Besessenheit

„Wir müssen damit aufhören", sage ich schließlich, bemüht, meine Stimme fest klingen zu lassen. „Silas, wirklich... Ich muss wissen, wie es dazu gekommen ist." Trotz der tiefen Anziehung, die mich wie ein Strudel zu ihm zieht, darf ich meine Fragen jetzt nicht zurückhalten, sie würden mich sonst niemals loslassen.

Silas tritt einen Schritt zurück, sein Blick lässt mich jedoch nicht los. Seine grauen Augen fangen meinen ein, und etwas an ihm wirkt anders als zuvor, er wirkt intensiver und irgendwie offener. Für einen Moment habe ich das Gefühl, das ist der wahre Silas, ohne diese  Fassade.

„Alles, was mir passiert ist... woher weißt du das?", frage ich. „Das konntest du unmöglich allein getan haben, oder?"

Er schüttelt den Kopf. „Nein," sagt er leise. „Ich war nie allein."

Ich schlucke. Irgendwo in mir hatte ich das geahnt, es war einfach zu viel... zu viele Details, die nur jemand wissen konnte, der viel tiefer in meinem Leben verankert ist. Doch als er endlich die Wahrheit ausspricht, bin ich doch unvorbereitet.

„Schwester Lahela", murmelt er und beantwortet mir damit die unausgesprochene Frage. Mir bleibt der Mund offen stehen. „Das kann nicht sein. Du... das meinst du nicht ernst, oder?" Die junge, ehrgeizige Nonne, die kaum älter als ich ist? Sie ist so engagiert, so... unschuldig.

„Ich weiß, es klingt absurd", sagt Silas mit einem Seufzen und setzt sich auf das Bett. „Aber sie war die Erste, die mich hier gesehen hat. Schon bevor ich dir begegnet bin."

Ich spüre, wie mir der Boden unter den Füßen wegzubrechen droht. „Warum hat sie das nie gesagt?"

„Sie wollte es nicht zeigen – aber sie wusste mehr über dich, als du ahnst." Sein Blick schweift ab, als könnte er sich an die Details dieses Augenblicks erinnern. „Sie stellte mir so viele Fragen, immer wieder, wie besessen..."

„Besessen?", wiederhole ich ungläubig. „Silas, das klingt..." Ich breche ab. Es klingt verrückt. Doch Silas' Gesicht ist ernst, keine Spur von dem üblichen Spiel in seinem Blick.

„Ich habe sie getötet", fährt er fort, seine Stimme so gleichgültig, als würde er über das Wetter sprechen. „Aber was nach dem Mord geschah... das war sie. Die Inszenierungen, die Zeichen, die du gesehen hast."

Ich starre ihn an und spüre, wie mir das Herz schwer in der Brust schlägt. „Also hat Schwester Lahela..." Mein Kopf beginnt zu schmerzen, die Gedanken zu kreisen. „Und bei den Zwillingen?"

„Das gleiche", sagt er, seine Stimme ruhig. „Die Schriftzeichen sind von mir, der Rest war sie."

„Und Lane?"

Wieder nickt er. „Auch da."

Eine lähmende Panik steigt in mir auf. Die Luft scheint schwerer zu werden, mein Atem geht schneller, ungleichmäßiger. Bevor mir schwarz vor Augen wird, lasse ich mich hastig auf einen Stuhl sinken. Meine Beine beginnen unkontrolliert zu wippen, als könnte ich so die schrecklichen Bilder und Gedanken vertreiben.

„Das kann nicht wahr sein", flüstere ich. Alles, woran ich all die Jahre geglaubt habe, scheint auf einmal in sich zusammenzufallen. Der Glaube, die Gewissheiten, die Menschen, denen ich vertraut habe – alles zerbricht.

Silas bemerkt meinen Zustand und kniet sich vor mich, legt seine Hände fest auf meine Oberschenkel und übt sanften Druck aus, als wolle er mich so zurück in die Wirklichkeit holen. „Lyle, ich weiß, dass das alles zu viel ist. Aber du kannst mir vertrauen."

„Wie soll ich das schaffen?" Ein bitteres Lächeln huscht über mein Gesicht. „Ich weiß gar nicht mehr, wem ich überhaupt trauen kann."

Seine Hände bleiben warm und beruhigend auf meinen Beinen, sein Blick ist voller Sorge. „Weißt du, manchmal braucht man nur eine einzige Person, der man vertrauen kann."

Ich klammere mich verzweifelt an seine Worte, als wäre er das letzte Stück Halt in einem Strudel, der mich langsam hinabzieht. „Silas..." flüstere ich kaum hörbar, meine Stimme bebt. „Ich habe Angst."

