1. Kapitel

1775, Appleby Castle

Die sonstige Stille in den Fluren von Appleby Castle wurde nur durch die lärmenden Schritte meiner ehemaligen Amme gestört, deren knallende Absätze auf dem Parkett unverkennbar waren. Den Höhepunkt fand dieser herannahende Sturm von einer immerzu um mich besorgten Frau, als die Tür wie ein dem Gewitter geweihter Donnerschlag beim Öffnen gegen die Wand krachte. Ich zuckte zusammen, obwohl die Vorzeichen ihres Kommens mehr als eindeutig gewesen waren. Ihre Unhöflichkeit mir gegenüber, nicht einmal einen Funken Anstand zu besitzen, um zaghaft an die Tür zu klopfen und um Erlaubnis zum Eintreten zu bitten, übersah ich geflissentlich. Nur sie konnte sich diese Freiheit herausnehmen, da sie mich bereits von Kindesbeinen an kannte.

„Mylady, Sie ist da. Sie ist soeben eingetroffen!"

Einige Sekunden verstrichen im bedeutungsschweren Schweigen. Ich seufzte. Ich hatte keinen Schimmer, wovon sie mir derart aufgeregt mitzuteilen versuchte.

„Elba, ich wüsste nicht, inwiefern mich dieser Umstand betreffen sollte. Ich erwarte für heute keinen Besuch."

Ihr ohnehin schon erhitztes Gesicht färbte sich vor Aufregung eine Spur in Richtung eines noch dunkleren Rottons.

„Aber, Mylady, so hören Sie mich doch an. Sie ist da. Die Kutsche!"

Überrascht blickte ich von meiner Lektüre nun doch auf. Ich hatte gehofft, mein offensichtliches Desinteresse an dieser Sache würde sie früher oder später vielleicht vertreiben. Doch Ignoranz konnte ich diesem neuen Umstand offenbar leider nicht zuteil werden lassen.

„Von welcher Kutsche sprichst du? Wie ich dir schon mitgeteilt habe, ich erwarte keinen..."

Ihre Ungeduld wurde umso spürbarer, als sie mir unverfroren ins Wort fiel. Innerlich stöhnte ich auf. Alles, was ich mir in diesem Moment wünschte, war einzig und allein Ruhe. Stille, die mich die Gegenwart vergessen ließ und mich dazu befähigte, meinen eigenen Gedanken nachzuhängen.

„Aber, Mylady ..." Sie betonte dieses Wort auf eine Art und Weise, die mir ganz und gar missfiel, als mir daraufhin ein Bild von mir als Sechsjährige in den Sinn kam. Ich fühlte mich mit einem Mal zu einem Kind herabdegradiert. „... nun stellen Sie sich nicht so nichtsahnend. Ich weiß nur zu gut, wie Sie die letzten Wochen auf diesen Tag hingefiebert haben müssen. Ihr Bruder war so voller Begeisterung, die das ganze Haus schon Wochen im Voraus in Vorfreude versetzt hat. Im Namen aller richte ich Ihnen schon einmal die besten Glückwünsche aus, auch wenn Sie noch nicht offiziell unter der Haube sind." Verschmitzt zwinkerte sie mir zu und ergriff meine Hände wie die einer alten Freundin, während ich aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Unter der Haube? Was hatte das alles zu bedeuten? Mir fehlten die Worte. „Ach, das ist alles so überwältigend. Und dabei hätte ich nie erwartet, dass Sie diesen Schritt in den Ehestand noch wagen würden. Sie sind ja schon beinahe eine Jungfer, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Ich freue mich aus tiefstem Herzen für Sie. Sie wissen gar nicht, wie oft ich den lieben Gott da oben angefleht habe, Ihnen dieses Glück zu schenken!"

Ihr warmherziges Lächeln und ihre strahlenden Augen, während sie beschwingt meine Hände drückte, die sich nun wie Eisennägel in den Ledereinband meines Buches bohrten, erreichten mich nicht. Der Schock war mir zwar in alle Glieder gefahren und hatte mich für einen Augenblick zu Eis erstarren lassen, jedoch die folgende, glühende Hitze des Zorns ließ mich wieder Herrin meines Körpers werden. In demselben Moment setzte mein Verstand wieder ein und die erschreckende Erkenntnis sickerte schließlich zu meinem Bewusstsein durch. Mein Bruder hatte es doch tatsächlich gewagt, seinen Drohungen der letzten Wochen Taten folgen zu lassen.

„Elba, wo befindet sich mein verdammter Bruder zu diesem Zeitpunkt?" Aus zusammengebissenen Zähnen heraus knurrte ich diese Worte mehr, als das ich sie aussprach. Elbas Freude wich der Verunsicherung, kurz darauf dem bitteren Verstehen der sich ihr neu eröffneten Lage. Meine Wut war offenbar nicht die Reaktion, mit der sie gerechnet hatte.

