Götterversammlung
Als Mothruit gelandet war und Areen von seinem Rücken gestiegen war, verwandelte sich der Feuerschwanz wieder in die Gestalt Irkandirs. Er wusste selber nicht, warum er Areen auf sich hatte reiten lassen. Es war einfach so passiert, er hatte nichts dagegen tun können. Den ganzen Flug über hatte er Areens kraftvollen Herzschlag gehört, hatte ihren warmen Körper auf sich gespürt. Er war von ihrer Begeisterung ergriffen gewesen. Viel zu schnell war der Flug gewesen, er hätte noch um Stunden später wieder landen können.
Mothruit selbst hatte das Fliegen vermisst. Die Nähe zum Himmel machte süchtig, sie war fast wie eine Droge. Der Wind im Gesicht und am Körper war mit seiner Rauheit schön. Der Blick von oben auf die zu Füßen liegende Welt war faszinierend, viel mehr schätzte Mothruit diesen Anblick nun, seit er sich als Irkandir ausgab.
Navèst hatte dem Feuerschwanz versichert, dass Areen ihn nicht verraten würde. Er müsste der Göttin vertrauen. Navèst hatte ihm erzählt, dass sie an Areen ablesen konnte, wie verliebt sie in ihn war. Sie liebte ihn als Irkandir und sie liebte ihn, wenn er Mothruit, der Feuerschwanz, das brutale Monster war.
Er wusste nicht, was er fühlen sollte. Sein Empfinden ihr gegenüber war aufs Höchste verwirrt. Er wollte sie, er brauchte sie, aber gleichzeitig wusste er, dass diese Liebe kein gutes Ende nehmen würde. Eine Elfe und ein Feuerschwanz, es konnte keine gemeinsame Zukunft für sie geben. Aber sollte er es trotzdem versuchen? Sollte er es wagen, die Zeit nutzen, die ihm mit Areen blieb? Oder sollte er sie kühl zurückweisen, damit der Schmerz am Ende nicht allzu groß war?
Navèst holte ihn aus seinen Tagträumen zurück. Eine Lösung musste er später finden, jetzt sollte er erstmals ins Elfenreich zurückkehren.
Auf einen Wink der Göttin öffnete sich das Tor und die drei traten in den Thronsaal Rathrankars. Mothruit mochte Navèst, was er aber nicht verstand, war, warum sie Rathrankar nicht einfach selbst stürzte. Mothruit nahm an, dass sie Angst hatte. Angst davor, dass sich ihre Kinder gegen sie wanden. Er seufzte. Die Machtspiele waren einfach zu kompliziert.
Der Elfenkönig schritt im Sonnenlicht auf sie zu. Mothruit starrte ihn angeekelt an. Obwohl Rathrankar ohne jeden Makel war, sah er in Mothruits Augen alles andere als schön aus. All die Vorurteile, die der Feuerschwanz gegen die Elfen hatte, vereinte Rathrankar: Stolz, Überheblichkeit und Eitelkeit. Hinter ihnen schloss sich das Tor und Mothruit fühlte sich plötzlich eingesperrt.
„Hattet ihr Erfolg?", fragte Rathrankar und musterte die drei durch zusammengepresste Augen. Areen nickte und Mothruit sagte: „Wir haben uns lange in Mussling aufgehalten, mein Herr. König Henry besitzt viele Truppen. Die Gerüchte stimmen. Auf einen Elfen kommen zehn Menschen. Doch ohne den König ist das Volk aufgeschmissen." Mothruit erinnerte sich an die Aufruhe am letzten Tag in Musling.
