Die Feuerschwänze

Areen schloss während des Kusses die Augen. Sie würde in Frieden gehen. In Frieden Abschied nehmen. Und sie würde ihre Taten nicht bereuen. Es gab so viel Unausgesprochenes zwischen ihr und Mothruit. Sie hatte ihn gerne als Feldherren gehabt. Er würde Großes vollbringen. Ihr Entschluss, ihr Leben für ihn zu lassen, war richtig gewesen. Sie hatte auf ihr Herz gehört. 

Areen merkte, wie sich ihr Geist langsam von der Welt der Lebenden löste. Sie schwamm in warmen Wasser auf ein Ufer zu. Im silbrigen Licht standen da zwei Schatten. Sie hielten sich im Arm und blickten ihr entgegen. Sie hatten sie erwartet. Areen trieb auf den silbrigen, durchscheinenden Strand. Sie konnte sich nicht regen, aber als die beiden Personen sich jetzt über sie beugten, wusste sie, dass es ihre Eltern waren. Vynil und seine Gattin. Areen lächelte zu ihnen hoch und das erste Mal seit Jahrzehnten fühlte sie sich endlich zuhause.

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Mothruits Mundwinkel zuckten. Er öffnete den Mund und stieß schwarzen Rauch aus. Er spürte, wie er seinen Instinkten nachgab. Wie sich seine Körpermasse verformte, wie seine Federn wiederkehrten. Er stieß einen Schrei aus, der nun schon mehr nach einem Feuerschwanz als nach einem Elfen klang. Der Schrei spiegelte all seine unzähmbare Wut und Trauer wider.

Seine Sicht änderte sich und auf ihn flossen all die Bilder ein, die er als Elf nicht gesehen hatte. All die leuchtenden Auren der Menschen und Elfen, all die grauen, erloschenen der Toten. Die stechend hellen Auren der Götter. Und seine eigene, dunkle Aura. Mothruit nahm Areens Leichnam bedächtig zwischen seine Klauen und erhob sich. Mit kraftvollen Flügelschlägen näherte sich Mothruit dem Himmel. Er konnte Areen nun nur noch die letzte Ehre erweisen. Sie hatte das Fliegen geliebt, viel zu selten hatte er sie auf sich reiten lassen. 

Die Kämpfe erstarrten, Menschen und Elfen blickten ehrfürchtig zu ihm empor. Erneut schrie Mothruit all seine Gefühle in den Himmel hinaus. 

Er entfernte sich von der Schlacht, flog dahin, wo er Areen einst kennengelernt hatte. Er legte ihren Körper behutsam auf das Gras, wo sie gesessen und das alte Hemd gewaschen hatte. Langsam nahm er wieder die Gestalt Irkandirs an und blickte lange in das Gesicht jener Frau, die er geliebt hatte. Areen hatte ihre hellen Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet. Unter ihrem linken Auge glänzte eine frische Träne. Es war nicht ihre, es war seine. Mothruit spürte, wie weitere Tränen folgten. Er unterdrückte nicht den Impuls zu weinen, sondern nahm Areen ein letztes Mal in die Arme, grub seinen Kopf in ihr Haar und flüsterte immer wieder ihren Namen. 

Nach einiger Zeit nahm er wieder seine eigentliche Gestalt an. Seine Aufgabe war noch nicht erledigt, er musste zurück zum Ihamin und Rache nehmen. Nicht nur im Namen der Feuerschwänze, sondern auch im Namen von Areen, der Elfe, die er so hoffnungslos geliebt hatte. 

Vorsichtig nahm Mothruit einen Zweig in den Schnabel und legte ihn auf Areens Brust. Er würde auf sie warten, bis er sie erneut kennenlernte. Mit einem letzten wehmütigen Blick auf die erloschene Aura schlug er mit den Flügeln und kehrte zurück zum Schlachtfeld. Dort wartete sein Schicksal auf ihn. Er war dazu geboren, die Bösen zu bestrafen, allerdings im Auftrag von Rathrankar. Heute würde sich sein Schicksal ändern, heute würde er in seinem Namen urteilen.

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„Mein Herr, da... da... ich fasse es nicht!", schrie Rathrankars Leibgardist. „Da... da...", Rathrankar drehte sich genervt um. Er hatte seinen Diener noch nie stottern gehört. Mit der einen Hand deutete der Gardist in den Himmel und als Rathrankar seinem Fingerzeig folgte, erkannte er fast zwei dutzend schwarzer Silhouetten. Sie sahen von der Ferne aus wie riesige Adler, kräftig schlugen ihre Schwingen. Nur der rote Schwanz verriet sie. 

Die Feuerschwänze kamen und mit ihnen die Hoffnung. Darauf, dass alles gut werden würde. Ein einziger Satz breitete sich unter den Kämpfern der Menschen und Elfen aus. Nur ein einziger Satz und doch bedeutete er alles: „Die Feuerschwänze kommen!" Sie stießen Pfeilen gleich aus dem Himmel. Die Elfen rückten zusammen, ein riesiges Loch in der Menge erschien. Der erste Feuerschwanz breitete seine Schwingen aus und grub die scharfen Krallen in den Boden. Er brauchte nur vier Schritt Landebahn. Seine Geschwister folgten, auch sie standen schnell still.

