5. Tag

„Wann holt Tobi dich ab?", fragt Janine. Ich sage ihr das er in zwei Minuten da ist. Ich ziehe meine Schuhe an und schwinge meinen Rucksack auf den Rücken.
„Hab viel Spaß an deinem ersten Schultag und Verlauf dich nicht.", lacht Janine mich an. Ich bedanke mich und gehe raus, wo Tobi schon auf mich wartet. Ich setze mich vorne in sein Auto und bedanke mich auch bei ihm.
„Ach dafür nicht, wer soll dir denn sonst die Schule zeigen?", lächelt Tobi vor sich hin. Er fährt ein BMW und von innen sieht er noch luxuriöser aus als von außen. Ich glaube in genau so einem wurde ich mal vom roten Teppich abgeholt. Ich gucke mir all die Knöpfe und Tasten an.
„Aber so früh hätten wir auch nicht los fahren müssen.", raunt mir eine Stimme in den Nacken. Ich kenne diese Stimme. Ich schnelle nach hinten und sehe in Ozean blaue Augen. Verführerisch lächelt Jonas mir entgegen und ich verdrehe die Augen wieder nach vorne.
„Aber dann kann ich Faye in Ruhe die Schule zeigen und wir können noch einen Kaffee in der Mensa trinken.", erklärt Tobi.

Bei der Schule angekommen geht die Führung auch schon direkt los. Mir wird die Pausenhalle, die Sporthalle, der Sportplatz, der Pausenhof und die wichtigsten Klassenräume gezeigt. Am Ende gehen wir in die Mensa und holen uns ein Kaffee. Während der Führung ist Jonas einfach verschwunden und nicht wieder aufgetaucht.
„Na, meinst du, du findest dich hier zurecht? Oder soll ich dich später von deinem Klassenzimmer abholen?", fragt Tobi und leckt sich den Schaum von den Lippen. Tobi sieht wirklich gut aus und ich frage mich ob er eine Freundin hat.
„Nein alles gut ich bekomme das schon hin. Meine Schule in den USA war doppelt so groß.", lache ich und schlürfe meinen Kaffee. Tobi und ich Quatschen noch ein bisschen, bis ich aufstehe und ihm sage das ich mich noch ein bisschen auf den Unterricht vorbereiten möchte. Ich möchte eigentlich nur noch ein bisschen Kraft tanken bis der Stress los geht. Am besten kann man Kraft, im Musikraum tanken. Ich gehe in den ersten Raum der mir entgegen kommt und schaue mich ein bisschen darin um. Hier ist es schön, hier habe ich alles. Das Klavier in der Ecke hat es mir angetan. Ich stelle meinen Rucksack ab, hole mein Notizbuch hervor und setze mich an das schwarze Klavier. Langsam fange ich an meine Gedanken aufzuschreiben und eine Melodie zu finde, um den Worten einen Ausdruck zu verleihen.

Ich werde mit einer Melodie aus meinen Gedanken gerissen. Sie kommt mir wahnsinnig bekannt vor, bis ich merke das es meine ist. Aber es ist nicht irgendeine Melodie, es ist die Melodie, die nur Jonas gesehen hat. Ich stelle das Klavierspiel ein und horche den Tönen und den Gefühlen. Ich stehe langsam von meinem Platz auf und gehe an die Wand gegenüber, lege meinen Kopf gegen sie und mir stockt der Atem. Ein großer Schmerz macht sich in mir breit, die Tränen fallen mir nur so auf die Wangen.
„Faye? Was machst du denn hier?", schnell wische ich mir die Tränen von meinem Gesicht und drehe mich gezwungen, lächelnd zu Sarah um. Sie kommt zu mir und umarmt mich zur Begrüßung.
„Ich... ich habe mich nur umgeguckt." versuche ich mit meiner zitternden Stimme, Sarah davon zu überzeugen. Sarah dreht den Kopf zur Wand und mir wird klar das sie den Gesang bemerkt hat.
„Ist das Jonas? Ich wusste gar nicht das er Gefühle hat.", lacht sie: „Wir treffen uns vor und nach der Schule immer in dem Raum nebenan. Komm mit dann bist du nicht so alleine."
Sarah greift nach meiner Hand und zieht mich aus dem Raum, bevor ich etwas sagen kann.

„Du hast Gefühle? Das wusste ich ja gar nicht. Ist der Song für die Band? Denn dann fehlt uns tatsächlich noch eine Weibliche Stimme.", stürmt Sarah in den Raum und schmeißt ihren Rucksack in die Ecke.

Er sieht mich.
Mein Herz schlägt ohne Rücksicht auf Verluste.
Meine Beine werden schwach und ich laufe wie auf Wolken.
Dann bleibe ich stehen und warte...

