kapuze ihres dunklen Mantels tiefer ins Gesicht und folgte Gawain dicht auf den Fersen. Jeder Schritt fühlte sich unsicher an, als würde sie auf einem schmalen Grat zwischen Sicherheit und Verrat wandern. Die Leute, die hier lebten, waren gefährlich, und ein falsches Wort, ein unbedachtes Handeln könnte sie beide in große Gefahr bringen.

„Bleib nah bei mir," flüsterte Gawain leise über seine Schulter. „Dieser Ort verzeiht keine Fehler."

Elara nickte nur und hielt den Kopf gesenkt. Ihre Augen huschten über die heruntergekommenen Gebäude, die dunklen Fenster und die Gestalten, die in den Schatten lauerten. Der Verborgene Bezirk war das pulsierende Herz der Unterwelt Ilathiens – ein Ort, an dem alles zu finden war, wenn man nur wusste, wo man suchen musste. Informationen, Handel, Geheimnisse – alles war hier zu haben. Doch Elara wusste, dass das Wissen, das sie suchte, einen hohen Preis haben würde.

Sie bogen um eine Ecke und fanden sich in einer noch engeren Gasse wieder. Vor ihnen stand ein kleines, baufälliges Gebäude mit einer schwer beschädigten Tür, die schief in ihren Angeln hing. Gawain blieb kurz stehen und sah Elara an. „Das ist der Ort."

„Hier also?" Elara spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Dieser Moment fühlte sich wie der erste Schritt in ein Spiel an, dessen Regeln sie noch nicht verstand.

„Hier wohnt Farris," sagte Gawain, seine Stimme kaum hörbar. „Er ist der Mann, den wir brauchen. Wenn jemand Informationen über Aric hat, dann er. Aber sei vorsichtig, Elara. Farris ist nicht jemand, dem man trauen sollte."

Elara nickte entschlossen. „Ich bin bereit."

Gawain klopfte dreimal leise an die Tür, und es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie sich knarrend öffnete. Dahinter stand ein kleiner, schmieriger Mann mit einem dicken Bart, der fast sein gesamtes Gesicht verdeckte. Seine Augen funkelten argwöhnisch, als er die beiden von oben bis unten musterte. „Was wollt ihr?"

„Wir müssen reden," sagte Gawain knapp und schob sich ein Stück vor Elara, um ihr Deckung zu geben. „Wir brauchen Informationen. Wir suchen jemanden."

Farris hob eine Augenbraue und lehnte sich an den Türrahmen. „Informationen sind nicht umsonst, mein Freund. Und ihr seht nicht aus wie die Sorte Leute, die sich hier oft herumtreiben."

Gawain warf ihm einen abschätzigen Blick zu. „Glaub mir, wir haben, was du brauchst."

Farris' Augen verengten sich, als er Elara eindringlicher musterte. „Wer ist das?" fragte er und deutete mit einem schmierigen Finger auf sie.

Elara wusste, dass es jetzt darauf ankam, unbemerkt zu bleiben. Jeder in diesem Viertel würde sie sofort als die Prinzessin erkennen, wenn sie nicht vorsichtig war. „Das spielt keine Rolle," sagte sie kühl, ihre Stimme leise und dennoch fest. „Wir sind hier wegen Aric von Valtor."

Ein scharfer Funke blitzte in Farris' Augen auf, und er trat einen Schritt zurück. „Aric von Valtor?" flüsterte er, als hätte allein die Nennung dieses Namens eine unheilvolle Macht. „Ihr wollt wirklich in gefährlichen Gewässern fischen, wenn ihr nach ihm fragt."

Elara spürte, wie Gawain sich anspannte, doch sie blieb ruhig. „Wir wissen, dass du mehr über ihn weißt als die meisten. Du hast Kontakte, Verbindungen. Sag uns, wo er ist, und du wirst reich belohnt."

Farris' Blick wanderte kurz zwischen Gawain und Elara hin und her, bevor er die Tür weiter öffnete. „Kommt rein."

Der Raum, den sie betraten, war düster und stickig. Eine einzige schwache Laterne erhellte den kleinen Tisch in der Mitte des Zimmers, auf dem verschiedene Schriftrollen, Karten und leere Flaschen lagen. Farris setzte sich auf einen wackeligen Stuhl und legte die Füße auf den Tisch, während er sie mit einem grinsenden Gesicht ansah.

„Also," begann er, „Aric von Valtor, ja? Ich hab seit Jahren nichts mehr von ihm gehört. Manche sagen, er ist tot. Andere meinen, er ist irgendwo weit weg und plant... na ja, sagen wir mal, nicht gerade friedliche Dinge."

Elara lehnte sich vor, die Spannung in ihr wuchs. „Wir wissen, dass er lebt. Und wir wissen, dass er hinter dem Anschlag auf den Kronprinzen steckt."

Farris' Lächeln verschwand, und für einen kurzen Moment durchzuckte ein Schatten sein Gesicht. „Wenn das wahr ist, dann seid ihr in größeren Schwierigkeiten, als ihr denkt. Aric war immer ein Mann, der im Verborgenen agiert. Wenn er jetzt wieder aktiv ist, dann bedeutet das nichts Gutes."

„Wo ist er?" Gawain sprach jetzt, seine Stimme war ein tiefes Grollen.

Farris zuckte mit den Schultern. „Er hat sich gut versteckt. Aber... ich habe Gerüchte gehört." Er lehnte sich zurück und musterte sie beide erneut. „Er soll eine Gruppe um sich geschart haben. Eine Gruppe, die ihm blind folgt, egal was er befiehlt. Sie sagen, dass sie sich in den Ruinen von Grausturm treffen."

Elara runzelte die Stirn. „Grausturm? Das alte Fort im Norden?"

Farris nickte langsam. „Niemand wagt sich dort hin. Es ist verflucht, sagen sie. Aber wenn ihr wirklich mutig – oder dumm – genug seid, ihm nachzugehen, dann werdet ihr dort anfangen müssen."

Elara spürte, wie ihr Herz raste. Grausturm. Es war ein gefährlicher, fast vergessener Ort, der seit Jahren von niemandem betreten wurde. Doch wenn Farris die Wahrheit sagte, dann war das ihre einzige Spur.

„Was willst du als Gegenleistung?" fragte Gawain. „Wir wissen, dass du Informationen nicht umsonst gibst."

Farris lächelte hinterhältig. „Sagen wir einfach, dass ich einen Gefallen von der Königsfamilie verlangen werde. Zu gegebener Zeit."

Elara schluckte. Sie wusste, dass diese Art von Geschäften gefährlich war. Aber sie hatte keine andere Wahl. „Abgemacht," sagte sie knapp. „Wir gehen nach Grausturm."

Als sie das Gebäude verließen, fühlte sich die Nacht noch dunkler und bedrohlicher an. Die Straßen des Verborgenen Bezirks wirkten noch enger, noch gefährlicher. Elara war sich der Blicke bewusst, die ihnen folgten, aber ihre Gedanken waren schon woanders.

„Grausturm..." murmelte sie, als sie sich wieder auf den Weg zurück zum Schloss machten.

„Es wird nicht leicht sein," sagte Gawain leise. „Aber wenn Aric dort wirklich ist, dann ist das unsere einzige Chance, ihn zu stellen."

Elara nickte. „Ich weiß. Und ich werde alles riskieren, um ihn zu finden."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top