„Psscht", sagt er sanft und hebt eine Hand zu meinem Gesicht. Seine Finger streichen behutsam über meine Wange, und seine Stimme ist tief und ruhig. „Du musst keine Angst haben."

Diese wenigen Worte fließen in mich hinein wie ein warmer Strom, aber die Dunkelheit, die all die Geschehnisse umgibt, lässt sich nicht so leicht vertreiben. Ich spüre, wie Tränen in meinen Augen aufsteigen. Es ist zu viel. Alles ist so absurd und verwirrend. Wie soll ich das nur jemals verarbeiten? Es fühlt sich an, als ob der Boden unter mir brüchig geworden wäre, und ich taumle über den Abgrund.

„Ich würde dir nie wehtun," flüstert er, sein Blick fest und sanft zugleich.

„Ich habe keine Angst davor, dass du mir wehtust," sage ich mit einer Stimme, die kaum noch stabil ist. „Ich habe Angst vor all dem. Vor der Tatsache, dass du das alles getan hast... und dass Schwester Lahela irgendwie daran beteiligt war." Die Worte brennen auf meiner Zunge, es wirkt so surreal sie auszusprechen.

Silas' Augen verengen sich für einen Moment, fast so, als ob er mein Inneres verstehen könnte, ohne dass ich etwas sagen muss. „Es muss wirklich schrecklich sein," murmelt er leise. In seiner Stimme liegt etwas, das ich kaum begreifen kann, eine Zärtlichkeit, die mein Herz wärmt und gleichzeitig unendlich verwirrt. Er wirkt so sanft, so verletzlich. „Komm mal her."

Er greift nach meinen Händen, zieht mich auf die Beine und zieht mich behutsam in seine Arme. Seine Berührung ist warm und plötzlich verschwimmt das Chaos meiner Gedanken für einen Moment. In seiner Umarmung fühle ich mich sicher, als könnte er das Durcheinander in mir einfach wegwischen. Der Gedanke, dass er es war, der die Morde begangen hat – und doch bin ich jetzt hier, in seinen Armen, suchend nach einem Halt den ich nirgendwo sonst finde. Es ist absurd, widersprüchlich, aber ich kann mich nicht dagegen wehren.

„Ich bin da für dich," flüstert er, und seine Stimme ist so nah, dass ich sie mehr fühle, als dass ich sie höre. Seine Nähe ist wie ein Schutzschild gegen die Dunkelheit.

Ich schließe kurz die Augen und lasse mich in seiner Umarmung fallen, ergebe mich der Wärme und Sicherheit, die er mir gibt. Doch tief in mir weiß ich, dass ich Antworten brauche. Dass ich die Fragen, die in meinem Kopf wirbeln, nicht einfach wegdrücken kann.

„Ich brauche Zeit, um nachzudenken," sage ich schließlich. Ich löse mich behutsam aus seiner Umarmung, spüre seine Hände, die langsam gleiten und mich schließlich loslassen. „Ich muss meine Gedanken ordnen... und ich habe so viele Fragen. An euch beide."

Silas nickt langsam, sein Blick bleibt ruhig auf mir haften, voller Verständnis. „Wir werden dir alles beantworten, Lyle. Soll ich Schwester Lahela holen? Oder wollen wir uns lieber mit ihr an einem anderen Ort treffen? Ich würde sie nur ungern in meinem Zimmer haben."

Ich blinzele und sehe ihn fragend an. „Warum nicht?"

Er zuckt mit den Schultern, und ein schwer verständliches Funkeln huscht durch seine Augen. „Als ich sagte, sie sei besessen, meinte ich das wörtlich."

Mein Stirnrunzeln vertieft sich. „Besessen? Wovon sprichst du?"

Er seufzt und lässt den Kopf leicht sinken, bevor er mich ernst ansieht. „Ich dachte, du wüsstest es... manchmal klingt ihre Stimme anders, und es liegt so ein merkwürdiger Ausdruck in ihrem Gesicht. Sie redet eigenartige Dinge... und naja, du hast doch selbst gesehen, was sie an den Tatorten hinterlassen hat."

Ein Schaudern läuft über meinen Rücken, aber ich schüttele den Kopf. „Ich kann mir das nicht vorstellen," flüstere ich, meine Gedanken wie in einem Nebel, der immer dichter wird. „Glaubst du wirklich...?"

„Schau doch nur, wie genau sie aufgeräumt hat," erwidert Silas leise. „Es gibt keinerlei Spuren. Keine Beweise. Das geht über eine einfache Tarnung hinaus."

