Das Friedensangebot

„Los, bewegt eure Ärsche und ergreift die Waffen!", trieb Areen die Männer wieder auf. Sie hatten sich erschöpft unter einem der Dreieckstücher gesetzt und ihre Waffen fallen lassen. „Kennst du denn kein Erbarmen?", fragte Darius. Das war der Name jenes Bauern, der als zweiter gegen sie gekämpft hatte. Areen lächelte und erwiderte: „Bei uns im Norden ist erst dann Feierabend, wenn man nach dem Training nicht mehr laufen kann vor Anstrengung. Also los, hoch mit euch Narren!" 

Stöhnend standen die Männer auf. „Ich zeige euch jetzt eine weitere Lektion. Wenn ihr gegen Elfen kämpft, bedenkt immer, sie sind euch in euren Kampfkünsten weit überlegen! Ich kämpfte einst gegen ein Spitzohr und glaubt mir, ich kroch rückwärts von ihm davon", sagte sie, verstummte dann aber, als sie Irkandirs mahnenden Blick sah. Aber sie wollte die Menschen einschüchtern, denn vielleicht würden sie die Elfen dann doch nicht angreifen. Während den vergangenen Stunden waren ihr die Krieger an Herz gewachsen, selbst der erste Mann, gegen den sie duelliert hatte. Die Menschen hatten eine raue Art von Humor und schienen zufrieden mit sich und der Welt. Areen fand, dass das nur logisch sein konnte. Elfen hatten weit mehr Zeit zum Leben als Menschen. Die wenige Zeit, die den Männern geschenkt worden war, mussten sie genießen.

Areen packte das Schwert und wandte sich an eine der unzähligen Strohpuppen. Die ausgebreiteten Arme drehten sich, sobald man gegen einen davon stieß. Areen trat mit dem Fuß an den rechten Arm und während sich dieser nach hinten drehte, schwing der linke nach vorn. Unter diesem tauchte sie durch und machte ein Rückwärtsrolle. „Das wird so nichts", sagte sie dann, als sie wieder auf den Beinen stand. Sie drehte sich um und sah Enttäuschung in den Gesichtern der zukünftigen Krieger. Sie winkte Irkandir an sich heran und raunte ihm zu, was er zu tun habe. Dann nickte sie, lächelte und nahm drei Schritt Abstand zu ihm. Irkandir zog sein Schwert nicht, ließ die Hand aber in dessen Reichweite. 

Langsam umkreiste Areen ihren Gefährten und sie hörte, wie hinter ihr die restlichen Männer aufstanden, die eben noch gelegen hatte. Ein Kreis bildete sich um sie. Areen erklärte nichts und hob ihr Schwert zum Fechtergruß. Sie begann, alles um sich herum auszublenden und sah nur noch Irkandir. Sie sah ihn nun nicht mehr als hübschen Feldherrn, starken Mann oder sonst etwas. Sie sah in ihm nur noch den Feind, den sie zu besiegen hatte.

Die Elfe griff an, Irkandir zog blitzschnell sein Schwert, blockte und sprang zur Seite. Areen hob die Hand und Irkandir erstarrte in seiner Bewegung. Sie selbst wandte sich an die versammelten Menschen: „Was ihr jetzt seht wird bei uns als ‚Der Totenstreich' bezeichnet. Ihr täuscht einen Hieb an, geht in den toten Winkel eures Gegenübers und erstecht ihn. Doch versucht es nur einmal im Kampf. ‚Der Totenstreich' ist ein Überraschungsangriff, er darf nicht missglücken." 

Sie senkte die Hand und Irkandir kämpfte weiter. Areen tat so, als würde sie mit ihrem nächsten Stich auf seinen Brustkorb zielen, wandte sich blitzschnell ab und sprang in Irkandirs Rücken. Dort trat sie ihm von hinten in die Kniekehle, er knickte ein und Areen ritzte ihm in den Rücken. Ein kleiner Tropfen Blut verfärbte sein Hemd. Die Männer ringsherum applaudierten. Areen nickte Irkandir zu, der aufstand und sein Schwert zurücksteckte. „Versucht es nun selbst! Sucht euch einen Partner! Und dann kämpft!", rief sie und die Menschen jubelten.

