Areen
„Ich danke dir für deine Nachricht, Irkandir", sagte Rathrankar. Mothruit verbeugte sich. Noch am selben Tag, an dem Flonella ihr Kind tot zur Welt gebracht hatte, war sie spurlos verschwunden. Man hatte ihre gesamte Ausrüstung als Opfergabe an dem Grab Helburis gefunden. Mit dem Ablegen ihrer Klingen hatte sie sich dem Eid König Rathrankar gegenüber losgebunden. Sie war frei.
Allerdings zweifelte Mothruit nicht daran, dass Rathrankar sie nicht jagen ließ. Allein schon das Gemetzel, das sie im Kerker veranstaltet hatte, war Anlass genug zur Todesstrafe. Selbst krank und schwach war Flonella eine herausragende Kämpferin, die im Gefecht jegliche Schwäche ausblendete. Mothruit konnte nur hoffen, dass sie nicht am Fieber starb oder dem Elfenkönig wieder in die Hände fiel. Obwohl Flonella ihn gejagt hatte, hoffte er für sie auf ein friedliches Leben.
„Zu schade, dass sie fort ist. Sie war mir eine gute Kriegerin", seufzte Rathrankar und der Feuerschwanz starrte ihn schweigend an.
Mothruit wusste nicht, was er erwidern sollte. Irkandir, dieser Bastard, hätte bestimmt eine gute Antwort parat gehabt, aber Mothruit war nun mal kein Elf. Und darüber war er froh. Der Körper eines Feuerschwanzes war größer, mächtiger, ausdauernder. Die Kampf- und Zauberfähigkeiten des Raubvogels waren ab dem Tag, an dem ein Feuerschwanz aus dem Ei kam, unermesslich. Das einzige, weswegen Mothruit die Elfen beneidete, war, dass sie nicht ständig die Zaubersicht zu sehen hatten. Irgendwann brannten die Auren in den Augen. Es gab keine Abwechslung, stets sah man goldene, blaue oder andersfarbige Netze. Dennoch war der Feuerschwanz auch bei diesem Punkt wieder im Vorteil. Er sah zwar nie die wirkliche Welt, aber die Elfen hatten Schwierigkeiten, überhaupt die verborgene Sicht zu öffnen. So würde eine Handvoll Elfen nie Magie in deren Leben weben können, denn wer die Sicht auf die Auren nicht hatte, konnte deren Magie auch nicht entziehen und somit keinen Zauber weben.
Um jeden Gegenstand und um jede Kreatur lag ein magischen Netz. Es war mit seinen großen Maschen wie ein Fischernetz aufgebaut stets war die Farbe des Netzes individuell. Wenn jemand Magie wob und vergaß, die Magie aus anderen Gegenständen zu entziehen, dann wurde das eigene magische Netz, das den eigenen Körper umgab, enger gezogen. Und wenn der Zauber anschwoll oder mehr Macht als erwartet benötigte, dann zog sich das Netz irgendwann so zusammen, dass derjenige, der den Zauber gewirkt hatte, von dem magischen Netz in Rauten zerteilt wurde. Übrig blieb nur der zerschnittene Körper. Das magische Netz löste sich dann auf. Deswegen war es so wichtig, die Magie aus anderen Gegenständen zu entziehen. Man durfte nie sein eigenes Leben aufs Spiel setzen.
„Wie steht es um Hullandur? Hat Ralyander dir Truppen versprochen?", wechselte Rathrankar das Thema. „Ja mein Herr. Er stellte Euch gut neunhundert Krieger zur Verfügung. Sie werden Eurem Ruf folgen, wenn Ihr nach ihnen verlangt", antwortete Mothruit. Über Rathrankars Gesicht huschte für einen kurzen Augenblick ein Lächeln, das aus dem Herzen kam. „Ich hielt dich einst für meinen größten Widersacher, aber nun, da ich dich kennengelernt habe, weiß ich, dass du eine legendäre Hilfe für unseren Krieg gegen die Menschen bist. Du sollst von nun an mein Vertrauter sein, Irkandir", erwiderte Rathrankar. Mothruit konnte es nicht fassen. Sein Kiefer klappte auf und er wollte etwas sagen, doch ihm fiel nichts ein. Innerliche Freude überkam ihn. Er hatte den schwersten Schritt getan. Er konnte nun ungestört in der Nähe des Königs sein und dessen Schwächen ausspionieren. Mothruit konnte nun im Kriegsrat dabei sein, auch wenn sein Gehör als siebenter Feldherr zu Ende wäre.