„Warum seid ihr hier?!", fragte Rathrankar. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Er fürchtete die Feuerschwänze. Das erste der Raubtiere sah sich um und schwenkte seinen Kopf dann zu Rathrankar. Das Biest sah ihm direkt in die Augen! „Wo ist Mothruit?", zischte eine tiefe Stimme. Die bernsteinfarbenen Augen schienen Rathrankars Kopf zu durchdringen und dessen Gedanken lesen zu können. „Wo?", zischte die Stimme ungeduldig. Rathrankar wusste nicht, was der Feuerschwanz meinte. Da fiel ihm wieder Irkandir ein. Sein Geist war in zwei Hälften zerteilt gewesen. War er etwa...? Nein, nein so stark waren nicht einmal die Feuerschwänze! ...und wenn doch? Wie konnte er sich da so sicher sein? 

Der Feuerschwanz vor ihm riss seinen Blick von Rathrankars Gesicht und schrie einen markerschütternden Laut in die Nachtluft. Seine ungefähr zwanzig Gefährten erwiderten den Schrei, erhoben sich und stürzten sich in das Getümmel. Die Feuerschwänze standen nicht auf der Seite der Menschen, doch rissen sie auch Elfen zu Boden. Als der Anführer der legendären Tiere die Flügel ausbreitete, um sich in die Lüfte zu erheben, sagte Rathrankar: „Wie lautet dein Name, Feuerschwanz?" „Sralanka!", erwiderte er. „Sralanka, ich bitte dich, rette unsere Göttin! Sie braucht Magie, doch ist sie im Krieg wertvoll. Ihre Geschwister wollen Navèst nicht heilen, aber sie ist eine der wichtigsten Spielfiguren in dem Krieg", flehte Rathrankar. 

Der Feuerschwanz sah ihn erneut mit seinem alles durchdringenden Blick an, dann sagte er schließlich: „Die Entscheidung der Götter ist stets die richtige. Wenn sie sie nicht heilen wollen, dann werde ich es auch nicht tun."

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Mothruit ergriff mit seinen Klauen zwei Menschen und warf sie in die Menge. Währenddessen rief er in seinen Gedanken nach seinen Geschwistern. Er spürte, dass sie gekommen waren, und er war froh darum. In diesem Moment brauchte er sie, nicht früher, nicht später. Seine magischen Augen suchten den Himmel ab und erkannten die Aura von Lhakhr. Sie war eine starke Kriegerin unter den ihren und hatte in ihrem langandauernden Leben schon so manchen Respekt unter den Feuerschwänzen gewonnen. Sie flog hinab, mitten hinein in die Schar der Menschen und kämpfte dort mit allem, was ihr Körper besaß. Mit den Flügeln schlug sie um sich wie eine Irre, mit den Krallen riss sie Menschen zu Boden und mit ihrem Schnabel hackte sie nach jenen, die ihr zu nahe kamen. 

Die Götter der Menschen häuften sich dort, wo ihre feindlichen Geschwister oder aber die Feuerschwänze kämpften. Mit magischen Ketten rissen sie die Feuerschwänze an den Flügeln zu Boden, wo sie dann mit magischen Waffen auf die Raubvögel einstachen, bis sie reglos vor ihnen lagen. Diese Bilder erfüllten Mothruit mit Zorn. So durfte kein Gott handeln! Mit einem Wutschrei riss Mothruit eine Göttin mit Schlangenhaupt von seiner Schwester und drückte so fest mit dem Schnabel zu, bis die Knochen des Körpers der Göttin brachen. Er sah die hellblaue Kette um Lhakhr und versuchte, sie von ihr zu reißen. Das magische Seil brannte in seinem Schnabel, doch er schaffte es, Lhakhr so weit zu befreien, dass sie nur noch mit einem Satz in die Luft die Ketten abstreifen musste. 

Die Feuerschwänze öffneten ihre Geister und teilten ihre Gefühle. Jedes Mal, wenn einer von ihnen stürzte, spürten die anderen den Schmerz. Obwohl die Feuerschwänze alleine machtlos gegen die Götter waren, waren sie in einer Gruppe beinahe unbesiegbar. Schon bald lagen zwischen den Leichen von Elfen und Menschen auch die leblosen Körper der Götter. Mothruit konnte keinen einzigen Schritt mehr gehen, ohne auf Leichen zu laufen. Und während er einen Gott niederstreckte, rief er all seine Geschwister zusammen. Dreizehn, ihn miteingeschlossen, hatten überlebt, von insgesamt vierundzwanzig! Sie erhoben sich in die Lüfte und alle wussten, was er dachte. Jetzt war der perfekte Augenblick, die einst geschworene Rache an Rathrankar auszuüben.

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