Bonnie und Clyde

„Silas", sage ich zögernd und meine Stimme zittert leicht. „Ich möchte dir etwas sagen."

Er schaut mich an, mit diesen grauen Augen, die mich immer wieder in ihren Bann ziehen und ich spüre wie mein Herz sofort etwas schneller schlägt. Ich muss es jetzt sagen. Ich muss ihm zeigen, was er mir bedeutet.

„Du bist..." Ich atme tief ein und suche nach den richtigen Worten. „Du bist so etwas wie meine Rettung. Anfangs wollte ich es nicht wahrhaben, doch mittlerweile weiß ich es. Du bist mein Licht in all dieser Dunkelheit."

Silas lächelt, er nimmt meine Hände in seine und sein Griff ist fest.

„Weißt du..." setze ich leise fort, „Alles, was du für mich getan hast... es hat mich befreit. Du lässt mich Dinge fühlen, von denen ich nicht wusste, dass es möglich ist. Du bist genau dann gekommen, als ich dich am meisten gebraucht habe. Ich war allein. So allein hier im Kloster, obwohl so viele Menschen um mich herum waren."

Seine Hände gleiten von meinen Fingern hinunter zu meinen Hüften und er zieht mich näher an sich heran, ich kann seinen Atem auf meiner Haut spüren. „Danke", sagt er sanft. „Es war anders geplant," murmelt er. „Doch diese Wendung gefällt mir. Ich habe es gern getan."

Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus und ich schließe die Augen, als ich ihn küsse. Seine weichen Lippen, die Wärme seines Körpers... Dieser Moment fühlt sich wie eine kleine Ewigkeit an.

„Weißt du", sagt er zwischen den Küssen. „Ich habe dir doch gesagt, das ist erst der Anfang. Wir könnten wie Bonnie und Clyde sein."

Ich halte inne, runzle die Stirn und lehne mich ein Stück zurück, um ihn anzusehen. „Wie Bonnie und Clyde?" frage ich mit einem Schmunzeln.

Er nickt, so als würde er es vollkommen ernst meinen. „Wir töten Menschen, die dir etwas Böses angetan haben. Menschen, die mir etwas Böses angetan haben. Und vielleicht rauben wir zwischendurch ein paar Banken aus. Was meinst du?"

Seine Worte lassen mich laut auflachen, es ist ein reflexhaftes, unkontrolliertes Lachen. „Silas", sage ich immer noch lachend. „Warum sagst du so etwas?"

Doch mein Lachen verschwindet abrupt, als ich sein Gesicht sehe. Sein Ausdruck ist ernst.

„Moment... was?" flüstere ich.

„Warum lachst du mich aus?" Seine Stimme hat einen scharfen Unterton und ich spüre wie die Stimmung kippt.

„Ich lache dich nicht aus", sage ich schnell und hebe beschwichtigend die Hände. „Es ist nur die Idee, die... naja, sie klingt so... absurd, verstehst du?"

Seine Augen verengen sich und sein Ton wird noch eindringlicher. „Ich meine es ernst."

Ich starre ihn an, bin unfähig zu antworten. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. „Nein," murmel ich. „Silas, das ist keine Option."

Er neigt den Kopf leicht zur Seite, mustert mich mit einem Blick, der mir auf einmal so fremd vorkommt. „Aber das war mein Plan," sagt er ruhig.

Ich lege meine Hände auf seine Arme und schaue ihn eindringlich an.
„Silas", sage ich sanft. „Wir sollten wirklich reden. Du solltest beichten, und vielleicht... vielleicht holen wir uns Hilfe. Professionelle Hilfe."

„Professionelle Hilfe?"
Ich höre die Skepsis in seiner Stimme. Er scheint nicht ganz zu verstehen, was ich sage.

„Ja",  sage ich vorsichtig. „Von Geistlichen, die ebenfalls an die Schweigepflicht gebunden sind. Wie ich."

„Denkst du, ich bin krank?" fragt er mit scharfer Stimme.

