Zweiter Exorzismus
Als ich den Flur entlanggehe und schließlich meine Zimmertür hinter mir schließe, muss ich unwillkürlich grinsen. Der Gedanke an den Kuss lässt mein Herz schneller schlagen, und ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus. Ich lehne mich kurz gegen die Tür und atme tief durch.
Nach einer Weile schüttle ich den Kopf grinsend über mich selbst und gehe ins Bad, um zu duschen. Das heiße Wasser rinnt über meine Haut und beruhigt mich, doch meine Gedanken wandern immer wieder zu Silas zurück, zu dem Blick in seinen Augen, als er mich angesehen hat. Das alles fühlt sich so neu und gleichzeitig so richtig an.
Als ich schließlich wieder aus dem Bad komme, fällt mein Blick auf mein Bett, und da sehe ich ihn: Silas' Pullover. Ich gehe zum Bett, nehme den Pullover in die Hand und ohne nachzudenken ziehe ich ihn ganz nah an mich heran und vergrabe mein Gesicht in dem weichen Stoff. Der Geruch ist warm und vertraut und trifft mich sofort. Es ist genau sein Duft; dieser beruhigende, unaufdringliche Geruch, der in mir eine seltsame Sicherheit auslöst. Ich halte den Pullover fest und lächle, schließe die Augen und genieße einfach diesen Moment.
Ohne weiter zu überlegen, ziehe ich den Pullover an. Ich sehe an mir hinunter und spüre ein Kribbeln, das mich durchströmt. Es ist, als hätte ich ein Stück von ihm ganz nah bei mir. Dieser Gedanke lässt mein Herzschlag wieder schneller werden. Ein Teil von mir fühlt sich albern, doch ein anderer Teil fühlt sich einfach nur... wohl.
Als ich schließlich ins Bett gehe, lasse ich den Pullover an. Die Wärme und der Geruch hüllen mich ein, und während ich mich an den Stoff schmiege, wird mir klar, dass ich mich noch nie so geborgen gefühlt habe.
Die Nacht über schlafe ich tief und traumlos. Trotz allem, was gestern geschehen ist, trotz des Exorzismus und allem, was Schwester Lahela gesagt hat.
. . .
Ich weiß nicht, wann ich eingeschlafen bin, aber es fühlt sich an als hätte ich kaum die Augen geschlossen, als ich ein sanftes Klopfen an der Tür höre. Verschlafen öffne ich die Augen, sehe das dämmrige Licht durch die Vorhänge dringen und begreife, dass die Glocken noch nicht geläutet haben. Irgendetwas muss sein oder jemand.
„Lyle?" Silas' Stimme klingt leise, und ich richte mich langsam auf, bin noch halb benommen. Ich schiebe die Decke beiseite und gehe zur Tür, öffne sie ein Stück und sehe ihn auf dem Flur stehen. Er sieht aus, als hätte er ebenfalls wenig geschlafen, doch sein Blick hellt sich auf, als er mich ansieht. Einen Moment herrscht Stille, und dann lächelt er plötzlich, ein warmes, sanftes Lächeln, das meine Müdigkeit sofort vertreibt.
„Guten Morgen", sagt er mit einem leicht amüsierten Ton in der Stimme. Sein Blick wandert von meinem Gesicht hinunter und bleibt dann an seinem Pullover hängen, den ich noch immer trage. „Das steht dir", sagt er leise, und ich merke, wie mir das Blut ins Gesicht schießt. „Du siehst echt gut aus darin."
Bevor ich antworten kann, tritt er näher an mich heran. Eine sanfte Berührung seiner Hand an meinem Arm und plötzlich spüre ich seine Lippen auf meinen, zögerlich, aber dennoch vertraut und so wunderschön wie immer. Mein Herz schlägt schneller und ich fühle mich, als würde ich förmlich in seine Nähe hinein sinken. Seine Hand fährt langsam hoch und streicht mir sanft durch die Haar.
„Du siehst wirklich wunderschön aus", murmelt er, und seine Stimme ist dabei so weich und beruhigend, dass ich am liebsten nichts sagen möchte, um diesen Moment nicht zu zerstören. Ich schließe einfach die Augen und genieße das Gefühl.
