Gefunden

Kapitel 47

Konstantin verfolgte die schwache Fährte, die das Auto hinterlassen hatte, in dem aller größter Wahrscheinlichkeit nach Carly entführt wurde. Zumindest gingen sie davon aus, weil es sonst an Spuren mangelte und sie einfach jedem Hinweis nachgehen würden.

Als er auf das Gelände des Rudels zurückgekehrt war, um Jason aufzusuchen, war er überrascht gewesen, dass Myra diesen Geruch sofort wiedererkannt hatte, denn ihre Anwesenheit war reiner Zufall gewesen. Sie kam nur noch selten zu Versammlungen der dominanten Wölfe, da ihr jüngstes Kind Faith noch zu klein war, um allein gelassen zu werden. Dennoch gehörte sie eindeutig zu den Wölfen, die das Rudels vor Angriffen von außen schützten.

Sie hatte Carlys Geruch erkannt, auf den sie bei einem Spaziergang mit ihrem Mann in Wald gestoßen war, ziemlich an der Grenze ihres Territoriums und als dominante Wölfin machte jeder fremde Geruch auf ihren Grund und Boden sie nervös. Als sie die Stelle wiedergefunden hatten war die Fährte so schwach, dass eine weniger sensible Gestaltwandlernase sie wahrscheinlich gar nicht mehr wahrgenommen hätte. Carly war nur kurz hier gewesen, nicht mal eine Minute und sie war vermutlich sofort in ein anderes Auto gestiegen. Der Täter hatte den Wagen gewechselt oder das Kind an einen Komplizen übergeben.

Aber den Geruch vom Verbrennungsmotor, der sich nahe am Gestaltwandlergebiet bewegt hatte, aber fast peinlich darauf achtete dieses nicht zu berühren, war deutlich wahrzunehmen und genau diese Spur verfolgten sie gerade. Jason führte den Suchtrupp in Wolfsgestalt an, an seiner Site war Myra und dann noch Peter, ein halbwüchsiger Wolf der eine auffällig sensiblen Geruchsinn hatte und an den nichts und niemand jemals vorbeikommen könnte. Er war kein besonders dominanter Wolf aber alleine seine Spürnase qualifizierte ihn als eine Wache des Rudels, in den Rest würde er sich schon einfügen.

Konstantin selbst folgte seinen Rudelmitgliedern als Mensch und fuhr zusammen mit einigen Polizisten den holprigen Pfad ab, den der Wagen des Entführers hatte nehmen müssen.

„Was befindet sich hier hinten?", fragte einer der jüngeren Beamten und sein älterer Kollege am Steuer sah den jungen Mann stirnrunzelnd an.

„Ich vergesse immer wieder, dass du nicht aus Black-Water kommst, Junge. Hier endet das offizielle Territorium des Backwater Rudels und geht flüssig in das Staatsgebiet von Canada über. Hier gibt es nichts als Wald, Berge und einer Menge Bären.", sagte der Mann mittleren Alters und sah dann zu Konstantin.

„Korrekt?", fragte er und Konstantin nickte.

„Die Höhlen sind etwas weiter nördlich, sind aber größtenteils unerforscht. Gut möglich, dass sich auch hier welche unter den Dauerfrostboden befinden.", bestätigte Konstantin. Das es bewohnbare Höhlen auf dem Gestaltwandlerterritorium gab, wusste keiner der Menschen und so war es ihm auch lieber. Sie waren der Rückzugsort des Rudels in Notzeiten. Weiter östlich begann theoretisch tatsächlich Canada, aber das dort beginnende Naturschutzgebiet bewohnten einige Inuit-Stämme, die mit kleinen Wohnwagensiedlungen hier ihr fast traditionelles Leben mitten im Nirgendwo fristeten. In einer solchen Siedlung waren Konstantin und sein Rudel untergekommen, als sie von den Höhlen weiter westlich hergewandert waren, mit seinem neugeborenen Neffen Mat in den Armen. Die Menschen hatten ihnen geholfen, ihnen Nahrung, Unterschlupf und Sicherheit gegeben und viele von ihnen waren mit ihnen mitgegangen, als die Zeit reif war zurückzukehren.

„Vielleicht hat der Mistkerl sie in eine dieser Höhlen gebracht, um sie dort zu verstecken", meinte der junge Polizist auf der Rückbank und der alte Prustete nur verächtlich.

