Ein beichtender Priester
In den Tagen die folgen, hält mich nur ein eiserner Wille davon ab, zu Silas zu gehen. Es ist als ob jede Faser meines Körpers sich gegen diesen Entschluss auflehnt. Doch wenn ich bete und in die Stille eintauche, höre ich das Echo von Pater Ludwigs Worten: „Gott prüft dich, Lyle." Diese Worte tragen mich, doch jeder Tag ohne Silas ist ein kleiner Kampf, der mich mehr Kraft kostet, als ich zugeben möchte.
Ich habe mir fest vorgenommen, mich vollkommen auf meine Pflichten zu konzentrieren, jede Minute zu füllen, sodass ich am Ende des Tages erschöpft ins Bett falle. Das Kloster ist in Bewegung, das Leben verlangt von mir, präsent zu sein und das sollte mich doch eigentlich ablenken. Trotzdem ist es Silas' Pullover, der auf der Stuhllehne in meinem Zimmer hängt, der mein Herz schwer werden lässt. Oft ertappe ich mich, wie meine Hand zögert sich nach dem weichen Stoff auszustrecken, als könnte das mich ihm nahebringen. Einmal hatte ich ihn sogar in den Händen und ehe ich es bewusst gemerkt habe, habe ich ihn an mein Gesicht gezogen und atmete seinen Geruch ein. Die vertraute Wärme seines Dufts traf mich wie ein Schlag, er trägt Erinnerungen die ich verzweifelt in den Hintergrund drängen will.
Die Tage werden immer voller, als sollte ich gar nicht zur Ruhe kommen. Schwester Lahelas Zustand verschlechtert sich zusehends. Die Dämonenaustreibungen hinterlassen ihre Spuren; nach jeder Sitzung ist sie erschöpfter, ihre Haut ist blass und die Schatten unter ihren Augen vertiefen sich. Ihr Körper wird schwächer und der Anblick schmerzt mich. Jeder Exorzismus verlangt von uns allen alles ab. Für sie scheint es oft eine beinahe unerträgliche Qual zu sein und auch ich fühle, wie es mich erschöpft immer wieder gegen die dämonische Präsenz anzutreten. Doch ich halte durch, überzeugt davon, dass Gott sie bald befreien wird.
Aber meine Aufgaben lassen mir kaum Zeit, mich diesen Gedanken hinzugeben. Die Gemeinde braucht mich. Jeden Morgen beginne ich den Tag mit dem Gottesdienst und das vertraute Ritual beruhigt mich. Ich lege all meine Unsicherheiten in die Gebete, finde Trost darin, dass ich Teil von etwas Größerem bin.
Die Taufen sind für mich die größte Ablenkung. Ich muss mich darauf vorbeireiten, Gespräche führen und Papiere ausfüllen.
Ich bereite die kleinen Taufbecken vor, fülle das heilige Wasser ein und spreche die Liturgie, immer erfüllt von der Bedeutung dieses Schrittes im Leben eines Gläubigen. Es ist genau das, was ich brauche: diese Nähe zu Gott. Doch als ich die Liste der Taufkandidaten durchschaue, stocke ich. Der Name „Silas" steht da, schwarz auf weiß, beinahe wie eine Provokation. Die Taufgespräche rücken immer näher und bald werde ich ihm gegenüberstehen müssen, nicht nur als Priester und Gläubiger. Meine Hände zittern leicht, als ich das Blatt zur Seite lege. Ich spüre ein Ziehen in der Brust und für einen Moment bin ich unsicher, ob ich wirklich die Kraft aufbringen werde, diesen Termin durchzustehen, ohne dass meine Entschlossenheit ins Wanken gerät.
Neben den Taufen habe ich in diesen Tagen auch mehrere Hochzeiten zu leiten. Die fröhliche Atmosphäre und die Hoffnung der Paare, die sich das Ja-Wort geben, ist ziemlich ansteckend und ich finde Trost darin, Zeuge dieser Momente zu sein. Doch immer wenn ich die Ringe segne und die Brautpaare strahlend auf dem Altar stehen sehe, pocht mein Herz schmerzhaft in meiner Brust, das ich nicht abschütteln kann. Mein Herz erinnert sich daran, was ich versuche zu vergessen, an die Wärme, die Nähe und das unbeschwerte Lachen, das ich mit Silas geteilt habe.
