N E U N
Die Schritte im Wald hallten dumpf in Elaras Ohren wider, während sie und Gawain weiter durch die Dunkelheit rannten. Ihre Lungen brannten vor Anstrengung, und jeder Ast, der ihre Wangen streifte, hinterließ brennende Spuren auf ihrer Haut. Doch sie durften nicht langsamer werden. Die Hornstöße, die die Verfolger angekündigt hatten, ließen keinen Zweifel: Sie waren ihnen dicht auf den Fersen.
„Wir müssen uns verstecken," keuchte Gawain schließlich, als er abrupt anhielt und sich umsah. Der Wald war hier dichter, die Schatten länger, und das Rauschen des Flusses war in der Ferne nur noch ein schwaches Murmeln. „Sie haben Hunde. Wir können ihnen nicht ewig davonlaufen."
Elara nickte, rang ebenfalls nach Luft. Sie spürte, wie die Kälte der Nacht durch ihre nassen Kleider kroch und sie frösteln ließ. „Aber wo?" fragte sie leise, die Stimme fast gebrochen. „Wenn sie uns finden, sind wir tot."
Gawain überlegte nur einen Moment. „Dort drüben." Er deutete auf eine tiefe Senke, die von moosbewachsenen Steinen und dichtem Unterholz verdeckt war. „Vielleicht können wir uns dort verstecken, bis sie an uns vorbeigezogen sind."
Sie nickten sich wortlos zu und schlüpften in die Senke. Die Dunkelheit verschluckte sie, während sie sich in das dichte Gebüsch duckten und versuchten, so leise wie möglich zu atmen. Elaras Herz schlug wild in ihrer Brust, als sie die Geräusche der Verfolger immer näher kommen hörte – das Klirren von Rüstungen, das Knurren der Hunde, das gedämpfte Flüstern der Männer, die den Wald durchkämmten.
„Wir müssen jeden Stein umdrehen," hörte sie eine tiefe Stimme sagen. „Der Lord will die Prinzessin lebend. Und er wird nicht zufrieden sein, wenn wir ohne sie zurückkehren."
Elara spürte, wie Gawain sich neben ihr anspannte. Seine Hand ruhte am Griff seines Schwertes, doch sie wussten beide, dass ein Kampf gegen diese Übermacht Selbstmord wäre. Sie mussten still bleiben, unsichtbar.
Die Minuten zogen sich quälend in die Länge, während die Männer immer näher kamen. Einer der Hunde begann zu bellen, und Elara spürte, wie ihre Kehle sich zuschnürte. Jeder Muskel in ihrem Körper war zum Zerreißen gespannt, als die Schritte bedrohlich nah an ihrem Versteck vorbeizogen.
„Was ist los mit dem Köter?" zischte einer der Männer und trat nach dem Tier, das vor ihrem Versteck stehengeblieben war und unruhig schnüffelte.
„Vielleicht hat er etwas gerochen," sagte ein anderer. „Wir sollten hier genauer nachsehen."
Elara hielt den Atem an, als sie sah, wie einer der Soldaten einen Schritt auf sie zutrat und sich zu den Büschen hinunterbeugte. Sie konnte sein Gesicht kaum erkennen, doch das Blitzen seiner Augen im Mondlicht ließ ihr Herz einen Schlag aussetzen.
Doch bevor der Mann die Büsche durchstöbern konnte, ertönte ein lautes Krachen – das Geräusch eines umstürzenden Baumes. „Dort drüben!" rief eine weitere Stimme aus der Ferne, und die Soldaten wandten sich hektisch in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
„Los, macht schon, beeilt euch!"
Elara und Gawain sahen sich an, die Erleichterung stand ihnen ins Gesicht geschrieben, als die Männer sich hastig entfernten, um der Ablenkung zu folgen. Elara schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Sie hatten noch einmal Glück gehabt.
„Das war knapp," flüsterte Gawain, als er sich vorsichtig aufrichtete.
Elara nickte, doch die Anspannung blieb. Etwas stimmte nicht. Diese Verfolger waren zu organisiert, zu gezielt. „Wie haben sie uns überhaupt so schnell gefunden?" fragte sie leise. „Es war, als hätten sie gewusst, wohin wir gehen."