„Nein!" antworte ich schnell. „Aber... deine Gedanken sind... grenzwertig. Aber ich bin da fur dich, Silas. Ich helfe dir. Wir sind zusammen, verstehst du?"

Für einen Moment bleibt er still und ich hoffe, dass meine Worte ihn erreicht haben. „Wie Bonnie und Clyde", flüstert er amüsiert.

„Nein," sage ich mit Nachdruck. „Nicht wie die beiden. Ich helfe dir, da rauszukommen. Deine Gedanken zu... verändern."

Etwas flackert in seinen Augen, etwas das ich nicht ganz deuten kann. Es ist keine Wut, keine Traurigkeit, sondern etwas Dunkles... Undefinierbares.

Plötzlich spüre ich seine Hand an meinem Hals. Sein Griff ist fest und bevor ich realisiere was passiert, drückt er mich zurück, bis ich mit dem Rücken gegen den Kleiderschrank stoße. Alles passiert so schnell, dass ich nicht reagieren kann.

„Was... was tust du da?" presse ich hervor, meine Stimme klingt erstickt durch den Druck an meinem Hals. „Silas... hör auf."

Doch seine Augen sind schmal und unerbittlich. „Du verstehst es nicht", zischt er, seine Stimme ist so voller Zorn und Enttäuschung.

Dann kommt seine Faust. Der Schlag trifft mich hart im Gesicht und ein Schmerz explodiert in meinem Kopf. Meine Sicht verschwimmt und ich will etwas sagen, will schreien, ihn aufhalten, doch kein Laut kommt über meine Lippen.

Er zieht mich ein Stück nach vorne, nur um meinen Kopf im nächsten Moment mit voller Wucht gegen den Schrank zu schlagen. Ein dumpfer Knall und dann wird alles um mich herum schwarz.

Ein dumpfer Schmerz hämmert in meinem Schädel, als ich wieder zu mir komme. Alles um mich herum fühlt sich verzerrt und unwirklich an.  Meine Gedanken sind träge und ich brauche einen Moment um zu begreifen, dass ich wach bin.

Mein Kopf pocht bei jeder Bewegung, es ist ein tiefer, stechender Schmerz, der von der Stelle ausgeht, wo ich aufgeschlagen bin. Alles um mich herum ist verschwommen und schwarz. Ein bekannter Geruch steigt mir in die Nase und meine Haut prickelt vor Kälte.

Ich will meine Hände bewegen, aber sie rühren sich nicht. Panik schießt durch meinen Körper als ich merke, dass ich festgebunden bin. Etwas schneidet in meine Haut, ein brennendes, schmerzhaftes Gefühl. Stacheldraht. Ich kann es spüren, wie die scharfen Spitzen sich in meine Handgelenke und um meine Oberarme graben.

„Was...?" murmele ich. Ich versuche mich zu bewegen, doch die Drähte schneiden sofort schmerzhaft ein.

Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit. Der Raum ist kalt und kahl und ich spüre, wie die Luft mir in die Lunge schneidet. Irgendwann beginne ich die Umrisse zu erkennen; die alten Möbel, ein Kronleuchter an der Decke. Mein Atem stockt. Ich bin wieder im Haus meiner Eltern.

Doch die Leichen meiner Eltern sind nicht mehr da, Lahela hat sie schon weggebracht.

„Silas..." flüstere ich, aber die Realität trifft mich wie ein Schlag. Er hat mich hierhergebracht.

Mein Kopf schmerzt und ich zwinge mich die Gedanken zu ordnen, doch alles ist so verworren. Warum bin ich hier? Was will Silas? Erinnerungsfetzen drängen sich in den Vordergrund; seine Worte, seine Wut, der Moment als er mich gegen den Schrank geschlagen hat. Der Blick in seinen Augen war so dunkel, so fremd.

Ich ziehe an meinen Fesseln, aber jede Bewegung lässt den Stacheldraht sich tiefer in meine Haut graben. Meine Arme brennen und ich spüre etwas warmes, feuchtes... Blut. Panik steigt in mir auf, meine Atmung wird schneller und ich versuche mich zu beruhigen. Doch die Dunkelheit des Raumes und die Kälte um mich herum machen es fast unmöglich, klar zu denken.

