Der Elfenkrieger

„Mein Herr", sagte eine helle Stimme. Rathrankar konnte seinen Besucher nicht sehen, er stand mit dem Rücken zu ihm gedreht. Und doch wusste er, dass es Myvur, sein Hofmeister, war, und dass dieser kniete. Er tat es immer. „Mein Herr, die Elfen erzählen Geschichten von einem Krieger. Seine Magie kann die der Euren gleichkommen und er führt das Schwert so gut wie Shalyra es damals getan hatte. Seine Magie soll die Weiße sein und sein Körper der eines ausdauernden Elfen. Er könnte Euch Euren Thron streitig machen", fügte Myvur hitzig hinzu. Seine Stimme klang nervös. Rathrankar drehte sich um und fragte: „Wer ist der Krieger? Kennst du seinen Namen?" Myvur schüttelte den Kopf, dass sein blondes Haar in sein Gesicht fiel. „Nein, mein Herr. Seinen richtigen Namen kenne ich nicht. Aber man nennt ihn den Selbstlosen, den fahrenden Ritter, den zukünftigen Retter des Elfenvolkes", sagte er mit seiner hellen, singenden Stimme. 

Rathrankars biss sich auf die Lippe. Er legte den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel, so, als würden dort seine Antworten stehen, die er stets suchte. Nach einer Weile ging er zu seinem hölzernen Thron und umrundete ihn. In der Rückenlehne des Thrones war eine Nische eingelassen worden, in der ein rotes Samtkissen ruhte. Und auf diesem Samtkissen lag sie: seine Krone. Jenes Schmuckstück, dass ihn zu dem Elfen gemacht hatte, der er nun war. Rathrankar strich gedankenverloren über das vergoldete Geweih des weißen Hirschen, den er damals erlegt hatte. Ein geflochtener Kranz aus Weidenästen verhinderte, dass die Krone rutschte. Das Geweih selbst war so präzise ausgearbeitet, dass es schien, als haben es die Götter selbst erschaffen. Das Geweih war wunderbar symmetrisch. 

Rathrankar hob die Krone auf und setzte sie auf sein Haupt. Sie passte perfekt. „Wer bin ich, Myvur?", fragte Rathrankar leise. Der junge Hofmeister sah ein wenig verwirrt aus. „Mein König, Herr", antwortete er dann. „Und wird das Volk seinem König den Dienst erweisen?", fuhr Rathrankar fort. Myvur lächelte. „Immer, mein Herr", entgegnete er. Rathrankar ließ sich mit einem Seufzen auf seinen Thron fallen. Plötzlich kam ihm die Krone unglaublich schwer vor. „Ich wünschte es wäre so", sagte der Elfenkönig. Seine Gedanken schweiften ab in alte Zeiten. Rathrankar stellte sich vor, wie er als Jüngling einer Jungfrau nachgelaufen war. Er hatte sie stets beobachtet, hatte herausfinden wollen, ob sie seine Liebe erwidern konnte. Sie hatte es getan und er hatte mit ihr ein wunderbares Liebesleben verbracht. 

Jede Nacht hatten sie sich geliebt, hatten versucht, ein Kind zu bekommen, doch es hatte nie geklappt. Sie hatte nicht schwanger werden können. Nach vielen gemeinsamen Jahren war sie dann an der Pest gestorben. Rathrankar und sie hatten die Menschen besucht, die ihr damals die Pest übertragen hatten. Das war der eigentliche Grund, weshalb Rathrankar sich an den Menschen rächte. Es war ihre Schuld, dass sein glückliches Liebesleben zu Ende gekommen war. Es war ihre Schuld, dass er sich dann die Last der Krone aufgebürdet hatte, weil er nicht gewusst hatte, wie er sein Leben sonst noch aushalten konnte. Und es war verdammt nochmal ihre Schuld, dass er keine Nachfahren hatte! 

„Mein Herr, wie entscheidet ihr Euch? Sollen wir dem Elfen nachstellen?", unterbrach Myvur Rathrankars schmerzvolle Vergangenheit. Der Elfenkönig zuckte zusammen. Er schweifte zu sehr ab, er durfte keine Schwäche zeigen! „Lasst ihn zu mir bringen. Und bestraft all jene, die sich euch in den Weg stellen werden,  denn ihr seid meine Vertrauten! Reise mit Helburi und Flonella, sie sind gefügige Krieger und waren das schon immer. Ihr werdet mich nicht enttäuschen. Und nun, ab mit dir!", sagte der Elfenkönig. Myvur stand hastig auf, verneigte sich noch einmal und verließ dann eilig den Saal.