Wir stehen einfach nur so da und gucken uns an. Jonas stellt die Gitarre wieder auf den Ständer ohne den Blick von mir zu nehmen. Sarah bemerkt davon gar nichts, sie wühlt irgendetwas aus ihrem Rucksack.
„Nein ich denke nicht das wir den Song benutzen können. Er gehört mir nicht...", da ist wieder die Panik die sich breit macht, ich versuche sie weg zu schlucken: „ich habe ihn im Internet gefunden.", beendet Jonas seinen Satz mit einer langen Pause. Die Panik wird durch Wut ersetzt. Jonas spielt mit mir, ich gehe weiter in den Raum und versuche ihm die Macht zu nehmen die er über mich hat. Was er kann, kann ich doch schon lange.
„Nein, der Song ist von mir. Wenn ihr möchtet könnt ihr ihn gerne haben.", lache ich Jonas entgegen, der mich nur entsetzt anguckt. Damit hat er wohl nicht gerechnet.
„Ich will keine langsamen Lieder spielen. Das macht uns schwach. Ich will nicht schwach sein...", fängt Jonas an zu Schrein. Alles ist leise. Sarah hat aufgehört in ihrer Tasche zu wühlen und hat sich zu uns umgedreht. Ich habe aufgehört zu atmen und ich gucke ihn nur erschrocken an. Jonas läuft an mir vorbei, aus dem Raum.
„Ich hole kurz meine Tasche aus dem Nebenzimmer. Ich komme gleiche wieder.", sage ich schnell damit ich Jonas noch einholen kann. In dem Flur des Zehnten Jahrgangs habe ich es geschafft mich ihm zu nähern.
„Ey bleib doch mal stehen. Du hast angefangen, das lasse ich doch nicht mit mir machen.", Jonas bleibt abrupt stehen und dreht sich in einem Schwung um. Ich laufe gegen ihn und er packt mich an den Armen. Es wirkt so als würde ich führ ihn gar nichts wiegen. Mit einem Ruck drückt er mich wieder ein Stück von ihm weg.
„Was willst du eigentlich von mir? Was soll das mit dem Song? Von wem singst du da? Ich habe so viele Fragen. Ich habe keine Luft mehr, Faye...", Jonas wird immer leiser und zieht mich immer mehr an sich heran: „ich falle und falle und falle und falle." wir sind uns so nah. Sein Schmerz zerreißt mich, meine Augen füllen sich wieder mit Tränen. Jonas stimme wird wieder wütend und sein griff wird immer fester. Er hört nicht auf mir zu sagen das er fällt und langsam bekomme ich Angst das er mir noch die Arme bricht. Ich will ihm seinen Schmerz nehmen, ich halte noch mehr Schmerz bestimmt aus.
„Verdammt...", rufe ich ohne nachzudenken: „küss mich."
Jonas hört auf in Panik zu verfallen. Stattdessen ist er jetzt ganz ruhig, fixiert mich und lässt sich das nicht zweimal sagen. Schlagartig treffen sich unsere Lippen und der ganze Schmerz in uns, teilt sich. Mein ganzer Körper kribbelt, so als würde er gleich explodieren. Meine Beine könnten jeden Moment den Geist aufgeben. Jonas hebt mich hoch und geht ein paar Schritte. Seine Zunge sucht sich eine weg zu meiner er drückt mich gegen die Wand und meine Beine Klammern sich um seine Hüfte. Jonas wandert zu meinem Hals und mir entwischt ein leises Stöhnen. Wir atmen schwer und unsere Lippen treffen sich wieder.
„Du machst mich verrückt, Prinzessin.", raunt er zwischen den Küssen hervor. Meine Arme liegen in seinem Nacken. Es ist wie ein Tanz zwischen uns. Ich will nie wieder etwas anderes machen.

Meine Droge.
Die schönste von allen.
Ich will dich für immer bei mir haben.
Klar denken, kann ich nicht mehr.
Mein Schmerz ist für immer wie weggeflogen.
Hör bitte nicht auf, niemals.

