Schwer wiegt die Sünde
In der Nacht spüre ich die volle Wucht der Konsequenzen meiner Taten. Nach meiner Selbstgeißelung am Abend, als meine Wunden von einem Helfer auf der Krankenstation versorgt worden waren und ich schließlich im Bett lag, kamen die Schmerzen. Sie pochten unter meiner Haut, ein ständiges Brennen, das mich wach gehalten hat, aber das war nur ein Teil der Qual. Viel schlimmer als die körperlichen Schmerzen waren die Gedanken, die mich gequält haben.
Jede Bewegung, jeder Atemzug und jeder Gedanke war wie ein Stachel. Der Tag gestern tauchte immer wieder in meinen Gedanken auf und mit ihm auch die Erinnerung an all die Gefühle, an Silas' Lächeln, seine Nähe, die Berührungen.
Die Rolle als Priester erfüllt mich und ich liebe es für andere da zu sein und ihnen zu helfen ihren Weg zu finden. Es ist immerhin das Leben, das ich gewählt habe. Aber wie soll ich das mit dem vereinbaren, was ich für Silas empfinde? Mittlerweile weiß ich, dass da mehr zwischen uns ist, mehr als ich anfangs gedacht habe.
Ich will seine Nähe nicht mehr missen müssen, ich sehne mich nach ihm, nach seinen Berührungen, nach dem Gefühl, das er in mir auslöst.Aber wie soll das jemals in mein Leben und in mein Glaubensbekenntnis passen? Ist es überhaupt möglich, beides zu vereinen?
Der Morgen dämmert schließlich und eine schlaflose Nacht geht zu Ende. Bevor das Glockenspiel die anderen weckt stehe ich auf, mache mich für den Tag fertig und verlasse mein Zimmer, um frische Luft zu schnappen und meine Gedanken zu ordnen.
Draußen ist es noch still, der Innenhof ist ruhig und wird umhüllt vom sanften Licht der Morgendämmerung. Die meisten schlafen noch, das Kloster ist gerade wie ausgestorben. Der kühle Wind streift über mein Gesicht und man merkt, dass langsam Winter wird.
Ich gehe ein paar Schritte weiter in den Innenhof. Die Stille ist beruhigend, aber zugleich irgendwie bedrückend. Ich versuche, die Gedanken an Silas zu vertreiben, aber sie lassen sich nicht einfach auslöschen. Der Konflikt in mir ist noch immer da.
Wie kann ich ein gutes Leben führen, wenn ich ständig gegen das kämpfe was ich fühle? Und wie könnte ich Silas' Nähe jemals ganz aufgeben, ohne dass ein Teil von mir daran zerbricht?
. . .
Nach dem morgendlichen Gottesdienst und dem Frühstück ruft Livan mich zu sich. Sein Gesicht ist ernst und in seinem Blick erkenne ich eine Mischung aus Sorge und Entsetzen.
„Schwester Lahela ist für den nächsten Exorzismus noch immer zu schwach," erklärt er leise. „Ihr Körper braucht Zeit um sich zu erholen. Wenn wir weitermachen, bevor sie die nötige Kraft gesammelt hat, könnte es ihr Tod sein."
Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich habe nicht gewusst, dass die Lage so ernst ist. Der Gedanke, dass Schwester Lahela sterben könnte ist erschreckend. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als das der Dämon von ihr ablässt. Ich will die kleine, fröhliche Nonne zurück, die immer ein Lächeln und ein aufmunterndes Wort für jeden hatte.
„Sie braucht jetzt jemanden, dem sie vertrauen kann," sagt Livan. „Auch wenn sie bewusstlos ist glaube ich, dass deine Nähe ihr helfen könnte. Bleib bei ihr, sprich mit ihr. Sie wird es spüren, auch in ihrem Zustand. Jede Verbindung zu uns kann ihr helfen ihren Geist zu bewahren und den Dämon nicht vollständig die Oberhand gewinnen zu lassen."
Ich nicke, auch wenn sich ein Teil von mir unwohl dabei fühlt. Es ist immer... bedrückend, den Raum zu betreten in dem sie liegt, gefesselt und besessen. Aber ich will da sein, will für sie kämpfen, auch wenn das nur bedeutet bei ihr zu sitzen.
