Die Taufe
Die Sonne steht schon tief am Horizont und das gedämpfte Abendlicht fällt in den Raum, den ich für das Taufgespräch vorbereitet habe. Ich streiche zum gefühlt zehnten Mal meine Kleidung glatt und merke, wie mein Herz heftig klopft. Seit Tagen habe ich nicht mehr mit Silas gesprochen, seit ich ihm gesagt habe, dass wir Abstand halten müssen. Doch jetzt... gleich werden wir miteinander reden. Diesmal über die Taufe, über seinen Glauben und nicht über das, was zwischen uns steht.
Ich versuche mein Herz zu beruhigen und zwinge mich einen kühlen, klaren Kopf zu behalten. Ich wiederhole stumm, was ich mir jeden Tag sage: Gott prüft dich. Bleib stark. Er verzeiht, wenn du auf dem rechten Weg bleibst. Doch meine Hände zittern und ich weiß, dass ich nichts tun kann, um das zu verbergen. Die Tür öffnet sich und bevor ich mich weiter sammeln kann, betritt Silas den Raum.
Er sieht mich an und in seinen Augen liegt ein Ausdruck, den ich nur zu gut verstehe: eine Mischung aus Enttäuschung und etwas, das sich fast wie Trotz anfühlt. Sein Blick gleitet durch den Raum, dann bleibt er an mir hängen.
„Guten Abend, Silas," sage ich fast schon zu förmlich. „Danke, dass du gekommen bist."
Silas hebt eine Augenbraue und lehnt sich mit verschränkten Armen an die Stuhllehne. „Ich habe schließlich keine Einladung abgelehnt, oder?" Seine Stimme ist leise, aber der Ton darin ist scharf. Ich spüre die Enttäuschung und die Verletzung, die er offenbar nicht einmal verbergen möchte.
Ich nicke. „Stimmt. Ich... Naja ich dachte es wäre wichtig, dass wir dieses Gespräch führen, bevor..." ich muss eine kurze Pause machen, bevor ich die Worte herausbekomme, „bevor du getauft wirst. Es ist ein bedeutender Schritt und es ist wichtig, dass du alle Fragen stellen kannst, die du hast."
Er zieht die Brauen leicht zusammen und sieht mich mit einer Mischung aus Neugier und Unbehagen an. „Also, wie läuft das jetzt? Ich sitze hier und du redest mir über Gott ins Gewissen? Oder belehrst du mich, was ich zu glauben habe?" Seine Stimme hat einen provozierenden Unterton und ich merke, wie meine Nervosität zunimmt.
„Silas... so ist das nicht. Ich will dich nicht belehren." Ich atme tief durch und versuche meine Gedanken zu ordnen. „Ein Taufgespräch ist... ein Austausch. Es geht darum, dass wir zusammen darüber sprechen, was Glaube für dich bedeutet und was Taufe für dich bedeutet. Das soll dir helfen deinen eigenen Weg zu finden und nicht, dass ich dir vorschreibe wie dieser Weg auszusehen hat."
Er lehnt sich zurück und mustert mich mit einem langen, durchdringenden Blick, als würde er versuchen in meinen Worten etwas anderes zu entdecken. „Schon klar. Also erzähl mir doch mal, Lyle – was genau bedeutet dir denn der Glaube? Wäre doch ein guter Start."
„Der Glaube..." Ich ringe nach Worten, die ernsthaft und doch distanziert klingen. „...ist das Fundament meines Lebens. Er gibt mir Halt, besonders in den schwierigen Zeiten. Er ist die Brücke zu Gott und... er schenkt mir die Kraft Dinge zu bewältigen, die ich allein nicht tragen könnte."
Silas sieht mich durchdringend an und ein kleines, fast spöttisches Lächeln zieht über seine Lippen. „Und was ist, wenn du auf eine Herausforderung triffst, die dieser Glaube nicht heilen kann? Die größer ist als ein Gott?"
Ich spüre die Spannung im Raum, das Knistern, das sich nicht einfach verdrängen lässt, egal wie sehr ich versuche, professionell zu bleiben. Silas rückt ein wenig näher und ich kann nicht verhindern, dass mich seine Nähe aufwühlt. Der leichte Geruch seines Parfüms... Es ist, als würde ich plötzlich wieder zurückgeworfen werden in die Momente, in denen die Distanz zwischen uns nicht da war.
„Manchmal ist der Glaube selbst die Herausforderung," sage ich schließlich. „Aber genau dann... dann muss man durchhalten. Weil Gott uns prüfen will. Er will, dass wir... dass wir standhaft bleiben."
Silas hebt spöttisch eine Augenbraue und ich merke, dass er mein Zögern bemerkt hat. „Aha. Standhaft bleiben also," murmelt er und sein Blick wird härter. „Und was wenn einem das nicht genügt? Wenn man... mehr will?" Sein Ton ist ein wenig zu scharf, um neutral zu sein.
