Kapitel 39 | Die Würfel fallen

-SIE HATTEN IHN NICHT!
Donnerte Saurons Stimme durch Daenors Geist.
-Was?
Der Elb musste das Entsetzen in seiner Stimme nicht vortäuschen und kalte Angst breitete sich in ihm aus.
Wenn Ratte nicht...

-WOHER WEIßT DU VON DIESEM SPÄHER?
keifte Sauron ihn an, und in diesem Moment wurde Daenor erst klar, wie dünn das Eis plötzlich war, das sie vor dem Ertrinken schützte.
Der Maia war so wütend, wie Daenor es selten gesehen hatte, und alles worauf ihr Plan beruhte...
-Er kam nach Pelargir und ist mit uns nach Nurn zurückgekehrt.
Erklärte Daenor und zwang sich zu einem genervten Tonfall - als wäre die einzige Sache, die ihn wirklich aufregte, die Tatsache, dass Sauron wieder seine Gedanken las - die Angst und die Sorge über diese Entwicklung ließ er gar nicht an die Oberfläche.
Ich habe ihn nach Cirith Ungol gesckickt, damit er dort Wache hält.

-UND WIESO WEIß ICH DAVON NOCH NICHTS?
-Weil ich,
Betonte Daenor kühl,
-Nicht dein Diener bin. Ich bin dein Verbündeter. Und ich habe die Autorität, dir nicht jede Entscheidung mitteilen zu müssen. Ich dachte, Ratte könnte sich dort nützlich machen, Ende. Verdammt Sauron,
Fügte er eindringlich hinzu,
-Ich will genauso sehr wie du, dass dieser Ring gefunden wird. Er ist unser einziger Weg, Morgoth zurückzuholen.
Diese Tatsache, diese verlorene Möglichkeit auszusprechen, war schmerzhaft, doch es verlieh seinen Worten Nachdruck.

Sauron schwieg kurz und Daenor spürte durch die Verbindung, die der Palantir ihnen schuf, wie er versuchte, seine Selbstbeherrschung zurückzuerlangen.
-Der Angriff auf Minas Tirith hat begonnen,
Erklärte Sauron, nun einigermaßen gefasst,
-Die Nazgûl sind nicht in Mordor. Du musst...

-Ich suche den Ring,
Bestimmte Daenor, und sprach damit das aus, das Sauron vermutlich von ihm verlangt hätte.
-Ich verhöre die Hobbits und bringe dir den Ring nach Barad-dûr. Oder vertraust du mir nicht?

Die Frage schien Sauron unerwartet zu treffen, denn er zögerte - und in diesem Moment spürte Daenor seine Emotionen durch den Palantir hindurch.
Da waren eine flüchtige Sorge, immer noch nicht gänzlich verrauchter Zorn und dahinter etwas, das an kalte Berechnung grenzte - den Willen, ein Werkzeug einzusetzen, das man danach ohne zu zögern wegwerfen konnte.

-Ja, ich vertraue dir,
Sagte Sauron nun in einem Tonfall, der beinahe beschwichtigend klang.
-Bring den Ring nach Barad-dûr. So schnell du kannst. Es ist mir egal, wie. Aber tu es.
Daenor schnaubte, doch er ließ es nicht zu, dass man diese Geste auch in seinen Gedanken spürte.
-Natürlich.
Erwiderte er kurzangebunden, dann nahm er die Hand von dem schwarzen Stein.

Einen Moment betrachtete er ihn schweigend, dann schlug er mit der Faust auf den Tisch, auf dem der Palantir ruhte und der daraufhin ein gequältes Knarzen von sich gab.
Daenor fluchte lauthals.
Das war schlecht.
Sehr schlecht.

Die Hobbits konnten den Ring sonst wo versteckt haben.
Sie würden ihm niemals die Wahrheit sagen.
Es sei denn...
Daenor fluchte erneut, als sich in seinem Kopf ein Plan bildete, der nicht weniger wahnwitzig war als der erste.
Aber verdammt sollte er sein, es konnte funktionieren.

"Hört zu!", rief er aus, als er aus der Tür zu diesem kleinen Raum, in dem der Palantir lag, heraustrat in einen schmalen Gang, in dem Sarodis, Gorog und die Maiar auf ihn warteten.
"Es gibt schlechte Neuigkeiten. Die Hobbits wurden in Cirith Ungol gefangen genommen und Ratte findet den Ring nicht. Wir müssen das übernehmen."