„Mylady, das tut mir leid. Ich wusste nicht ... Wie hätte ich das wissen sollen? Ihr Bruder bat uns alle, es nicht weiter zu erwähnen, bis, nun ja, die Kutsche eintrifft. Er sagte, dass Sie kein großes Aufhebens um alles machen wollen, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich ziehen wollen. Und wir dachten, dass sähe Ihnen ja ähnlich, also schwiegen wir ..."

Ihre Ausflüchte, um meinen Zorn zu mildern und meinen Bruder ein wenig die Verantwortung in dieser Sache von den Schultern zu nehmen, nutzten nichts. Sie prallten an mir ab wie ein laues Lüftchen an einer unbeeindruckten Mauer.

„Wo ist er?"

„Mylady, ich glaube nicht, dass das der rechte Zeitpunkt für ..."

Wo?" Ich herrschte sie in einem derben Tonfall an. Sie zuckte zusammen und sah mich derart schockiert an, dass es mir einen kleinen Stich im Herzen versetzte. So ausfallend war ich noch nie trotz all ihrer Unzulänglichkeiten und ihrer nervtötenden Art und Weise, mich stets mit ihrem Frohsinn anstecken zu wollen, geworden. Ich war mir sehr wohl bewusst, dass sie es im Grunde genommen nur gut mit mir meinte und ich ihr in diesem Augenblick unrecht tat.

„Elba, sag mir bitte einfach, wo dieser Taugenichts sich befindet", fügte ich mit einem milden Tonfall hinzu, um meinen Worten die Schärfe zu nehmen.

Ihr rechter Mundwinkel verzog sich zu einem schiefen Lächeln. „Im Salon, Mylady. Bitte gehen Sie nicht zu hart mit ihm ins Gericht. Er hat sich dabei bestimmt nichts Böses gedacht."

Ich nickte ihr dankbar zu und erhob mich wortlos. Die Zornesfalte auf meiner Stirn vertiefte sich. Mein Abklatsch von einem Bruder würde gleich sein blaues Wunder erleben! Das Bild eines Ritters in Rüstung auf einem Pferd, das vor Anspannung sich für den bevorstehenden Kampf erhob und laut wieherte, tauchte vor meinem inneren Auge auf. Auch ich zog in die Schlacht. Zwar nur in eine metaphorisch angehauchte, allerdings in eine um meine Zukunft.

Ich stürmte raschen Schrittes durch die Flure, während Elba mir sorgenvoll folgte, in der Hoffnung, mich, das nahende Unwetter, doch noch in schönsten Sonnenschein wandeln zu können. Jedoch halfen all ihre gut gemeinten Beteuerungen und Beschönigungen nichts. Ich wusste es in diesem Moment besser. Mein Bruder hatte die Verantwortung für mich auf heimtückische Art und Weise abgegeben. Er hatte mich hintergangen. Mich, seine einzige Schwester.

„Brian Emmanuel de Clifford, kannst du mir mal erklären, was ...?"

Die Türen des Salons hatte ich aufgestoßen und wie eine wildgewordene, schimpfende Furie war ich kaum drei Schritte in den Raum hineingetreten. Doch mitten im Satz stockte ich nun, als ich mir erst entscheidende Sekunden später der Tatsache bewusst wurde, dass neben meinem Bruder ein weiterer Mensch im Raum war. Brian hatte seinen Schrecken allerdings schnell verwunden, denn hinter vorgehaltener Hand belächelte er mich für meinen Auftritt.

„Entschuldigen Sie bitte mein ungestümes Auftreten. Das galt gewiss nicht Ihnen. Streichen Sie bitte diese Begegnung aus ihrem Gedächtnis, so als sei all dies nicht geschehen. Es tut mir aufrichtig leid. Brian, ich werde mich dann jetzt zurückziehen, aber wir sprechen uns später noch", lautete meine eilige Entschuldigung und auch ein Knicks folgte.

Aus vor Zorn blitzenden Augen stierte ich Brian an, so als könnte ich bewirken, dass sich unter ihm ein Loch auftat, in das er endlos hinabfallen würde, ohne jemals auf dem Boden aufzutreffen. Zu meinem Missfallen geschah nichts dergleichen. Stattdessen vertiefte sich das falsche Grinsen meines Bruders nur und der Schalk in seinen Augen brachte meine Weißglut erneut in Wallung.