Ich starre ihn an, versuche in seinem Blick eine Antwort zu finden, die das Unbegreifliche greifbarer macht. „Silas, das hier ist kein Film und auch kein Roman. Das ist das wirkliche Leben."

Er nickt langsam. „Das ist mir klar, Lyle. Trotzdem, alles was ich dir gesagt habe, ist die Wahrheit. Weißt du was? Ich hole sie her. Wenn wir jetzt zu ihr gehen, dann könnten uns die anderen Nonnen sehen." Langsam zieht er sein Handy aus der Tasche, und ich sehe, wie er die Nummer von Schwester Lahela wählt.

Ein unbehagliches Gefühl steigt in mir auf. Alles, was Silas über sie gesagt hat, klingt wie aus einem Albtraum. Besessenheit? Exorzismus? Ich habe darüber gelesen, habe davon gehört, aber niemals hätte ich geglaubt, jemandem gegenüberzustehen, der angeblich... besessen ist.

Noch bevor ich diese Gedanken zu Ende denken kann, klopft es an der Tür.

„Das ist sie," sagt Silas ruhig.

„Wie kann sie so schnell hier sein?" Mir stockt der Atem, doch ich nicke nur stumm und trete beiseite.

Silas öffnet die Tür, und Schwester Lahela tritt ein. Doch sie sieht nicht aus wie die Nonne, die ich kenne – keine Kopfbedeckung, kein Habit. Stattdessen trägt sie ein enges Oberteil, kurze Hosen, keine Schuhe. Der Anblick ist verstörend, wie aus einer surrealen Szene.

Lahela lächelt uns freundlich an, als wäre nichts seltsam. „Pater, du bist auch hier," sagt sie sanft und sieht mich mit einem strahlenden Lächeln an, bevor sie sich an Silas wendet. „Silas, schön, dich heute nochmal zu sehen." Sie geht auf ihn zu, umarmt ihn kurz und lacht leise. „Was macht ihr so spät noch hier?"

Ich bin sprachlos. Zwischen ihrem aufreizenden Outfit und der offensichtlichen Missachtung der Schweigestunde weiß ich kaum, was mich mehr schockiert.

„Lahela," sagt Silas ernst, seine Stimme eindringlich. „Lyle möchte mit uns sprechen."

„Ach, wirklich?" Sie schmunzelt, ihre Stimme klingt übertrieben freundlich, fast spöttisch, und ein merkwürdiges Blitzen funkelt in ihren Augen. „Worüber möchtest du sprechen, Lyle?"

„Was soll das hier sein?" Die Worte stolpern mir über die Lippen. „Schwester, was...?" Doch meine Stimme versagt, und ich ringe um Worte.

Schwester Lahela kichert und wirft Silas einen verspielten Blick zu. „Er weiß es, stimmt's?"

Silas antwortet nicht, aber seine ernste Miene spricht Bände.

„Verstehe." Ihre Augen funkeln belustigt, und sie wendet sich wieder mir zu, sie hat ein provozierendes Grinsen auf den Lippen. „Wie findest du unser Werk?"

„Das ist ein schlechter Scherz, oder?" Entgeistert schaue ich sie an. „Das kann nicht dein Ernst sein. Haben hier alle den Verstand verloren?"

Wieder lacht sie und bedeckt spielerisch ihren Mund mit der Hand, während sie langsam auf mich zukommt. „Ach Lyle, dich so schockiert zu sehen ist ja zuckersüß."

Ich schüttle den Kopf, unfähig, das alles zu begreifen. „Was redest du da? Hast du... irgendetwas genommen? Drogen?"

„Natürlich nicht," sagt sie fast entrüstet, bevor sie diesen provozierenden Ausdruck wieder aufsetzt. Sie legt ihre Hände an ihr Oberteil und zieht es noch weiter nach unten, sodass ein tiefer Ausschnitt sichtbar wird.

„Was tust du da?" Entsetzt starre ich sie an.

„Gefällt dir etwa nicht, was du siehst, Pater?" Ihre Stimme ist rau und klingt spöttisch. „Oder stehst du nur auf Jungs?"

„Das reicht." Meine Stimme ist lauter und schärfer, als ich beabsichtigt hatte, aber das ist mir egal. „Silas, was ist hier los?"

Silas zuckt mit den Schultern und stellt sich neben mich, er nimmt eine schützende Haltung ein. „Lahela, bitte zieh dich anständig an. Das hier ist kein Spiel."

Ich sehe die blonde Nonne mit völlig anderen Augen – ihre Unschuld wirkt nun wie eine Fassade, eine Maske, die sie abgeworfen hat.

