Eine schwere Entscheidung
Langsam rutsche ich an der Tür nach unten und setze mich schließlich auf den kalten Boden. Mein Kopf dröhnt, meine Finger zittern und ich versuche die Luft wiederzufinden, die mir mit den Worten des Dämons so grausam entzogen wurde. Meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen und ich presse die Hände auf meine Oberschenkel. Ich versuche mich an irgendetwas festzuhalten, irgendwas das mich wieder in die Gegenwart zurückholen könnte. Bilder flackern auf sie sind unscharf, doch sie sind da. Und ich habe nicht die Kraft, sie zu vertreiben.
Von irgendwo über mir höre ich das leise Kichern des Dämons. Er blickt auf mich hinab und trotz der Fesseln ist es, als hätte er all die Macht in diesem Raum. Die Augen funkeln in einem dunklen Licht, welches weit entfernt ist von der Frau die ich einmal gekannt habe.
„Ach Pater Lyle," zischt der Dämon leise. „Du kannst dich noch so tief auf den Boden drücken, noch so sehr zusammenkrümmen, aber du wirst dieser Wahrheit nicht entkommen können. Dein Vater... er war derjenige, der dich in diesen Abgrund gestoßen hat. Und doch folgst du dem Pfad, den er dir vorgegeben hat. wie ein folgsames Lamm."
Ich schließe die Augen, ich will nicht das sie sieht wie sehr mich ihre Worte erschüttern. Aber das Bild meines Vaters taucht sofort auf; sein hartes Gesicht, sein kalter Blick und die Art wie er mich angesehen hat, als wäre ich etwas das er besitzen würde. Wie etwas das er formen und brechen konnte, wie es ihm beliebte. Ich kann nicht fassen, dass ich diesen Weg gewählt habe.
„Es tut weh, nicht wahr? Diese Wahrheit, die du so viele Jahre verdrängt hast. Du hast immer nur für ihn gelebt, um ihn glücklich zu machen."
Ich spüre wie mir der Atem stockt, während der Dämon weiterspricht. Die kalte Stimme dringt in mich ein und bringt all diese Zweifel hervor, die ich immer so gut verdrängen konnte.
„Aber du musst es nicht länger so hinnehmen," murmelt er und etwas verändert sich in seinem Ton. Er klingt plötzlich ernst und beinahe verständnisvoll. „Ich habe einen Ausweg für dich."
Ich schaue nach oben. Er sieht mich an, mit einem Ausdruck in den Augen der fast... einladend wirkt.
„Du könntest mich befreien," sagt er. „Wir könnten so tun als wäre Schwester Lahela geheilt, als hätte ich ihren Körper verlassen."
Ich starre ihn an und bin unfähig die Worte wirklich zu begreifen. Befreien? Was für ein grotesker Vorschlag... aber irgendwie dringen diese Worte dennoch zu mir durch.
„Du willst doch Gerechtigkeit," sagt er sanft. „Für das was dein Vater dir angetan hat. Für all das Leid, welches er dir zugefügt hat. Warum solltest du diesen Pfad weitergehen? Stattdessen könntest du ihn finden. Du könntest ihn bestrafen für alles, was er dir genommen hat. Denk an die Freiheit. Denk an das Leben, das du führen könntest ... gemeinsam mit Silas."
Der Name Silas bringt mich kurzzeitig zurück in die Realität und reißt mich aus der Schockstarre. Silas. Die Art wie er mich angesehen hat, die Berührungen.
„Aber ... das wäre Mord," flüstere ich mit zittriger Stimme. „Ich kann das nicht tun ... Ich bin ein Mann Gottes."
Er lacht leise, schüttelt den Kopf und seine Augen blitzen herausfordernd auf. „Ein Mann Gottes? Was hat dir dein Glaube denn gebracht? All die Jahre hast du Buße getan, dich gegeißelt, dich gedemütigt. Und wofür? Um deinem Vater zu gefallen?"
Ein Teil von mir will schreien, sich von ihm abwenden, ihm widersprechen. Alles was er sagt klingt auf eine Weise richtig. So richtig, dass es mir das Herz zerreißt. Ich habe mich mein Leben lang gequält und gehofft, dass ich so etwas wie Erlösung finden könnte, aber hat es wirklich geholfen? Habe ich dadurch wirklich Frieden gefunden?