„Silas!" rufe ich so laut ich kann.  Keine Antwort.

Ich drehe den Kopf so weit wie möglich und versuche, mehr von dem Raum zu sehen. In der Ecke entdecke ich etwas; eine dunkle Silhouette. Ein Stuhl? Nein, es ist etwas anderes. Mein Herz rast, als ich begreife, dass es eine Figur ist, welche reglos in der Dunkelheit sitzt.

„Wer ist da?" rufe ich. Keine Antwort.

Ein unheimliches Gefühl überkommt mich. Die Stille ist bedrückend. Es fühlt sich an, als würde die Dunkelheit selbst mich erdrücken, mich regelrecht verschlingen.

Ich höre ein leises Geräusch hinter mir, eher wie ein Kratzen, ein Schleifen. Sofort halte ich den Atem an, meine Muskeln spannen sich an. Schritte. Jemand ist da.

„Silas?" frage ich leise, meine Stimme zittert.

Langsame  Schritte nähern sich. Ich spüre, wie die Luft im Raum sich verändert, als wäre sie plötzlich schwerer. Eine dunkle Gestalt tritt aus dem Schatten.

„Endlich wach", sagt Silas, seine Stimme ist ruhig. Doch in dieser Ruhe liegt etwas Kaltes... Gefährliches.

Er kommt näher und das schwache Licht enthüllt sein Gesicht. Seine Augen sind dunkel, voller etwas das ich nicht deuten kann.

„Warum...?" bringe ich hervor. Meine Kehle ist trocken und die Worte klingen eher wie ein Flüstern.

„Warum?" wiederholt er und schmunzelt, doch sein Lächeln erreicht seine Augen nicht. „Weil du nicht verstehst, Lyle. Du redest von Hilfe, von Beichte, von Veränderung. Aber das hier... das hier ist, wer ich bin. Und das hier", er breitet die Arme aus, „ist was du bist."

Ich schüttel den Kopf, Tränen brennen in meinen Augen. „Silas, bitte... das bist du nicht. Ich kenne dich. Du bist nicht... das."

Sein Lächeln wird breiter, wirkt amüsiert. „Oh, Lyle. Du kennst mich überhaupt nicht."

„Die ganzen letzten Monate... All das... all diese lieben Worte, die Gesten, deine Hilfe... das...?" Meine Stimme zittert.

Silas grinst kalt. „...war nicht echt. Zumindest nicht ganz."

Noch bevor ich seine Worte verarbeiten kann, höre ich eine weitere Stimme, die meinen Körper erstarren lässt. Eine die mir vertraut ist und doch vollkommen anders klingt. Schwester Lahela.

„Da schaut aber jemand schockiert", sagt sie und betätigt den Lichtschalter. Das grelle Licht explodiert in meinen Augen und verstärkt die pochenden Schmerzen in meinem Kopf. Ich presse die Lider zusammen und blinzel, aber der Schmerz ebbt nicht ab.

„Dieses ganze Bonnie und Clyde Ding... das ist sowieso nicht für euch beide bestimmt."
Sie geht auf Silas zu, ihre Schritte wirken irgendwie  tänzerisch. „Sondern für uns."

Silas verdreht genervt die Augen, als hätte er das alles schon zu oft gehört. „Asmodea, das ist lächerlich."

Ich starre sie an. Asmodea? Der Name ist mir nur zu gut bekannt, es ist ein Dämon aus den tiefsten Kreisen der Hölle.

Schwester Lahela, oder besser gesagt Asmodea, lässt dramatisch die Schultern hängen und wendet sich an mich. Ihr Blick ist spöttisch.  „Typisch Baal, immer so kalt, so... herzlos."

Baal? Mein Verstand rast und versucht die Puzzleteile zusammenzufügen, während der Schmerz in meinem Kopf unerbittlich pocht. Baal, ein Fürst der Hölle. Und Silas... Silas ist sein Wirt?