Der Alltag fordert jedoch meinen Einsatz und ich habe kaum Zeit, Luft zu holen. Am Nachmittag führe ich Glaubensgespräche, gebe Unterricht für die jungen Mitglieder unserer Gemeinde und trage die Sorgen und Hoffnungen der Menschen, die mich als Seelsorger aufsuchen. Nachts, wenn das Kloster in Stille gehüllt ist, liege ich in meinem Bett und starre in die Dunkelheit. Die Worte von Pater Ludwig hallen in mir nach und ich frage mich, ob es wirklich eine Prüfung ist oder eine Strafe für die Gefühle, die ich nicht einfach auslöschen kann. Ich klammere mich an das Gebet, an das Bild eines gütigen, verzeihenden Gottes und versuche, den Schmerz zu unterdrücken der sich auf mein Herz legt.
Die Woche vergeht wie ein Traum, in dem die Tage sich vermischen. Wenn ich mich konzentriere, kann ich die Sehnsucht in mir noch unterdrücken, sie in die Arbeit lenken. Doch immer wieder sehe ich den Pullover auf meinem Stuhl und das Wissen, dass Silas' Taufgespräch näher rückt, hält mich wach. Ich hoffe, dass ich in der Zeit bis dahin genug Kraft sammeln kann um ihm gegenüberzutreten.
. . .
Der späte Nachmittag senkt sich über das Kloster und die letzten Sonnenstrahlen werfen lange Schatten in die Gänge. Der Tag war lang und aufreibend und jetzt, wo der Exorzismus vorüber ist und Schwester Lahela zur Ruhe kommen muss, fühle ich eine tiefe Erschöpfung. Aber ich weiß, dass ich heute nicht einfach ins Bett gehen kann. Ich glaube nur eine Beichte kann mir heute helfen.
Ich finde Pater Ludwig im Gebetsraum, vertieft in die stillen Worte des Rosenkranzes. Er sieht müde aus und doch strahlt er eine Ruhe aus, die mich immer wieder beeindruckt. Als er mich sieht, hebt er den Kopf und nickt mir aufmunternd zu.
„Pater Ludwig," beginne ich leise. „Ich... brauche dringend eine Beichte."
Er mustert mich kurz. „Natürlich, mein Sohn. Lass uns an einen passenden Ort gehen."
Wir betreten den kleinen, mir nur zu gut bekannten, Beichtraum. Ich setze mich in einen der Beichtstühle und sehe aus den Augenwinkeln wie Pater Ludwig die Kerzen anzündet. Die Stille legt sich wie ein Mantel um uns und mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Ich will so vieles sagen, doch weiß nicht wie ehrlich ich sein kann.
„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes," murmelt Pater Ludwig, und seine Worte hallen sanft wider. „Was bedrückt dein Herz, Lyle?"
Ich ringe um die Worte, fühle wie sich Scham und Schuld wie ein dunkles Band um meine Kehle legen. Aber ich weiß, ich muss es ihm sagen.
„Pater, ich... habe schwere Sünden begangen," beginne ich flüsternd. „Es geht um Silas."
Er bleibt stumm, doch ich spüre wie seine Aufmerksamkeit intensiver wird, wie er sich auf jedes meiner Worte konzentriert.
„Wir... ich habe mich ihm genähert. Mehr, als ich sollte," fahre ich fort und schließe die Augen, um das brennende Schamgefühl zu vertreiben, das sich über mein Gesicht legt. „Es begann mit kleinen Momenten, Gesprächen, die ich nie führen sollte. Aber dann... dann wurde es mehr. Wir waren uns sehr nahe. So nahe, dass..." ich halte einen Moment inne und zwinge die Worte aus mir heraus – „wir uns geküsst haben."
Ein Zittern durchläuft mich, als ich das ausspreche. Es ist das erste Mal, dass ich das jemandem anvertraue und die Wucht meiner eigenen Worte trifft mich mit voller Kraft. „Ich weiß, es ist eine schwere Sünde. Es war ein Moment der Schwäche, ein Moment in dem ich... ich..."
Pater Ludwig bleibt einen Moment lang still. Er lässt mir Zeit, die Stille auszuhalten und als er schließlich spricht, klingt seine Stimme sanft.
