Kapitel 28 | Konfrontationen
Es hieß, dass es zwei verschiedene Arten von Hass gab.
Einer war flammend und wild, und wie ein verzehrendes Feuer verschlang er alles in seinem Weg. Dieser Hass speiste sich aus Zorn und obgleich er vernichtend war, konnte er so schnell verlöschen, wie er aufgeflammt war.
Die andere Art des Hasses war weitaus kälter, weitaus gnadenloser.
Denn dieser Hass speiste sich aus Schmerz und aus unverblasster Trauer.
Es war ein Hass, der Jahrtausende warten konnte, der zu einer Waffe geschmiedet wurde, die den stärksten Willen brach. Der lodernde, zornige Hass mochte kommen wie eine Flamme, doch der, der wartend und berechnend war, war wie Frost, der sich durch Mauerwerk fraß; denn langsam zerstörte er das Werk seiner Feinde und sah zu, wie alles, was sie geschaffen hatten, Stein um Stein auseinanderfiel.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Asrán diese Worte für Unsinn gehalten. Wer hasste, war rasend vor Zorn und er kannte weder Vernunft noch Gnade.
Doch als er nun, gefolgt von Gorog, den Raum des Kommandanten betrat, wurde er schlagartig eines Besseren belehrt.
Daenors saß hinter dem breiten Tisch.
Die Platte war vollkommen leer, bis auf Nauring, das blank vor dem Elben lag.
Das Leuchten spiegelte sich in seinen Augen, die er direkt auf die beiden gerichtet hatte.
Und in diesen Augen sah Asrán das erste Mal das, was man als kalten Hass bezeichnen könnte.
Sie waren absolut frei von Wut.
Eine tödliche, eisige Ruhe lag in ihnen.
Es waren die Augen eines Falken - lauernd und gnadenlos.
Bereit, die Klauen in seine Beute zu schlagen und zu töten.
Und diese Ruhe war furchteinflößender, als jede Art von Wutausbruch es jemals hätte sein können.
Asrán warf einen unmerklichen Blick zu Gorog, bevor sie vor den Tisch hintraten, hinter dem Daenor reglos wartete.
Du kannst auf mich zählen, hatte Gorog noch vor der Tür zu dem Menschen gesagt, Darauf kannst du dich verlassen.
Hatten diese Worte zuvor noch ermutigend und beruhigend gewirkt, konnten auch sie die Angst nicht bändigen, die sich durch Asráns Adern fraß.
Er hoffte nicht mehr, dass Daenor sie aus irgendeinem ungefährlichen Belangen zu sich gerufen hatte.
Das allein war der Grund gewesen, warum Asrán und Gorog dem Ruf gefolgt waren:
Die schwindend geringe Chance, dass Daenor nichts von diesem Verrat wusste, dass sie ihr Spiel weiterspielen konnten wie zuvor.
Doch diese Hoffnung hatte sich in Luft aufgelöst, als er den Ausdruck seiner Augen und das blanke Schwert gesehen hatte.
Als sie schließlich vor dem Tisch stehenblieben - gerade außerhalb von Daenors Reichweite - wussten weder der Mensch noch der Ork, was sie sagen sollten.
Doch der Elb saß weiterhin nur da, wartend, seine Augen durchbohrten sie wie Lanzen.
Asrán begann sich zu fragen, ob sie einen Kampf gegen ihn gewinnen könnten - oder ob sie es zur Tür schaffen würden, bis Daenor mit Nauring über den Tisch gesprungen war...
Ruhig, sagte er sich, Du hast ihn schon gesehen, wie er wirklich ist. Du hast ihn schon verwundbar gesehen. Und er ist ein Nichts im Vergleich zu Saurons Macht.
Doch Sauron konnte er einschätzen.
Daenor hingegen - in Wahrheit kannte er ihn kaum.
Er hatte ihn als gebrochenen Soldaten gesehen, als genialen Strategen und als gnadenlosen Kriegsherrn - und doch war er so unberechbar in seinen Handlungen.
