... im Namen des Heiligen Geistes
„Haben Sie schon herausgefunden, was das bedeutet?" fragt Detective Andrew und deutet auf die Symbole an den Wänden. Ich nehme das Foto in die Hand und betrachte es erneut eingehend. „Ja, ich habe es herausgefunden. Es ist so, wie ich schon einmal gesagt habe."
Ich lege das Foto wieder auf den Tisch. „Das hier sind nur willkürlich gezeichnete Symbole, ohne wirkliche Bedeutung. Es sieht so aus, als wollte der Täter uns mit diesen satanischen Zeichen nur Angst einjagen. Aber das hier..." Ich deute mit meinem Finger auf die hebräischen Schriftzeichen.
„Das bedeutet im Namen des Vaters," erkläre ich Detective Andrew. „Auf dem anderen Foto steht im Namen des Sohnes. Ich gehe also davon aus, dass es noch einen weiteren Mord geben wird – im Namen des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen."
Detective Andrew beugt sich vor und mustert das Bild genauer, seine Stirn ist in Falten gelegt. „Was will er uns damit sagen?"
„Ich weiß es nicht," antworte ich seufzend. Es frustriert mich, dass die Polizei keine Fortschritte macht. Es gibt kaum Hinweise, keine verwertbaren Beweise. Der Täter agiert fehlerlos. Ich bezweifle sogar, dass er alleine handelt.
„Pater... Ich möchte mich für gestern entschuldigen," sagt Andrew plötzlich.
Ich schaue ihn misstrauisch an und spüre wie sich eine unangenehme Spannung in mir aufbaut. Ich will nicht über das sprechen, was gestern passiert ist, also wechsle ich das Thema. „Wie gehen Sie jetzt vor? Durchsuchen Sie die Gegend nach möglichen neuen Opfern?"
„So einfach ist das nicht," antwortet der Polizist und verschränkt die Arme. „Im Prinzip könnte jeder der nächste sein. Wir haben keinen einzigen Anhaltspunkt, außer dass die Opfer religiös sind. Aber das trifft auf Tausende Menschen zu."
„Ich glaube nicht, dass er es auf unser Kloster abgesehen hat. Hier gibt es zu viele Menschen, zu viele Zeugen."
„Das denke ich auch nicht," stimmt Detective Andrew zu. „Wir suchen pausenlos nach neuen Spuren, aber es gibt einfach keine. Keine DNA, nichts."
„Zuerst dachte ich, er wolle uns etwas Bestimmtes mitteilen, durch diese Zeichen an der Wand. Aber sie wirken zu unüberlegt, zu wahllos. Nur die hebräischen Schriftzüge scheinen einem Plan zu folgen," erkläre ich und spüre, wie ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigt.
Andrew nickt und lehnt sich zurück. „Es ist zum Verzweifeln. In all meinen Dienstjahren habe ich noch nie einen Fall erlebt, der so undurchschaubar ist." Er hält inne und sieht mich prüfend an. „Haben Sie mit jemandem darüber gesprochen? Oder machen Sie das alles mit sich selbst aus?"
„Ich habe mit jemandem gesprochen," antworte ich. „Ein junger Mann, er ist Gast bei uns im Kloster. Er könnte bald ein neues Gemeindemitglied werden."
Andrew seufzt tief. „Mit meiner Frau kann ich nicht darüber reden," sagt er leise. „Wir haben eine kleine Tochter zu Hause, sie braucht unsere volle Aufmerksamkeit. Meine Frau könnte das nicht verkraften."
„Das ist sicher besser so," sage ich einfühlsam. „Wie alt ist Ihre Tochter?"
„Sie ist noch nicht mal ein Jahr alt," sagt er und lächelt schwach. „Lucille." Doch plötzlich verändert sich sein Gesichtsausdruck, als ihm etwas einfällt. „Dieser Junge, der bei Ihnen zu Besuch ist – wie lange ist er schon hier?"
Etwas in seiner Frage irritiert mich. Warum will er das wissen? Ich runzle die Stirn und erwidere zögerlich: „Wieso fragen Sie?"
„Die ersten Leichen haben wir vor zwölf Tagen gefunden. Sie waren bereits fünf Tage tot. Der Mord liegt also siebzehn Tage zurück. Wie lange ist Ihr Gast schon bei Ihnen?" Seine Stimme ist jetzt ernst, fast verdächtigend.
Erst verdächtigt er mich, jetzt Silas? Das ist absurd.
„Silas ist seit zehn Tagen bei uns," antworte ich ruhig, obwohl ich innerlich angespannt bin.
Detective Andrew seufzt und lässt den Kopf hängen. „Dann passt das auch nicht."