„Allerliebstes Schwesterherz, wie schön Dich hier begrüßen zu können. Keine Sorge, Dein schlechtes Betragen sei Dir vergeben und von uns vergessen. Setz Dich doch, bitte. Es gibt eine Menge zu besprechen. Ich wollte gerade sowieso nach Dir schicken lassen."

Am liebsten hätte ich mich gegen diese unverschämte Aufforderung zur Wehr gesetzt, allerdings wollte ich vor diesem Fremden nicht noch mehr in Ungnade fallen und den letzten Rest meines Rufes als elegante Lady dieses Hauses verlieren. Dem Gast, der zwischen uns blinzelnd hin und her sah, als ob er nicht fassen könnte, was sich da soeben zwischen uns abgespielt hatte, ließ sich wieder auf seinen Platz sinken, von dem er erschrocken aufgesprungen war. Ich nahm in dem Sessel zwischen den zwei gegenüberliegenden Sofas Platz.

„Nun gut, Brian, was gibt es so Wichtiges zu besprechen, dass es meiner Anwesenheit bedarf?"

Überrascht blickte mich der Fremde an. Scheinbar konnte er die beiden Seiten an mir, die er bedauerlicherweise am eigenen Leibe zu spüren bekommen hatte, nicht miteinander in Einklang bringen. Verwirrt schüttelte er leicht den Kopf hin und her, um seinem Verstand wieder ins Gleichgewicht bringen zu können. Diese höfliche, ruhige Lady vor ihm passte scheinbar sogar nicht zur dem fuchsteufelswilden Biest, das soeben in den Salon hineingestürmt war.

„Alice, darf ich Dir erst einmal unseren Gast vorstellen? Das ist Sir Daniel Longfield, engster Vertrauter, Berater und Freund des Earl of Swinton. Er ist hier, um Dich nach Yorkshire zu deinem zukünftigen Gemahl zu bringen, da dieser ..."

Fragend blickte mein Bruder Sir Daniel an, der im Moment immer noch nicht recht wusste, wie er das Geschehene einzuordnen hatte. Er räusperte sich, bevor er die Worte meines Bruders fortführte.

„Nun der Earl of Swinton sah sich aufgrund eines unvorhersehbaren Ereignisses nicht dazu in der Lage, hier zu erscheinen, und bittet dies förmlichst zu entschuldigen. Es freut mich, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen, Mylady."

Er und ich erhoben uns gleichzeitig und ich beobachtete, wie er mit zitternder Hand meine rechte mit einem keuschen Kuss bedachte. Ich unterdrückte ein Schmunzeln. Diesem Mann schien ich ja ordentlich eingeschüchtert zu haben. Vielleicht würde mir das noch von Nutzen sein können, dachte ich im Stillen.

„Mich ebenfalls, Sir."

Daraufhin wandte ich mich mit bittersüßen Worten an meinen Bruder. Diese gesamte Situation kam mir augenblicklich wie ein schlecht durchdachtes Theaterstück vor, dem eindeutig der entsprechende Witz und Charme fehlte.

Brian, wann hättest Du denn die Güte besessen, mir mitzuteilen, dass ich heute derartig wichtigen Besuch empfange? Ich hatte gar keine Zeit, mich innerlich sowie äußerlich auf dieses freudige Ereignis vorbereiten zu können."

Brians tiefes Lachen erfüllte den Salon. Der Sarkasmus in meinen Worten war überdeutlich zu verstehen gewesen, was am Stirnrunzeln Sir Daniels nur allzu offensichtlich wurde. Mein Bruder hatte Tränen in den Augen, als er mich mit einem bubenhaften Grinsen bedachte. Weshalb hatte ich nur einen solchen Schwachkopf zum Bruder bekommen? Er erfreute sich doch tatsächlich an meiner unglücklichen Lage und daran, mich auf diese Weise unter Kontrolle gebracht zu haben. Mich, seine Schwester, die nie hatte einen Mann ehelichen wollen.

„Ach, Alice, das vergaß ich Dir wohl mitzuteilen. Verzeih mir, aber Du kennst mich ja nicht anders. Ich bin doch so zerstreut." Er lachte entschuldigend auf und fasst sich dabei mit der Hand in einer gespielt unsicheren Geste an den Hinterkopf. Zorn schäumte in mir auf wie eine aufbrausende Welle, die mit voller Wucht an die Klippen schlug. Bevor ich sein Verhalten überhaupt kommentieren konnte, riss er das Wort an sich.