Nach einer Weile lösen sich seine Lippen von meinen, und er lehnt sich ein wenig zurück, schaut mich dabei an, als wollte er sich das Bild einprägen. „Entschuldige", sagt er sanft und doch ein wenig spielerisch. „Ich konnte einfach nicht widerstehen."
„Kein Problem", sage ich leise.
Silas lehnt sich an den Türrahmen, seine Hand ist noch immer an meinem Arm. Dann wird sein Blick ernster, und ich sehe, dass er überlegt wie er am besten fortfährt. „Ich bin eigentlich hier, weil... ich habe eine Nachricht bekommen."
„Eine Nachricht?" Ich blinzele und bin plötzlich wach. „Von wem?"
„Von Lahela." Für einen Moment tauschen wir einen unsicheren Blick aus. „Ich weiß auch nicht wie das möglich ist. Ich meine, sie ist... nun ja..."
„Gefesselt", ergänze ich langsam und fühle, wie mir ein mulmiges Gefühl den Magen zuschnürt. „Es müsste jemand im Kloster gewesen sein, der das überbracht hat. Oder sie hat irgendwie..."
„Das dachte ich auch." Silas nickt, aber in seinen Augen sehe ich, dass auch er keine wirkliche Erklärung hat. „Aber der Inhalt ist... beunruhigend. Ich denke, du solltest mitkommen und dir das selbst ansehen."
Einen Moment lang stehe ich noch da, aber seine Dringlichkeit bringt bringt mich dazu, die Müdigkeit abzuschütteln und ihm zu folgen. Ich schließe die Tür hinter mir und wir gehen gemeinsam durch die stillen Flure, in denen nur das sanfte Knistern der Lampen und das gelegentliche Knarren des Bodens zu hören sind.
Meine Gedanken rasen, und das mulmige Gefühl in meinem Magen wird immer stärker. Neben Silas zu gehen beruhigt mich, aber die Tatsache, dass Schwester Lahela obwohl sie gefesselt war, irgendwie in der Lage war eine Nachricht zu schicken, geht mir nicht aus dem Kopf.
Als wir uns ihrem Zimmer nähern, sehe ich eine kleine Gruppe vor der Tür versammelt. Livan und Pater Ludwig stehen mit ernster Miene da, neben ihnen Schwester Levana und Bruder Levander. Ihre Blicke richten sich auf uns als wir näherkommen und in ihren Gesichtern liegt etwas, das ich nicht deuten kann... Neugier, Skepsis, und vielleicht auch ein Hauch von Missbilligung.
„Lyle, das ist... ein ungewohnter Anblick," sagt Pater Ludwig und mustert mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich noch immer Silas' Pullover trage, den ich eigentlich nur für die Nacht über anbehalten wollte. Und zu allem Überfluss habe ich dazu meine Schlafshorts an, was für das Kloster denkbar unpassend ist. Mein Gesicht wird heiß, und ich sehe schnell an mir herunter, um das Ganze zu begreifen.
Neben mir kann ich das leise Kichern von Silas hören. Er scheint das Ganze unheimlich amüsant zu finden. Verlegen ziehe ich den Pullover etwas weiter nach unten, als könnte ich mich dadurch weniger auffällig machen und suche krampfhaft nach einer Antwort. Doch bevor ich etwas sagen kann bemerke ich, wie Bruder Levander mich kaum merklich skeptisch mustert, und seine Augen kurz zu Silas gleiten. Mir fällt ein, dass er Silas schon mehrmals in diesem Pullover gesehen haben könnte. Die Idee, dass er vielleicht eine Ahnung von unserem kleinen Geheimnis hat, lässt mir das Herz schneller schlagen.
„Wir haben seltsame Geräusche aus Schwester Lahelas Zimmer gehört," sagt Livan schließlich und wendet den Blick von mir ab, was mir zumindest eine kleine Erleichterung verschafft. „Es hörte sich an, als würde sie sprechen. Die Stimme war gedämpft, unverständlich... aber es klang, als wäre der Dämon sehr aktiv."
„Sie hat mir eine Nachricht geschickt", sagt Silas leise, und sofort heften sich alle Blicke auf ihn. „sie war kurz, aber beunruhigend."