„Ich muss hier weg.", löst sich Jonas von meinen Lippen und lässt mich vorsichtig runter. Ich stehe eine Weile in diesem Flur bis mir bewusst wird was hier vor einigen Minuten noch gewesen ist. Er ist einfach gegangen, aber vielleicht war das auch richtig. Ich wollte mich auf meine Musik konzentrieren und einfach nur alleine einsam sein. Ein paar Mädchen kommen um die Ecke in meinem Gang, also stoße ich mich von der Wand ab und gehe meine Tasche aus dem Musikraum holen. Sarah ist immer noch in dem Nebenraum und Tobis stimme höre ich auch, dann muss ich nicht mehr rüber gehen. Ich gehe zu den Lehrerzimmern und stelle mich dort vor. Nach einem kleinen Gespräch gehe ich mit meiner Klassenlehrerin zu meinem Klassenraum. Wir treten ein und sie stellt mich der ganzen Klasse vor. Die Tische sind in langen Reihen aufgestellt.
„Okay Faye, dann setz dich doch gleich hier vorne hin.", zeigt die Lehrerin auf den Platz ganz vorne. Also gehe ich los.
„Entschuldigung? Könntest du vielleicht deine Tasche von dem Stuhl nehmen?", tippe ich den Typen an der mit seinem Kopf auf dem Tisch liegt und seine kapputze über dem Kopf gezogen hat.
„Was machst du denn hier? Du müsstest doch einen Jahrgang über mir sein und den Pullover hattest du eben auch noch nicht an.", fange ich an den Typen anzuschreien, der sich als Jonas herausstellt. Mit qualvollen Blick schaut er zu mir hoch und nimmt wortlos seine Tasche von meinem Stuhl. Ich reiße mich zusammen und setze mich neben ihn ohne weitere Fragen zu stellen, auf die ich sowieso keine Antwort bekomme.

Der Schultag dauerte Ewigkeiten. Immer wieder schießen mir die Bilder in mein Kopf, die Verzweiflung in Jonas Gesicht und die ewige Trauer. Die Wut und gleichzeitig diese unendliche Liebe in unserem Kuss. Wir wechseln kein Wort und kein Blick. Nach dem Unterricht springt Jonas von seinem Platz und geht in schnellem Schritt aus dem Klassenraum. Ich packe langsam meine Sachen zusammen und gehe Richtung Ausgang.
„Hey was macht ihr denn hier?", frage ich Tobi und Sarah, die schon aufgeregt auf mich warten.
„Janine hat uns gesagt das du noch Klamotten braucht und ich bin ehrlich Süße," mustert Sarah mich: „da muss ich ihr leider recht geben. Komm wir fahren in die Stadt, da holen wir dir was schönes."
Ich stimme zu und wir setzen uns in Tobis Auto.
„Wie war dein erster Schultag? Konnte Jonas dir ein bisschen im Unterricht helfen?", fragt Tobi mich als wir von dem Schulgrundstück runter düsen. Doch bevor ich etwas sagen kann meldet Sarah sich schon von hinten.
„Du meinst der Jonas, der letztes Jahr sitzen geblieben ist und selber Hilfe bräuchte? Ich denke das der genug mit seinen eigenen Problemen zu Kämpen hat, oder warum ist er kaum noch zuhause? Aber er redet ja auch nicht mit uns seid das mit seiner Mutter und seiner kleinen..."
„Hör auf Sarah. Er braucht vielleicht einfach nur Zeit und jetzt lassen wir das Thema bitte. Faye, Sarah hat mir von deinem Song erzählt, ich wusste gar nicht das du so Musikalisch bist. Und wir können den wirklich benutzen?", fragt Tobi mich und unterbricht Sarah. Shit, der Song. Mir wird grade wieder klar das ich mich heute morgen verraten habe. Was sage ich denn jetzt?
„Ähm, Ja... nee eigentlich ist der Song zu persönlich, ich kann euch aber gerne einen anderen geben. Der ist nur noch in Arbeit.", sage ich schnell ohne einen anderen Song in Arbeit zu haben. Wir fahren in das große Parkhaus und suchen einen Parkplatz.
„Aber wenn du Texte schreiben kannst, kannst du doch bestimmt auch singen oder immerhin ein Instrument spielen oder?", fragt mich Sarah während Tobi angestrengt in die enge Parklücke guckt in die er uns langsam rein manövriert.
„Ich spiele Klavier, Gitarre, Schlagzeug und natürlich die Triangel." lache ich und hoffe das Sarah mich nicht nochmal auf das Singen anspricht und ich hatte recht. Sie lacht los und Sarah zieht mich in das erste Geschäft. Als sie aufgeregt durch die Gänge streift und ein Teil nach dem anderen von den Ständern rupft stehe ich nur etwas überfordert neben Tobi.
„Hast du eigentlich einen Freund?", fragt Tobi mich von der Seite und ich lache los.
„Haha, Nein wie kommst du denn darauf?"
„Naja der Song sagt etwas anderes oder bist du einfach nur verliebt?", ich verstumme, da sind wieder die Bilder von heute Morgen, der Kuss und die Leidenschaft.
„Oh, das war nur aus meiner Fantasie gegriffen." versuche ich mich kurz und bündig aus dem Gespräch zu winden.
„Hast du eine Freundin?", frage ich nach einiger Zeit der Stille.
„Nein aber da ist grade so ein Mädchen, das ich ganz anziehend finde.", erzählt Tobi mir.
„Ach das ist doch schön, dann frag sie doch mal nach einem Date.", sage ich und Sarah kommt auf und zu gerannt. Sie legt mir einen Berg Klamotten auf die Arme und schiebt mich Richtung Umkleidekabine.

