Pater Ludwig

Die ganze Nacht liege ich wach und starre zur Decke, die Dunkelheit fühlt sich so erdrückend an wie die Gedanken, die mir durch den Kopf rasen. Ich habe die Tür fest verriegelt und meinen schweren Tisch direkt davor geschoben, als ob das ausreichen könnte, um das Abgründige draußen zu halten. Was hier passiert, das ist nicht menschlich. Das ist etwas, das wir nicht kontrollieren können.

Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, kommt die Angst zurück und durchfährt mich. Meine Muskeln verkrampfen sich, mein Körper zittert. Silas hat neun Menschen getötet – und Schwester Lahela hat ihm dabei geholfen. Mehr noch, sie scheint... besessen zu sein. Eine fremde Macht scheint von ihr Besitz ergriffen zu haben, und das ist wohl der Grund, warum sie so viel über mich weiß. Sie kennt Dinge aus meiner Vergangenheit, die sie eigentlich gar nicht wissen kann. Die ganze Vorstellung ist so irrsinnig, so surreal, dass mein Verstand sich dagegen wehrt.

Erst als der Himmel heller wird, hört das Zittern in mir langsam auf. Der Gedanke, mit Pater Ludwig zu sprechen, ist das Einzige, was mich irgendwie durch diese schreckliche Nacht bringt. Pater Ludwig wird heute die Messe halten und die Gemeinde begleiten. Ich muss ihn vor dem Gottesdienst abfangen und ihm alles erzählen.

. . .

Am frühen Morgen fühle ich mich ausgelaugt und erschöpft, als hätte ich ein endloses Schlachtfeld durchquert. Meine Beine sind schwer, meine Augen brennen. Trotzdem zwinge ich mich, zur Tür des Empfangssaals zu gehen und auf Pater Ludwig zu warten. Als ich ihn schließlich sehe, eile ich auf ihn zu, ohne zu zögern.

„Pater Ludwig", beginne ich flüsternd, bevor er sich dem Rest der Gemeinde zuwenden kann. „Ich muss dringend mit Ihnen sprechen. Es... es geht um Schwester Lahela. Ich glaube... ich weiß nicht, wie ich das sonst sagen soll, aber ich glaube, sie ist besessen."

Pater Ludwig bleibt abrupt stehen und sieht mich mit durchdringendem Blick an. Für einen Moment sehe ich, wie er die Schwere meiner Worte begreift. „Besessen, sagst du?" Er spricht leise, doch seine Stimme hat ein Gewicht, das ich noch nie zuvor bei ihm gehört habe.

„Ja," bestätige ich mit einem Nicken. „Sie hat sich verändert, spricht... und benimmt sich, als wäre sie nicht mehr sie selbst. Silas hat es auch bemerkt. Es... es gibt Dinge, die ich mir einfach nicht anders erklären kann. Sie weiß alles über meine Vergangenheit, kennt meine tiefsten Geheimnisse."

Pater Ludwig atmet tief ein, bevor er mich mit einem festen, aber verständnisvollen Blick ansieht. „Das, was du mir hier schilderst, klingt tatsächlich nach einem Fall von Besessenheit. Ich habe in meinen früheren Diensten Ähnliches erlebt. In solchen Fällen ist ein Exorzismus erforderlich."

Ich schlucke, während seine Worte auf mich wirken. „Ein Exorzismus?"

„Ja," antwortet er ruhig. „Ich werde einen erfahrenen Kollegen benachrichtigen, der sich mit dieser Art von Ritualen auskennt. Das ist ein delikates Verfahren, Lyle, das wir mit äußerster Vorsicht durchführen müssen. Aber ich kenne jemanden, dem ich vertrauen kann. Wir werden diese Angelegenheit ernsthaft angehen."

Pater Ludwig zieht sein Handy hervor und beginnt, den Kontakt zu suchen. „Ich werde ihn direkt benachrichtigen und alles vorbereiten. Aber, Lyle," er legt mir eine Hand auf die Schulter, „das wird eine Herausforderung. Du solltest dich darauf vorbereiten, dass es viel Kraft und Glauben erfordern wird – von uns allen."

Die Worte klingen lange in mir nach, und ich fühle, wie ein Hauch von Hoffnung durch meine Angst dringt. Zum ersten Mal seit dieser Nacht spüre ich, dass wir vielleicht eine Chance haben, diese Dunkelheit zu überwinden. Doch zugleich fürchte ich das, was kommen wird.