Rathrankar stieß laut die Luft aus. Vielleicht sollte er doch einen neuen Herrscher erwähnen. Es war zu schwer, er war zu allein, er konnte zu wenig trauen. 

Allerdings konnte er nur so Rache an den Menschen ausübern und er hatte als König erstaunliche Macht über die Elfen. Was immer ihn bedrohte, er hatte ausgebildete Krieger. Nein, es war töricht die Herrschaft abzugeben, wenn er doch noch in Jahrhunderten entscheiden konnte, ob er die Krone oder aber das ruhige Leben wählte. Und alle, die ihn daran hinderten, seine Herrschaft zu verbreiten, würden schon am nächsten Tag hingerichtet werden.

~

Myvur atmete erleichtert aus, als er aus dem Palast auf das helle Moos des Waldes trat. Seine weichen Stiefel sanken darin ein wie in ein Wasserbad, aber trotzdem federte die Pflanze ihn wieder ein wenig zurück. Sofort begab sich Myvur in seine Schreibkammer, ein alter Baum, der von den Schöpfern der Welt so umgewandelt war, dass man in ihm leben konnte. Die Wände waren aus stabilen Brettern gebaut, welche aus Pflanzenblättern und Efeu bestanden. Immer wieder stockte es dem Elfen den Atem, als er die Schönheit des Baumes betrachtete. Er wirkte wie ein mystisches Wesen eines Märchens. Am Stamm der Weide führte eine Strickleiter hinauf und am Ende davon war eine kleine, breitschultrige Luke in den Holzboden eingelassen. Leise klackte die Strickleiter gegen die harte Rinde der Weide, als er darauf den hohen Baumstamm erklomm. Es war das einzige Geräusch, das die angenehme Stille unterbrach. 

Oben angekommen ließ sich Myvur an seinem Tisch nieder, nahm eine Eulenfeder zur Hand und fing an zu schreiben: 

„Hiermit befehle ich, Myvur, Hofmeister des Elfenkönigs Rathrankar, die beiden Krieger Helburi und Flonella zu Hof. Am 24. Ghrothril, dem Tag, an dem Shalyra, Rhúmyl und Vynil die Schlacht gegen die Menschen gewonnen hatten, werden Helburi und Flonella in dem Thronsaal des Königs erwartet. Eine dringende Kunde wartet dort auf sie. Mit Grüßen: Myvur, Hofmeister, im Auftrag des Königs Rathrankar"

Zufrieden las Myvur den Brief erneut und reichte ihn schließlich an seine Schreibschüler, die ihn abschrieben und verteilen ließen. Schon am Mittag war der Brief überall verbreitet. Während Rathrankar darauf wartete, dass neue Informationen vom fahrenden Ritter eintrafen, überlegte sich Myvur, was er denn anziehen sollte. Als Hofmeister trug er leichte Gewänder, aber wenn er mit zwei ausgebildeten Kriegern auf der Suche nach einem machtvollen Magier und ausgebildeten Krieger war, brauchte er etwas anderes. Schließlich entschied sich Myvur, in die Schatzkammer seines Herren zu gehen und dort nach einer passenden Rüstung zu suchen. 

Er öffnete die schwere Eichentür und dahinter standen, in ordentlichen Reihen erbaut, Rüstungsständer mit alten Heldenkleidern. In Nischen der Wände lagen die verschiedensten Panzerteile. Myvur tat einen Schritt in die große Kammer. Mit leisem Klicken schloss sich die Tür. Ein dunkler Harnisch glänzte bronzefarbend in dem Licht des Saals, das den ganzen Raum erhellte, aber von nirgendwo auszumachen war. Myvur öffnete vorsichtig die Riemen und legte sich das Prachtstück an, es passte ihm wie angegossen. Er suchte nach einer Beinbekleidung und gelangte zu einer zähen Wildlederhose, die mit kleinen Panzerplättchen belegt war. Zum Schluss klemmte sich der Hofmeister noch einen Helm mit blondem Rossschweif unter den Arm, dann schritt er zu seinem König. 

