Die Versammlung

‚Bitte!', flehte Irkandir. ‚Geh wieder zurück zu Manalin. Ich will nicht riskieren, wegen dir mein gerade erobertes Ansehen zu verlieren!' Mothruit lachte. „Ich weiß ganz genau, dass du mich loswerden willst, Liebes. Sag's doch", antwortete er dann. Irkandir wollte seufzen, aber noch nicht einmal das konnte er. Endlich löste sich Mothruit wieder von dem Körper und bevor Irkandir zum Elfen wurde, landete er. Als er dann seinen wirklichen Körper wiederbekam, atmete er erleichtert auf. Leise schlich er zu ihrem Lager, wo Manalin zusammengerollt schlief. Irkandir lächelte. Der Mond trat gerade hinter einer Wolke hervor und schien durch das dichte Blätterdach auf Irkandirs Geliebte. Er setzte sich neben sie und nahm sein Schwert. Leise schliff er es an einem Stein. 

„Wie sie dich nur lieben kann...?", fragte Mothruit. Irkandir ignorierte ihn. Er wollte nicht wissen, was Manalin von ihm gedacht hatte, als er am Feuer gestanden und seine Antwort in die Nacht geschrien hatte. Ich bin ein kühner Jäger!', hörte Irkandir sich immer wieder selbst rufen. Mothruit lachte. „Wie willst du überleben, so wie du bist? Dein Schwert passt nicht zu dir, sieh es ein! Du kämpfst falsch, du weichst aus. Lass mich deinen Körper führen, und ich bring dir das Kämpfen bei!", erschallte die tiefe Stimme. ‚So?', fragte Irkandir. ‚Wie kann ich mich darauf verlassen, dass du nicht wieder zum Vogel wirst?' Er gluckste, dann entgegnete Mothruit: „Verlassen kannst du dich auf niemanden, Irrer! Nicht einmal auf dich selbst. Auch dein gieriger König will dich nicht als Krieger haben, so wie du bist. Sieh dir die Wahrheit an; du bist kampfunfähig, zu schlecht! Überlass mir die Kontrolle, und ich werde dich zum Krieger ausbilden!" 

Irkandir schwieg. Mothruit hatte ins Schwarze getroffen. Irkandir besaß Waffen, ja, aber er hatte sie nie einen erfahrenen Lehrmeister gehabt. Schließlich sagte er: ‚Ein einziges Mal, nicht mehr, nicht weniger, vertraue ich mir dich an.' „Du wirst es nicht bereuen!", entgegnete Mothruit. Irkandir atmete einmal tief durch, dann gab er seinen Geist frei. Sofort übernahm der Feuerschwanz Kontrolle über Irkandirs Körper. Er erhob sich, nahm das Schwert fester und sagte: „Die erste Lektion ist: Bleib vorerst in Deckung. Greife deinen Gegner nicht an, sondern bleib defensiv. Pariere, weiche aus, roll dich ab. Versuche die Kampfart deines Gegners herauszufinden. Mag er offensiv sein und nur Hagel aus Schlägen auf dich lässt, so warte ab, bis ihm die Kraft ausgeht. Dann greife an. So!" 

Irkandirs Körper sprang vor, stach in die Luft, wirbelte im Kreis und ließ das Schwert in silbrigen Bögen wirbeln. Dann trat er gegen den unsichtbaren Gegner, kniete nieder und stach das Schwert in den Boden. Irkandir war erstaunt. Er hatte nicht erwartet, Mothruit so zu sehen. Irkandir hatte geglaubt, als Feuerschwanz hätte Mothruit keine Ahnung gehabt, wie er den Körper eines Elfen steuern könnte. „Ich beherrsche die Magie besser, als all meine Brüder und Schwestern. Deshalb ist es mir als einziger gelungen, in deine Gestalt zu dringen", sagte Mothruit, ohne dass Irkandir ihn gefragt hatte. Dann fuhr er fort: „Wenn du einen Gegner hast, der sich defensiv verhält, so täusche Hiebe an. Wenn er einen davon blocken will, so schlag ihm mit deinem Messer das Schwert aus der Hand und trete es weg, dass es unerreichbar für ihn ist." Mothruit ließ Irkandirs Körper das Schwert wirbeln, drehte es geschickt und zog das Messer, das Irkandir immer dabei hatte. Dann drehte er es, stach damit in die Luft und trat auf den Boden, als würde er dort ein Schwert sehen, welches er außer Reichweite treten wolle. Zuletzt stach er erneut mit dem Schwert Irkandirs zu und jubelte. 