Ich wende den Blick ab, weil ich weiß, dass die Spannung zwischen uns ihn genauso mitreißt wie mich. „Silas, das hier ist ein Taufgespräch. Es geht darum, dass du... dass du darüber nachdenkst, was die Taufe für dich bedeutet, was sie verändern kann."
Er seufzt leisebund sein Ton wird einen Hauch sanfter, aber die Enttäuschung bleibt. „Ich weiß schon was Taufe bedeutet, Lyle. Ich hab mich informiert. Es ist der Moment, in dem ich offiziell zu Gott gehöre, oder? Der Punkt, an dem ich mich ganz auf seine Seite stelle." Er hält einen Moment inne und schaut mich eindringlich an. „Obwohl ich nicht sicher bin, ob du mich dort sehen willst."
Die Worte treffen mich wie ein Schlag und ich atme tief ein, um die Emotionen zurückzuhalten, die in mir aufsteigen. „Silas... natürlich will ich, dass du deinen Weg im Glauben findest. Mehr als alles andere. Das ist das Wichtigste."
Ein amüsiertes Lächeln huscht über sein Gesicht, doch in seinen Augen ist auch Schmerz zu sehen. „Ach ja? Ist es das wirklich? Oder willst du einfach, dass ich verschwinde und dir damit das Leben leichter mache?"
Ich öffne den Mund um zu antworten, doch mir fehlen die Worte. Er hat recht. Ein Teil von mir... wäre erleichtert, wenn er gehen würde, wenn diese ständige Versuchung aus meinem Leben verschwinden würde. Aber ein anderer, tieferer Teil schreit danach, ihm näher zu sein, mit ihm zu reden, sich ihm anzuvertrauen.
„Silas, das ist... das ist nicht fair," sage ich schließlich leise. „Ich will, dass du den Glauben finden kannst. Für dich. Dass du die Erfüllung und den Frieden findest, die Gott uns verspricht."
Er schüttelt den Kopf, sein Gesichtsausdruck ist fast resigniert. „Weißt du was, Lyle? Ich habe nicht nur den Glauben gesucht, als ich mich für die Taufe entschieden habe. Ich dachte ich würde etwas... finden, das ich verloren hatte." Seine Stimme wird noch leiser und der Raum um uns scheint sich zu verdichten,
Seine Worte lassen mir die Luft stocken, und ich spüre, wie meine Augen brennen. Doch ich darf mir das nicht anmerken lassen, darf ihm nicht zeigen, dass ich unter seinen Worten zerbreche. Er tut mir so leid, alles was er getan hat... „Silas... Das hier ist dein Weg. Nicht meiner. Bitte, finde deinen Frieden in Gott."
Er nickt langsam, sein Blick ist kühl, doch dahinter sehe ich den Schmerz und die Enttäuschung. „Na gut, dann bin ich wohl derjenige, der einen Schlussstrich ziehen muss," murmelt er leise. „Also wie geht es jetzt weiter mit der Taufe?"
Ich versuche, meine Stimme wiederzufinden und ihm eine sachliche Antwort zu geben. „Ich werde die Unterlagen vorbereiten und dir die Details die Tage geben. Der Gottesdienst zur Taufe wird in ein paar Wochen sein."
Er nickt und steht auf, sein Blick bleibt für einen langen Moment an mir hängen, bevor er sich abwendet. „Danke, Pater," sagt er mit einem Ton, der sowohl Hohn als auch Schmerz enthält. „Ich freue mich auf den großen Tag."
Er geht zur Tür und verlässt den Raum. Ich bleibe allein zurück, das Gefühl der Leere, das er hinterlässt, erfüllt den Raum und ich kämpfe gegen den Drang, ihm nachzulaufen, ihn zurückzuholen. Stattdessen schließe ich die Augen, atme tief ein und versuche, wieder Frieden zu finden.
. . .
Der Tag der Taufe ist gekommen und die Luft im Kloster ist erfüllt von feierlicher Stille und einem Hauch von Aufregung. Die Sonne scheint durch die hohen Kirchenfenster und das Licht fällt in schimmernden Strahlen auf den Taufbrunnen und die Altarstufen. Ich spüre die Ehrfurcht dieses Moments, das Gewicht der Verantwortung die auf mir lastet und gleichzeitig ein nervöses Kribbeln in der Brust.
Die anderen Täuflinge stehen bereit: Lucy, ein zwölfjähriges Mädchen mit großen, neugierigen Augen und Linus, ein schüchterner Junge von sechzehn Jahren. Er kommt seit einigen Jahren schon in die Kirche. Ich sehe ihre freudige Anspannung, ihre Vorfreude auf diesen wichtigen Schritt. Sie strahlen eine kindliche Freude aus, die mir Trost und Erleichterung gibt, während ich tief durchatme und versuche, mich auf den heiligen Akt zu konzentrieren.