„Stell dir vor," flüstert er weiter. „Du und Silas, frei von dieser Welt, frei von diesen Mauern, frei von dem Fluch, den dein Vater dir auferlegt hat. Wir könnten ihn finden, Lyle. Du musst ihn nur loslassen... diesen Schwur, dieses Zölibat, diese Ketten, die dir dein Vater umgelegt hat. Du könntest ihn endlich zur Rechenschaft ziehen."
Ich presse die Hände gegen meine Stirn und versuche diese Bilder zu vertreiben. Bilder von mir und Silas, frei... irgendwo weit weg von hier. Von meinem Vater, wie er ... nein. Ich darf diesen Weg nicht denken. Das wäre eine Entscheidung die alles zerstören würde wofür ich mich entschieden habe.
„Ich... ich kann das nicht tun," flüstere ich, doch die Überzeugung in meiner Stimme klingt brüchig.
Der Dämon neigt den Kopf und mustert mich, als könnte er jeden Riss in meiner Fassade sehen. „Willst du das wirklich nicht? Oder willst du es nur nicht zugeben? Hör auf dich selbst zu belügen. Dieser Weg, den du gewählt hast, er ist nicht deiner. Er gehört ihm. Du wurdest gezwungen."
Diese Worte treffen mich erneut wie ein Schlag. Und das Schlimmste daran ist... Ich weiß, dass er recht hat. Ein Teil von mir weiß das.
„Es war meine Entscheidung," sage ich leise.
„Oh Lyle, dein Leben lang hast du gegen diese Entscheidung gekämpft, weil sie nie wirklich dir gehörte. Und jetzt frage ich dich nochmal; Willst du das wirklich fortsetzen? Willst du wirklich all die Jahre weiter Buße tun, für einen Gott der dich nie befreit hat?"
Der Raum um mich herum beginnt sich zu drehen. Alles verschwimmt in diesem Moment und ich weiß nicht mehr, was richtig oder falsch ist. Der Gedanke an Rache erscheint mir plötzlich wie eine Erlösung. Ein Teil von mir will glauben, dass das wirklich ein Ausweg sein könnte.
Aber kann ich diesen Weg wirklich gehen? Kann ich wirklich alles aufgeben wofür ich mein Leben lang gekämpft habe?
„Du hast die Wahl, Lyle. Du kannst endlich frei sein."
Ich sitze immer noch an die Tür gelehnt, mein Kopf schwirrt von den Worten des Dämons. Die Bilder, welche er in meinen Geist gepflanzt hat... sie sind verlockend, das gebe ich zu. Aber ich spüre auch, dass sie nicht wirklich das sind, was ich will. Nicht wirklich.
Langsam richte ich mich auf und sehe Schwester Lahela, oder vielmehr dieses Wesen, direkt an. Trotz der Kälte in meinem Herzen und dem Zittern meiner Hände finde ich meine Stimme.
„Ich will diesen Weg nicht aufgeben," sage ich leise. „Ich habe mich bewusst dafür entschieden. Ich will den Menschen beistehen, ihnen helfen, so wie es mein Auftrag ist. Nicht, weil mein Vater das von mir erwartet hat, sondern weil ich es will."
Der Dämon mustert mich lange und in Schwester Lahelas Augen erscheint ein Funkeln, welches ich als Belustigung deuten könnte. Er neigt den Kopf leicht zur Seite und hebt eine Augenbraue.
„Interessant," sagt er langsam. „Also willst du wirklich in dieser Rolle bleiben, Pater? Das Opfer sein, das auf Erlösung hofft?"
„Ja," antworte ich fest. „Auch wenn es schwer ist, auch wenn... die Zweifel da sind, ich werde diesen Weg nicht verlassen."
Der Dämon lächelt und nickt, als hätte er genau darauf gehofft. „Gut, gut ... Ich verstehe. Ein frommer Mann, der an seinem Glauben festhält, selbst wenn alles dagegen spricht. Aber du weißt, Glauben allein löst keine Probleme. Manchmal braucht es Taten. Hör mir jetzt genau zu," sagt er sanft. „Du musst deinen Weg als Priester nicht aufgeben, um das zu tun was ich vorschlage. Befreie mich einfach ... öffne die Fesseln und lass mich hier raus. Wir werden allen sagen, dass ich geheilt bin, dass das Böse aus mir vertrieben wurde. Nur du, Silas und ich... nur wir werden wissen, was wirklich geschehen ist."
Ich starre ihn fassungslos an. Die Dreistigkeit seines Vorschlags raubt mir beinahe erneut den Atem. „Und was dann?" frage ich tonlos.