Gawain runzelte die Stirn und sah sich im dichten Wald um, als hätte er die gleiche Befürchtung. „Jemand hat sie informiert," murmelte er schließlich. „Aber wer?"
Elara dachte an die vielen Gesichter, die ihr in den letzten Tagen begegnet waren. Aric hatte Spione im ganzen Königreich. Ein Verräter war unter ihnen, und dieser Gedanke ließ sie frösteln.
„Wir müssen herausfinden, wer uns verraten hat," sagte sie entschlossen. „Sonst haben wir keine Chance."
Gawain nickte langsam. „Das heißt, wir müssen zurück ins Schloss."
„Zurück?" Elara war fassungslos. „Das wäre Selbstmord. Aric hat das Schloss in seiner Hand."
„Aber nur dort können wir mehr über seine Pläne herausfinden," entgegnete Gawain ernst. „Und wir müssen wissen, wer auf seiner Seite steht. Aric hat mehr Verbündete, als wir denken."
Elaras Gedanken rasten. Sie wusste, dass Gawain recht hatte, aber die Vorstellung, zurück in die Höhle des Löwen zu gehen, ließ ihr Blut in den Adern gefrieren. Doch sie hatte keine Wahl. Wenn sie das Königreich retten wollten, mussten sie herausfinden, was vor sich ging – und das bedeutete, dass sie Risiken eingehen mussten.
„Gut," sagte sie schließlich. „Aber wir brauchen einen Plan."
Gawain nickte und setzte sich neben sie auf den moosigen Boden. „Ich habe eine Idee," sagte er. „Wenn wir zurück ins Schloss gehen, können wir uns als einfache Diener tarnen. So werden wir uns unbemerkt bewegen können."
„Und was dann?" fragte Elara skeptisch. „Wir können nicht einfach herumspazieren und nach dem Verräter fragen. Und du glaubst allen Ernstes, dass mich die anderen Diener nicht erkennen werden?!"
Gawain sah sie ernst an. „Ich kenne jemanden, dem wir vertrauen können – jemanden, der uns helfen könnte. Er arbeitet schon lange im Schatten des Königshauses und hat Informationen, die wir brauchen."
Elara hob überrascht die Augenbrauen. „Wer ist das?"
Gawain zögerte einen Moment, bevor er antwortete. „Es ist ein ehemaliger Berater deines Vaters. Ein Mann namens Lysander. Er lebt jetzt im Verborgenen, weil er zu viel wusste."
Der Name ließ Elara aufhorchen. Sie erinnerte sich vage an Lysander, einen klugen, aber verschlossenen Mann, der sich oft mit ihrem Vater in langen, geheimen Gesprächen zurückgezogen hatte. Doch nach dem plötzlichen Tod des Königs war Lysander verschwunden.
„Du denkst, er weiß, wer der Verräter ist?" fragte sie.
„Wenn jemand es weiß, dann er," sagte Gawain fest. „Er hat jahrelang die politischen Intrigen des Königshauses durchschaut. Wenn er noch lebt, wird er uns helfen."
Elaras Gedanken rasten. Es war ein riskanter Plan, aber es war der einzige, den sie hatten. Und sie wussten beide, dass die Zeit knapp war. Die feindlichen Truppen an der Grenze rüsteten sich bereits, und Aric war auf dem besten Weg, das Königreich in einen Krieg zu stürzen.
„Dann müssen wir ihn finden," sagte Elara entschlossen. „Und herausfinden, wem wir noch trauen können, bevor es zu spät ist."
Gawain stand auf und reichte ihr die Hand. „Wir dürfen keine Zeit verlieren."
Elara ergriff seine Hand und ließ sich hochziehen. Der Wald lag nun still um sie herum, doch sie spürte, dass die Gefahr noch lange nicht vorüber war. Mit einem letzten Blick in die Richtung, aus der sie gekommen waren, drehte sie sich um und folgte Gawain tiefer in den Wald hinein – zurück in die Richtung, aus der sie geflohen waren.
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