Livan nickt langsam und wirft einen prüfenden Blick auf die Tür. „Interessant", murmelt er und runzelt die Stirn. „Sie ist noch immer festgebunden. Niemand war bei ihr. Wenn das wahr ist, was du sagst... dann ist es wohl der Dämon, der eine Art Kontakt hergestellt hat."
Ein beunruhigendes Schweigen legt sich über uns. Das Gefühl, dass hier etwas Unheimliches und Unkontrollierbares vor sich geht, liegt schwer in der Luft.
Livan öffnet die Tür zu Schwester Lahelas Zimmer mit einem leisen Knarren und die kühle Luft des kleinen Raumes schlägt uns entgegen. Die Atmosphäre hier drin ist erdrückend, und mir wird sofort klar, dass sich die bedrohliche Stimmung seit gestern nur noch verstärkt hat. Schwester Lahela liegt auf dem Bett, ihre Handgelenke sind fest an die Bettpfosten gebunden. Sie sieht still und friedlich aus, eine trügerische Ruhe, die uns alle nur kurz täuscht. Kaum betreten wir den Raum spüre ich, wie sich die Luft verdichtet, fast als würde sie sich um uns zusammenziehen.
„Wir müssen vorbereitet sein," murmelt Livan und holt sein Kreuz sowie eine kleine Flasche Weihwasser hervor. Pater Ludwig folgt ihm, zieht ebenfalls ein Kreuz aus seiner Tasche und schlägt stumm das Zeichen. Der gestrige Exorzismus war eine Qual, aber wir haben leider keine andere Wahl. Wenn Lahela befreit werden soll, müssen wir das durchziehen.
Sie hebt langsam den Kopf. Ihre Augen öffnen sich und ein trügerisches, kaltes Funkeln fixiert uns. Das sanfte, zärtliche Wesen von Schwester Lahela ist nicht mehr hier. Was jetzt auf dem Bett liegt, ist etwas Dunkles und zutiefst Fremdes.
„Ihr seid ja wieder da... vor allem du, Lyle," flüstert sie mit einer Stimme, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. „Ich wusste, dass du es nicht lassen kannst."
Sie hat es auf mich abgesehen, weil ich der Schwächste im Raum bin. Die anderen beiden haben viel mehr Erfahrung.
Livan beginnt mit den Gebeten, seine Stimme ist fest und eindringlich. Ich schließe mich ihm an, murmele die heiligen Worte, obwohl mein Herz wild in meiner Brust schlägt. Lahelas Blick bleibt unverändert auf mir gerichtet, und ein schmales Lächeln zieht sich über ihr Gesicht.
„Was für eine farblose Existenz du führst, Lyle," zischt sie. „Du willst mehr, willst du nicht? Etwas Echtes, etwas Verbotenes... wie mit Silas." Ihre Stimme wechselt zwischen süß und schneidend, ihre Worte dringen tief in meinen Kopf, wo sie widerhallen und meine Gedanken vergiften. „Er hat dich schon längst in Versuchung geführt, nicht wahr?"
Ich schlucke schwer und halte meine Augen fest auf die Bibel gerichtet, doch ihre Worte nagen an mir. Ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird, wie das Blut mir in die Wangen schießt. „Das ist nicht wahr," murmele ich, doch meine Stimme klingt schwach und unsicher. „Ich... ich bin stark."
„Du lügst," flüstert sie spöttisch und lehnt sich so weit wie ihre Fesseln es zulassen nach vorn, ihr Blick ist scharf und bohrend. „Du bist schwach, und das weißt du auch. Du brauchst ihn. So wie du ihn neulich geküsst hast... ach, was für eine süße Schwäche, die du so verbergen möchtest."
Ein Schlag trifft mich mit voller Wucht, die Worte schneiden mich tief. Ich fühle, wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird, wie mein Magen sich verkrampft. Hat sie... hat sie alles beobachtet? Mein Geist kämpft gegen die Bilder, die sie in mir hervorruft, die zärtlichen und geheimen Momente, die ich für mich behalten wollte. Ein Zittern geht durch mich hindurch.