Asrán hatte keine Ahnung, was der Elb wusste - oder wie weit er zu gehen bereit war, um es zu erfahren.
Asrán räusperte sich und zwang sich schließlich zu sagen:
"Hier sind wir, wie Ihr verlangt habt. Aus welchem Grund habt Ihr uns gerufen?"
Kurz herrschte eine unangenehme Stille.
"Du müsstest mittlerweile wissen, Asrán," meinte Daenor schließlich, ohne auf die Frage zu antworten, "dass es nicht viel gibt, was mich wütend macht. Aber weißt du, was mich wütend macht? Was mich wirklich aufregt?"
Asrán schluckte.
Ihm entging weder die Schärfe in Daenors Stimme noch die Tatsache, dass er die förmliche Anrede hatte fallen lassen.
Der Elb stand auf, stützte die Hände auf dem Tisch ab und beugte sich etwas vor.
"Verrat. Lügen. Und dieses sinnlose, höfliche Geplänkel vor einer ernsthaften Sache," beantwortete er seine eigene Frage.
"Aber ihr beide," fuhr er fort und strich mit einer Hand betont langsam über Naurings Parierstange, "Präsentiert mir gerade jedes einzelne dieser Dinge. Und ihr solltet es nicht zu weit treiben."
"Was meint Ihr?," fragte Asrán, wobei er so viel Empörung und Unverständnis heuchelte, wie er konnte. Es war ihr letzter verzweifelter, erbärmlicher Versuch, sich aus der Sache herauszuwinden.
"Wieso sprecht Ihr von Verrat? Weder Gorog noch ich-"
"Spar dir deine Ausreden, Asrán," schnitt Daenor ihm das Wort ab. Seine Stimme war lauter geworden, schärfer, doch noch immer war sie frei von Wut.
"Ich weiß Bescheid. Bescheid über euren Verrat an Mordor und allem, was damit einhergeht."
Alles, was damit einhergeht...
Asrán sah ein, dass es keinen Sinn mehr machte zu lügen.
Jeden Moment rechnete er damit, dass Daenor Nauring packte und ihr Ende einleitete. Selten hatte er solche Angst verspürt wie in diesem Moment. Seine vom kalten Schweiß nassen Hände ballten sich zu Fäusten und öffneten sich wieder.
Asrán sah aus dem Augenwinkel, wie Gorog das Gewicht verlagerte - bereit, sich freizukämpfen. Oder zumindest zu sterben wie ein Soldat.
Doch Daenor machte keine Anstalten, anzugreifen.
Gorog versteifte sich.
Asrán konnte direkt sehen, wann ihm der Geduldsfaden riss.
"Was soll das hier werden?," keifte er und stützte sich so ruckartig auf den Tisch, dass das Holz knarzte, "Was soll dieses verdammte Spiel? Wenn Ihr uns tot sehen wollt, dann kämpft! Oder liefert uns doch einfach aus!"
Daenor legte unbeeindruckt den Kopf schief, als hätte ihm jemamd eine besonders dumme Frage gestellt.
"An wen? Sauron? Und warum genau, Gorog, sollte ich euch an jemanden ausliefern, der mich ermorden lassen will, sobald ich nicht mehr gebraucht werde?"
Geschockt trat Asrán einen Schritt zurück und selbst Gorog richtete sich wieder auf, sein Zorn war Überraschung und Unruhe gewichen.
Wäre der Mensch gefasster gewesen, wäre ihm vielleicht das leichte Zittern in Daenors Stimme aufgefallen, als er Saurons Namen aussprach.
"Woher wisst Ihr...,"stieß Asrán hervor, doch er brachte den Satz nicht zu Ende. Das konnte er nicht wissen. Das war schlichtweg unmöglich.
"Es ist nicht wichig, woher ich das weiß," erwiderte Daenor ungerührt, "Wichtig ist, dass ich es weiß."
