Irkandir, der Tod
„Ich hasse dich! Seit unserer ersten Begegnung hasse ich dich! Du nahmst mich mir weg, nahmst mir meine Frau, nahmst mir meine Ehre! Ich kann nichts machen, kann mich noch nicht einmal vor den Bildern verschließen, die ungebremst auf mich zuströmen! Ich kann die Augen nicht schließen, ich kann meinen Mund nicht öffnen, ich kann mich nicht bewegen! Und daran bist allein du Schuld!", die Worte Irkandirs hallten in Mothruit nach, wie ein Echo.
Mothruit spürte eine warme Hand auf seinem Gesicht. Er fürchtete, dass Irkandir den Körper wieder zurückgewinnen konnte, doch nichts geschah. Qualvoll hob Mothruit die Augenlider ein ganz kleines Stück. Sie waren so schwer, wie Zentnersäcke. Über sich erkannte der Feuerschwanz eine dunkle, verschwommene Gestalt, die, als Mothruit sich aufrichten wollte, ihn sanft zurückdrückte. „Noch nicht", sagte eine tiefe Stimme, die Mothruit zu gut kannte. Nicodur.
Er strich erneut mit seinen gepanzerten Händen über das Gesicht und die Müdigkeit schwand. Trotz des Metalls spürte Mothruit die Wärme und die Zärtlichkeit, mit der Nicodur ihm begegnete. Die Schmerzen schienen ins Unendliche anzuschwellen. Während Mothruits Kopf pochte, spürte er im Bein einen stechenden Schmerz. Es war, als hätte jemand ihm das Schwert dort hineingerammt. Auch die rechte Hand von Irkandirs Körper tuckerte und als Mothruit den Blick darauf wendete, erkannte er, dass ein Finger fehlte.
„Was...?", fragte er, hatte Mühe auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. Nicodurs Gestalt nahm nun wieder einigermaßen Konturen an. „Nicht doch", sagte er leise. Mothruit spürte die rissigen Lippen, die angeschwollene Zunge dahinter. Er hatte kurz vorm Tod gestanden, mit diesem Schlag auf den Hinterkopf hätte er nicht ohne Magie weiterleben können. Mothruit nahm alle Kraft, die er um sich finden konnte, auf und setzte sich langsam auf. Obwohl er das Antlitz des Gottes nicht erkennen konnte, war er sich sicher, dass Nicodur lächelte.
„Wo...?", fragte Mothruit und ärgerte sich über sich selbst. Vor seinem Schöpfer redete man in ganzen Sätzen! „Du bist sicher im Quartier untergekommen. Du warst schon auf der Schwelle zum Tod, als sie dich fanden. Du hast dich ganz alleine durchgeschlagen. Bis ganz vorne. Bis dahin, wo es nicht mehr weiterging", sagte Nicodur und trat einen Schritt zurück. „Die Menschen... wo...?", fragte Mothruit und spürte, wie seine Lippe riss und sich dort ein Tropfen Blut sammelte. „Die Menschen flohen, weil die Götter verhandelten. Wir haben unter uns mit vielen Leben dafür gezahlt. Die Elfen sind dabei, die Menschen von ihrem Weg abzubringen und in den Moraldwald zu locken", erwiderte der Gott wieder. Eine Weile schwiegen beide.
Dann fügte Nicodur hinzu: „In jedem Heerlager, egal ob in dem der Menschen oder dem der Elfen, erzählt man sich nun von Irkandir, dem Tod. Jener Elf, der schnell ist wie ein Adler, klug wie eine Spinne und geduldig wie ein Wolf ist."
Bei diesen Worten musste Mothruit trotz allen Schmerzen lächeln. „Sobald es dir wieder gut geht, werden wir gehen. Wir müssen zurück zum Elfenwald. Dort müssen wir Bericht erstatten", sagte Nicodur, nun wieder todernst. Mothruit nickte bemüht, dann wandte sich der Gott mit einem letzten Blick auf ihn ab, entfernte sich, wurde durchscheinend und verschwand schließlich ganz.
~
Als der kleine Trupp, der bei dem Überfall auf die Menschen überlebt hatte, im Moraldwald ankam, kamen ihnen Jubelschreie entgegen. Nachdem die Elfen, die daheim geblieben waren, aber bemerkt hatten, wie wenige von ihnen heimkamen, verebbten die Rufe.