Rathrankar lächelte unheilgebietend. „Dann werden wir einen kleinen Unfall simulieren. Vielleicht eine kleine Entführung des Königs...", antwortete er. Mothruit spürte, wie ihn eine Gänsehaut überkam. Die Art, wie Rathrankar die Worte wählte und aussprach, ließ ihn frösteln. Der Elfenkönig wandte sich an die Göttin. „Navèst, seid Ihr uns im Krieg gegen die Menschen eine Unterstützung?", fragte Rathrankar. Navèst wiegte den Kopf und sagte dann mit ihrer rollenden, tiefen Frauenstimme: „Natürlich, werde ich, mein kleiner König, euch unterstützen. Dennoch werde ich auch meine Geschwister rufen, aber es werden sich auch viele gegen uns wenden. Jeder von meiner Art erschuf ein Volk, egal ob Menschen, Kobolde, Elfen oder Zwerge. Und jeder wird zu seinem Volk stehen, es wird ein blutiger Kampf."
Rathrankars Mundwinkel zuckten, anscheinend mochte er es nicht, ‚kleiner König' genannt zu werden. „Dann ruft sie zusammen, Eure Geschwister. Wir brauchen sie. Zehn Menschen auf einen Elf. Und wir haben eine Streitmacht von achttausend Soldaten! Vielleicht nimmt Henry das fehlerhafte Friedensangebot doch an, vergisst die drohende Gefahr und wir können die Menschen überrennen", sagte er dann in Gedanken versunken.
~
Navèst trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, während sie das Tor in die Götterwelt öffnete. Endlich wuchs ein tiefroter Bogen aus dem Grund und sie trat über einen schwarzen Pfad ins Jenseits. Neben dem silbernen Weg lag eine Dunkelheit, die einen verschlang, wenn man sie berührte. Man würde darin untergehen, wie ein Schiff mit einem Leck auf See. Navèst atmete erleichtert auf, als sie die andere Welt betrat. Die geheimen, magischen Pfade waren gefährlich und gerade deswegen so verlockend. Neben den Wegen durch das Nichts lag eine so unermessliche Macht, die nur dort existieren konnte, weil sie sonst alles Leben aus den Lebewesen der Erde ziehe würde. Und genauso mächtig wie das Nichts um den Pfad, war die Götterwelt.
Ein Fluss schlängelte sich an der Wand vorüber, die zwar unsichtbar war, aber dennoch niemand zu durchbrechen vermochte. Das Gras unter Navèsts Stiefeln war von Tau überzogen, der Himmel stand still. Wolken waren vor der Sonne, sie zogen nicht weiter. Hier gab es keine Zeit. Navèst, die diesen Ort mit erschaffen hatte, wusste selbst nicht, ob die Zeit hier still stand, oder aber so schnell verging, dass man es nicht merkte.
Navèst trat in die Mitte dieses Ortes und hob die Arme. Dann fing sie an, leise jenes Lied zu singen. Als sie endete, öffneten sich unzählige Tore, durch die ihre Geschwister traten. Jeder von ihnen hatte sich am Anfang seines Lebens eine Gestalt erwählt, die er sein Leben lang trug. Und jede Gestalt war individuell.
Ihr Bruder, der mit ihr die Elfen erschaffen hatte, hatte zum Beispiel die Gestalt eines schwarzen Engels angenommen. Er trug dunkles Haar, ein mit Ruß verschmiertes Gesicht, schwarze Schwingen und ein schwarzes Gewand. Dunkle Hörner stießen teufelsgleich aus dessen Stirn. Navèsts anderer Bruder aber besaß das Haupt eines Adlers und trug eine silberne, schillernde Rüstung. So unterschiedlich ihre Gestalten waren, so unterschiedlich waren auch ihre Charaktere. Von der stets zickigen, vorlauten Skyráe, bis hin zu dem stillen, nachdenklichen Nicodur.
Als alle Götter eingetroffen waren, senkte Navèst das Haupt kniete ehrerbietig nieder. Dann begann sie mit lauter Stimme zu erzählen. Von Rathrankar, dem Duell zwischen Mothruit und Irkandir und vom bevorstehenden Krieg. Niemand unterbrach sie, niemand stellte Fragen. Es war eine nie niedergschriebene Regel, zu schweigen, wenn der Grund für die Götterversammlung erklärt wurde.