Er nahm die Hände vom Tisch und verschränkte die Arme stattdessen vor der Brust.
"Du hättest mich für Sauron töten sollen, Asrán. Aber erst auf seinen Befehl hin, nicht wahr? Doch bis dahin wäre ich schon eine Gefahr für dich selbst geworden. Du hättest mir auch ohne Saurons Befehl die Kehle aufgeschlitzt."
"Was hättet Ihr an meiner Stelle getan?", rief Asrán aus. Er holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. Er war im Begriff, den Mann zu beleidigen, der ihre Leben in der Hand hielt,
"Ihr habt mich zum Handeln gezwungen. Aber das ging nicht gegen Euch, es war niemals-"
"Was?" Fauchte Daenor, "Niemals persönlich? Und glaubst du tatsächlich, Asrán, das rechtfertigt irgendetwas? Glaubst du, mich interessiert dein Gewissen, wenn ich an meinem Blut ersticke?"
Asrán schluckte.
Mit jedem Wort, das er sagte, schien er Daenor nur noch weiter gegen sie aufzubringen.
Doch wenn er sie nicht an Sauron ausliefern wollte - was wollte er dann?
Was hatte er vor?
"Da ich von jedem verraten wurde," fuhr Daenor fort, nun allerdings wieder ruhig, gefasst und ohne irgendeine Emotion, "Sehe ich mich gezwungen, die Regeln dieses Spiels zu ändern. Ich bin niemandem mehr Rechenschaft schuldig. Und ich will meine Rache."
Er sah Asrán direkt in die Augen.
"Ich weiß, dass du mich töten willst, weil ich eine Bedrohung darstelle. Doch Sauron," meinte er verächtlich, "Sauron will nur einen möglichst ebenen Weg zu einer Macht, die er nicht verdient."
Der Mensch schüttelte verständnislos den Kopf.
"Was soll das heißen?," fragte Gorog, ebenso verwirrt. Sie beide hatten mittlerweile begriffen, dass Daenor verhandelte.
Nauring war eine offene Warnung - doch nichts weiter.
"Es heißt," sagte Daenor, "dass ich Sauron vernichtend schlagen will. Ich will, dass er bezahlt."
Asrán erschauderte.
Sauron war ein Maia, unsterblich und unendlich mächtig.
Und doch hatte er nicht den geringsten Zweifel daran, dass Daenor in der Lage war, ihn zu vernichten.
Und alles zu zerstören, was er erreicht hatte.
Doch als dieses Grauen abgeflaut war, wurde Asrán der Sinn hinter Daenors Worten klar.
Er bietet uns seine Hilfe an. Er sieht uns als mögliche Verbündete.
Asrán begriff plötzlich, was Daenor vorhatte. Sie alle kannten seine Fähigkeiten. Und indem er sich mit ihnen zusammentat, schaltete er nicht nur eine Gefahr für sein Leben aus, sondern schuf ein Bündnis durch einen gemeinsamen Feind.
Das allerdings, kam es Asrán in den Sinn, als er Daenors nachwievor eisigen Blick bemerkte, bedeutete keinesfalls, dass er ihnen vertraute.
Der Mensch sah zu Gorog hinüber.
Dieser verschränkte die Arme vor der Brust, überlegte. Schließlich nickte er langsam.
"Gut," kam es von Daenor, "Dann wäre das geklärt. Doch jetzt habe ich noch eine Frage, etwas, wofür ich keine Erklärung finde."
Er sah zu Asrán.
"Warum genau willst du Sauron hintergehen? Gorog kann ich verstehen. Er ist ein Ork, jemand, um den sich Sauron nicht schert, aber du?,"
Er schüttelte den Kopf,
"Du bist einer seiner höchsten Diener, dein Ruf und dein Rang sind weithin bekannt. Warum genau willst du das riskieren? Aus Kameradschaft sicher nicht."
Asrán bekam den Seitenhieb gar nicht mit. Stattdessen überlegte er fieberhaft, wie er Daenor das alles erklären sollte, ohne, dass es wie eine Lüge klang.