„Spielverderber," sagt sie schmollend, richtet aber widerwillig ihr Oberteil. Dann sieht sie zwischen uns hin und her, ihre Augen blitzen amüsiert. „Moment, habt ihr beiden etwa was miteinander? Bist du eifersüchtig, Silas?"

„Was?" Silas klingt fassungslos. „Nein. Wir wollten nur mit dir sprechen. Kannst du dich bitte zusammenreißen?"

Plötzlich lässt sie sich ohne Vorwarnung auf den Boden sinken, als würde sie uns beide verhöhnen. Ich wende den Blick ab und kann kaum fassen, was hier geschieht. „Das ist alles ein Albtraum..." flüstere ich. „Also hast du ihm geholfen, all das inszeniert? Der Kannibalismus, die widerlichen Anordnungen...?"

Sie nickt eifrig, als hätte ich ihr ein Kompliment gemacht. „Ja! Es sollte doch beeindruckend aussehen. Hat es dir gefallen?"

„Nein," entgegne ich knapp und schaue sie angewidert an. „Natürlich nicht."

Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen, und sie steht langsam wieder auf. „Wieso nicht? Ich habe mir so viel Mühe gegeben!"

„Du bist... krank," sage ich, meine Stimme klingt schneidend. „Du solltest gehen."

„Oh, jetzt gibst du mir also Befehle?" Ihre Stimme wird plötzlich rau, fast bedrohlich. „Interessant."

„Verdammt, geh einfach!" Silas spricht jetzt laut, seine Augen funkeln vor Wut.

Ich zucke zusammen unter den Worten, die aus ihrem Mund kommen. „Verstehe, du fickst ihn. Oder er dich? Darf ich mitmachen?" Schwester Lahelas Augen funkeln herausfordernd, ihre Stimme klingt wie die eines Fremden. Seit wann ist sie so vulgär?

In diesem Moment wird mir schmerzlich klar:
Das hier ist nicht die Nonne, die ich kenne.
Das ist nicht die gewissenhafte, engagierte Lahela. Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter, während sich Silas' Worte in meinem Kopf wiederholen. Vielleicht ist sie wirklich... besessen.

Silas legt den Kopf schief und mustert sie schmaläugig, seine Stimme ist leise und scharf.
„Du solltest jetzt wirklich gehen."

Sie kichert spöttisch. „Oh, schau mal wie wütend du wirst. Na los, willst du mich jetzt auch ermorden, Silas?"

Silas' Kiefermuskeln arbeiten sichtbar, seine Hände sind zu t geballt. Ein finsteres Funkeln liegt in seinem Blick, aber er sagt nichts.

Plötzlich geht Schwester Lahela mit schnellen Schritten zum Bett und greift nach Silas' Rucksack. Sie zieht einen Laptop heraus und dann ein großes, blutverkrustetes Messer. Ein Schock fährt mir durch die Glieder. Das Blut... das muss von Lane sein.

„Damit hat er seine Eltern umgebracht und diesen komischen Typen," sagt sie, als wäre es das Normalste der Welt.

Meine Kehle schnürt sich zu. „Ich dachte, du hättest das Messer verschwinden lassen, nachdem du deine Eltern.." Die Worte bleiben mir regelrecht im Hals stecken.

Doch bevor ich weiter sprechen kann, reißt Silas ihr das Messer mit einer schnellen Bewegung aus der Hand. „Du kleine...," presst er hervor, die Klinge auf sie gerichtet.
„Verschwinde hier. Sofort."

Lahela grinst nur, als hatte das alles etwas Spielerisches. „Na gut," sagt sie süffisant, ihre Stimme ist durchtränkt von Spott. Sie macht einen kleinen Knicks und geht gemächlich zur Tür, als würde sie die Situation vollkommen beherrschen. „Wir sehen uns morgen, Jungs."

Der Raum scheint still und leblos, als sie hinter sich die Tür schließt. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, und mein Magen verkrampft sich. Ein überwältigendes Bedürfnis, zu schreien, zu weinen, einfach alles herauszulassen, breitet sich in mir aus.
Es ist, als ob sich eine unsichtbare Hand um meinen Hals legt und jede klare Gedanken unterdrückt.

Silas lässt das Messer auf sein Bett fallen und dreht sich zu mir, in seinem Gesicht ein Ausdruck von Erschöpfung und Beklemmung. „Ich habe es dir gesagt... sie.."

Doch ich höre ihm kaum zu. Der Raum, seine Stimme, alles verschwimmt vor meinen Augen. „Ich... ich gehe," murmle ich, drehe mich um und verlasse das Zimmer, ohne zurückzublicken.

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