Ich lächle Lucy aufmunternd zu, als ich sie als erste an den Taufbrunnen führe. Sie kniet sich hin und ich spüre ihre Aufregung, ihr Lächeln wirkt nervös, doch sie scheint voller Vertrauen. Es wirkt so, als wäre sie überzeugt von diesem Tag. Langsam tauche ich meine Hand in das kühle, klare Wasser des Taufbrunnens und die Stille in der Kirche wird dichter, fast greifbar. Ich hebe die Hand, und das Wasser glitzert in den Sonnenstrahlen, die durch die Fenster brechen.
„Lucy," sage ich, meine Stimme ist sanft und ruhig, „Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes." Ich lasse das Wasser auf ihre Stirn tropfen, in einem sanften, gleichmäßigen Fluss und sie schließt die Augen, als würde sie den Moment tief in sich aufnehmen. Als ich „Amen" sage, öffnet sie die Augen und ihr Lächeln ist strahlend und voller Freude.
Als Nächstes kommt Linus, der mit gesenktem Blick und leichtem Zittern im Körper nach vorn tritt. Ich kann seine Unsicherheit in seinen Augen sehen.
Auch ihn taufe ich und als ich ihm das Wasser über die Stirn fließen lasse, sehe ich, wie seine Nervosität sich in Erleichterung verwandelt. „Du bist nun aufgenommen in die Gemeinschaft Gottes," sage ich ihm und er nickt langsam.
Ich spüre die Dankbarkeit seiner Familie, die in der ersten Reihe sitzt und sehe ihre stummen Gebete. Noch einmal schaue ich in den Taufbrunnen, sammle mich und bereite mich innerlich auf den letzten Täufling vor. Silas.
Silas erhebt sich langsam und tritt an den Taufbrunnen. Er sieht mich an und in seinen Augen liegt ein Funke, der mir die Kehle zuschnürt. Trotz seiner ruhigen Miene schwingt da eine Spannung und ich kann sehen, dass er noch immer verletzt ist. Seine Augen durchbohren mich und für einen Moment ist es, als wäre niemand sonst in der Kirche, als wären nur wir beide in diesem Raum.
„Silas," beginne ich, meine Stimme ist fester, als ich mich fühle, „bist du bereit, dich taufen zu lassen und den Weg des Glaubens zu gehen?"
Er hält mir stand und sein Mund zuckt leicht in einem ironischen Lächeln. „Ich bin bereit, Pater," sagt er und der Tonfall hat etwas herausforderndes, doch in seinen Augen schimmert auch etwas Unsicheres, etwas Verletzliches. Ich kämpfe darum mir die Gelassenheit zu bewahren, die ich brauche und die Konzentration nicht zu verlieren.
Langsam hebe ich meine Hand und tauche sie ins Wasser. Als meine Hand ihn berührt, strömt ein elektrisierendes Gefühl durch mich, das ich nicht ignorieren kann. Meine Hand zittert leicht, als ich das Wasser auf seine Stirn tropfen lasse, während ich sage: „Silas, ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes."
Das Wasser rinnt über seine Stirn, doch meine Finger ruhen einen Moment zu lange auf ihm. Der Kontakt ist intensiv und ich ziehe meine Hand schließlich zurück, bevor ich mich ganz in diesem Moment verliere. Doch Silas hat den Blick nicht von mir abgewendet und ich sehe, wie seine Lippen sich für einen Moment fest aufeinander pressen, bevor er schließlich leise „Amen" flüstert.
Ein kleines Lächeln blitzt auf seinen Lippen auf und er murmelt: „War ja nicht so schlimm, oder Pater?" Sein Ton ist herausfordernd.
Ich spüre wie mein Gesicht heiß wird und versuche, eine angemessene Haltung zu bewahren. „Das ist kein Moment für Ironie, Silas," sage ich leise und hoffe, dass niemand sonst unsere leisen Worte hört.
Sein Blick wird hart und er sieht mich noch einen Moment durchdringend an. Doch dann senkt er den Blick und ich schließe die Taufe mit einem leisen „Amen."
Der Gottesdienst neigt sich dem Ende zu, und die Luft scheint sich allmählich wieder zu beruhigen. Die Gemeinde applaudiert leise und Lucys und Linus' Familie kommen nach vorne, um ihre Kinder in die Arme zu schließen. Ich sehe die Freude und die Rührung in ihren Gesichtern und empfinde ein flüchtiges Gefühl von Frieden.
Doch als ich noch einmal zu Silas sehe, der mit verschränkten Armen am Taufbrunnen steht und mich mit einem vielsagenden Blick mustert, weiß ich, dass dieser Frieden wirklich nur flüchtig ist. Ich senke den Blick und spreche ein stilles Gebet, dass Gott mir die Kraft geben möge, die Versuchung zu überwinden und die Ruhe zu finden, die ich so dringend brauche.
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