126,78 Euro Ärmer verlassen wir das Geschäft und gehen zum Auto. Tobi fährt mich nachhause und als ich zur Tür rein komme sehe ich schon die neugierigen Blicke von Janine.
„Modenschau, Modenschau.", schreit sie los und schickt mich auf mein Zimmer.
Ich stelle meinen Rucksack auf dem Schreibtisch Stuhl ab und ziehe mich um. Die Sachen sind wirklich schön und Sarah hat einen echt guten Geschmack. Ich musste ihr nur meine Lieblingsfarben geben und sie hat mir, wie eine Maschine, alles in die Hand gedrückt.
Ich trage eine schwarze Skinny Jeans, eine schwarze, lässige Bluse mit Goldenen, kleinen Knöpfen und schwarze Boots mit goldenen Akzenten. Noch ein bisschen Schmuck und mein Outfit ist perfekt.
„Oh wie schön. Das habt ihr aber toll ausgesucht. Dreh dich mal...", befiehlt Janine mir und ich drehe mich lachend um. Die Tür geht auf und Lena steht vor uns.
„Was soll das denn werden?", fragt sie pampig und schmeißt ihren Rucksack in die nächste Ecke. Lena geht in die Küche und holt sich ein Glas Zitronen Wasser aus dem Kühlschrank.
„Faye war heute mit Tobi und Sarah neue Klamotten kaufen und jetzt zeigt sie mir grade die Ausbeute.", lächelt Janine zu Lena rüber und versucht die Aktion mit dem Rucksack zu ignorieren. Lena lehnt sich an den Türrahmen und mustert mich von oben bis unten.
„Sieht Billig aus. Du solltest die Verkäuferin verklagen, ich würde sowas niemals anziehen.", und ohne nachzudenken lasse ich meine Emotionen los.
„Was ist eigentlich dein Problem, du kleine Diva. Es ist ja okay das du mich nicht magst, aber hab mal ein bisschen Respekt vor deiner Mutter, du hast nur eine. Und anstatt nur an mir rumzunörgeln könntest du auch mal deinen Scheiß Rucksack aus der Ecke holen und fein säuberlich in deinem Zimmer ablegen... wie jeder vernünftige Mensch.", normalerweise kann ich meine Gefühle gut zurück halten aber was ist das denn auch für eine verzogene Göre?
„Immerhin habe ich noch eine Mutter!", sagt Lena ruhig.
Stille.
Ich bin sprachlos, das tat weh. Ich gucke zu Janine und man merkt ihr die Überforderung an. Ich bekomme keine Luft mehr und mir schießen die Tränen in die Augen, also laufen ich in mein Zimmer damit man mir die Trauer nicht ansieht. Janine versucht mich aufzuhalten aber ich bin schneller. Unten hört man nur wie Lena rumschreit und Janine, wie sie verzweifelt versucht sie zu übertönen. Die Stimmen nähern sich und eine Tür knallt zu. Die Tür von Lenas Zimmer. Dann öffnet sich die Tür wieder und es wird weiter geschrien. Ich gucke aus dem Fenster, gucke übers Meer bis ich auf das kleine Häuschen im Garten blicke.
Ich versuche gleichmäßig zu atmen aber meine Gefühle sind so überwiegend, ich weine wie ein kleines Kind. Ich will einfach wieder zu meiner Grandma aber am liebsten würde ich zu meiner Mutter. Ich habe niemanden mehr.

Es wird dunkel und der Streit zwischen Janine und Lena hat vor über zwei Stunden aufgehört. Ich habe mich allmählich beruhigt und gehe langsam aus meinem Zimmer um mir etwas zu essen zu holen. Als ich die Treppe runter komme höre ich meinen Vater mit Janine diskutieren.
„Das geht überhaupt nicht, dass sie meine Tochter so runter macht. Sie ist schließlich nur ein Gast."
„Aber Faye ist auch deine Tochter, Michael. Du musst die mal kennenlernen und Zeit mit ihr verbringen. Sie ist noch ein ganzes Jahr hier und ich möchte ihr ein Zuhause bieten, schließlich hat sie grade ihre Mutter verloren.", versucht Janine meinen Vater zu beruhigen.
Ich höre noch einen Moment zu bis es mir reicht, dann gehe ich nach draußen in das Gästehaus. Was mein Vater gesagt hat passt zu dem Bild was ich von Anfang an im Kopf hatte. Wie kann man nur seine Familie verlassen um eine neue zu gründen? Lena hat scheinbar seinen Charakter übernommen. Sie sind beide Undankbar und Gemein.
Ich kontrolliere alle Räume und fange an auf dem Klavier zu klimpern.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top