„Wollen wir das nicht hoffen. Ich hab von Leuten gehört, die in den Höhlen waren und nie wieder rauskamen", sagte er und sah dann wieder zu Konstantin, als hätte dieser dem etwas hinzuzufügen. Doch von solchen Geschichten wusste Konstantin nichts.

„Er hat euch auf den Kicker, ist euch das klar?", fragte der Ältere dann weiter.

„Weil du was mit der hübschen kleinen Mils hast. Vielleicht auch einfach nur, weil ihr zurückgekommen seid. Das Mädchen ist doch die Tochter von der jungen Main-Glow, die sich hatte, in der Schule, von irgendeinen Taugenichts hat schwängern lassen", meinte er und trotz der harschen Worte, hörte keine Konstantin keine Verachtung heraus, wenn dann Resignation und etwas bedauern.

„Ja. Carly ist eine Freundin des Rudels und ist vielleicht deswegen ins Kreuzfeuer geraten", gab Konstantin etwas unwillig zu. Was brachte es auch, das zu verschweigen? Es war die Wahrheit.

„Wirst du die kleine Miss Mils heiraten?", fragte er weiter und Konstantin wusste nicht was er darauf sagen sollte.

„Hat viel durchgemacht, das Kind. Ihr Vater ist ein manipulativer Arsch, dem sollte man nicht ein Wort glauben, aber er hat es immer verstanden das zu verstecken. Genauso wie der Langfield, das sag' ich dir. Es gab so wenig Beweise gegen ihren Vater, dass sie selbst gegen ihn Aussagen musste. Furchtbar für ein Kind, aber sie hat es getan, weil es richtig war und dann ist ihre Mutter krank geworden und der Arsch Langfield hat sich verpisst. Kleiner Wichser, keiner in Blackwater hätte den Kerl je gewählt aber war ja nur er da und die Regierung war das mit der Zwangsverwaltung leid." Redete der Mann weiter, um die Anspannung im Wagen zu lockern und wahrscheinlich, weil er ehrlich neugierig war.

„Sie ist meine Luna", sagte er schlicht und als der Mann durch die Zähne ein Pfeifen ausstieß wurde Konstantin wieder bewusst, dass die Menschen in Blackwater so einiges über Gestaltwandlerrudel wussten. Gerade die älteren, die hier schon seit Generationen lebten und vielleicht noch die Tage kannten, als sich das Rudel und die Menschen noch nicht feindlich gesonnen waren. Doch das war lange her und danach war es furchtbar eskaliert, mit Verlusten auf beiden Seiten. Niemand wusste genau, wann es begonnen hatte. Während der Weltkriege hatten sich die Rudel von den Menschen zurückgezogen und diese hatten sich im Stich gelassen gefühlt. Feindseligkeiten waren entstanden, erst seit ungefähr dreißig Jahren öffneten sich beide Seiten wieder.

„Dann is' es ja was Ernstes. Meine Großmutter hatte mal was mit einem Gestaltwandler. Sagt sie zumindest. Damals, als ihr auch in der Stadt gelebt habt. Das war allerdings nix ernstes, hat sie aber nie ganz verwunden. Ihr seid' richtige Herzensbrecher", scherzte der Mann. Und als der jüngere Kollege Fragen stellte, erzählte der Polizist weitere Geschichten. Konstantin hörte zu und verstand, dass tatsächlich eine gute Chance bestand, ein gutes Verhältnis zu den Menschen aufzubauen. Die Menschen waren misstrauisch, was angesichts ihrer jüngsten Vergangenheit normal was. Aber insgeheim hatten sich die ganz alten Geschichten über friedliche Koexistenz in der Bevölkerung gehalten und das wollten sie zurück.

„Es treibt sich immer noch Gesindel in Blackwater herum, die Carlos Mils eingeladen hatte. Kleine Arschlöcher die ärger machten und viele am Rande der Stadt haben Angst vor ihnen. Man muss sie vertreiben, um wieder Ruhe zu schaffen", brachte der ältere Polizist an und es war klar, dass er damit um Hilfe bat. In Namen aller Bewohner von Black Water. Vielleicht war das auch ein Grund warum die Menschen die alten Zeiten zurückhaben wollten. Das Rudel hatte sie vor so etwas zu schützen gewusst und sie hofften, sie würden es wieder tun. Aber noch war das Rudel klein und kaum dazu in der Lage seine eigenen Grenzen zu bewachen.