Nach unserem Gespräch tritt Pater Ludwig ein paar Schritte zur Seite, wählt die Nummer des Exorzisten, und flüsterte ja eindringlich in sein Handy. Ich kann nur Bruchstücke verstehen. „Besessenheit... ja, das ist ernst... heute Nachmittag." Als er auflegt, nickt er mir kurz und geht zum Altar, um den Gottesdienst zu beginnen.

Während die Kirche sich langsam mit den Stimmen der Gläubigen füllt, finde ich einen Platz in der hintersten Reihe. Ich fühle mich schwer und erschöpft, der Schlafmangel drückt auf mich. Kaum habe ich mich gesetzt, suche ich automatisch mit den Augen nach Silas. Doch er ist nicht da, was mich unruhig macht. Schwester Lahela hingegen sitzt in der vorderen Reihe und verhält sich völlig normal. Sie betet mit gesenktem Kopf, ihre Bewegungen sind ruhig und andächtig, wie ich es von ihr gewohnt bin. Der seltsame Ausdruck in ihren Augen, die aggressive Art der letzten Nacht, scheinen verschwunden. Fast könnte ich glauben, dass das alles nur ein Alptraum war.

Pater Ludwig führt den Gottesdienst in seinem ruhigen, kraftvollen Ton. Er spricht von Hoffnung und Glauben, doch in mir lodert ein unruhiges Feuer aus Angst und Unsicherheit. Ich fühle mich abwechselnd gefangen und verloren, und gleichzeitig spüre ich eine seltsame Erleichterung, dass Pater Ludwig mir beisteht. Als der Gottesdienst schließlich endet und die Gemeinde sich zum Frühstück begibt, bleibt Pater Ludwig zurück. Er sieht sich kurz um, und als unsere Blicke sich treffen, deutet er mir, ihm zu folgen.

Wir entfernen uns von den anderen, und ich merke, wie schwer sein Blick auf mir ruht. „Lyle," beginnt er sanft, aber bestimmt, „ich habe meinen Kontakt erreicht. Sein Name ist Livan. Er ist ein erfahrener Exorzist und wird heute Nachmittag hier sein."

„Heute schon?" Mir bleibt fast der Atem stehen. So bald hätte ich nicht damit gerechnet, und doch spüre ich Erleichterung. „Wie... wie soll das ablaufen?"

Pater Ludwig seufzt und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Es wird kein leichtes Ritual, Lyle. Ein Exorzismus fordert jeden, der anwesend ist. Livan ist sich dessen bewusst und wird die nötigen Vorbereitungen treffen. Aber ich muss dich bitten, für eine wichtige Sache zu sorgen: Bevor er ankommt, musst du Schwester Lahela sicher in ihrem Zimmer unterbringen – und sie so fixieren, dass sie sich nicht befreien kann. Wenn sie tatsächlich besessen ist, könnte es sein, dass die Dämonen oder die dunklen Kräfte in ihr versuchen, sich zu wehren."

Ich spüre, wie sich meine Hände zu Fäusten ballen. Der Gedanke, Schwester Lahela zu fesseln, widerstrebt mir. „Ist das wirklich nötig?" frage ich leise.

„Ja, Lyle," sagt Pater Ludwig eindringlich. „Im Fall einer Besessenheit weiß man nie, welche Kräfte erwachen könnten. Sie könnte sich selbst oder anderen Schaden zufügen. Ich weiß, das ist schwer zu verstehen – aber du musst mir vertrauen. Ich selbst habe solch ein Ritual noch nie durchgeführt, aber Livan hat das schon oft getan und kennt die Gefahren."

Meine Gedanken rasen, und ich nicke schließlich langsam. „In Ordnung. Ich werde sicherstellen, dass sie in ihrem Zimmer ist und sich nicht befreien kann, wenn Livan ankommt."

„Gut," sagt Pater Ludwig, und ein Hauch von Erleichterung schwingt in seiner Stimme mit. „Sei vorsichtig, Lyle. Dunkle Mächte nutzen jede Gelegenheit, um das Vertrauen und die Hingabe eines Gläubigen zu erschüttern. Doch ich bin sicher, dass du das Richtige tun wirst."