~

Rathrankar stand über dem Tisch gebeugt und musterte die verschiedenen Spielfiguren. Die steinerne Oberfläche war in kleine, schwarz-weiße Quadrate aufgeteilt. Marmorne Figuren standen verschieden verteilt auf der Platte. Die Krone, er, war weit oben, nordwestlich im Moraldwald. Auch seine sechs bisherigen Feldherren. Auch sie hatten Symbole angefertigt bekommen. Ein Messer für Elundaiul, ein Adler für Frúdaerul. All diese Figuren waren weiß gefärbt, im Gegensatz zu ihnen gab es die schwarzen Gestalten. Die schwarze Krone: König Henry. Die schwarze Masse: König Henrys Armee. Nur einer passte nicht in diese Einteilung: Irkandir. Ihm hatte Rathrankar die graue Gestalt zugewiesen. Immer noch war sich der Elfenkönig nicht sicher, auf welcher Seite der Elf stand.

Rathrankar wusste nur eines: dieser Elf war gefährlich. Bereits kurz nach Irkandirs und Areens Abreise hatte Rathrankar eine Seherin aufgesucht. Und egal was für einen Weg er wählen würde, am Ende würde der Elfenkönig fallen. In jeder Vision war Irkandir dabei, doch die Seherin hatte ihm nicht sagen können, ob der ehemalige fahrende Ritter für Rathrankars Tod verantwortlich sein würde. 

Der Elfenkönig brauchte einen Plan. Er durfte nicht sterben, nicht jetzt! Er durfte im Krieg nicht kämpfen, dieser würde im Endeffekt sein Untergang sein. Aber Rathrankar konnte die Menschen auch nicht gewähren lassen, konnte ihnen nicht den Moraldwald überlassen. Sie durften die Elfen nicht zurückdrängen.

Rathrankars Fäuste ballten sich und schlugen auf den Tisch nieder. Es musste eine Alternative geben! Gefrustet starrte der König die Figuren an, bis ihm plötzlich eine Idee kam, die seinen Stolz verletzen, seinen Tod aber umgehen könnte.

~

„Herr! Herr!", rief ein Mensch und rannte in den Thronsaal. König Henry drehte sich genervt um. Mothruit musterte ihn forschend. Die Muskeln am Ende von Henrys Kiefer arbeiteten, als er dem aufgeregten Boten den Brief abnahm. Überstürzt war dieser in den Raum gelaufen, völlig außer sich. Als Henry das Siegel entzwei brach, den Brief herausnahm und den Umschlag achtlos fallen ließ, erkannte Mothruit Rathrankars Zeichen und versteifte sich.

„Das ist doch Wahnsinn!", rief der Menschenkönig und ließ den Brief sinken. Der Bote war bereits wieder verschwunden.  

„Was ist denn, mein Herr?", fragte Mothruit. „Dieser verdammte Elfenkönig will uns ein Friedensangebot machen. Dabei ist er es doch gewesen, der diesen verdammten Krieg heraufbeschworen hat! Er greift nach allem, was um den Moraldwald liegt, Mussling eingeschlossen! Was, um alles in der Welt, geht in ihm vor?", fuhr der König aufgebracht fort. Mothruit wartete. Rathrankar war jetzt gerade so ziemlich der Letzte, über den er reden wollte. Aber König Henry durfte das Friedensangebot nicht annehmen! All die Zeit als Elf und unter den Elfen wäre umsonst gewesen. Ohne Krieg würde es keine Chance für die Feuerschwänze geben, Rathrankar zu stürzen. Nie würden sie die Genugtuung bekommen, ihn leiden zu sehen. Mothruit durfte das nicht zulassen! 

„Mein Herr, Ihr... solltet ihr wirklich den trügerischen Lügen eines Elfen glauben?", fragte Mothruit also argwöhnisch. Er musste jetzt ganz vorsichtig vorgehen. Ein falsches Wort, ein unüberlegter Satz, und Henry würde misstrauisch und das Friedensabkommen annehmen. Henry grunzte nur. Mothruit überlegte weiter, als sich Areen einmischte: „König, Rathrankar wird Eure Großmut als Schwäche ansehen und Euch überfallen, sobald Ihr euch sicher fühlt. Traut den Elfen nicht, seht nur, was sie mit unserem Dorf getan haben!"

König Henry fasste sich mit einer Hand an die Stirn, mit der anderen winkte er Mothruit und Areen aus seinem Saal. „Lasst mich alleine. Ich muss überlegen. Ich danke euch", sagte er und Mothruit verließ mit seiner Kriegerin den Raum. Es blieb ihm nur noch zu hoffen, das Henry eine kluge Entscheidung fällen würde.

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