Myvur kniete nieder und sagte: „Mein Herr, die Briefe, die ich austeilen ließ, sind nun unter dem Volk. Morgen früh werden die beiden Krieger hier sein." Rathrankar stand an einem der großen Fenster und blickte hinaus. Dann drehte er sich um und in seinem Gesicht lag große Traurigkeit. Myvur blickte ihn besorgt an. Er hatte seinen Herrn noch nie so unglücklich gesehen. Dunkle Schatten lagen unter Rathrankars Augen, die Wangenknochen des Herrschers stießen geradezu aus seinem Gesicht. Rathrankars Mund war nach unten gezogen, tiefe Falten hatten sich um dessen Winkel gebildet. Mit fahriger Geste winkte Rathrankar einmal und die Diener verschwanden, nachdem sie die Tür geschlossen hatten. Es war plötzlich merkwürdig still in Rathrankars Thronsaal. 

Myvur blickte auf die sauberen Marmorfließen zu seinen Füßen und zählte stumm die Sekunden, die vergingen. Langsam stieg Myvur Hitze in den Kopf, er wusste nicht, was Rathrankar vorhatte. Nur eines wusste er: er konnte die Ungewissheit nicht länger ertragen. Der Hofmeister nahm all seinen Mut zusammen und hob den Kopf. Rathrankar hatte seine Position nicht geändert, nur sein Gesichtsausdruck war freundlicher geworden. Der Elfenkönig lächelte und Myvurs Herz wurde mit einem Mal leichter. Das Volk der Elfen sah in Rathrankar einen machtgierigen Elfenbastard, aber wenn man ihn besser kannte, das wusste Myvur genau, war der Herrscher der Elfen ein Geschenk der Götter. 

Rathrankar vereinte alle Eigenschaften, die ein König brauchte. Warmherzigkeit, Liebe, Geduld, Weisheit und Durchsetzungsvermögen. Nur seinem Volk und den anderen Bewohnern von Mittelland trat Rathrankar kühl gegenüber. Myvur wusste, dass es zu den schlimmsten Schwächen zählte, freundlich zu sein. Oder hatte Rathrankar wirklich einen verseuchten Geist? War er wirklich nur dann empathisch, wenn er mit sich alleine war? Wenn niemand ihn stören konnte? Zum Glück unterbrach Rathrankar Myvurs dunkle Gedankengänge und sagte: „Myvur, so lange arbeitest du nun schon an meinem Hof und hast mir jeden Wunsch erfüllt. Doch egal was dir bei diesem Auftrag in die Quere kommt, es darf dich nicht aufhalten. Auf diese Mission schicke ich dich nicht als meinen Hofmeister oder Untergeordneten, sondern als einen guten Freund, der mir schon Jahrzehnte gut gedient hat. Diese Mission muss dir gelingen, hörst du! Der Elfenritter nimmt mir sonst die Krone!" 

Der Elfenkönig packte Myvur am Handgelenk und zerrte ihn auf die Beine. Rathrankar standen Tränen in den Augen. Myvur zog scharf die Luft durch die Zähne ein, dann sagte er: „Ich kann dir nicht garantieren, dass die Mission glückt, Rathrankar. Reden wir offen: der fahrende Ritter ist eine Bedrohung für deine Krone, doch was ich von ihm gehört habe, lässt mich nicht daran zweifeln, dass er ein hervorragender Krieger ist. Sollten wir es schaffen, ihn mitzubringen, solltest du ihn als Krieger einstellen. Er wirkt, als habe er kein Ziel, sagt man sich. Der fahrende Ritter würde dir Ruhm bringen. 

Stell dir vor, die Menschen drängen uns in unseren Wäldern immer weiter zurück. Durch ihn könntest du die Schlacht endgültig gewinnen. Ich weiß, du willst auch die Feuerschwänze in die Schlacht führen, doch es ist sehr wahrscheinlich, dass sie sich im alles entscheidenen Moment gegen dich wenden. Ich denke, sie wollen dich verraten, denn du bist jener, der sie durch Blutmagie an sich gebunden hat." Myvur hielt die Luft an. Er fürchtete Rathrankars Zorn, doch der König blieb ruhig. „Es wäre eine Möglichkeit...", sagte sein Herr dann in Gedanken verloren.


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