Mit diesen Worten verabschiedet er sich, um die nötigen Vorbereitungen für den Exorzismus zu treffen. Ich bleibe noch einen Moment allein, die Worte des Priesters hallen in mir nach und verstärken den Entschluss, die Wahrheit hinter Schwester Lahelas Veränderung endlich ans Licht zu bringen.

Ich zögere einen Moment, bevor ich an Silas' Tür klopfe. Ein Teil von mir hat Angst davor, ihn um diese Art von Hilfe zu bitten, aber ich weiß, dass ich das allein nicht schaffe. Die Tür öffnet sich, und Silas steht vor mir, sein Gesicht wirkt wie in Stein gemeißelt. Doch in seinen grauen Augen sehe ich eine kühle Entschlossenheit.

„Silas..." Meine Stimme klingt unsicherer, als ich möchte. „Ich brauche deine Hilfe."

Er sieht mich kurz an und nickt, als hätte er längst geahnt, warum ich gekommen bin. „Es geht um Schwester Lahela, richtig?"

Ich nicke und schlucke. „Wir müssen sie fixieren. Im Zimmer. Pater Ludwig hat einen Exorzisten gerufen. Er wird am Nachmittag kommen."

Silas hält einen Moment inne, als müsse er die Worte auf sich wirken lassen, dann nickt er erneut. „In Ordnung", sagt er schließlich ruhig, als wäre das, was wir gleich tun müssen, ein alltägliches Vorhaben.

Wir gehen nebeneinander den Flur entlang, und obwohl ich ihn an meiner Seite habe, fühle ich mich mit jedem Schritt schwerer, als hätte mich ein eisiger Nebel umhüllt. Mein Herz schlägt hart gegen meine Rippen. Die ganze Situation ist surreal – Schwester Lahela ist eine Nonne, eine der reinsten Menschen, die ich kenne. Und doch steht mir der Gedanke an das, was sie verbirgt, so schmerzhaft klar vor Augen, dass mir übel wird.

An der Tür zu ihrem Zimmer bleibe ich kurz stehen und atme tief durch. Ich weiß, dass dieser Moment uns beiden alles abverlangen wird. Silas bemerkt mein Zögern und sieht mich ruhig an, als wolle er mir Mut zusprechen.

„Bereit?" Seine Stimme ist leise, aber in seinem Blick liegt eine seltsame Mischung aus Ernst und Gelassenheit.

Ich nicke und drücke die Klinke herunter.

Drinnen sitzt Schwester Lahela am Fenster, das Licht des frühen Morgens streift ihr Gesicht und lässt sie fast friedlich aussehen – fast unschuldig. Doch ich weiß, das ist nur eine Maske. Sie dreht sich um und lächelt uns an, aber irgendetwas an ihrem Ausdruck jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken.

„Oh, Lyle", sagt sie mit sanfter Stimme, und dann richtet sie ihren Blick auf Silas. „Und du bist auch da." Sie schürzt die Lippen und schaut Silas lange an, dann sagt sie mit einer seltsamen, schmeichelnden Stimme: „Habt ihr endlich begriffen, was zwischen euch beiden liegt?"

Ich versuche, das zu ignorieren und gehe langsam auf sie zu. „Schwester Lahela... es wird Zeit, dass du dich setzt."

Sie runzelt die Stirn und lacht leise. „Oh, so ernst? Komm schon, Lyle, das steht dir nicht." Doch ihre Stimme klingt plötzlich viel tiefer, rauer, als hätte eine andere Macht das Sprechen übernommen.

Silas tritt einen Schritt näher an sie heran, und ich sehe, wie er die Hände anspannt. Seine Stimme bleibt ruhig, aber ich höre den unterschwelligen Zorn darin. „Du wirst tun, was er sagt."

Für einen Moment funkeln ihre blauen Augen kalt. Dann schießt sie mir ein schiefes Lächeln zu, das mehr Verspottung als Lächeln ist. „Oh, wie süß", murmelt sie und hebt eine Hand, um Silas am Kinn zu berühren. „Du verteidigst ihn... Weil du ihn so sehr willst, nicht wahr? Willst du nicht endlich zeigen, was du wirklich für ihn empfindest?"

Ich spüre, wie das Blut in meinen Adern gefriert. Silas zuckt zurück und wirft ihr einen scharfen Blick zu, während er sich noch näher an sie heran wagt. „Setz dich jetzt, Lahela."

