Grausame Taten
„Was ist passiert?", frage ich die beiden besorgt. „Was ist denn mit Aaron?"
Die kleine, blonde Nonne stolpert auf mich zu, direkt in meine Arme. Sie beginnt zu schluchzen und gegen meinen Oberkörper zu weinen. Ich streiche ihr sanft über den Rücken und werfe Schwester Levana einen fragenden Blick zu. Die ältere schaut mich aus traurigen Augen an.
Mein Magen zieht sich zusammen, wenn Aaron das getan hat was ich denke, dann muss er das Kloster sofort verlassen.
„Alles ist gut, du bist hier bei uns sicher", sage ich. „Ihr müsst mir jetzt bitte nur erzählen was passiert ist."
„Schwester... Es tut mir so leid", höre ich Aaron hinter mir rufen. „Ich habe die Kontrolle verloren, ich respektiere Sie."
Schwester Lahela beginnt zu zittern, sie vergräbt ihren Kopf an meiner Brust und presst die Augen fest aufeinander.
„Aaron, bleib dort stehen", sage ich laut. „Du kommst nicht hier her, hast du verstanden?"
Der ältere Mann hört nicht, sondern kommt mit schnellen Schritten auf uns zu. Seine Augen sind rot und geschwollen, Tränen laufen über seine Wangen. „Pater... Bitte es tut mir so leid."
Ich löse mich von der blonden Nonne und schiebe sie zu Silas und Schwester Levana. „Aaron", sage ich bestimmt. „Du kommst nicht näher."
Dieses Mal hört er und bleibt stehen. Er fällt auf seine Knie und verschränkt seine Hände miteinander. „Bitte... im Namen des Vaters..."
„Stopp", sage ich laut und unterbreche seinen Satz. „Nein, du sagst das jetzt nicht. Du wirst hier niemals wieder beten."
Ich laufe zu ihm und bleibe vor ihm stehen. Der Mann streckt sich nach oben und schaut mich flehend an. Seine Augen sind geweitet, die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben.
„Ich will beichten... Pater bitte..." Verzweifelt klammert er sich an mein Bein und hält sich dort fest. Diese Situation ist verdammt schwierig. „Ich habe sie angefasst, aber nur einmal... Ich habe aufgehört."
„Steh auf, sofort. Steh auf und schau mich an."
Zitternd tut er was ich sage. Sein Gesicht ist überströmt von Tränen, seine Wangen glänzen wegen der Feuchtigkeit. „Es wird nie mehr vorkommen."
Als ich Schwester Lahela hinter mir weinen höre, löst das einen unglaublichen Hass gegenüber der Person vor mir aus. Ich hasse niemanden, niemals. Doch jetzt ist es passiert, Aaron ist der erste. Wütend balle ich meine Hände zu Fäusten. In unserem Kloster gibt es so etwas nicht, bei uns wird niemand gegen seinen Willen berührt. Vor allem nicht unsere Nonnen.
Ohne darüber nachzudenken hole ich aus und schlage dem Mann mitten in sein Gesicht. Über mögliche Konsequenzen mach ich mir keine Gedanken, er hat viel schlimmeres getan. Und auch wenn ich mich dafür bestrafen muss, Aaron hat es verdient.
Er taumelt einen Schritt zurück und schaut mich völlig durcheinander an, seine Nase blutet und tropft auf sein helles Oberteil.
„Du wirst jetzt sofort dieses Kloster verlassen, wenn ich dich hier nochmal sehen sollte, rufe ich die Polizei. Du hast ab sofort ein lebenslanges Verbot."
Mit großen Augen und bebenden Lippen dreht sich Aaron um und lässt uns im Laufschritt zurück. Sofort drehe ich mich um und gehe wieder zu den anderen. Schwester Lahela hält sich an Silas fest und krallt sich in seinen Pullover, sie sieht so verängstigt aus.
„Pater, es war es war sehr kontrovers... aber vollkommen das Richtige", sagt Schwester Levana. „Wir stehen hinter Ihnen."
Das aus ihrem Mund zu hören, verwirrt mich ein wenig, aber ich hinterfrage es nicht. Sie liebt Schwester Lahela genauso sehr wie ich, demnach kann sie es vermutlich vertreten.