„So wenige", sagte eine Elfenfrau, die ihr Baby im Arm hielt. „So wenige kehrrn heim. Wo ist mein Mann? Wo ist Thruinyr?", fragte sie und begann zu weinen. Eine andere Elfe nahm sie in den Arm, aber sie starrte Mothruit mit ihren blauen Augen an und er senkte den Blick. Hunderte von geschockten, hoffnungslosen Blicken folgten ihnen.
Auch Jimday war in Mussling gestorben. Die wenigen Elfen hatten seinen Leichnam geborgen und ihn mitgenommen. Trauernde Elfen sahnen ihnen nach, schmerzverzerrte Gesichter der Krieger, die Jimday auf der letzten Reise begleiteten, folgten ihnen. Für diesen Sieg hatten sie mit vielen Verlusten zahlen müssen.
Vor dem Palast wartete Rathrankar auf sie. Gekleidet in ein dunkelblaues Gewand, die dunklen Haare sorgfältig nach hinten gekämmt. Mothruit starrte Rathrankar verächtlich an. Er gab sich keine Mühe, der Hofetikette zu folgen. Allein schon die Art, wie Rathrankar stehen blieb und ungerührt geradeaus starrte, als sie stehen blieben, löste in Mothruit einen kalten Zorn aus, der sich kaum beherrschen ließ.
„Wo ist der Rest?", fragte Rathrankar kühl, „Wo ist Jimday?" Mothruit blickte zurück zu Ghloriel und sie trat vor. Ihre schwarzen Haare waren auf Kinnlänge geschnitten. „Er ist gefallen", sagte sie, als sie bei Rathrankar und Mothruit angekommen war. „Er hielt seinen Posten, bis zuletzt", setzte sie hinzu. Endlich fiel nun Rathrankars Maske und er blickte bestürzt auf die Gestalt zu seinen Füßen. Von Jimdays einstiger Pracht war nichts mehr zu sehen. Trotz den Mühen, ihn zu säubern, hatte er blutverklebtes Haar. Der silbrige Glanz, der eigentlich seine Haare geziert hatte, war verschwunden. Sein Gewand war zerrissen gewesen, die Elfen hatten es ausgetauscht.
„Er war mir ein guter Feldherr", sagte Rathrankar in Gedanken versunken, dann sah er auf und sagte: „Ich sehe dich vor mir, Irkandir. Anscheinend bist du würdig, einer meiner Feldherren zu sein. Ghloriel, was zeichnet Irkandir als Krieger aus?" Ghloriel legte den Kopf schief und erwiderte: „Unter den Feinden nennt man ihn ehrfürchtig Irkandir, der Tod."
„Irkandir, der Tod, so sollst du heißen! Ich bin stolz, dich als meinen Feldherren zu besitzen. Doch es ist uns keine Pause vergönnt, wir müssen wir weiterplanen. Der Wille der Götter spaltet sich nun. Wir werden mächtige Feinde haben. Und doch müssen wir die feindlcihe Streitmacht zum Fluss locken, um zu siegen", sagte Rathrankar und führte Mothruit und Ghloriel in den Palast.
Um den Spieltisch waren die anderen Feldherren postiert. Ihre Krieger aber dieses Mal nicht. Auf einen Wink des Elfenkönigs schlossen sich die Türen und Stille verbreitete sich.
„Was geschieht nun mit Jimday? Er war Euch stets ein guter Berater", sagte Ghloriel schließlich. Alle Blicke legten sich auf Rathrankar. Dieser schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und sagte: „Natürlich! Wir werden auf ihn trinken! Noch an diesem Abend! Darauf, dass er nie von seinem Posten wich! Ich selbst werde mich dafür einsetzen, dass man ihn so bestatten wird, wie es für einen Feldherrn üblich ist. Heute Abend gibt es Wein für alle."
Obwohl Rathrankar schuldbewusst wirkte, sagten seine Augen etwas anderes. Er wollte jetzt beraten, jetzt Krieg führen. Er wollte nicht Jimday bestatten. Der Feldherr war ihm nun gleichgültig. Für Rathrankar war es wichtig, dass Jimday seinen Lebenszweck erfüllt hatte. Und dies hatte er. Jimday hatte Rathrankar immer gedient und beraten. Er hatte für ihn gemordet und Schlachten geführt. Doch für Rathrankar war es gleichgültig, ob Jimday jetzt noch lebte oder gestorben war. Er bedauerte seinen Tod nicht. Für Rathrankar gab es nur eines: die Herrschaft.
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