Entsetzen trat in ihre Gesichter, doch Daenor ließ keine Fragen aufkommen.
Er wandte sich direkt an den Menschen.
"Sarodis begleitet mich nach Cirith Ungol. Und du auch Eonwe. Wir müssen die Halblinge zum Reden bringen."

"Was ist mit dem Ring", warf der angesprochene Maia plötzlich ein, "Wenn wir ihn gefunden haben. Wer nimmt den Ring?"
"Ich."
Daenors Antwort war fest und ließ keine Widerrede zu.
Er führte diese Rebellion.
Er war verantwortlich für diesen Plan.
Also würde er allein sich dem Risiko aussetzen, das der Ring mit sich brachte.
"Ich bringe ihn zum Orodruin."

Er sah zu Gorog.
"Gorog, du hast das volle Kommando."
Kurz schien der Ork überrascht, doch dann nickte er ohne ein Wort. Daenor wusste, dass er sich auf ihn verlassen konnte.

"Und was dann?", fragte Vadrion plötzlich, mit misstrauisch hochgezogenen Augenbrauen. Die in der Frage liegende Unterstellung war nicht zu überhören.
Daenor versteifte sich und unterdrückte die Wut, die sich in ihm breit machte. Von allen Anwesenden war Vadrion am wenigsten in der Position, seine Entscheidungen in Frage zu stellen, oder diese eine Sache, die er die Ganze Zeit über so penibel ausgespart hatte, jetzt anzusprechen.

"Ich tue das, was getan werden muss", knurrte er.
Das hatte er immer getan.
"Ich habe nicht vor, eine Herrschaft an mich zu reißen. Mordor gehört den Orks und ihnen allein."
Vadrion schnaubte und trat einen Schritt vor.
Aus dem Augenwinkel sah Daenor, wie sich Sarodis versteifte und selbst Gorog eine Hand auf sein Messer legte, während Eonwe zwischen ihnen hin und hersah, unschlüssig, was er tun sollte.

"Das ist nicht die ganze Wahrheit", zischte Vadrion feindselig, "Welche Versicherung haben wir, dass Ihr den Ring wirklich vernichtet? Oder nicht einfach verschwindet?"
Er deutete mit dem Kinn zu Sarodis, der mittlerweile die Haltung eines lauernden Raubtiers eingenommen hatte - hätte die Wut, die in Daenor aufstieg, seine Beobachtungsgabe nicht ausschließlich auf den Maia beschränkt, hätte es ihn vielleicht überrascht, dass Vadrion Sarodis den Rücken zukehrte.
"Sagt mir, Kriegsherr, welche Versicherung haben sie, dass Ihr sie nicht einfach im Stich lasst?"

Dass Ihr sie nicht einfach im Stich lasst.
Er wusste durchaus, dass Vadrion ihn bloß provozierte, doch das änderte nichts an seinen Worten.
Dass Ihr sie nicht einfach im Stich lasst.
"Ich lasse niemals jemanden Im Stich".
Seine Stimme war ein bis zur Unkenntlichkeit verzerrtes Knurren und er glaubte, in Vadrions Augen etwas wie Befriedigung zu sehen.

Daenor ballte die Hände zu Fäusten.
Die Erinnerungen überkamen ihn, ohne dass er es hätte verhindern können, und sie rieben Salz in Wunden, die seit seines letzten Albtraums tiefer aufklafften als je zuvor.
Zorn pulsierte in jeder seiner Adern, fraß sich in seinen Geist, brannte wie eine feurige Linie entlang der Narbe an seinem Hals.
Dargash hatte ihn damals aus der Schlacht geschleppt, erinnerte er sich. Er hatte ihm das Leben gerettet, als seine Wunden ihn derart geschwächt hatte, dass er nicht mehr hatte kämpfen können.
Und Daenor hatte ihn von seiner Seite geschickt, direkt in seinen Tod.
Er hatte nicht verhindern können, dass jeder Einzelne von ihnen starb.
Doch zumindest war er bis zum Ende bei ihnen geblieben.

Er hatte sie nicht im Stich gelassen.

Dieser Maia hatte keine Ahnung, was er da sagte. Oder was er damit anrichtete.
Doch Vadrion ließ nicht locker.
"Ach ja? Ihr lasst niemanden im Stich? Aber Ihr lauft doch schon davon, nicht wahr? Ihr seid ein Feigling, Daenor Chelhat..."