. . .
„Ich wollte dich eigentlich gerade suchen. Dann bin ich Aaron begegnet und er wollte mir von seinem Plan erzählen."
Schwester Lahela sitzt unruhig auf der kleinen Couch im Gemeinschaftsraum. Ihr Blick wechselt immer zwischen mir, Silas und Schwester Levana hin und her. „Ich war etwas in Eile, wollte ihm aber trotzdem zuhören. Also hab ich ihn gebeten, einfach ein Stück mitzukommen. Das hat er auch gemacht... Und dann auf einmal habe ich seine Hand an meinem Hintern gespürt."
Ich bin schockiert, ich habe das niemals von Aaron gedacht. Natürlich hat er mir hin und wieder von seinen Fantasien erzählt, aber er hat diese nie ausgelebt. In seiner Fantasie ging es immer um eine Frau, er hat mir allerdings nie gesagt, um welche. Ich habe mir nie etwas schlimmeres dabei gedacht, ich habe mir seine Beichten angehört, ihm vergeben. Und dann war alles wieder gut.
„Und ich dachte erst, es sei ein Versehen, dass er beim Laufen aus Versehen dagegen gekommen ist. Aber er hat die Hand nicht weggenommen und dann hab ich mich zu ihm umgedreht. Dann hat er auf einmal..."
Sie schaut nach unten und deutet auf ihre Oberweite. „... Dort hat er mich auch berührt."
„So ein mieses Schwein", sagt Silas plötzlich. „Oh, entschuldigt meine Ausdrucksweise. Aber was anderes fällt mir da echt nicht ein."
Schwester Lahela lächelt Silas zaghaft an. Sie greift nach seiner Hand und tätschelt sie. „Danke, du hast vollkommen recht."
„Er wird nie wieder hierher kommen. Ich gebe allen Bescheid, sobald er hier gesehen wird, möchte ich, dass die Polizei gerufen wird. ich spreche es morgen früh beim Gebet gleich mit an."
Stelle niemanden an den Pranger, aber die Menschen, vor allem die Frauen müssen vor ihm geschützt werden.
„Danke", sagt sie jetzt auch zu mir. „Ich bin euch allen dreien so dankbar. Es geht mir wirklich nicht gut, aber eure Anwesenheit hilft mir. Aber... Ich muss etwas viel Wichtigeres loswerden."
Die kleine, blonde Nonne schaut mich besorgt an.
„Ich kümmere mich in der Zeit um den Kuchen", sagt Schwester Levana. „Wenn etwas ist, dann weißt du wo du mich findest meine Liebe. Bitte komm dann doch zu mir."
Sie gibt der blonden Nonne einen Kuss auf die Stirn und verlässt den Gemeinschaftsraum. Der Zusammenhalt in unserer Gemeinde ist wirklich unglaublich stark. Die Verbindung, die die Nonnen untereinander haben, ist wirklich beneidenswert.
„Okay", sagt Schwester Lahela. „Heute kam ein Detective zu mir. Er leitet aktuell eine Ermittlung es geht um einen Mordfall."
Als sie das sagt, rutscht mir für einen Moment das Herz in die Hose. Als erstes denke ich an Silas, war er wegen ihm hier? Auch Silas scheint so zu denken. Sein Mund steht offen, und seine Pupillen sind geweitet.
„Es geht um einen echt sehr schlimmen Fall... In der Nachbarschaft wurde eine ganze Familie getötet. Aber nicht auf eine normale Art und Weise."
Sie wendet ihren Blick von mir ab und starten die Leere. Auf der einen Seite bin ich froh, dass Silas nicht auf diese Art und Weise hier herausgeholt wird und auf der anderen Seite habe ich Angst vor den Dingen, die sie gleich erzählen wird.
„Irgendjemand hat die Mutter, den Vater, die beiden Söhne und das kleine Baby umgebracht. Die Polizei hat seltsame Zeichen und Zahlen an den Wänden gefunden. Sie sagten, es wirkt auf sie irgendwie biblisch. Deswegen sind sie auch zu uns gekommen. Sie haben mich gefragt, ob du mal dorthin kommen kannst und dir das alles ansehen kannst."
