Hullandur
Rathrankar setzte sich auf seinen Thron und stand doch wieder auf. Unruhig lief er durch seinen Thronsaal, wie ein in die Enge getriebenes Tier. Immer wieder musterte er den Dorn, den er verzaubert hatte. Eben dieser Dorn, den er da in der Hand hielt, war der, mit dem er Irkandir an sich gekettet hatte. Rathrankar war der junge Elf unheimlich. Als der Elfenkönig ihn mit magischen Sinnen gemustert hatte, hatte er zwei Geister in dem Kopf Irkandirs gesehen. Rathrankar schloss daraus, dass dem Elf irgendetwas Schlimmes passiert war, dass sich sein Geist in zwei Hälften geteilt hatte. Es sprach gegen die Natur, dass ein Elf zwei Geister besaß. Aber Rathrankar hatte keine Ahnung, was es sonst bedeuten könnte.
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Irkandirs Körper stand vor dem Spiegel und starrte kritisch in die blanke Oberfläche. Mothruits Begeisterung spiegelte sich in den Zügen wieder. In seinen Zügen! Es war sein Körper, Irkandirs Körper! Und doch gehorchte dieser dem Feuerschwanz mehr als seinem eigentlichen Besitzer.
Mothruit hatte seit Tagen erbarmungslos die Kontrolle an sich gerissen. Irkandir hatte keine Chance, Mothruit zu vertreiben. Ganz im Gegenteil: je mehr er gegen das Biest in sich ankämpfte, desto stärker wurde es. Es war hoffnungslos und Irkandir war kurz davor, durchzudrehen.
Er konnte seine Augen nicht schließen, um den blutigen Taten Mothruits zu entgehen. Er konnte sein Gehör nicht verschließen, wenn die Todesschreie in die Luft hallten oder wenn Mothruit in Irkandirs Gestalt gelobt wurde. Irkandir konnte dem Geruch nicht entkommen, konnte den Schmerz in seinen Gliedern nicht ignorieren. Das einzige, was er konnte, war, Mothruit seine Gedanken zu verheimlichen. Er konnte fluchen, schreien, weinen. All das bekam der Feuerschwanz nicht mit, wenn Irkandir es nicht wollte.
Nach einer Weile des Betrachtens drehte Mothruit sich um und ging in Irkandirs Gestalt auf den Markt zu. Schon wenige Herzschläge nach Betreten des großen Platzes, fand sich Mothruit unter Elfen wieder. Überall liefen sie entlang, klauten anderen ihrer Art die silbernen Münzen mit dem Gesicht Rathrankars, verhandelten mit den Verkäufern, stritten sich um die letzten angepriesenen Waren oder ließen Gegenstände mitgehen.
Mothruit stellte sich auf die Zehenspitzen und blickte über das geschäftige Treiben der Elfen hinweg. Schnell fand er, wonach er suchte. Mit langen Schritten näherte er sich dem Teil des Marktes, auf dem Tiere verkauft wurden. Von angeblich glücksbringenden Vögeln zu Kühen und Ziegen. Auch einige abgemagerte Hunde wurden verkauft, jaulend und hechelnd zerrten sie an den eisernen Ketten, die sie angebunden hielten.
Mothruit suchte einen Pferdehändler auf und begutachtete dessen Pferde. Allesamt waren sie alte, verkrüppelte Dinger. Irkandir hörte ihn resigniert seufzen, aber letztendlich ging der Feuerschwanz auf den Elfen, der die Rappen verkaufte, zu. Der Knabe war vielleicht einmal zwei Jahrzehnte alt, seine Augen wirkten kindisch, der Mund zu einem spitzbübischen Lächeln verzogen.
„Pferde! Pferde zu einem kleinen Preis zu verkaufen, holt sie euch, so lange ich welche habe!", rief er und zuckte zusammen, als Mothruit unmittelbar vor ihm stand. „Wie viel?", fragte der Feuerschwanz und deutete auf ein schwarzes Ross. Das Tier sah nicht allzu krank aus, den Kopf stolz erhoben. „Oh", erwiderte der Junge lächelnd, ging zu dem Pferd und tätschelte dessen Hals. „Ein ganz braves Pferdchen, er ist..."
