Harmonie

Kapitel 29

Laura zog sich die Jacke enger um die Schultern um die Kälte, die dieser Winter mit sich brachte, auszuschließen. Sie war in dieser unwirklichen Schneelandschaft aufgewachsen, aber irgendwie hatte sie in den letzten beiden Tagen verlernt damit umzugehen. Und sie wusste auch warum. Wenn man ständig einen ziemlich heißen Wolf um sich hatte, gewöhnte man sich schnell an die sengende Hitze, die von seinem viel zu warmen Körper ausging und man wurde regelrecht süchtig danach. Hier draußen aber gab es diese Wärme nicht. Eiskalter Wind fegte über die sanften Hügel, zerrte an den Ästen der riesigen Nadelbäume und nagte an ihrer empfindlichen Haut.
Sie lief langsam durch das Territorium des Black-Water-Rudels, das es erlaubte stundenlang herumzustreifen ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen. Irgendwo aus der Ferne schreckten einige Vögel auf und ein Wolf trat aus dem Schatten einiger Bäume, schüttelte sich den Schnee aus dem Fell und kam gemächlich zu ihr heruntergetrabt.
Laura sollte Angst haben, aber das hatte sie nicht. Sie erkannte Konstantin wenn sie ihn sah, egal in welcher Gestalt. Sie spürte ihn regelrecht und das war sowohl befremdlich als auch beruhigend.
„Fertig mit dem herumstreunen?“. Fragte sie den riesigen Wolf dessen Kopf bis zu ihrer Taille reichte wenn er an sie herantrat. Er war wirklich extrem groß, als Mann und als Wolf. Er kam auf sie zu und mitten in der Bewegung erklang dieses wirklich unangenehme Knacken und Knirschen und das Gesicht des Wolfes verzog sich geradezu grotesk um wieder menschlich zu werden. Es dauerte nur Sekunden und als sie die Verwandlung das erste Mal gesehen hatte, was sie vollkommen schockiert. Doch mittlerweile verzog sie nicht einmal mehr das Gesicht, war aber dennoch Dankbar als es vorbei war.

„Ich bin mir immer noch sicher, dass das furchtbar wehtut, es sieht zumindest so aus“, sagte sie und reichte Konstantin die Jeanshose, nachdem er seine Arme gedehnt hatte und erleichtert aufatmete.
„Man lernt den Schmerz zu lieben“, sagte er lediglich und schlüpfte erst in die Hose, dann in ein Shirt und zog sich dann seine Stiefel an. Mitten hier draußen, im Schnee und Winter. Dem Mann war einfach nie kalt.

„Deine Wangen sind ganz rot, wir sollten dich nach drinnen bringen bevor du noch wirklich zur neuen Schneekönigin wirst“, sagte er und strich sanft über ihr Gesicht, bevor sich seine Hand einige ihrer Strähnen schnappte und er an ihnen roch. Das machte er andauernd. Er liebte ihre Haare, er sagte, sie sehe damit aus wie ein Fabelwesen. Laura fand eher, dass sie einem Albino glich, aber dabei lachte er nur immer.

„Wie ich dafür Bete, dass sich diese Haarfarbe durchsetzt“, hauchte er ein weiteres Mal und Laura legte ihr Gesicht an seine breite Brust. Sie hätte nicht gedacht, dass man einen Mann in so kurzer Zeit so nahe kommen kann, aber es war passiert. Sie würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Verrückte Welt.

„Wird sie wahrscheinlich nicht, sie werden als so aussehen wie du“, sagte sie etwas schwermütig aber dennoch so unfassbar glücklich. Es war nicht normal sich nach so kurzer Zeit schon über Nachwuchs zu unterhalten aber mit Konstantin fühlte es sich gut an. Natürlich. Richtig.

„Das akzeptiere ich nicht!“, verkündete er in einer Stimmlage, die normalerweise keine Widerrede duldete, dennoch lächelte sie und löste sich aus seiner Umarmung.
„Wir sollten unseren Spaziergang endlich beenden, ich habe Hunger und muss mich fertig machen für die Schlacht“, sagte sie und zog an seiner Hand während sie sich in die andere Richtung aufmachte. Konstantin lachte.