Als Navèst endete, starrten sie einige ihrer Schwestern und Brüder feindselig an, doch die andere Hälfte zeigte sich verständnisvoll. Plötzlich begannen einige ihrer Geschwister laut Fragen zu stellen und ihre Meinung zu vertreten. Schnell begann der Streit zu eskalieren und wurde handgreiflich. Es lag in der Natur der Götter, nur eine Meinung zu besitzen. Sie waren entweder für eine Sache, oder gegen sie. Und sie würden alles machen, um ihre Meinung durchzusetzen.
Götter begannen, Magie zu weben und Navèst entdeckte Skyráe unter diesen. Die Elfengöttin hatte diese eine ihrer Schwester noch nie gemocht. Sie besaß ein Haupt aus Schlangen, doch das war es nicht, was Navèst an ihr nicht ausstand. Skyráe mischte sich überall ein und dachte, dass es nur mit Gewalt eine Lösung geben würde.
Navèst stand mitten im Getümmel. Es tat ihr Leid, dass sich wegen den Elfen ein Krieg unter den Göttern ausbreitete. Aber sie musste ihren Kindern beistehen!
„Halt", sagte sie leise, legte Magie in ihre Stimme, dass sie trotz des leise Sprechens alle erreichte. Die aufgeregten Stimmen verstummten und Navèsts Geschwister blickten sie an. Obwohl alle Götter die gleiche, unermessliche Macht hatten, besaß der Gott, der das Treffen einberufen hatte, immer die Oberhand.
„Ich weiß, es wird unter uns einen Krieg geben, aber sind wir Götter nicht verpflichtet, unseren Kindern beizustehen? Sind wir nicht dazu verpflichtet, die Welt so zu lenken, dass sie unseren Geschöpften gut angepasst ist?", fragte sie und erntete Schweigen. „Wir werden unter uns nie Frieden finden. Unsere Völker sind zu verschieden, und wenn zwischen ihnen Streit ausbricht, so müssen wir sie unterstützen. Wir können sie nicht einfach gewähren lassen, es ist unsere Aufgabe, über sie zu richten", fuhr sie fort. „Ach lass uns doch einfach!", zischte Skyráe, „lassen wir sie doch einfach! Wir werden sehen, der Sieger der Schlacht ist das mächtigere Volk!"
„Willst du den Menschen wirklich einfach den Tod überlassen? All jenen, die du schöpftest? Willst du sie einfach fallen lassen wie ein abgenutztes Spielzeug?", fragte Navèst kalt. Skyráe schwieg und öffnete den Mund, doch einer ihrer Bruder sagte an ihrer Stelle: „Was ist dein Vorschlag, Navèst? Jahrhundertelanger Krieg? Ich verstehe dich, doch finde ich, dass es dämlich ist, ständig Krieg zu führen. Wo soll das hinführen? Menschen werden nicht wiedergeboren!" Er blickte Navèst mit harten, schwarzen Augen an. Diese atmete einmal tief durch, dann erwiderte sie: „Der Elfenkönig Rathrankar ist ein schlechter Herrscher. Er schrieb dem Menschenkönig Henry einen Brief, in dem er ein Friedensangebot erläutert hat. Doch er meint dieses nicht ernst. Er will, dass sich Henry in Sicherheit wähnt, und dann will Rathrankar angreifen. Sein Geist ist nun schon zu lange an der Macht. Er wurde verdorben. Ich schlage vor, dass wir Rathrankar stürzen."
Ihre Geschwister protestierten laut, andere stimmten schüchtern zu. „Aber dann verlieren wir unser Gesicht!", rief jene Göttin, die ebenfalls für die Elfen zuständig war. „Ich weiß", wisperte Navèst. „Und darum müssen wir es jemand anderen tun lassen. Ich habe schon jenen besagten gefunden. Er ist wild, und es ist ihm nur Recht, den Elfenkönig zu stürzen. Jener will sich niemandem unterwerfen, er will frei sein", sagte sie. Der Lärm verstummte. Nicodur sah sie misstrauisch an. „Von wem sprichst du?", fragte er. Sie atmete nochmals tief ein, dann entgegnete sie: „Mothruit."
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