Und dann kam der Moment, als der Zorn ihn übermannte.
Daenor hatte die Klinge gezogen, bevor er es tatsächlich realisiert hatte, und nun setzte er nach vorn, packte Vadrion und stieß ihn mit all seiner Kraft zurück, sodass er mit einem dumpfen Schlag an die Wand prallte.

Blind vor Wut, taub von den Stimmen, die in seinem Kopf brüllten, setzte Daenor hinterher, nagelte den völlig überrumpelten Maia fest und hielt ihm sein Messer an den Hals.
"Vielleicht kannst du eine Lüge sehen, Scherg von Mandos", knurrte er mit einer Kälte, die nicht mehr natürlich war, "Aber das heißt nicht, dass du irgendeine Ahnung von der Wahrheit hast."

Er kippte das Messer, eine einizige Bewegung von nur einem der beiden, und er schlitzte Vadrion die Kehle auf.

"Du kannst mich verspotten, wie du willst. Aber eines sage ich dir," fuhr Daenor fort, leise, aber kalt und scharf wie splitterndes Eis.
Er kam Vadrion noch ein Stück näher.
"Du wirst mich nicht aufhalten können. Niemand von euch. Nicht ihr beiden Narren, nicht Sauron, nicht die Valar und ihre Lakaien.
Und wenn sie es versuchen, dann bahne ich mir meinen Weg durch Blut. Ihr könnt mich niederschlagen, sooft ihr wollt. Ich bin noch jedes Mal aus dem Grab auferstanden und ich werde es auch weiter tun. Also wage es ja nicht, dich mir in den Weg zu stellen, Maia. Denn ich laufe nicht davon."

Vadrion starrte ihn einfach nur an; er brachte kein einziges Wort mehr hervor.
Er hatte damit nicht gerechnet.
Daenor hatte sich von ihm zusammenschlagen lassen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, hatte vielleicht ab und an mit sich selbst, oder im Schlaf geredet, aber dieser blinde, mörderische Zorn war Vadrion fremd, und Daenor wusste das.
Der Daenor, den Vadrion kannte, hatte seine gesamte Kraft aus einer bröckelnden Hoffnung geschöpft und nicht aus dem Schmerz und dem Hass, die jetzt seine Gedanken beherrschten.

Schwer atmend rang er diesen Zorn in seinen Adern nieder, sperrte dieses Ding in seinem Verstand wieder hinter seine Mauern.
Dann nahm er das Messer von Vadrions Hals und trat mehrere Schritte zurück.
Ein rotes Rinnsal rann daran herab - Daenor hatte ihn geschnitten.
"Daenor...,"setzte Eonwe vorsichtig an, doch der beachtete ihn gar nicht.

Stattdessen wandte er sich Sarodis und Gorog zu.
Er betrachtete seine Männer, die sofort zu den Waffen gegriffen hatten, als Daenor das Messer gezogen hatte, die auf alles gefasst gewesen waren, sollte er mit Vadrion nicht fertig werden.
Und die ihm in diesen Wahnsinn folgten, die an ihn glaubten, dass er sie zum Sieg führen konnte.
Wie weit sie gekommen waren - von Verbündeten, die sich als Mittel zum Zweck sahen, zu Kameraden, die sich aufeinander verließen.

Doch Vadrion hatte recht.
So sehr er diesen Mann verachtete, er hatte recht.
Würde er fliehen, würde man ihn jagen, und alle, die er hier zurückließ, würden die ersten Opfer dieser Jagd sein.
Und er konnte nicht zulassen, dass ein weiteres Mal jemand für ihn starb.
Dass die Valar ein weiteres Mal seine Welt in Fetzen rissen.

Er atmete tief durch.

"Wir brechen morgen früh sofort auf", sagte er, mit aller Beherrschung, die er zusammzukratzen imstande war, während alles andere in ihm ohne Sinn und Verstand tobte und brüllte - doch er schaffte es, dass seine Stimme ruhig klang, und man sie wieder mit einem vernunftbegabten Wesen in Verbindung setzen konnt.
"Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren."

Daenor wartete nicht mehr auf eine Antwort.
Es wurde Zeit, dass er sich all dem stellte.
Es wurde Zeit, dass die Würfel fielen.
Wenn er eine Entscheidung treffen wollte, dann musste er es jetzt tun.
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging.

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