Sie lacht erneut, ein dunkles, kehliges Geräusch, das ihr völlig fremd wirkt. Doch plötzlich, ohne Vorwarnung, lässt sie sich wie befehlsgemäß auf das Bett sinken. Wir beide atmen fast synchron auf, doch ich merke, dass die schwierigste Aufgabe noch vor uns liegt.

Ich hole die Ledergurte hervor, die Silas vorsorglich mitgebracht hat, und reiche sie ihm zitternd. Als wir versuchen, ihre Arme zu fixieren, schlägt sie plötzlich wie eine Raubkatze nach uns. Ihre Hand trifft mein Gesicht, und die Wucht lässt mich für einen Moment benommen zurücktaumeln.

„Ist das alles, was du kannst?" höhnt sie und lehnt sich ein Stück zurück, ihre Augen blitzen vor Triumph.

Silas hält sie mit festem Griff an den Schultern nieder, seine Gesichtszüge angespannt. „Hör auf damit", zischt er. „Wir werden nicht zulassen, dass du ihn verletzt."

„Oh, ich will ihn doch gar nicht verletzen", haucht sie mit einem verschlagenen Grinsen. „Oder doch? Vielleicht in einer Art, die ihm sogar gefallen würde? Lyle, hast du es ihm schon gesagt? Dass du nur darauf wartest, ihm endlich nah zu sein?"

Ihre Worte stechen tief, und ich fühle, wie Wut und Scham in mir hochkochen. „Das reicht!" Meine Stimme zittert, aber ich schaffe es, den nächsten Riemen an ihrem Handgelenk zu befestigen, während Silas sie stumm unterstützt.

Aber jedes Mal, wenn wir ihre Handgelenke fixieren wollen, windet sie sich wie ein Tier und murmelt unsägliche Dinge. Ihre Worte vermischen sich mit dunklen, kaum verständlichen Flüchen, die wie ein hohles Echo durch den Raum hallen. Ich habe das Gefühl, ihre Stimme kommt von irgendwo weit unter der Erde, als würde sie aus einem Abgrund zu uns sprechen.

Mit Mühe und Not schaffen wir es, ihre Handgelenke zu fixieren, und endlich sind auch ihre Füße sicher an die Bettpfosten gebunden. Doch ich spüre, wie mein Atem schwer geht und mir schwindelig wird. Meine Hände zittern, als wäre ich bis ins Mark erschüttert.

Lahela sieht mich an, ein Ausdruck tiefster Verachtung auf ihrem Gesicht, und ein Lächeln kriecht über ihre Lippen. „Oh, Lyle. Es ist doch so süß, dass du glaubst, das könnte mich aufhalten." Sie sieht mich durchdringend an und sagt dann mit leiser, fast sanfter Stimme: „Ich weiß, was du wirklich willst, Lyle. Auch Silas weiß es. Vielleicht hilft dir das ja, dich endlich zu entscheiden."

Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, doch ich merke, dass keine Worte kommen. Sie grinst triumphierend, und in dem Moment sehe ich in ihrem Blick eine Art von Dunkelheit, die mir das Blut in den Adern stocken lässt. Das hier... das ist nicht die Frau, die ich kenne. Das hier ist etwas Anderes, etwas Abgründiges.

Silas steht neben mir, seine Schultern gestrafft, aber ich sehe, dass seine Hände leicht zittern. Ich atme einmal tief durch und zwinge mich, meine Hände zu beruhigen. Die Stille im Raum lastet schwer auf uns, wie eine unsichtbare Hand, die uns zu erdrücken droht.

„Das ist vorbei, Lahela", sage ich schließlich mit brüchiger Stimme, die sich fremd anhört.

Sie wirft den Kopf zurück und lacht – ein kaltes, kehliges Lachen, das den Raum zu füllen scheint. „Oh, das ist alles andere als vorbei", murmelt sie leise. „Das ist erst der Anfang."

Ich sehe Silas an und merke, dass auch er von der Dunkelheit, die aus ihr strahlt, fast überwältigt wirkt. Doch seine Entschlossenheit bleibt fest. Er legt mir eine Hand auf die Schulter, und zum ersten Mal seit langem fühle ich so etwas wie Halt.

„Wir haben getan, was wir mussten", sagt er leise und zieht mich mit sanftem Druck zur Tür. „Jetzt... müssen wir warten."

Ich nicke und wir verlassen den Raum, doch ich kann das Gefühl der Bedrohung nicht abschütteln, das wie ein dunkler Schatten an uns haftet.

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