Kaiptel 14 | Auf den Spuren der Gemeinschaft
Die Zwillinge stellten sich als überraschend angenehme Gesellschaft heraus. Sie waren immer gut gelaunt und strahlten eine Freundlichkeit aus, die Eonwe selten gesehen hatte.
Selbst Craban war in ihrer Anwesenheit etwas weniger grimmig.
Die Art, wie er mit den beiden umging, war beinahe neckisch - zwischen ihnen herrschte eine solide Freundschaft und ein tiefgehendes Vertrauen.
Andererseits - es war schwer, Elladan und Elrohir nicht zu mögen.
Allerdings brauchte der Maia eine geschlagene Woche, um die beiden auseinander zu halten, und selbst dann verwechselte er sie ab und zu.
In dieser Hinsicht beeindruckte ihn Vadrion. Er wusste vom ersten Tag an, wer Elladan und wer Elrohir war, was vor allen anderen die Zwillinge selbst überraschte.
Als sie ihn darauf angesprochen hatten, hatte er nur erwidert, dass es sehr schwer sei, ihn zu täuschen.
Eonwe entging der vielsagende Blick nicht, den der andere Maia ihm dabei zuwarf.
Der Herold Manwes wusste, dass es noch einige Dinge gab, die sie zu klären hatten - und das möglichst bald.
Sie mussten sich aufeinander verlassen können und so etwas wie Uneinigkeit durften sie nicht zulassen.
Doch das würde er erst tun, wenn sie allein waren.
Er hatte das Gefühl, diese Unterhaltung würde unangenehm werden, und die Dinge, die sie ansprechen würden, sollten unter ihnen bleiben.
Doch bis dahin sollte es noch eine Weile dauern.
Sie folgten den Spuren der Gemeinschaft, geleitet von Crabans wachsamen Blick, dem nicht der kleinste abgeknickte Grashalm entging.
Die Gefährten waren ihnen mittlerweile über zwei Wochen voraus, sodass Fußspuren in dem federnden Gras nicht mehr zu sehen waren.
Nein, sie verließen sich auf Hinweise wie die Überreste alter Lagerplätze, die etwas länger überdauerten, bevor die Natur ihre Ungezähmtheit zurückforderte und alle Anzeichen auf menschliche Wesen fortwischte.
Sie alle bezweifelten, dass Gandalf exakt den Weg gewählt hatte, den die Gemeinschaft in Bruchtal besprochen hatte- auf einer Reise gab es immer kleine Schwierigkeiten.
Doch Eonwe machte sich keine Sorgen, dass sie ihre Spur verlieren könnten.
Craban bewegte sich, als wäre er ein Teil des Landes, und auch die Zwillinge schienen nicht unerfahren in diesem Gebiet.
Sie waren zu Fuß unterwegs, da sie um jeden Preis vermeiden wollten, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Doch das beeinträchtigte sie kaum.
Da sie ausschließlich von Elben begleitet wurden, konnten sie in einem Tempo reisen, das kein Mensch oder Zwerg lange durchgehalten hätte.
Außerdem rasteten sie höchstens fünf Stunden pro Nacht, was ihnen ebenfalls Zeit sparte.
Auf diese Weise schafften sie es innerhalb einer weiteren Woche, die Bergkette des Nebelgebirges zu erreichen.
Sie waren den Spuren der Gemeinschaft bis in den Schatten der Berge gefolgt, dort, wo sich der Pass des Charadhras durch das Felsmassiv geschnitten hatte.
Hier verlor Craban das erste mal die Fährte.
Niemand wusste, welchen Weg Gandalf zur Überquerung des Gebirges gewählt hatte, ob er tatsächlich den Pass genommen hatte, oder ob es ein Täuschungsmanöver war.
Schließlich schickte der Elb Elladan und Elrohir als Späher aus, um die Umgebung abzusuchen.
Sie mussten so bald wie möglich auf irgendeinen Anhaltspunkt stoßen, bevor der Vorsprung der Gemeinschaft zu groß wurde.
Nun bahnten sich die drei Verbliebenen hintereinander einen Weg durch das Gestrüpp, das an den Hängen wucherte. Kümmerliche Fichten ragten zwischen ihnen auf und gaben gut Deckung.
Craban ging vorraus, gefolgt von Eonwe. Vadrion bildete die Nachhut.
Plötzlich hörten sie etwas - ein Knacken, das die Waldgeräusche störte.
Es näherte sich Jemand.
Eonwe und Vadrion hatten ihre Waffen schon halb gezogen, als der Elb ihnen Einhalt gebot.
"Das sind die Zwillinge," sagte er leise.
Die beiden Maiar, die sich in den letzten Wochen oft genug ein Bild von den umfassenden Fähigkeiten Crabans gemacht hatten, steckten die Klingen wieder weg.
Er behielt recht, woher er es auch immer gewusst hatte.
Kurz darauf tauchten die zwei jungen Elben aus dem Gebüsch aus und stellten sich vor ihnen auf.
Eonwe musterte sie genau.
Der erste stand breitbeinig da, hatte das Gewicht auf das linke Bein verlagert und eine Hand locker auf sein Schwert gelegt.
Das war Elladan.
Der zweite hatte die Beine nebeneinander und die Arme vor der Brust verschränkt - Elrohir.