„Ich gehe zu ihr," sage ich entschlossen.
Livan lächelt schwach. „Sie schläft die meiste Zeit. Schwester Levana hat ihr heute Morgen etwas zu essen gebracht, aber danach ist sie sofort wieder in den Schlaf gefallen."
Langsam öffne ich die Tür zu dem Raum und das Bild, das mich erwartet, lässt mich einen Moment innehalten. Ihr Gesicht ist eingefallen und blass, feine dunkle Äderchen ziehen sich über ihre Wangen und Lippen. Die Spuren des Dämons sind überall auf ihr sichtbar.
Vor kaum zwei Tagen habe ich sie zuletzt gesehen und doch scheint der Dämon sie in dieser kurzen Zeit noch weiter in die Dunkelheit gezerrt zu haben. Das zu sehen entzieht mir fast die Hoffnung. Aber wir haben keine andere Wahl... unser Exorzismus muss wirken.
Ich ziehe einen Stuhl ans Bett, setze mich und nehme ihre kalte, dünne Hand in meine. Ihre Haut fühlt sich fremd an, irgendwie anders.
„Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes," flüstere ich. „Herr, ich bitte dich um Heilung für Schwester Lahela. Gib ihr die Kraft, dieser Finsternis zu widerstehen. Möge dein Licht sie durchdringen, sie schützen und den Schmerz von ihrer Seele nehmen. Amen."
Plötzlich höre ich eine schwache, brüchige Stimme: „Das ist ein schönes Gebet."
Überrascht hebe ich den Kopf und sehe wie Schwester Lahela mit halb geöffneten Augen zu mir aufschaut. Ein sanftes, müdes Lächeln liegt auf ihren Lippen. Es ist wirklich sie, nicht der Dämon.
„Hey," sage ich und eine kleine Erleichterung durchströmt mich. „Es ist so schön, dich zu hören."
Sie drückt meine Hand leicht und schließt ihre Augen wieder. Der kurze Blick in ihr wahres, erschöpftes Selbst gibt mir Hoffnung, die ich in den letzten Tagen verloren habe. Vielleicht ist sie nicht vollständig gefangen. Vielleicht können wir sie zurückholen.
Doch dann öffnen sich ihre Augen erneut und diesmal ist der Ausdruck darin kalt und leer. Die sanfte, vertraute Wärme ist wieder verschwunden und wird ersetzt durch einen fremden, durchdringenden Blick. Ihre Lippen verziehen sich zu einem hämischen Lächeln.
„Pater," sagt sie mit einer fremden, unheimlichen Stimme. „Ich muss dich leider enttäuschen."
Ich spüre wie sich meine Kehle zusammenzieht. Ein Teil von mir will einfach den Raum verlassen, aber ich weiß, dass sie mich braucht.
„Oh," fährt sie fort, „ich sehe, du hast es wieder getan."
Ein eisiges Gefühl breitet sich in mir aus als mir klar wird, dass sie die Wunden an meinem Rücken meint.
„Woher weißt du das?" frage ich leise.
„Ich rieche es," zischt sie mit einem finsteren Grinsen. „Und ich sehe es an der Art, wie du dich bewegst."
Ich beiße die Zähne zusammen und entscheide mich ihre Bemerkungen zu ignorieren, aber sie lässt nicht locker.
„Warum hast du es getan?"
Ich hebe eine Augenbraue, ich bin unfähig zu glauben, dass ein Dämon Interesse an meinen Beweggründen haben könnte. Aber irgendwo in mir spüre ich, dass ihre Frage eine Falle ist.
„Ist es wegen Silas?" flüstert sie mit einer widerlich süßen Stimme. „Habt ihr es getan, hmm?"
„Sei still," zische ich. „Das geht dich nichts an."
„Ach, ich meine das gar nicht so wie du denkst, Pater." Ihre Stimme wird leise, fast verführerisch. „Aber diese Sünde ... wiegt sie schwer auf deiner Seele? Ist sie es wert, dich zu verletzen?"