„Es ist nicht leicht das, was du gerade getan hast, zu beichten," sagt er ruhig. „Aber sprich weiter, mein Sohn. Ich bin hier, um dir zuzuhören."
Ich schlucke und spüre, wie mein Herz schwerer wird. Es gibt noch mehr, das ich ihm anvertrauen muss – Dinge, die ich nie laut auszusprechen wollte und doch... wenn ich den Frieden finden will, den ich so verzweifelt suche, dann muss ich mich ganz öffnen.
„Ich..." fahre ich zögernd fort, „es war nicht nur der Kuss. In einem Momente, direkt nach einem der ersten Treffen, hat mein Verlangen mich übermannt. Ich habe... ich habe mich selbst berührt, während ich an ihn dachte." Die Worte brennen auf meinen Lippen und ich wage es kaum zu atmen, als ich spreche. „Ich weiß, es ist falsch. Ich weiß, dass das eine schwere Sünde ist und jedes Mal, wenn es geschehen ist, habe ich mich selbst verachtet."
Die Stille wird dichter und für einen Moment kann ich die Last meiner eigenen Schuld kaum mehr ertragen. Ich muss es ihm sagen, alles, bis in den letzten schmerzhaften Moment hinein. „Danach habe ich mich ausgepeitscht," sage ich und meine Stimme zittert immer mehr. „Ich dachte, wenn ich den Schmerz spüre, könnte ich mich reinwaschen, könnte die Sünde von mir abwerfen. Ich wollte sie von mir schlagen, die Gedanken, das Verlangen – doch es half nicht."
Ich höre, wie Pater Ludwig leise Luft holt. Er wirkt tief betroffen, doch er bleibt ruhig, lässt mir den Raum all das auszusprechen, was mein Herz bedrückt. „Jeder Schmerz, den ich mir zufügte, war nur ein weiterer Beweis, dass ich versagt hatte, dass ich die Verbindung zu Gott nicht stark genug halten konnte."
Nach einer langen, stillen Weile spricht Pater Ludwig. Seine Stimme ist fest, und doch hat sie einen sanften, warmen Klang. „Lyle, ich verstehe, dass du unter einem großen inneren Konflikt leidest. Der Kampf gegen Versuchung ist nicht leicht und manchmal, in unserer Schwäche glauben wir, dass wir durch Schmerzen unsere Reue beweisen können." Er hält inne und fügt dann hinzu: „Aber Gott verlangt nicht, dass wir uns selbst verurteilen oder bestrafen. Er verlangt aufrichtige Reue und den Willen zurückzukehren."
Seine Worte legen sich wie Balsam über meine brennende Seele.
„Du hast dein Herz geöffnet und deine Sünden gebeichtet, Lyle. Und das erfordert Mut. Mut, den nur wenige aufbringen. Weißt du, dass Gott jedes seiner Kinder liebt und ihnen verzeiht, wenn sie wirklich bereuen? Die Wunden die du dir zugefügt hast, hast du im Irrtum getan, im Glauben, es würde dich reinigen. Aber die Reinheit die du suchst, ist nicht durch Schmerz, sondern durch aufrichtige Buße zu erreichen."
Seine Worte lassen Tränen in meine Augen steigen, und ich kann die aufgestaute Emotion kaum zurückhalten. Ich sehe auf und treffe den Blick von Pater Ludwig, der mit einem sanften Ausdruck auf mich herabsieht.
„Ich gebe dir die Absolution, mein Sohn," sagt er leise und hebt seine Hand zum Segen. „Doch ich bitte dich: Sieh dies als einen Neuanfang. Kämpfe gegen die Versuchung aber verurteile dich nicht selbst. Gott prüft dich nicht um dich zu brechen, sondern um dich zu stärken. Lass ihn dir die Kraft geben, die du brauchst."
Als er die Worte des Gebets spricht und mir die Absolution erteilt fühle ich, wie etwas in mir bricht und heilen will. Es ist als könnte ich wieder atmen, auch wenn die Last der Versuchung nicht einfach verschwindet. Doch Pater Ludwigs Worte hallen in mir nach: Gott prüft mich, um mich zu stärken. Und vielleicht, nur vielleicht, ist es diese Erkenntnis, die mir den Frieden gibt, den ich so lange gesucht habe.
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