„Es ist leicht so zu kämpfen!", sagte er dann schließlich außer Atem, „Aber wenn du einen Gegner hast, der sich deinen Bewegungen anpasst, so wende Magie an!" Mothruit zischte ein Wort wie ein Schwertstich und eine strahlend weiße Kugel erschien über der Handfläche von Irkandirs Körper. Dann schleuderte er sie gegen einen Baum und als die Kugel gegen die Pflanze prallte, war ein etwa faustgroßes Loch in dem mächtigen Stamm der Eiche. Ungläubig blickte Irkandir das Loch an. Der Elf spürte, wie sich ein Lächeln auf dem Gesicht seines Körpers ausbreitete. „Dieser Zauber ist leicht zu erlernen. Obwohl er recht einfach ist, kann er Großes bewirken! Doch beachte, zieh deine Magie immer aus der Umgebung", ertönte Mothruits Stimme. Dann spürte Irkandir, wie der Geist Mothruits wich und ihm selber wieder Platz gab. 

Erleichtert, dass nichts weiter geschehen war, nahm Irkandir wieder seinen Körper ein und setzte sich. Er spürte, wie seine Muskeln bis aufs Höchste angespannt waren. ‚Was ist das für ein Wort gewesen, Mothruit?', fragte er über Gedanken. „Sarn", entgegnete Mothruit. ‚Sarn', Irkandir sprach das Wort in Gedanken immer wieder aus. Nach einer Weile sagte er leise „Sarn!", und augenblicklich erschien die grelle Kugel. Doch schon beim Anblick erkannte Irkandir, dass sein Zauber missglückt war. Die Kugel war nicht etwa wie bei Mothruit stabil, sondern sie pochte, als hätte sie einen eigenen Puls. ‚Was nun?', fragte Irkandir panisch. Er wusste nicht, wohin damit. Mothruit lachte. Dann zischte er „Ruih!" und die Kugel verschwand. Immer wieder probierte Irkandir den Zauber aus, und immer wieder zischte er den Zauberspruch, der die Kugel zerstörte. 

Immer wieder zersprang sie wie Glas, das sich dann in Irkandirs Handfläche bohrte und blutige Schlieren hinterließ. Doch der Elf gab nicht auf und schließlich schwebte über seiner Handinnenseite eine strahlend weiße Kugel. Still lag sie über der Hand und als Irkandir sie wie einen Speer auf einen Baum schleuderte, blieb ein großes Loch zurück. Obwohl der Zauber an seinen Kräften zehrte, konnte Irkandir ihn problemlos mehrmals ausprobieren. Er spürte, wie Mothruit ihm Kraft zum Zaubern gab und der Feuerschwanz hatte anscheinend unerschöpflichen Zugang zur Magie. Doch dann war auch Mothruits Vorrat erschöpft und Irkandir ließ sich schnaufend nach hinten fallen. „Ich bin überrascht. Ich hatte erwartet, dass du weniger erreichen würdest", sagte Mothruit. Irkandir lächelte. ‚Ich bin eben doch ein kühner Jäger', entgegnete er dann.

~

Irkandir musste zugeben: er hatte Mothruit unterschätzt. Der Feuerschwanz gab zwar immer wieder Kommentare ab, aber er war ein hervorragender Lehrmeister. Immer wenn Manalin nachts schlief, übte er den Zauber und die verschiedenen Kampftechniken. Mittags zogen er und Manalin durch den Wald, jagten und vergnügten sich, so wie jetzt. Manalin deutete auf einen Busch, dann auf einen Baum und schließlich auf sich selbst. Irkandir verstand und nickte. Leise schlich er zu dem Busch und hockte sich dahinter. Der Buchsbaum reichte ihm etwa bis zur Hüfte. Manalin hatte inzwischen Deckung hinter der Weide genommen. Irkandir griff in seinen Köcher und ließ seine Finger über die Federn gleiten. Als er die weiche, nachgiebige Feder eines Pfeils ertastete, zog er diesen heraus. Vorsichtig legte er ihn auf die Sehne seines Bogens. Das weiche Holz schmiegte sich an seine linke Hand. Er löste seinen Sicherungsgriff, der den Pfeil ausgerichtet hatte und zog die Sehne bis zu seinem Ohr. 