Während er darüber nachdachte wie er der Stadt tatsächlich helfen konnte, ohne seine mickrigen Ressourcen anzugreifen, zupfte Jasons Verstand an dem Rudelband. Das Zeichen dafür, dass sie anhalten mussten.

„Fahren Sie an die Seite, wir haben etwas gefunden", sagte er und der Polizist gehorchte. Mitten in der Wildnis bremste der Off-Roader im Schnee und die Beamten sprangen aus den Wagen, ohne auf die Kälte oder die Einsamkeit der Wildnis von Alaska Rücksicht zu nehmen. Konstantin konnte seinen Beta etwas weiter entfernt im Schatten einiger Bäume ausmachen, als er sich alleine durch den Schnee kämpfte und die Polizisten zurückließ. Jason stand da, eine brachiale Geistererscheinung, nackt aber in Menschengestalt. Hochgewachsen und mit brutal anmutendem Gesichtsausdruck. Er lächelte selten und das sah man ihm an, doch nichts davon machte ihn zu einem schlechten Mann. Er galt im Rudel als ruhiger Riese, auch wenn er sicher nie als sanft oder sympathisch bezeichnet werden könnte.

„Der Wagen hat da vorne an einer Lichtung gewendet, Carlys Duft führt einen kleinen Bach herunter, der ziemlich Steil ist. Die Menschen müssen aufpassen um nicht ins Wasser zu fallen, die Strömung ist stark und die Kälte tötet innerhalb von Sekunden. Wir vermuten eine Höhle, die man von hier oben nicht sehen kann und am Fluss endet. Myra sucht bereits einen Weg nach unten, der Sicher für die Zweibeiner ist", erklärte er knapp und verwandelte sich wieder in einen Wolf, ein Anblick, den die Polizisten sicher verstört hatte. Aber egal wie gut die Wölfe den Witterungen standhalten konnten, in Wolfsgestalt mit Fell war es wesentlich angenehmer.

Konstantin ging, ohne weiter auf seinen Beta zu achten, zu den Polizisten und gab ihnen die Informationen weiter, die er gerade erhalten hatte. Der jüngere der Polizisten ging zum Wagen und gab ihre Position durch ein Funkgerät durch und bestellte sowohl Verstärkung als auch einen Krankenwagen hier her ... ob der durchkam war aber eher zweifelhaft.

„Den Vorschriften gemäß müssen wir auf Verstärkung warten", meinte der etwas ältere und Konstantin nickte, bevor er begann sich die Jacke und das Shirt auszuziehen. Der Mann gab einen unwilligen Laut von sich.

„Wenn Ihnen da etwas zustößt, dürfen wir nicht eingreifen", erinnerte der Mann ihn, machte aber keine Anstalten ihn aufzuhalten, als Konstantin seine Sachen auf die Motorhaube legte und ebenfalls zwischen den Bäumen verschwand, um sich den Rest der Kleidung zu entledigen und sich zu verwandeln.

Als sein Blickfeld, sein Fokus, sein Körper und Verstand sich änderten, übertönte das rauschende Glücksgefühl die Schmerzen der Knochen, als sie sich Bogen, verkürzten, verlängerten, als sich Zellen aktivierten und deaktivierten, als Fell sich auf seinen Körper ausbreitete und seine Instinkte begannen seinen Verstand zu beherrschen. Es war immer ein kleines Duell zwischen Mann und Wolf so kurz nach einer Verwandlung, aber seit einiger Zeit gab es keine wirklichen Kämpfe mehr um die vermeidliche Vorherrschaft, insbesondere in der Wolfsgestalt. Nicht seit er Luna hatte, einen Menschen, zu der er eine so tiefe Verbindung hatte das er sich unvollständig ohne sie fühlen würde. Er folgte dem Geruch seiner Rudelgefährten und stellte fest, dass dieser kleine Abhang für Menschen nicht nur fast unpassierbar war, sondern kaum zu bewältigen ohne Knochenbrüche. Als seine Krallen sich in den gefrorenen Boden gruben, um Halt zu finden, sah er auch etwas weiter neben sich Rutschspuren von einem großen Objekt, dass hier heruntergefallen war und seine Gestaltwandlernase erfasste den leichten Duft von Blut. Nicht viel, vielleicht eine Schürfwunde, oder einen kleinen Schnitt, mehr aber nicht. Myra kam am Bach entlang gehetzt, als Konstantin unten ankam. Ihre Wölfin war kleiner als ihre männlichen Artgenossen, dafür waren ihre Sinne sensibler und ihr Körper schneller. Wenn man ihn danach fragen würde, wie sie in der Wolfsgestalt miteinander kommunizierten, würde keiner der Wölfe den Menschen eine Antwort geben können, die auch nur im Entferntesten logisch klang. Es waren keine Worte, keine Telepathie oder ein ähnlicher Unsinn. Es waren Gesten, Blicke und Knurrlaute und dennoch waren sie dazu in der Lage komplexe Vorgänge zu erläutern, die durch solche primitiven Möglichkeiten nicht möglich sein sollten.