„Genug!" Livan unterbricht sie mit einem scharfen Befehl und tritt einen Schritt näher ans Bett. Er spritzt das Weihwasser in ihre Richtung und augenblicklich zuckt sie zurück, ein hasserfülltes Zischen kommt aus ihrem Mund. Ihre Gesichtszüge verzerren sich zu einer hasserfüllten Grimasse, doch ihr Blick bleibt auf mich geheftet. Der Dämon scheint seine Energie und sein Interesse vor allem auf mich zu richten, und es fällt mir immer schwerer, dem standzuhalten.
„Lyle, du musst dich konzentrieren," sagt Pater Ludwig neben mir und legt beruhigend eine Hand auf meine Schulter. „Lass dich nicht von ihren Worten verführen."
Ich nicke und zwinge mich, mich wieder auf das Gebet zu konzentrieren, doch Lahela, oder besser gesagt, der Dämon, gibt nicht auf. Sie neigt ihren Kopf zur Seite, ihr Blick wird listig und bedrohlich.
„Du willst es doch. Ein Leben ohne Zwänge, ohne Verbote," zischt sie, und ihre Stimme ist jetzt ein leises, verführerisches Raunen. „Du willst frei sein. Du willst lieben... und vor allem willst du ihn."
Ein Schlag durchzuckt mich, und die Hitze in meiner Brust nimmt zu. Der Raum scheint sich um mich herum zu drehen und ich fühle, wie meine Knie leicht zittern.
„Hör auf damit!" schreie ich schließlich und reiße die Augen auf, während ich das Kreuz fest in meiner Hand umklammere. „Ich lasse mich von dir nicht... nicht beherrschen!"
Pater Ludwig tritt einen Schritt näher zu mir und schaut mir tief in die Augen. „Bleib stark, Lyle. Sie versucht dich zu brechen. Deine Zweifel und deine Sehnsüchte sind keine Schwäche, es ist der Dämon, der sie als Waffe benutzt."
Sein Zuspruch bringt mich zurück in die Realität. Ich atme tief ein und zwinge mich weiterzubeten. Lahelas Gelächter schwillt zu einem widerlichen, hallenden Klang an, der mir durch Mark und Bein fährt. Ich sehe, wie sich ihre Fesseln spannen als sie sich windet, ihre Augen funkeln vor Hass und Wahnsinn.
„Ihr seid alle Sklaven eurer eigenen Schwächen!" zischt sie. „Ihr verbergt euch hinter euren Gebeten und euren Ritualen, aber tief in euch... da wünscht ihr euch doch frei zu sein."
Livan hebt sein Kreuz und beginnt, laut und klar weitere Gebete zu sprechen. Seine Stimme ist wie ein Anker, ruhig und fest, und ich klammere mich innerlich an seinen Mut und seine Überzeugung. Lahela schüttelt sich und zieht mit einer unmenschlichen Kraft an ihren Fesseln, ihre Augen blitzen voller Hass.
„Lyle," flüstert sie mit einer Stimme, die fast sanft wirkt, „komm doch zu mir. Du könntest alles haben, was du dir wünschst. Du und Silas... niemand müsste davon wissen. Lass dich fallen. Du weißt, dass du es willst."
Die Worte hallen in meinem Kopf wider und bringen meine inneren Konflikte fast zum Bersten. Doch tief in mir weiß ich, dass dies nicht die wahre Lahela ist, sondern der Dämon, der jede Unsicherheit, jede verborgene Sehnsucht gegen mich verwendet.
„Das ist genug," sage ich diesmal fester und Pater Ludwig spritzt weiteres Weihwasser in ihre Richtung. Sie kreischt und zuckt zurück, ein grässlicher Schrei entweicht ihr, als das geweihete Wasser ihre Haut berührt.
Pater Ludwig tritt jetzt an ihre andere Seite und gemeinsam mit Livan beten wir lauter, vereinen unsere Stimmen, bis Lahela schließlich stiller wird. Ihre Bewegungen verlieren ihre Kraft, und schließlich sinkt sie erschöpft in die Matratze zurück.
Mit einem tiefen Atemzug trete ich einen Schritt zurück, mein Herz rast, doch ein Hauch von Erleichterung breitet sich in mir aus. „Wir machen morgen weiter," sagt Livan schließlich, seine Stimme klingt ruhig aber entschlossen. Pater Ludwig nickt ihm zustimmend zu.
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