„Meine Mutter wird dich lieben, meine Schwester dich misstrauisch ausquetschen und dir peinliche Geschichten aus meiner Kindheit erzählen. Granpa wird nur murren, dich aber insgeheim vergöttern und mein Vater … tja, der wird sich jeder Meinung anschließen, die meine Mutter hat, also … Quasi ein Selbstläufer“, versprach er ihr, dennoch nahm es ihr nichts von der Nervosität. Sie hatten sich fast drei Tage in Konstantins Hütte verkrochen. Laura war ein Nervenbündel gewesen, war abwechselnd verzweifelt, traurig und ab und an auch mal wütend. Konstantin hatte ihr geholfen, war bei ihr gewesen hatte sie zum Lachen gebracht und ihr einfach so viel Liebe gegeben, dass sie darin fast ertrunken wäre. Sex hatte aber nicht dazugehört. Laura bereute es nicht wirklich mit ihm bereits geschlafen zu haben, es hatte sich gut angefühlt aber dennoch fühlte sie sich schlecht. Sie hatte ihn dazu benutzt um sich abzulenken und das war nicht fair, auch wenn er einmal mehr betonte, dass es ihm überhaupt nicht störte.
Ein, zwei Mal hatte sie in seinem Blick etwas lodern sehen, das ganz eindeutig auf sexuelles Interesse hindeutete aber Laura war noch immer so sehr mit ihrer Trauer beschäftigt gewesen, das er sich zurückgehalten hatte. Ganz instinktiv, als spürte er genau was sie brauchte und was nicht. Nähe und Geborgenheit standen da gerade sehr viel weiter oben als Sex, aber das änderte sich gerade.
Sie würde noch lange an dem Tod ihrer Mutter zu knabbern haben und wahrlich nicht behaupten darüber hinweg zu sein, aber das schlimmste schien überstanden. Dank ihm. Sie konnte drüber reden ohne zu weinen, darüber nachdenken ohne das Gefühl zu haben gleich wieder in ihrer Trauer zu versinken. Zurückblieb der Stich in ihrer Seele, der Stachel der sie daran erinnerte, dass sie einen geliebten Menschen verloren hatte.
„Dennoch will ich so gut wie möglich aussehen und einen guten ersten Eindruck machen!“, beschloss sie und Konstantin zog sie an der Hand zurück, bis sie das Gleichgewicht verlor und gegen ihn fiel. Er legte den anderen Arm um sie, nahm ihr Kinn in die Hand und beugte ihren Kopf so weit nach hinten, dass sie ihm in die Augen sehen musste.
„Du bist perfekt Laura, warum muss ich dir das eigentlich andauernd sagen und warum glaubst du mir immer noch nicht?“, fragte er sanft und wenig vorwurfsvoll aber sie wurde dennoch verlegen.
„Weil ich weiß, dass ich es nicht bin, ich sehe meine Fehler. Wenn du endlich diese rosarote Brille verloren hast, wirst auch du sie sehen aber dann wird es zu spät sein, dann klebe ich schon an dir. Ich breite dich nur darauf vor“, sagte sie und meinte das nicht nur scherzhaft. Konstantin lächelte, stieß seine Nase gegen ihre und rieb sein raues Kinn an ihrer Wange, bevor er tief einatmete und ihren Duft in sich aufnahm.

„Du riechst nach frischen Schnee und Glockenblumen im Frühjahr wo die Nächte noch kalt sind aber der Frühling langsam die Herrschaft beschreitet. Reine, klare Luft und zuhause“, murmelte er und Laura spürte wie ihre Wangen sich weiter erhitzten.

