Die zweite Chance

Fassungslos blickte Irkandir Flonella an. Er war kein wildes Tier! Auch wenn er sich in letzter Zeit zurückgezogen hatte, war er immer noch kein Wolf. Irkandir war in jenem Haus gewesen, in dem sich Manalin von ihm getrennt hatte. Er hatte dort über sich nachgedacht, hatte überlegt, wie und wann er sich wieder unter Elfen zeigen konnte. Wie er sich vor dem Hofstaat behaupten konnte, sie waren sicher aufgebracht über das Verschwinden von Manalin. 

Flonella beugte sich hinab zu Helburi und legte eine Blume an seinen Körper. Dann griff sie nach der nächsten Rose und legte auch sie neben ihren Geliebtem. Irkandir sah ihr schweigend zu, bis sie Helburi vollständig mit Blumen bestattet hatte. Der schwere Duft der Blüten machte Irkandir benommen und setzte sich in seiner Nase fest. Flonella krümmte sich vor Schmerz und gab Helburi einen letzten Kuss, ehe sie sich aufraffte und zu Irkandir sagte: „Mir wurde der Auftrag erteilt, dich mit an Hof zu nehmen. Wirst du nun mitkommen, ohne mich zu töten?" Sie ließ wieder die langen Stahlklingen aus deren Schienen fahren, aber Irkandir winkte ab. 

Flonella griff nach seinen Handgelenken und band sie mit einem Seil straff aneinander. Er biss sich auf die Zähne, als das raue Tau ihm in die Haut schnitt. Aber auf keinen Fall würde er jammern. Als Flonella auch seine Beine fesselte, leistete er für einen kurzen Moment Widerstand, aber letztendlich gab er nach. Er verstand, dass sie sicher sein wollte, dass er ihr nicht davonlief. Grob wuchtete sie ihn auf den Rücken und begann, den Weg zurück zur Festung Rathrankars einzuschlagen.

Irkandir döste in ihren starken Armen ein. Er träumte, wie er selbst sich zu einem rasenden Monster verwandelte, eine Mischung aus Feuerschwanz und Elf. Er träumte, wie er Elfen mordete. Wie es ihm Spaß machte und wie er dann seine Opfer verschlang. Er träumte, wie sich die Geister der Toten erhoben und eine Armee bildeten, angeführt von der Seele Manalins. Er träumte, wie sie ihre kalten Finger nach ihm ausstreckten und er endlich seine gerechte Strafe erhielt.

~

Nach neun Tagen hatte Flonella den Königshof erreicht und ließ Irkandir vom Rücken gleiten. Erleichtert streckte sie sich. All ihre Knochen schmerzten, ihr Rücken war krumm. Sie hob ihr Kinn und rief: „Rathrankar, ich rufe Euch! Ihr habt mir Ruhm versprochen, wenn ich den Elfenkrieger fasse! Ich zahlte mit Verlusten dafür und nun ich kehrte heim! Wo seid Ihr?" Ungeduldig tat sie mehrere Schritte, bis sich der Torflügel zum Königshof öffnete und eisiger Wind durch den Innenhof fegte. Rathrankar stand mit kalter Miene und in goldenem Gewand vor ihnen und musterte sie. „Wo ist der Rest?", fragte er kühl. 

„Ich sagte Euch, ich habe mit Verlusten gezahlt!", entgegnete Flonella ebenso kühl. „Mir kommt es so vor, dass du Myvur schon auf dem Weg niedergestochen hast und Helburi vergiftet hast, um den Ruhm alleine einzustecken", entgegnete der Elfenkönig barsch. Flonella mahlte mit den Zähnen und zog die Augenbrauen zusammen: „Es ist anders als Ihr denkt! Myvur wurde mit einem durch einen Schwerthieb getötet und Helburi kam durch einen Zauber ums Leben!" Ihr zorniger Blick wanderte zu Irkandir, aber der König schenkte ihm immer noch keine Beachtung. „Ich werde dir keinen Ruhm austeilen, Flonella! Denkst du, ich würde dein Spiel nicht durchschauen? Denkst du, du würdest am Mord deiner Gefährten Unschuld haben? Wachen! Nehmt die Betrügerin fest! Und foltert sie, bis sie mit der Wahrheit ausrückt!", befahl Rathrankar. 

Flonella sah sich panisch um. Sie hätte schreien können! Warum war sie nicht schon früher auf das gottlose Spiel Rathrankars hereingefallen? Sie hätte es doch ahnen müssen, als er ihnen den Preis für das Gelingen der Mission sagte. Er war viel zu hoch gewesen! „Ein Karren voll Gold..." 

Flonella ballte ihre Fäuste und die Krallen kamen zum Vorschein. Doch Rathrankar wob Magie und die Messer färbten sich schwarz, bevor sie abfielen. Fassungslos starrte Flonella auf den Aschenhaufen vor ihr, dann schlug einer der Wachen in ihren Bauch und sie krümmte sich. Sie wurde gepackt und in den Palast gezerrt. Sie schrie nicht, sie sagte nichts. Stumm wehrte sie sich gegen die Wachen, aber sie hatte keine Chance. 

„Kommen wir nun zu dir, Irkandir! Du hast mir schon damals Unglück gebracht, als du schon geboren warst. Dann kamst du wieder, als Besieger des Feuerschwanzes! Und nun wanderst du als freier Elf in meinen Wäldern umher und immer mehr Elfen spionieren dir nach! Sie sehen in dir jenen Elf, der es vermag, mich zu stürzen!", sagte Rathrankar. Irkandir entgegnete nichts. Stumm funkelte er ihn an. Rathrankars Mundwinkel hoben sich. Es sah aus, als wolle er lächeln, aber Irkandir erinnerte es eher an eine Grimasse. 

„Ich hörte aber auch von deinen Kampffähigkeiten und somit beschloss ich, dir eine zweite Chance zu geben. Solltest du sie ablehnen, wirst du gehängt. So frage ich dich, willst du zu einem meiner Feldherren werden, im Krieg gegen die Menschen?", fragte der Elfenkönig. Er trat näher musterte Irkandir. Zu gern hätte dieser dem Elfenkönig ins Gesicht geschlagen, aber die Fesseln verhinderten jegliche Bewegung. „Da siehst du mal, wie weit du ohne meine Hilfe kommst. Du bist nichts weiter, als ein regungsloser Wurm im Dreck, Liebes", meldete sich Mothruit. 

Irkandir schrie innerlich wütend auf und spuckte vor des Königs Füße. „Das ist meine Antwort, Mistkerl!", zischte er. Was für eine Wut in ihm loderte! Wäre Rathrankar nicht, wäre Irkandir niemals zu Mothruits Maske geworden und Manalin wäre nicht gestorben. Sie hätten ein glückliches Leben geführt!

Rathrankars Augen verengten sich. „Bastard!", fauchte er und erneut kamen die Wachen und schleiften nun auch Irkandir in den Kerker.


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