„Wow", flüstere ich leise. „Das klingt grauenhaft und verstörend."
Aktuell habe ich noch gar keine Idee, um was es sich da wirklich handeln könnte. Vielleicht ist das alles auch einfach nur ein schlechter Scherz und der Mörder hat sich einen Spaß erlaubt.
„Er sagte, wenn du dich dazu in der Lage fühlst, dann kannst du das machen beziehungsweise dann würde er es wirklich wertschätzen, wenn du es dir anschaust. Wenn du allerdings ein komisches Gefühl dabei hast oder so etwas nicht sehen kannst und willst, dann musst du es nicht tun."
Um ehrlich zu sein, kann ich nicht einschätzen, ob ich dazu in der Lage bin. Ich habe noch nie irgendetwas derartiges gesehen und habe auch nicht vor, so etwas zu sehen. Es wird allerdings einen Grund haben, wieso der Detective zu uns kommt und uns um Hilfe bittet. Die Polizisten in der Stadt sind nicht sehr religiös veranlagt, es scheint also etwas wirklich schlimmes zu sein, wenn sie auf uns zukommen.
„Ich werde es versuchen", sage ich. „Silas, würdest du noch ein wenig bei Schwester Lahela bleiben?"
Silas nickt und lächelt die Nonne liebevoll an. „Natürlich mache ich das. Wenn Sie möchten, dann können wir uns vielleicht etwas die Beine vertreten gehen."
Schwester Lahela nickt und greift nach Silas Hand. „Das ist eine gute Idee. Pater... Ich danke dir."
. . .
Mit schwerem Herzen und einem unangenehmen Druck in der Magengrube stehe ich vor dem kleinen, unscheinbaren Einfamilienhaus am Stadtrand. Es wirkt, als hätte der Ort selbst seine Lebendigkeit verloren. Die Einfahrt ist abgesperrt, das Gelände voller Streifenwagen und uniformierter Polizisten. Alles hier scheint düster, fast bedrohlich. Als ich auf das Haus schaue, überkommt mich ein Gefühl der Beklommenheit. Der Gedanke, dass dies wirklich ein Tatort ist, macht mich nervös. Hier sind grauenvolle Dinge geschehen, Dinge, die der menschliche Geist nicht erfassen kann, ohne dabei Schaden zu nehmen.
„Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes..." murmle ich und hoffe somit auf Schutz. „Bitte, Vater, bewahre mich vor der Dunkelheit dieses Ortes. Amen."
„Pater, da sind Sie ja." Die Stimme des Polizisten reißt mich aus dem Gebet. Er ist groß, mit breiten Schultern und einer großen Narbe, die quer über sein Gesicht verläuft. Trotz seiner ruhigen Haltung wirkt er auf merkwürdige Weise angespannt. „Ihre Nonne hat uns informiert, dass Sie kommen werden."
Er hebt das Absperrband an, das mich vom Haus trennt, und ich zögere für einen Augenblick, bevor ich hindurchschlüpfe. Meine Hand fühlt sich kalt und klamm an, als ich sie ihm reiche. „Pater Lyle," sage ich knapp.
„Detective Andrew." Seine Augen mustern mich kurz, als ob er versuchen würde, herauszufinden, wieso ich tatsächlich hergekommen bin. „Es tut mir leid, dass Sie das sehen müssen. Drinnen... es ist schlimmer, als Worte es beschreiben können. Ich weiß nicht, ob jemand wie Sie so etwas ertragen sollte."
Mein Mund ist trocken, und ich kämpfe gegen den Drang, einfach wegzulaufen. „Ich... ich muss es sehen," sage ich leise, obwohl ich nicht sicher bin, ob ich wirklich die Kraft dafür habe.
Andrew nickt stumm und führt mich zum Eingang des Hauses. Schon von außen wirkt das Gebäude trostlos, als hätte der Tod längst Besitz davon ergriffen. „Der Geruch... ist nicht leicht zu ertragen."