„Wie viel?", unterbrach Mothruit ihn ungeduldig. Ein wenig beleidigt kam der Elf zurück. Fordernd streckte er seine Hand aus. Mothruit ließ ein paar Bronzemünzen hineinfallen. Die Hand blieb weiterhin offen. „Große Göttin, dann eben alles!", knurrte der Feuerschwanz. Irkandir hörte dutzende von Flüchen in Mothruits Gedanken. Als die rußverschmierte Hand des Jungen gefüllt war, ließ er die Münzen in einen Beutel fallen und band das Pferd ab. Mothruit wandte sich ohne ein weiteres Wort ab, schwang sich auf den Rücken des Pferdes und schlug den Weg zur ersten Stadt ein.
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Eine lange Pflastersteinstraße zog sich durch die Ansiedlung. Ganz in Weiß gekleidete Häuser schmeichelten das Auge des Betrachters. Ihre Dächer waren purpurrot gefärbt. An den Wänden der Häuser klemmten Fackeln in deren Halterungen, aber keine Rauchspuren verunzierten die makellosen Wände. An jedem der Bauwerke war ein Schild angebracht. Ein Schild, das zeigte, welcher Elf in welchem Haus wohnte. Und nicht nur der Name des Elfen war dort angebracht, sondern auch der besonderste Ahne seiner Sippe. Irkandir kannte jeden der alten, schon längst verstorbenen Elfen. Es fing an bei Vynil und ging bis hin zu Fraeburn, der bei den Menschen untergetaucht war, und deren Schwächen ausspioniert hatte.
„Wo ist der Stadtälteste?", fragte Mothruit. Die Stimme Irkandirs klang blechern unter dem Helm, den der Feuerschwanz ebenfalls auf dem Markt gekauft hatte. Ein Elf mit weißen Haaren und blauen Augen sah ihn erschrocken an und deutete dann wortlos die Straße weiter hinab. Mothruit folgte dessen Blick und Irkandir erkannte ein großes Gebäude, noch eindrucksvoller als die Häuser.
Unten angekommen öffnete der Feuerschwanz die große, weißgestrichene Holztür und trat ein. Weißer Marmorboden erinnerte an den Thronsaal Rathrankars. Zu den Seiten waren hellleuchtende Steine in die Wände eingelassen und die Decke bestand aus Glas, sodass man in den hellen Mittagshimmel sehen konnte. In dem Raum war eine lange Tafel aufgebaut, an deren Seiten unzählige Stühle standen.
Mothruit wartete und nahm den Helm ab. Nach wenigen Minuten betrat ein Elf den Saal. Dieser hatte blondes Haar und dunkle, fast schwarze Augen. Er trug ein Jagdkleid und einen Bogen auf dem Rücken. „Willkommen in Hullandur, der weißen Stadt der Elfen. Mein Name ist Ralyander, ich bin der Stadtälteste hier. Meine Ahnin ist Shalyra. Sie ließ sich hier für kurze Zeit nieder", sagte Ralyander. Seine Stimme klang hell, freundlich und seine Augen glänzten unschuldig. Mothruit gab Ralyander wortlos den Brief von Rathrankar, in dem der Elfenkönig geschrieben hate, dass Hullandur all seine Krieger entbehren sollte. Ralyander nahm den Brief entgegen, brach das Siegel entzwei und begann zu lesen. Ab und zu sah er prüfend über den Rand des Papiers in Irkandirs Gesicht, dann rollte er das Schriftstück zusammen, nickte und sagte: „Ich verstehe. Dennoch möchte ich gerne wissen, wer Ihr seid."
Irkandirs Lippen verformten sich zu einem Lächeln und Mothruit sagte: „Ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin Irkandir. Ich bin im Auftrag des Königs Rathrankar hier. Er erhob mich zum siebenten Feldherren und ich suche Krieger aus allen Städten. Alle, die ihr uns geben könnt, werden mit mir kommen müssen." Ralyander lächelte und erwiderte: „Ich könnte dir neunhundert Krieger geben, leider keine allzu große Zahl und Ihr müsstet sie ausrüsten. Die letzten Jahre waren rar, wir hatten kaum Einnahmen. Aber trotzdem sind es gute Krieger." Mothruit erwiderte sein Lächeln. „Das werden wir sehen", sagte er dann und trat wieder hinaus ins Freie.
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