Das Klingeln von Detective Andrews Smartphone reißt uns aus unseren Gedanken. Wir beide schrecken zeitgleich auf, und ich sehe, wie er das Gerät ans Ohr hebt und ein paar Schritte zur Seite tritt. Sein Gesichtsausdruck wird zunehmend ernst. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Vielleicht hätte ich mich doch nie in diese Sache einmischen sollen.
Nach einigen angespannten Momenten dreht sich der Detective zu mir um. Ein Blick reicht, und ich weiß sofort, dass es Neuigkeiten gibt. Keine guten. Ich sehe das Entsetzen in seinen Augen, und die stumme Botschaft, die er mir damit sendet, trifft mich wie ein Schlag.
„Pater," sagt er leise, „kommen Sie bitte mit."
Mein Magen zieht sich zusammen, aber ich zwinge mich aufzustehen und ihm zu folgen. Plötzlich weiß ich; Mein ungutes Gefühl hat mich nicht getäuscht. Es ist wieder passiert.
. . .
Als wir am Tatort ankommen, ist alles anders als sonst. Das gewohnte Absperrband fehlt, die Polizisten eilen umher, als wären sie gerade erst angekommen. Der Ort selbst ist ungewöhnlich... ein imposantes Gebäude mit hohen, verzierten Fassaden. Es grenzt fast an eine Villa. Mein Herzschlag beschleunigt sich, als mir klar wird, wer hier wohnt. Das Blut scheint in meinen Adern zu gefrieren.
„Detective..." Meine Stimme bricht, und ich zittere unkontrolliert.
Detective Andrew wirft mir einen besorgten Blick zu. „Pater, alles in Ordnung?"
Ich schüttele den Kopf, starre stumm auf das Haus, unfähig, meinen Blick abzuwenden. „Ganz und gar nicht."
Er legt mir beruhigend die Hand auf den Arm. „Was ist los? Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen."
Ich schlucke um den Kloß in meinem Hals loszuwerden. „Erinnern Sie sich an unser... Gespräch gestern im Burgerladen?"
Er nickt sofort und wirkt sichtlich irritiert. „Ja, natürlich. Weswegen ich mich heute bei Ihnen entschuldigt habe."
Ich senke den Blick. „Das..." Ich zwinge die Worte aus mir heraus. „Sie wissen, dass mein Vater mich damals rausgeworfen hat."
„Das ist das Haus Ihrer Eltern?" fragt er entsetzt.
„Nein," antworte ich, noch bevor er den Gedanken zu Ende bringen kann. „Nicht das Haus meiner Eltern, aber... Es gehört dem Jungen... dem Mann, mit dem ich damals Händchen gehalten habe."
Detective Andrew reißt die Augen auf, er sieht mich fassungslos an. „Das meinen Sie nicht ernst," murmelt er. „Stehen Sie heute noch in Kontakt?"
„Schon seit Jahren nicht mehr," antworte ich leise.
Andrew wirkt einen Moment lang wie vom Schlag getroffen. „Das hier... das ist etwas ganz anderes, als wir gedacht haben..."
Er kommt nicht dazu, den Satz zu beenden. Ein anderer Polizist tritt aus der Eingangstür und winkt ihn hektisch heran. „Detective Andrew, die Körpertemperatur der Leiche beträgt 32 Grad. Er ist erst vor wenigen Stunden gestorben."
Detective Andrew wird blass. Er sieht mich an und flüstert: „Pater, kommen Sie erstmal mit."
Ich nicke stumm und folge ihm ins Haus. Das beklemmende Gefühl in meiner Brust wird stärker. Hier drin ist alles noch so, als würde der Bewohner gleich zurückkehren: Das Radio läuft, aus der Küche dringt der Geruch von frischem Kaffee, die Waschmaschine summt leise. Es wirkt so erschreckend normal, dass es schwerfällt, die grausame Realität zu begreifen. Jemand wurde mitten aus seinem Alltag gerissen.
Als wir den Flur entlanggehen, beginnt mein Magen sich unangenehm zusammenzuziehen. Schließlich erreichen wir das Badezimmer . Und da ist er. Lane. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Er kniet vor der Badewanne, die Augen verbunden, sein Körper hängt leblos über dem Rand.
Das Badezimmer ist in ein Szenario des Schreckens verwandelt. Die weiße Keramik der Badewanne ist besudelt, überall sind rote Spritzer zu sehen. Ihm wurde die Kehle aufgeschlitzt, brutal und ohne Erbarmen.
Instinktiv presse ich mir die Hand auf den Mund, als die Übelkeit in mir aufsteigt. Der metallische Geruch des Blutes ist beißend und scheint in der Luft zu hängen. Was hier geschehen ist, ist wieder einmal grausam. Ich muss mich an der Wand abstützen, um nicht den Halt zu verlieren.