Das war eine Untertreibung. Kaum trete ich ein, trifft mich eine Welle des Gestanks so heftig, dass ich sofort meine Hand vor den Mund presse. Der modrige Geruch von Tod hängt schwer in der Luft, gemischt mit etwas Chemischem, das meine Augen brennen lässt. Mein Magen rebelliert, doch ich zwinge mich weiterzugehen.
Andrew führt mich durch den engen Flur, bis wir vor einer schweren, verschlossenen Tür stehen bleiben. „Die Küche," sagt er mit rauer Stimme. „Was Sie dahinter sehen werden, könnte Ihr Weltbild erschüttern."
Ich nicke, doch mein Kopf fühlt sich seltsam leicht an, wie benommen. Als er die Tür öffnet, prallen unzählige Eindrücke auf mich ein: Forensiker, die hektisch Beweise sichern, Absperrbänder, die den Raum durchziehen und überall diese kleinen nummerierten Zettel.
Doch es ist der Tisch in der Mitte des Raumes, der meine Aufmerksamkeit fesselt und mir beinahe den Verstand raubt. Drei Menschen sitzen dort. Ihre Körper sind starr, unnatürlich aufrecht. Ich erkenne Lydia und ihre beiden Söhne sofort. Sie waren jeden Sonntag in der Kirche. Immer freundlich, immer lächelnd. Nun sitzen sie da, die Augen verbunden, die Hände gefesselt, und vor ihnen Teller mit... Essen. Mein Magen zieht sich zusammen, als mir der schreckliche Gedanke kommt, dass das, was ich rieche, vielleicht genau das ist.
„Das ist Lydia." Meine Stimme zittert, während ich versuche, die Worte zu formen. „Sie war jeden Sonntag bei uns."
Der Anblick dieser grotesken Inszenierung brennt sich in mein Gedächtnis. Mein Körper reagiert, als wolle er mich dazu zwingen, mich zu übergeben, doch ich unterdrücke es mit letzter Kraft.
„Wo ist ihr Mann... und das Baby?" Ein Funken Hoffnung flammt in mir auf, doch ich weiß bereits, dass es vermutlich keinen Sinn hat. Irgendetwas in der Art, wie Andrew die Schultern sinken lässt, bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen.
„Teile des Mannes sind auf den Tellern." Er zeigt auf das makabre Mahl vor uns. „Das Baby... ist im Kochtopf."
Mir wird schwarz vor Augen. Für einen endlosen Moment kann ich nichts sehen, nichts hören. Mein Atem stockt, und ich bin nicht sicher, ob ich gleich zusammenbrechen werde. Der Polizist neben mir redet weiter, doch seine Worte verschwimmen, und alles um mich herum zieht sich zu einem beklemmenden Knoten zusammen. Das Monster, das dies getan hat, kennt keine Gnade. Kein Funke Menschlichkeit.
„Pater?" Andrews Stimme reißt mich zurück in die Realität. „Bitte kommen Sie hierher. Es gibt noch mehr zu sehen."
Ich folge ihm auf unsicheren Beinen in einen Nebenraum. An den Wänden erkenne ich Symbole und Zahlen. Pentagramme, ein umgedrehtes Kreuz, die Zahl 666. Es ist unverkennbar... wir haben es mit etwas zutiefst Bösartigem zu tun. Die satanische Symbolik schneidet sich tief in mein Bewusstsein.
„Vielleicht ein Satanist." Meine Stimme klingt zittrig. „Einige dieser Worte sind hebräisch. Ich werde sie übersetzen müssen. Können Sie mir Fotos schicken?"
Andrew nickt und verschränkt die Arme. „Die Familie war streng gläubig, und diese Symbole... sie sind eindeutig. Deswegen haben wir Sie hergeholt."
„Es war die richtige Entscheidung," sage ich. Wenn jemand die Kirche hasst, wer könnte dann das nächste Opfer sein?
„Wir untersuchen das alles," sagt Andrew, doch seine Worte erreichen mich kaum. Ich stehe immer noch mitten in diesem Albtraum und frage mich, wie etwas so Grausames überhaupt existieren kann.
Wer auch immer das getan hat, ist ein Monster. Und es ist noch nicht fertig.
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