Und ohne ihm Dinge zu verraten, die ihn nicht das Geringste angingen.
Die Augenblicke verstrichen, Daenor wurde immer ungeduldiger.
Schließlich entschied sich Asrán - im Mangel anderer Möglichkeiten - für die ungeschönte Wahrheit.
Wenn Daenor ihnen nicht glaubte...dann konnte er nichts dagegen tun.
"Ihr seid nicht der einzige, den Sauron ausnutzt," begann er fest.
In Daenors Augen trat eine Mischung aus Überraschung, Skepsis und Misstrauen, doch er unterbrach ihn nicht.
"Harad und Umbar sind weitaus mächtiger als Khand und Rhûn. Und sie haben mit Sauron einen Pakt geschlossen, der ihre Vormacht nach Saurons Sieg garantiert. Wir sind für sie das, was Ihr für Sauron seid: ein Hindernis, eine Blockade auf einem geebneten Weg."
Mit jedem Wort gewann seine Stimme an Stärke, Wut und Stolz. Sie waren auf keine Andere Weise verraten worden wie Daenor.
"Doch als wir bemerkten, dass wir hintergangen wurden, war es bereits zu spät, um sich Sauron zu widersetzen. Also müssen wir auf diese Weise kämpfen, wenn wir überleben wollen."
Er stieß ein bitteres Lachen aus.
"Sauron hat vergessen, wem meine Loyalität tatsächlich gilt. Er hat mit Dinge erzählt..."
Daenor sah ihn an, lange, forschend.
Seine Falkenaugen bohrten sich in ihn, als suchten sie nach einer Lüge.
Asrán zwang sich, seinen Blick mit jedem Funken von Aufrichtigkeit zu erwidern, den er besaß.
Gorog stand daneben, bereit, jederzeit einzugreifen.
Ich stehe hinter dir, hatte er gesagt. Er hielt die Versprechen, die er gab.
Schließlich lehnte der Elb sich zurück.
Er nickte.
"Ich verstehe."
Asrán blinzelte und Gorog sah ihn überrascht an. Er glaubte ihnen einfach so?
Daenor schnaubte belustigt, als er ihre Überraschung bemerkte.
"Ich halte dich für einen klugen Mann , Asrán. Wolltest du mich belügen, hättest du dir etwas anderes ausgedacht."
Asrán seufzte erleichtert auf.
Doch seine Erleichterung verschwand mit einem Mal, als Daenor sagte:
"Dann erklär mir noch eins:
Du scheinst diesen Aufstand hier anzuführen, nicht wahr? Du hast die Hilfe von Khand selbst, sonst würdest du seine Heere nicht führen. Aber stand nicht dein Wort gegen Saurons?
Sag mir also: Warum sollte man dir diesen Posten überlassen? Warum sollte der König von Khand dir überhaupt Glauben schenken, Asrán? Was bist du, sein oberster Spitzel?"
"Ich bin sein Sohn!", rief Asrán in plötzlichem Zorn aus, bevor er es zurückhalten konnte. Das ging Daenor nichts an. Es ging niemanden erwas an.
Doch nun sah er, vielleicht zum allerersten Mal, so etwas wie wahre Überraschung in Daenors Gesicht.
Der Ausdruck verschwand so schnell, wie er gekommen war, und zurück blieb ein leichtes Lächeln.
"Nun denn, Prinz Asrán," meinte Daenor ohne Spott oder Sarkasmus.
"Ich bin bereit euch zu helfen, so gut es in meiner Macht steht. Sauron wird fallen."
Und dann streckte er plötzlich die Hand über den Tisch, ohne eine Waffe, in einer Geste des Friedens.
Asrán sah fragend zu Gorog, doch der hatte seine Entscheidung schon getroffen.
Er nickte.
Asrán sah Daenor fest in die Augen.
Und dann ergriff er die Hand der Eisklinge und besiegelte ihr Bündnis.
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