Sein Lächeln wird breiter. „Dann könntest du so weitermachen wie bisher, Lyle. Als Priester. Als jemand, der den Menschen hilft, der sich um die Gemeinde kümmert. Niemand müsste etwas wissen. Und in der Zwischenzeit... könnten wir gemeinsam etwas anderes in Angriff nehmen."
„Etwas anderes?"
„Ja", fährt der Dämon fort und neigt den Kopf. „Deinen Vater. Silas ist ohnehin... sagen wir, nicht ganz unbewandert im Töten, oder? Zusammen könnten wir diesen Schatten endgültig aus deinem Leben vertreiben. Denk daran: Ein Leben als Priester, wie du es dir wünschst, aber ohne die Last der Vergangenheit, ohne den Fluch, den er dir auferlegt hat."
Die Worte sickern in mich ein. Der Gedanke an meinen Vater und an das was er mir angetan hat, reißt alte Wunden auf, Wunden die niemals wirklich geheilt waren. Die Vorstellung diesen Mann zur Rechenschaft zu ziehen... sie blitzt für einen Moment wie ein verlockendes Feuer auf.
„Du willst, dass ich eine Lüge lebe," flüstere ich. „Du willst, dass ich so tue als wäre Schwester Lahela geheilt und in der Zwischenzeit ... geht es um meinen Vater?"
„Genau," sagt der Dämon sanft und lächelt wieder wie eine freundliche Schwester. „Denke daran, wie viel leichter es dir fallen würde, in deiner Rolle aufzugehen, wenn dieser Schatten nicht mehr über dir schwebt. Du könntest ein echter Priester sein, frei von den Ketten der Vergangenheit. Frei von diesem Mann."
Ich schlucke schwer und starre auf den Boden. Ein Teil von mir will glauben, dass es der richtige Weg ist. Aber gleichzeitig weiß ich, dass ich mich auf gefährliches Terrain begeben würde.
„Und was wenn... Was, wenn ich mich so dem Bösen hingebe, wie du es willst? Was, wenn ich so werde wie..."
Der Dämon schüttelt den Kopf. „Du bist bereits wie er, in vielerlei Hinsicht. Du trägst dieselbe Dunkelheit, denselben Hass in dir. Der Unterschied ist, dass du dich weigerst ihm zu begegnen. Du glaubst du kannst dich davon reinwaschen, wenn du nur genug Buße tust. Aber du bist gebrochen, genau wie er dich haben wollte. Deine Seele trägt diese Narben."
Ich schließe die Augen und spüre wie sich die Tränen in ihnen sammeln. „Ich ... kann das nicht," sage ich schließlich. „Ich werde diesen Weg nicht gehen. Ich werde nicht tun, was du willst. Wenn ich mich dir anschließe... dann bin ich wirklich verloren."
Der Dämon betrachtet mich mit einem Ausdruck von Belustigung und Enttäuschung. „Wie schade, Lyle. Wie wirklich schade. Du wirst es bereuen diesen Weg nicht zu gehen. Du wirst sehen, wie dein Glaube dich in der Einsamkeit zurücklässt, wie die Schatten deines Vaters dich weiterhin verfolgen. Aber die Wahl liegt bei dir."
Ich stehe langsam auf, meine Beine sind schwach. Auch wenn das Zittern meiner Hände und die Dunkelheit meiner Gedanken mich fast überwältigen, spüre ich das es falsch wäre.
„Nein", sage ich fest. „Ich werde mich dir nicht hingeben. Ich werde weiterkämpfen, so gut ich kann."
Mit diesen Worten drehe ich mich um und gehe zur Tür, ich bin bereit diesen Raum und diese Versuchung hinter mir zu lassen.
Ich halte inne, habe meine Hand schon am Türknauf, als ich die Stimme des Dämons wieder höre. Langsam drehe ich mich um und sehe ihn an.
„Lyle," beginnt der Dämon erneut und seine Stimme ist dieses Mal ruhig. „Weißt du eigentlich, wie lange du schon leidest? Wie viele Jahre du in Dunkelheit und Schuld verbracht hast? Dein Vater... er hat dir das alles genommen, verstehst du das nicht? Dein ganzes Leben hat er dir zerstört und deine Mutter hat weggesehen. Als ob du es verdient hättest."