Er zielte auf das Auge des Wildschweines. Langsam stieß er die Luft aus. Der erste Pfeil musste sitzen, sonst wären er und Manalin in Gefahr. Sie hatten Glück, dass sie überhaupt ein Wildschwein jagen konnten. Hätte Wind geweht, hätten sie auf das saftige Fleisch verzichten müssen, weil das Tier sonst ihren Geruch aufgenommen und verschwunden wäre. 

Als Irkandir im völligen Einklang mit der Umgebung war, ließ er den Pfeil von der Sehne schnellen. Er bohrte sich in genau in das Auge des Biestes. Erleichtert entspannte sich Irkandir. Nur noch wenige Sekunden und das Wildschwein würde tot sein. Manalin trat hinter dem Baum hervor und steckte das gezückte Schwert zurück in die Scheide. Das Wildschwein konnte sie nicht mehr angreifen. Es lag tot am Boden und würde ein schmackhaftes Abendessen sein.

~

Diese Wochen waren für Irkandir die besten seines Lebens, bis Mothruit ihn drängte, auf den Gipfel des Berges zu schreiten, auf dem sie sich duelliert hatten. Irkandir widersprach, aber schon kurz darauf hatte er dem Drang Mothruits nachgegeben. 

Es war mitten in der Nacht, und der Vollmond spendete angenehmes Licht. Immer wieder blickte Irkandir zu Manalin zurück, wie sie friedlich in ihrer Holzhütte, abseits des königlichen Palastes, schlief. Mothruit lotste Irkandir durch den Wald, als hätte er eine unsichtbare Fährte. Schließlich hatte er den Felsvorsprung auf dem Berg erreicht. Hoffnung überkam Irkandir. Vielleicht würde sich Mothruit nun von ihm lösen, und er würde endlich wieder frei sein. „Nein, mein Freund. Da muss ich dich leider enttäuschen. Unser Geist ist inzwischen so miteinander verschmolzen, dass wir ihn nicht mehr teilen können", sagte Mothruit. Irkandir antwortete nicht, sondern gab Mothruit die Kontrolle seines Körpers. Ein Feuerschwanz zu sein, war wie eine Droge. Der Rausch, wenn man flog, das Freiheitsgefühl, und schließlich das Missfallen, wenn er wieder er selbst war.

Mothruit verwandelte sich in die Gestalt des Feuerschwanzes und flog hinauf, von wo er damals, vor mehr als einem Monat, zu Irkandir gekommen war. Sie flogen lange Zeit durch die Wolkendecke, bis sie an einem weiteren Gipfel ankamen. Dort landete der Feuerschwanz und schrie seinen unheimlichen Ruf in die Nacht hinaus. Von überall her antwortete es und schon bald waren um den Körper Mothruits dutzende von Feuerschwänzen versammelt. Ihre bernsteinfarbenen Augen schimmerten unheilgebietend. 

„Ich grüße euch, Brüder und Schwestern. Und ich danke euch, dass so viele meinem Ruf gefolgt sind. Ich versprach euch, eine Lösung zu finden, und hier ist sie nun!", rief Mothruit per Gedanken und verwandelte sich in Irkandirs Körper. Dann sprach er laut weiter: „Dies ist jener Elf, von dem ich Besitz genommen habe. Wir sind verschmolzen, wie im Meer die verschiedenen Flüsse verschmelzen, zu einem Großen, einem Unbezwingbarem! Durch Irkandir können wir uns Zutritt zu dem Elfenkönig verschaffen und diesen stürzen! Wir können die Schlacht gewinnen, in die uns die Elfen einst gezwungen haben! Dank Irkandir sind wir stark genug, den Krieg gegen die Elfen zu gewinnen! Jetzt bedarf es nur noch, den passenden Zeitpunkt abzuwarten, aber ich verspreche euch feierlich, Brüder und Schwestern, dass dieser kommen wird!" 


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