„Moment mal..." Ich stottere, gebe mir Mühe die Worte über meine Lippen zu bringen. Mein Blick springt zwischen ihnen hin und her. „Ihr... Ihr seid..."

Silas lächelt breit, es wirkt beinahe liebevoll, aber es ist falsch, durchzogen von etwas Unmenschlichem. „Ja", sagt er schlicht. „Dieser Körper? Perfekt, nicht wahr? Silas hat so einen wunderschönen Körper... und so einen kaputten Geist. Ich liebe es hier drin. Er ist ein Psychopath, ich will hier nie wieder raus."

Seine Stimme hat sich verändert, sie ist jetzt dunkler und doch schwingt ein Hauch von Silas' Ton mit. Ich schlucke schwer, mein Magen dreht sich um.

„Witzig, oder?" Er lacht leise und breitet die Arme aus. „Ich bin so in Einklang mit ihm, dass wir fast untrennbar sind. Eine perfekte Symbiose. Silas und ich, eins und doch nicht dasselbe. Es fühlt sich... gut an."

Ich schüttle benommen den Kopf, das ist zu viel, zu schnell. Alles woran ich geglaubt habe, alles was ich gefühlt habe, wird plötzlich in Frage gestellt. „Was von all dem war echt?"

Er mustert mich und für einen Moment scheint so etwas wie Mitgefühl in seinen Augen aufzublitzen. Doch es ist nur eine Täuschung. Sein Grinsen verschwindet und seine Augen verengen sich.

„Das geht dich nichts an, Pater." Seine Worte tropfen vor Spott und die Kälte darin schneidet durch mich wie ein Messer.

Etwas in mir zerbricht. Silas war mein Halt, mein Licht in der Dunkelheit, mein Anker in einem Meer aus Schmerz und Schuld. Er hat mir gezeigt wie es sich anfühlt, sicher zu sein, wie es ist, jemandem bedingungslos zu vertrauen. Und nun muss ich begreifen, dass all das nichts war. Eine Lüge. Ein grausames Spiel.

Tränen brennen in meinen Augen und laufen heiß über mein Gesicht. Die Schmerzen in meinen Armen, die Wunden an meinen Handgelenken, der pochende Schmerz in meinem Kopf; nichts davon kommt an den Schmerz heran, der mein Herz  zerfrisst.

Er tritt näher, sein Blick ist auf mich gerichtet. Er scheint die Verzweiflung in meinen Augen zu genießen. „Oh, Lyle", sagt er leise. „Du machst das immer so... persönlich."

„Persönlich?" Ich schaue ihn an, meine Stimme bebt vor Schmerz und Wut. „Es ist persönlich, Silas! Du... du warst mein Halt, meine Rettung! Du hast..."

„Ich habe dir nur gezeigt, was du fühlen wolltest." Er unterbricht mich mit einem Lächeln. „Und ja, ich habe dir gegeben, was du gebraucht hast, genau lange genug bis ich das bekommen habe, was ich wollte."

„Und was war das?" schreie ich, die Wut nimmt überhand während die Tränen unaufhaltsam fließen. „Was hast du davon? Mich zu quälen? Mich zu zerstören?"

Er schweigt einen Moment, sein Blick wird dunkler. Dann tritt Asmodea neben ihn und legt ihm die Hand auf die Schulter. „Er war doch immer so ein Spielverderber", sagt sie kichernd.

„Lyle", sagt Silas und ignoriert sie. „Es ist nicht so kompliziert, wie du denkst. Ich wollte dich brechen, weil es einfach so... leicht war."

Die Worte treffen mich mit der Wucht eines Schlages. Mein Atem stockt, mein Körper zittert vor Wut und Schmerz.

„Du bist ein Monster", flüstere ich.

Silas beugt sich zu mir herunter, sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. „Ja", sagt er leise, mit einem triumphierenden Lächeln. „Aber das ist es, was du so anziehend fandest. Denk daran, Lyle... du hast mich gewollt, genau so, wie ich bin."

„Ich wollte Silas", sage ich wütend, die Tränen laufen mir immer noch unaufhaltsam über die Wangen. Der Boden unter meinen Füßen ist weg.

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