Mein Puls beschleunigt sich und ich zwinge mich, den Kopf abzuwenden. „Es ist falsch. Und du wirst mich nicht davon überzeugen, etwas anderes zu glauben."
„Ist es das?" Der Spott in ihrer Stimme ist unüberhörbar. „Was genau bringt dich zu dieser Überzeugung, hm? Warum folgst du diesen Gesetzen, Lyle?"
Der Klang meines Namens aus ihrem Mund ist immer wieder fürchterlich, als wäre er ein Fremdwort. Ich bleibe stumm, aber in mir brodelt es. Sie hat keinen Platz um zu urteilen, sie weiß nichts. Und doch verunsichern mich ihre Fragen, weil sie die Konflikte in mir berühren die ich so sehr versuche zu verdrängen.
„Weil es das Richtige ist," antworte ich schärfer als eigentlich beabsichtigt. „Es ist mein Weg und er führt mich zu Gott."
Ihr Lächeln weitet sich und ein dunkler Glanz flackert in ihren Augen. „Wirklich? Dann nimm diesen Weg und mach weiter, aber frag dich dabei, warum dein Herz einen anderen Weg sucht."
Der Dämon beobachtet mich, sein kaltes, unergründliches Lächeln wirkt wie eine Maske die mir mein eigenes Spiegelbild verzerrt zurückgibt. „Warum gehst du diesen Weg, Pater?" Was bringt dich dazu, dich so zu quälen?"
„Weil ich es will. Weil es mein Weg ist." Der Stolz in meinen Worten fühlt sich brüchig an aber ich versuche Stand zu halten.
„Weil du es willst?" Der Dämon lacht leise. „Willst du das wirklich? Oder ist es das, was dein Vater dir einredete, seit du denken kannst?"
Die Worte treffen mich wie ein Schlag, damit habe ich alles andere als gerechnet und ich spüre, wie sich mein Herz verkrampft. Wie kann dieser Dämon, dieses widerliche Wesen, etwas wissen das ich so tief in mir vergraben habe? „Nein ... es ist meine Entscheidung, und das war es immer."
Doch das höhnische Lächeln des Dämons bleibt unverändert. „Ach, wirklich?" Er zieht eine Augenbraue hoch. „Du hast es selbst entschieden? Oder hast du einfach den Weg eingeschlagen, den dein Vater dir jahrelang vorgegeben hat? War es nicht dein Vater, der dir damals schon erklärt hat, dass dies der einzige wahre Weg ist? Das du ihm folgen musst, wenn du ihm je gerecht werden willst?"
Ein unangenehmes Gefühl steigt in mir auf. Ich will widersprechen, will es zurückweisen, aber die Worte bleiben mir im Hals stecken. Wie lange habe ich diese Gedanken verdrängt?
Meine Gedanken wandern zurück in die Vergangenheit, zurück zu einer Zeit, als ich 10 oder 11 Jahre alt war. Damals war ich noch so voller Fragen, war nicht sicher, welcher Weg der richtige für mich ist. Aber mein Vater war sich da ganz sicher. Er hatte mir das Leben eines Priesters immer als etwas Erhabenes und Tugendhaftes beschrieben, als die höchste Form Gott zu dienen. Und in seinen Augen war das auch der einzige Weg der wirklich zählte.
„Lyle," hörte ich ihn damals immer wieder sagen, „du hast ein großes Talent Menschen zu führen. Die Kirche braucht Männer wie dich. Männer, die stark sind, die Glauben vermitteln können. Das ist dein Schicksal, mein Sohn. Du wirst der Kirche dienen und du wirst den Menschen helfen, den Weg zu Gott zu finden. Gott hat dir diese Gaben nicht ohne Grund gegeben."
Ich erinnere mich, wie ich damals nur stumm genickt habe, wie ich die Worte aufgesogen habe ohne sie zu hinterfragen. Schließlich war er mein Vater. Ich wollte ihm gefallen, wollte das er stolz auf mich ist. Und je älter ich wurde, desto mehr wurde seine Stimme zu einem inneren Leitfaden. Ist es wirklich mein Weg, den ich gehe?