„Ich fühle mich geehrt, mein König", Mothruit gab sich Mühe, die Freude zu verbergen. Rathrankar aber hob warnend einen Zeigefinger. „Fühle dich nicht grenzenlos, Elf. Du bist zwar mein Vetrauter, aber du stehst trotzdem unter Beobachtung meiner Leibwache. Aber nun, da du meinen Vorschlag angenommen hast, will ich dich morgen am Zenit hier antreffen. Alle meine Feldherren und deren beste Krieger werden anwesend sein. Ich erwarte, dass du einen guten Krieger finden wirst, der dir gehorcht, wie ein Hund dessen Besitzer gehorcht. Es ist eine alte Tradition, in der Krieger und Feldherr ein magisches Band verbindet. Enttäuschst du mich, so werden dir all deine Befehlsrechte entzogen", sprach Rathrankar. Mothruit verneigte sich einmal, dann wandte er sich ab und verließ den Saal. Er war in Gedanken bei seinen Geschwistern. Er versprach ihnen, dass die erwartete Rache bald kommen würde.
~
Mothruit ging in die königlichen Ställe, nahm sich jenes Pferd, mit welchem er schon nach Hullandur geritten war, und preschte vom Hof. In den Wäldern fühlte er sich frei, und als er sich sicher war, dass er allein war, verwandelte er sich in seine wirkliche Gestalt. Es tat gut, endlich wieder den eigenen Körper zu steuern. Diesen kannte Mothruit schließlich seit seinem Schlüpftag. Augenblicklich durchfuhr ihn Kraft und Ausdauer, seine Muskeln waren angespannt und fest. Adrenalin schoss durch seinen Körper und Mothruit stürzte sich mit einem Freudeschrei auf das schwarze Pferd und zerriss es mit seinen Klauen. Schrilles Wiehern tönte durch den Wald und dunkles Blut quoll aus dem zerrissenen Brustkorb. Als Mothruit seinen Schnabel in das warme Fleisch stieß, seufzte er innerlich wohlig auf. Er hatte sich selbst vermisst. Wie er als Feuerschwanz durch die Lüfte flog, und sich niemand mit seiner Macht messen konnte. Er war der stärkste, noch stärker als Rathrankar! Bis auf... Hasserfüllt legte sich Mothruits Blick auf das dunkle Mal, das Rathrankar ihm mit der Nadel beigefügt hatte.
Auf seinem Brustkorb prangte ein runder, roter Kreis. Kaum größer als ein Nadelkopf, doch eben dieser Kreis war es, der Mothruit in dem Körper des Feuerschwanzes kontrollierte. Vor zwölf Jahrzehnten hatte Rathrankar jeden der vierundzwanzig Feuerschwänze durch einen Stich in den Brustkorb an sich gebunden. Durch diesen Stich konnte der Elfenbastard erkennen, wo sich welcher Feuerschwanz aufhielt. Doch das Ärgerlichste an der ganzen Sache war, dass Rathrankar durch Mothruits Fehler die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Weil Mothruit der stärkste aller Feuerschwänze war, hatte Rathrankar zuerst ihn an sich gebunden. Und der Elfenkönig hatte es ausgenutzt, dass sich Mothruits Geschwister erst gegen ihn wanden. Rathrankar hatte ausgenutzt, dass bei den Feuerschwänzen Uneinigkeit geherrscht hatte, und so hatte er auch all die anderen dreiundzwanzig Feuerschwänze markiert. Mothruit war gehasst worden, hatte all sein Ansehen zurückerobern müssen. Nur, weil er zu jenem Zeitpunkt unaufmerksam gewesen war!