>>Jason ist in der Höhle, folgt der Spur des Kindes, ich bleibe mit dem Jungen hier und führe die Menschen<<, sagte sie und Peter, gab ein unwilliges Japsen von sich als Myra ihn „Junge" nannte. Er war zweiundzwanzig und eigentlich alt genug, um nicht mehr so bezeichnet werden zu können, aber er war noch in der Ausbildung, zusammen mit Shiny, und würde seinen festen Platz im Rudel erst noch bekommen. Deswegen galt er noch als halbwüchsig und musste ich die Bezeichnung gefallen lassen.

>>In Ordnung. Peter, das hast du sehr gut gemacht, untersuch die Gegend, ob du noch jemanden entdecken kannst, aber geh nicht zu nahe ran, wenn der Entführer noch hier ist, könnte er bewaffnet sein. Sag Myra Bescheid bevor du dich an ihn heranpirschst.<< Peter hatte die beste Nase, war aber bei weiten nicht so ein guter Kämpfer wie die erfahrene Myra.

Dann begab er sich in die Höhle und seine Sinne wurden mit hunderten Gerüchen überflutet. Neben Jasons Duft, roch er Erde, kalte modernde Feuchtigkeit und leicht angefaulte Wurzeln von Pflanzen, die es nicht schafften hier zu überleben. Dazu kam einiges Getier das hier drinnen lebte und seine Beute hier auch erlegte. Seine Ohren zuckten, als er einen sanften Herzschlag vernahm, der hier drinnen fast schon an den Wänden zu dröhnen schien, dann hörte er Krallen auf blanken, groben Stein und sah leuchtende Augen in der Dunkelheit.

>>Sie ist hier<<, sagte Jason und Konstantin folgte seinem Beta so schnell wie möglich, durch Gänge und verwirrenden Abzweigungen, bis der Herzschlag immer deutlicher wurde. Carly. Sie war nicht bei Bewusstsein, sah aus wie eine tote, leblose Puppe, die an der rauen Wand lehnte. In Unterwäsche. Konstantin versteifte sich als er das Fehlen ihrer Kleidung bemerkte und knurrte unwillig bevor er sich so dicht wie möglich an sie lehnte, um sie mit seinem Körper zu wärmen.

Mein Gott, was hatte man ihr angetan? Alle Alarmglocken schrillten in seinem Kopf während er den eiskalten, kleinen Körper an seinen spürte und sein Wolf innerlich jaulte. Jason rannte zurück zu Myra, gab Bescheid, dass sie Carly gefunden hatten und kam dann wieder zurück, um sich auf die andere Seite von Carly zu legen. Fell auf beiden Seiten, das würde sie etwas aufwärmen und davor bewahren im rauen Winter von Alaska zu erfrieren, aber es würde nicht von dem Heilen, was man ihr angetan hatte. Sein Wolf schnupperte intensiv um sich herum und der Mann war fast erleichtert als er zwar einen männlichen Geruch an dem Kind wahrnahm, dieser aber nicht so intensiv war, wie er wohl sein würde, wenn man sich an dem Kind vergangen hätte. Doch sie wurde definitiv angefasst - wie weit das ging ließ sich unmöglich sagen. Ihre Haut war fast weiß, ihre Lippen blau. Vielleicht hatte man sie nur ausgezogen, um sie schneller erfrieren zu lassen. Er hoffte es. Denn eine Entführung würde einfacher zu verarbeiten sein als ... die Alternative. Für den Täter würde es aber nichts ändern: Wenn Konstantin ihn zu fassen bekam, würde er ihn umbringen und als ihm klar wurde das er diesen männlichen Geruch definitiv kannte, wusste er auch an wem er seine Klauen wetzen musste. Langfield. 

Beta: Geany

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