Meine Mutter hat weggesehen, immer wenn er es getan hat. Das sind Erinnerungen die ich längst begraben habe, meine Schreie... ihr Schweigen. Der Dämon sieht die Veränderungen in meinem Gesicht und spricht weiter.
„Du hast ein Leben verdient, das frei ist von all dem," flüstert er. „Du hast Gerechtigkeit verdient, Lyle. Diese Menschen die dich gebrochen haben, die dir deine Kindheit und deine Freiheit genommen haben; sie verdienen es für das zu zahlen, was sie dir angetan haben."
„Aber ich ..." Ich will widersprechen, will etwas sagen das diesem Gefühl der Sehnsucht nach Rache und Gerechtigkeit entgegensteht, doch ich kann nicht. Stattdessen starrt der Dämon mich nur an.
„Denkst du Gott wird diese Dinge für dich richten? Denkst du wirklich, dein Vater wird eines Tages seine gerechte Strafe erfahren, nur weil du weiter betest und Buße tust?"
Ich kann ihm nicht antworten. Eine Welle von Zweifeln überkommt mich. Der Schmerz, all die Narben, die Schuld... sie haben niemals wirklich aufgehört mich zu verfolgen.
„Lyle, du hast dein ganzes Leben im Schatten dieser Menschen gelebt, dieser Monster," fährt der Dämon fort. „Warum darfst du nicht auch einmal Frieden finden? Warum dürfen sie nicht leiden, so wie sie dich leiden gelassen haben? Dein Vater, deine Mutter, all die anderen, die dir wehgetan haben, warum dürfen sie das einfach so hinter sich lassen?"
Mein Atem geht schneller, als seine Worte tief in mir nachhallen. Der Gedanke an Gerechtigkeit... an Rache, an die Möglichkeit das ich endlich Frieden finden könnte; er ist verlockend. Und der Dämon erkennt es, er sieht wie meine Entschlossenheit zu bröckeln beginnt.
„Du hast es verdient, Lyle," flüstert er. „Du hast es verdient, endlich frei zu sein. Und ich könnte dir helfen. Wir könnten zusammen diesen Menschen begegnen. deinem Vater, deiner Mutter, allen anderen, die dich in diesen Abgrund getrieben haben. Und du müsstest nur einen kleinen Schritt machen."
Sein Blick durchdringt mich und in den kalten Augen des Dämons spüre ich eine Art von Wahrheit. Er hat Recht. Mein Leben war ein endloser Kampf gegen die Schatten meiner Vergangenheit und ich habe immer gehofft, dass das Priestertum all das heilen könnte. Aber diese Wunden... sie sind zu tief. Und das Verlangen endlich die Gerechtigkeit zu erfahren, ist mittlerweile zu stark um es zu ignorieren.
„Lass mich dir helfen. Lass mich frei. Wir können allen zeigen, dass du das Leben lebst, das du dir verdient hast. Und nur Silas muss davon wissen – er wird es verstehen. Zusammen könnten wir dafür sorgen, dass die Menschen die dich gequält haben, für ihre Taten bezahlen. Dein Vater wird nicht mehr ungeschoren davonkommen."
Ich schließe die Augen und spüre, wie sich die Kälte in meinem Inneren langsam auflöst und einem brennenden Verlangen Platz macht. Die Vorstellung das ich endlich die Vergangenheit ablegen könnte, dass ich diesen Menschen das antun könnte, was sie mir angetan haben... es ist fast wie ein Versprechen, das ich nicht ablehnen kann.
Langsam öffne ich die Augen und sehe den Dämon an, der mich mit einem triumphierenden Lächeln beobachtet. Er weiß, dass er gewonnen hat. Aber seltsamerweise fühle ich keine Scham und keine Schuld. Nur ein Gefühl von Entschlossenheit.
Ohne ein weiteres Wort gehe ich langsam auf das Bett zu, mein Herzschlag dröhnt mittlerweile in meinen Ohren. Meine Hände zittern leicht, als ich die Fesseln an seinen Handgelenken löse und ihn von den Fesseln befreie, die ihn so lange zurückgehalten haben. Der Dämon lächelt und in seinem Blick liegt eine unheimliche Zufriedenheit.
Als die letzten Fesseln fallen, spüre ich eine merkwürdige Ruhe in mir. Ich weiß, dass ich einen Punkt überschritten habe, an den ich nicht zurückkehren kann. Aber zum ersten Mal fühle ich, dass ich mein eigenes Leben in den Händen halte. Ein Leben, welches mir niemand mehr nehmen kann.
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