„Es war ..." Ich stammele und versuche meine Gedanken zu ordnen, aber die Worte wollen nicht recht zusammenpassen. „Es war meine Entscheidung. Mein Vater wollte nur ... er wollte nur das Beste für mich."
Der Dämon lächelt breit und siegessicher. „Ach, Lyle," flüstert er. „Du hast immer nur versucht, seine Erwartungen zu erfüllen. Das Leben das du führst, die Strafen, die du dir selbst auferlegst... es ist nicht für dich, sondern für das Bild das du denkst erfüllen zu müssen. Dein eigener Wille ist so tief vergraben, dass du ihn nicht einmal mehr spürst. Sag mir, ist das wirklich der Weg zu Gott?"
Die Worte brennen als würden sie mir einen Spiegel vorhalten, in den ich nie schauen wollte. Ich stehe auf, weil ich es nicht ertrage ihm weiter zuzuhören. Ich muss weg, raus aus diesem Raum, raus aus seinem Blickfeld, weg von dieser Wahrheit.
Ich drehe mich abrupt zur Tür, meine Hand ist bereits auf dem Türgriff, als der Dämon weiter spricht. „War es nicht dein Vater, der dich damals vergewaltigt hat? Warum folgst du dann einem Weg, den er für dich bestimmt hat?"
Die Worte schneiden durch mich wie ein Messer, lassen mich mitten in der Bewegung erstarren. Mir ist als hätte er mir die Luft aus den Lungen geschlagen. Mein Blick fixiert sich auf den kalten Türknauf und meine Finger krallen sich um das Metall, als könnte ich mich daran festhalten, um nicht zu fallen. Aber es gibt keinen Halt, nichts was diese Worte aufhalten könnte. Sie wühlen alles auf, was ich so tief vergraben hatte, was ich mein ganzes Leben lang verdrängt und verschlossen gehalten habe.
Ich fühle das Zittern, das sich in meinem Körper ausbreitet. Alles in mir schreit danach zu fliehen, diesen Raum zu verlassen und die Wahrheit zu verleugnen. Doch ich kann mich nicht bewegen. Mein Verstand weigert sich die Worte zu verarbeiten und doch klingen sie immer wieder in meinem Kopf nach.
Schließlich drehe ich mich langsam um und sehe in das Gesicht des Dämons. Sein Blick ist ruhig, als hätte er die perfekte Wunde gefunden, die er mir zufügen konnte und er genießt jeden Moment, in dem er sie noch tiefer reißt. Ich versuche etwas zu sagen, aber kein Laut kommt über meine Lippen. Die Worte bleiben mir im Hals stecken und mein Körper fühlt sich an wie in einen Schraubstock gespannt.
„Warum, Lyle?" wiederholt der Dämon leise und neigt den Kopf, als würde er mich wirklich verstehen. „Warum folgst du einem Weg, der von jemandem vorgezeichnet wurde, der dir so unvorstellbares Leid zugefügt hat?"
Die Worte wirbeln in meinem Kopf und ein Teil von mir weiß, dass ich antworten sollte, dass ich ihm widersprechen sollte, dass ich etwas sagen sollte... Aber alles was ich spüre, ist eine lähmende Mischung aus Schmerz und Scham, die ich nicht einmal begreifen kann. Plötzlich erscheinen all die Jahre in denen ich meinem Vater nachgeeifert habe, in einem anderen Licht.
War es wirklich ich, der diesen Weg gewählt hat? Oder war es nur die Flucht vor dem, was er mir angetan hat?War es ein verzweifelter Versuch, in seinem Schatten doch noch irgendwie richtig und gut zu sein?
„Es... es war nicht so," stammele ich schließlich, doch meine Stimme klingt schwach und kraftlos. „Ich ... ich wollte das. Ich habe diesen Weg gewählt." Aber die Worte fühlen sich hohl an, wie eine Lüge, die ich mir immer wieder eingeredet habe, bis ich daran geglaubt habe.
Der Dämon lächelt, als hätte er genau das erwartet. „Natürlich, Pater," sagt er leise.
„Natürlich wolltest du das. Es war dein freier Wille ... nicht wahr?"
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