Detective Andrew steht neben mir und seine Stimme klingt dumpf in meinen Ohren, als er mich fragt: „Ist er das?"
Ich kann mich kaum dazu zwingen, den Blick wieder auf den leblosen Körper zu richten, aber ich nicke und flüstere ein kaum hörbares: „Ja... er ist es."
Andrew geht ein paar Schritte um die Leiche herum und mustert die Szene. „Diesmal keine Inszenierung, keine Zeichen an den Wänden. Nur diese Schrift hier... und lassen Sie mich raten – es ist der letzte Satz."
Ich zwinge mich, den Blick zur Wand zu heben, wo in hastig hingeschmierten hebräischen Buchstaben Worte stehen. „Ja," sage ich tonlos und taste nach den Übersetzungen in meinem Gedächtnis. „Dort steht wahrscheinlich: Im Namen des Heiligen Geistes."
Ich kann nicht länger als unbedingt nötig, in diesem Raum bleiben. Die kalte Luft trifft mich wie ein Schlag, als wir wieder rausgehen. Der metallische Geruch des Blutes haftet in meinen Nasenflügeln, aber wenigstens kann ich jetzt tief durchatmen. Ich merke, dass ich unbemerkt die Luft angehalten habe.
Andrew deutet auf den Streifenwagen. Wir bleiben davor stehen, und für einen Moment schweigt er, als ob er seine Gedanken sortieren muss. Dann wendet er sich mir zu, seine Augen wirken forschend. „In welcher Verbindung standen Sie zum Opfer?" Seine Stimme ist ruhig, aber ich spüre die Anspannung.
Ich senke den Blick und wäge ab, wie ich antworten soll, doch letztlich habe ich nichts zu verbergen. „Wir hatten keine gemeinsame Vergangenheit," sage ich leise. „Er... wir kannten uns als ich noch jünger war. Doch seit Jahren gab es keine Verbindung mehr. Nur das, was Sie schon wissen."
Andrew seufzt, und seine Stirn legt sich in Falten, als er einen Moment nachdenklich innehält. „Wusste jemand von dieser Verbindung?"
Ich überlege, wer dieses alte Kapitel meines Lebens noch kannte. „Nur meine Eltern," sage ich schließlich.
Andrew nickt bedächtig, während er in Gedanken zu schwelgen scheint. „Ich werde mich nach Ihren Eltern erkundigen."
Ich nicke wie mechanisch. Ich glaube nicht, dass sie etwas damit zu tun haben. Aber es ist natürlich seine Aufgabe nachzuforschen.
. . .
Nachdenklich sitze ich in dem Raum, in dem ich sonst die Taufgespräche mit den Menschen führe. Meine Gedanken sind vollkommen abwesend, was hat das alles zu bedeuten? Ich kenne all diese Menschen, die in den letzten Tagen gestorben sind. Ich habe auch eine gewisse Verbindung zu Ihnen.
Wäre ich nicht die letzten Stunden mit Detective Andrew zusammen gewesen, dann hätte er mich mit Sicherheit wieder verdächtigt. Allerdings habe ich jetzt so natürlich ein Alibi. Seufzend stütze ich meinen Kopf auf meine Hände auf. Diese ganze Sache bringt mich um.
Es ist mehr die Ungewissheit, was wohl als Nächstes passieren wird. Schreckliche Dinge passieren überall auf der Welt, in Amerika besonders häufig. Diese Albträume... Diese schrecklichen Bilder... Das alles bereitet mir schlaflose Nächte. Es klingt vielleicht absurd, aber im Nachhinein betrachtet machen wir diese schrecklichen Bilder weniger Angst als die Ungewissheit.
In meinen Augen handeln Menschen niemals ohne Grund. Für die Person, die das getan hat, existiert also ein Grund. Den kann man als Außenstehender nicht nachvollziehen, das muss man auch nicht.
Ich stehe auf und laufe ziellos im Raum umher. Ich versuche das Puzzleteil irgendwie zusammenzufügen, es muss einen tieferen Sinn hinter all dem geben. Niemand gibt sich so sehr Mühe, ohne einen Hintergedanken dabei zu haben.
Für mich steht fest; die Symbole sind zufällig ausgewählt wurden und sie haben keinen tieferen Grund. Das einzige was zusammenpasst, ist die Schrift. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Ich wiederhole diesen Satz immer und immer wieder in meinem Kopf. So lange bis er sich schon befremdlich und falsch anhört.
Wie aus dem Nichts habe ich einen schrecklichen Einfall. Ich schüttel meinen Kopf ungläubig. Der muss falsch sein. Dieser Einfall muss falsch sein. Doch... ich kenne nur eine Person, die ich damit in Verbindung bringen kann.
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