„Süßholzraspeln habt ihr echt darauf“, lachte sie und das Knurren, das sich aus seiner Kehle löste, war alles andere als romantisch.
„Erzähl es niemanden, ich habe einen Ruf zu verlieren und wenn du dich darüber lustig machst, fresse ich dich auf Feenprinzessin“, sagte er und seine Zähne bissen kurz in ihr Ohrläppchen, sodass sie erschauerte. Das Gefühl glitt ihr direkt zwischen die Beine und ihr Inneres geriet in Aufruhr. Eindeutig. Sex stieg in ihrer Prioritätenliste gerade gewaltig nach oben. Konstantins tiefes Lachen erklang an ihrem Ohr.
„Später wird der große böse Wolf an dir knabbern mein Herz, aber vorher hab ich erst Verhöhnungen meiner Schwester zu ertragen, also sollten wir los“, lachte er leise und sie gingen gemeinsam Richtung Hütte.
Abgesehen von dieser hier hatte Laura nur wenige andere gesehen. Konstantin hatte ihr erklärt, dass nur die Junggesellen so weit vom Rudelzentrum entfernt lebten wo gemauerter Häuser standen, die wesentlich größer waren als das hier. Die Blockhütten im Wald hatte das Rudel eher provisorisch zusammen gebaut, damit die Männer und Frauen nicht zu eng aufeinander Hausen mussten und Familien den Platz hatten, den sie brauchten.
„Im Frühjahr kann ich mit unserem Haus anfangen, wenn du willst“, hatte er gestern Abend gesagt als sie dabei waren über die Zukunft zu reden. Solche Pläne zu schmieden schien ihr fast schon absurd aber bei Konstantin fühlte sie sich nicht überrollt und irgendwie war sie immer erleichtert, wenn er davon redete. Es machte sie traurig zu wissen all das nicht mit ihrer Mutter erleben zu können aber es gab ihr auch Hoffnung. Es ging weiter und sie würde nicht alleine sein.

„Ich habe ein Haus“, hatte sie geantwortet, ohne wirklich vorzuhaben dort wieder einzuziehen. Zu viele Erinnerungen, zu viele Dinge die bei der Erbauung dieses Hauses nicht richtig gewesen waren. Gestohlenes Land, gestohlenes Geld, gestohlene Zeit mit ihren Eltern.

„Zu nahe an der Grenze, wir werden uns bei den anderen Familien niederlassen müssen, sonst frisst meine Mutter mich auf. Granpa ist nicht mehr gut zu Fuß und er will seine Urenkelkinder sicherlich auch mal sehen, abgesehen davon ist es sicherer“, sagte er. Sie hatte genickt und sich dann den Traum eines eigenen Hauses hingegeben, mit Kindern, die vor der Tür tollten, die glücklich aufwuchsen, verbunden mit der Natur und der Familie. Es wäre perfekt.
Als Laura die Tür zu der Hütte durchquerte, umfing angenehme Wärme sie und der himmlische Duft des Auflaufs, den sie in Konstantins Singleküche zubereitet hatte. Es war viel zu viel, aber sie hatte schnell gelernt, dass dieser Mann solange aß bis einfach nichts mehr übrig war, egal wie viel sie zubereitete.
Ein Blick auf die digitale Uhr am kleinen Herz sagte ihr, dass es noch nicht ganz Mittag war und das sie einmal mehr den gesamten Vormittag mit dem Spaziergang verbracht hatten. So wie die Tage zuvor. Konstantin schien es zu brauchen ab und an döste er auch in Wolfsgestalt am frühen Abend vor sich hin bis er sich als Mensch zu ihr ins Bett legte. Und so merkwürdig wie ihr das zu Beginn erschien so normal war es jetzt.
„Ist er verbrannt?“, fragte er und seine Nasenflügel bewegten sich, bevor Laura Handschuhe und Jacke ausziehen konnte um nach dem Auflauf zu sehen.
„Sollte er eigentlich nicht, ich hab die Stufe so gering eingestellt, dass er eine Weile braucht und auch die Zeitschaltuhr programmiert“, meinte sie, streifte sich die Schuhe von den Füßen und ging zum Backofen. Als sie die Tür öffnete, kam ihr ein wunderbarer Fleischgeruch entgegen aber sie sah auch was Konstantin gerochen hatte. Ein wenig Käse war aus der Auflaufform getropft und war auf einer der Heizstangen verbrannt.

„Alles gut, nur ein wenig Käse der angebrannt ist. Das mach ich naher sauber. Willst du jetzt essen oder noch etwas warten?“, fragte sie und blickte über die Schulter. Konstantin fuhr sich durch die Haare und ließ sich auf die Couch fallen.

„Ich habe immer hunger mein Herz, das solltest du gelernt haben“, grinste er wölfisch und Laura nickte ergebend. Da gab es wohl heute besonders früh Mittag.
Beta:Geany

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