Jedoch kannte Mothruit die Schwachstelle, in der Sache um die Stiche. Rathrankar sah die Markierten zwar, wusste aber nicht genau, wer wer war. Die Markierten glichen Spielfiguren, alle mit demselben Aussehen. Rathrankar konnte sie von oben sehen und überwachen, richtig erkennen aber nicht.
Zudem war ein Körper nur dann registriert, wenn er gerade existierte. Dadurch, dass Mothruit sich in Irkandirs Körper verborgen hielt, war die Figur für Rathrankar unsichtbar. Allerdings musste Mothruit aufpassen. Wenn er zu oft Gestalten wechselte, würde Rathrankar auf das ständige Verschwinden von Mothruits Gestalt sowie der von Irkandir aufmerksam gemacht werden. Er musste also behutsam sein.
Als Mothruit sein Mahl beendet hatte, erhob er sich in die Lüfte. Immer noch troff ihm warmes Blut vom Schnabel. Einige Zeit kreiste Mothruit über den Elfenwald. Er genoss den Wind, genoss die die schneidende Kälte, die er mit sich brachte. Es war stickig dort unten. Dort stank es nach Verrat und Uneinigkeit. Er flog über die Berggipfel, ließ sich fallen und glitt mit dem Wind. Es war spät geworden, als er wieder landete und sich zurück verwandelte. Er genoss es, dass Irkandir seine Klappe hielt. Anfangs hatte der Elf protestiert, aber er hatte es nie geschafft, seinen Körper wieder an sich zu reißen, und so schwanden seine Proteste. Er konnte nichts machen. Er war gefesselt in seinem eigenen Körper und sein Geist begann sich aufzulösen.
Leise strich Mothruit durch die Wälder. Immer wieder hielt er inne und lauschte. Er musste nur auf einen Elfen treffen. Ein lachendes Kind jagte ein anderes Elfenmädchen durch den Wald. Ein Ruf einer Frau ertönte und die beiden Kinder blieben stehen. Sie blickten zu Mothruit hinauf und lachten ihn an. Der Feuerschwanz beugte sich hinab und das kleine Mädchen tastete nach seinem Haar. Erneut rief die Mutter nach ihren Kindern. „Nun geht schon", sagte Mothruit lächelnd und erhob sich wieder. Die Kinder blickten ein letztes Mal zu ihm herauf, dann verschwanden sie wieder in dem Wald. Mothruit schmunzelte hinter ihnen her und folgte dann wieder seinem eigenen Weg. Er war sich bewusst, wie sehr er sich verändert hatte. Früher hätte er die Kinder gefressen, jetzt hoffte er, dass sie unbeschadet nach Hause kommen würden.
Als er dem leisen Rauschen eines Flusses folgte, traf er auf eine ansehnliche Elfenfrau. Sie trug ihr blondes Haar offen, das ihr lockig auf die Schultern wallte. Sie war ganz in Rot gekleidet. Ihr spitzes Gesicht war hell wie der Marmorboden im Thronsaal und die Augen hellbraun wie das Fell eines Rehkitzes. Die Narben an den Armen verrieten, dass sie eine Kriegerin war und vor keinem Kampf zurückschreckte.
Die Elfe saß an einem schmalen Fluss, wusch ein altes Hemd und sang in einer wunderbaren, hellen Melodie. Mothruit trat zu ihr und sie hielt inne, ehe sie sich umwandte. Sie verstummte und kniff die Augen zusammen, zog das braune Hemd aus dem Wasser und wollte aufstehen, doch er drückte sie sanft wieder hinab. Als sie zu sprechen anfangen wollte, legte er ihr einen Finger auf die Lippen. Sie waren wunderbar weich.
„Wie ist dein Name?", fragte Mothruit und bemühte sich um einen warmherzigen Ton. Er würde sie als Kriegerin nehmen, das war ihm klar. Er würde sie nehmen, egal was sie sagte! Sie würde ihm gehören! Sie sah ihn misstrauisch an, dann erwiderte sie: „Areen."
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