Allein diese kleinen Angewohnheiten machten es Eonwe möglich, die beiden zu unterscheiden - sonst war es ihm beinahe unmöglich.
"Habt ihr etwas gefunden?," fragte Craban die zwei.
Elladan nickte. "Ja, aber etwas ist seltsam. Das solltest du dir ansehen."
Der Angesprochene runzelte die Stirn, folgte den beiden aber ohne Fragen zu stellen in die Büsche hinein.
Vadrion und Eonwe warfen sich einen kurzen Blick zu, taten es ihm dann aber gleich.
Nach etwa fünf Minuten erreichten sie eine kleine Lichtung.
Eine alte Feuerstelle war in ihrer Mitte zu sehen - es war ein Lagerplatz.
"Also sind sie tatsächlich über den Charadhras gegangen," schlussfolgerte Vadrion mit misstrauischem Blick auf die ansteigenden, schroffen Felsen zu ihrer Linken.
"Nicht unbedingt," kam es von Elladan.
"Es sieht aus, als wären sie zweimal hiergewesen," fügte Elrohir hinzu, "Was meinst du dazu, Craban?"
Dieser antwortete nicht.
Er hatte sich zu der Feuerstelle gekniet und zerrieb gerade ein altes Stückchen Kohle zwischen den Fingern. "Ihr habt recht. Sie waren zweimal hier, und zwar nicht in auffeinanderfolgenden Nächten, sondern im Abstand von zwei, drei Tagen." Er hob den Kopf und sah zu den Bergen hinauf. "So als hätten sie den Aufstieg versucht und wären dann wieder zurückgekommen."
"Sie sind aufgehalten worden? Wovon?", fragte Eonwe, mehr zu sich selbst. Die Entwicklung der Dinge beunruhigte ihn.
"Na ja, sie haben ein Pony dabei," meinte Elladan. "Und die Hobbits," fügte Elrohir hinzu, "Da reicht ein Sturm. Den kann man nicht in den Bergen aussitzen. Wenn man nicht erfiert, erschlägt einen der nächste Steinhagel."
"Er hat recht," erwiderte Craban, der mittlerweile aufgestanden war, "Aber Gandalf wäre nicht Gandalf, wenn er sich durch einen Sturm in die Knie zwingen ließe. Nein. Was immer sie vertrieben hat, war eine größere Macht."
"Welche anderen Wege gibt es, um die Berge zu überqueren?," fragte Eonwe angespannt.
"Nun, da gäbe es noch die Pforte von Rohan," meinte Elrohir. "Aber seit Sarumans Verrat wäre dieser Weg kaum sicher. Und wenn sie nicht über den Charadhras gegangen sind, bleibt nur noch ein Weg: durch die Minen von Moria."
"Dann ist das unser Weg?," kam es von Vadrion, der mit verschränkten Armen dastand.
"Nein!"
Die energische Weigerung stammte von keinem anderen als Craban.
Er zeigte mit dem Finger auf die Zwillinge. "Ich habe mich von euch nervtötenden Jungspunden schon in viel Verrücktes hineinziehen lassen, unter anderem in das hier! Aber nicht einmal ihr beide bringt mich in diese Minen! Ich bin vielleicht verrückt aber nicht lebensmüde!"
Für den eher schweigsamen Elben war das eine unerwartet heftige Aussage.
Elladan und Elrohir wechselten einen teils schuldbewussten, teils entsetzten Blick. "Welchen Weg sollen wir dann nehmen?", fragte Elladan schließlich drängend, "Doch den Charadhras?"
Der ältere Elb runzelte die Stirn.
So schnell sein plötzlicher Zorn gekommen war, so war er wieder verschwunden.
"Der östliche Eingang Morias liegt auf einer Höhe mit den Wäldern von Lothlorien, der Abstieg des Charadhras ist nicht sehr weit nördlich davon. Egal, welchen Weg wir nehmen, die Gemeinschaft wird mit Sicherheit dort gewesen sein, oder sie ist es vielleicht immer noch. Allerdings...wie können wir sicher sein, dass sich uns nicht das gleiche in den Weg stellt wie ihnen?"
Nun trat Eonwe einen Schritt nach vorn. Auch wenn sie, was Crabans Wissen über die Wildnis anging, ganz sicher nicht mithalten konnten, so war ihre Macht doch größer als es den Anschein erweckte.
Er war nicht ohne Grund der Herold Manwes.
"Wenn ihr einen Sturm fürchtet, kann ich euch beruhigen," sagte er fest und stolz, als der Herr der Maiar, der er war, "Die Winde werden sich nicht gegen uns wenden. Und auch jede andere Macht wird es gegen uns nicht leicht haben."
Die drei Elben hoben überrascht den Kopf. Es war, als wäre es ihnen erst jetzt aufgefallen, dass sie die Eskorte zweier Maiar von Valinor waren.
"Dann glaubt Ihr, uns beschützen zu können?", hakte Craban nach.
"Ich weiß es."
Ein erleichtertes Nicken seitens des Elbs.
Eonwe blickte zu den Bergen hinauf, deren schneebedeckte Gipfel herausfordernd auf sie herabgrinsten.
Sollte der Sturm nur kommen, welcher Art auch immer.
Er würde sie nicht aufhalten.
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