„Um ehrlich zu sein, Laeticia hat endlich nach langem Hin und Her in die Heirat eingewilligt. Du darfst mich also dazu beglückwünschen ... Dieses Glück wollte ich Dir nicht vorenthalten und, da ich weiß, dass Du nicht bereit wärst, die Haushaltsführung von Appleby Castle ohne allzu großes Bedauern aufzugeben, habe ich mir gedacht, Dir eine Alternative zu bieten. Und da unser geliebter Vater in seinem Testament vorgeschlagen hatte, dass Du in den Ehestand mit seinem langjährigen Freund treten solltest, sofern Du zum Zeitpunkt seines Todes noch unverheiratet wärst, dachte ich, dass es klug wäre, den Earl of Swinton an das Versprechen zu erinnern, das er unserem Vater damals zum Ende des Krieges 1763 gegeben hatte. Leider kann ich Dir nur nicht sagen, weshalb das Versprechen zwischen ihm und Vater bestand, jedoch scheint es bindende Wirkung gehabt zu haben, wie Du siehst." Er deutete mit seiner Hand in Richtung Sir Daniels als eine Art lebenden Beweis.. „Vater hatte immer nur das Beste für uns alle im Sinn. Er ..."

„Sei still! Wieso erfahre ich erst jetzt davon? Welchen Teil des Testaments hast Du mir die ganze Zeit vorenthalten? Wo steht geschrieben, dass Vater sich das für mich gewünscht hat, du ...du ...!" Das Wort lag mir auf der Zunge, doch der besorgte und skeptische Ausdruck in Sir Daniels Augen ließ mich verstummen. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass auf einmal ein Kloß in meinem Hals mich am Atmen hinderte, während sich zusätzlich eiskalte Klauen darum legten und kräftig zudrückten. Vielleicht rührte dieser plötzliche Schmerz von dem Verrat meines hinterlistigen, selbstgefälligen Bruders her, dem ich trotz all seiner Fehler niemals einen solchen Schachzug zugetraut hätte. Oder er fand seinen Ursprung in der traurigen Erkenntnis, dass mein Vater hinter meinem Rücken eine Ehe für mich arrangiert hatte, obwohl er mir immer versichert hatte, dass ich selbst die Entscheidungen für mein Leben treffen könnte. Sicher wusste ich, den Quell des Schmerzes nicht mit Sicherheit auszumachen, allerdings bahnte sich dieser nun in stummen Tränen einen Weg aus meinem Körper. Lautlos schluchzte ich auf und sah meinen Bruder anklagend an.

„Du bist nicht derjenige, der ... jemals auf eine solch abscheuliche Idee kommen sein könnte! Laeticia, diese giftige Schlange, diese Ausgeburt der Hölle! Sie muss Dich dazu verleitet haben! Wie kannst Du mir nur so etwas antun?"

Die Reaktion meines Bruders bereitete mir furchtsames Unbehagen. Brian sah mich ausdruckslos an, bis sich ein höhnisches Lächeln in sein Gesicht schlich. „Alice, liebste Schwester, Du scheinst es nicht begreifen zu wollen. Hier ist kein Platz mehr für Dich. Dachtest Du, ich würde Dich weiter unter meinem Dach leben lassen und Dich bis zu deinem Lebensende hier verköstigen? Nein, selbst Du kannst nicht so naiv gewesen sein. Dass Du aus Appleby Castle verschwindest, war die Bedingung dafür, dass Laeticia überhaupt in eine Ehe mit mir einwilligte. Sie wollte nicht in demselben Haus mit Dir leben müssen. Mir soll es recht sein. Dem Earl of Swinton habe ich Dich durch eine großzügige Mitgift schmackhaft gemacht. Du hast Glück gehabt, dass er sich Deiner annehmen will, sonst wärst Du bald ohne Obdach gewesen. Dankbar solltest Du mir sein, dass ich für Deine Zukunft gesorgt habe."

Mit einem Mal sah ich rot. Mir war es unangenehm, unsere Familienangelegenheiten derart unverblümt vor einem Fremden auszubreiten, und auch Jähzorn durchfuhr mich zeitgleich wie heißes, flüssiges Lava, das sich einen Weg zwischen den Felsen den Vulkan hinabbahnte. Ich dachte nicht weiter darüber nach, dass mein Bruder und ich nicht allein waren. So ließ ich meine Würde als Lady für einen Moment außer Acht. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Menschen so sehr verachtet wie ihn. Und Laeticia, diese verlogene Schlange! Ich sprang auf ihn zu in der Absicht, ihm auf irgendeine Art und Weise Schmerz zuzufügen, wenngleich ich ihn nicht wirklich körperlich angreifen würde. Es befriedigte mich ungemein, als er wenigstens ängstlich vor mir zurückzuckte.

„Womit habe ich das verdient? Ich habe Dir nichts getan! Weshalb tust Du mir das an?" Ich hielt inne und wartete seine Antwort ab. Auch wenn ich unfassbar wütend war, wollte ich wissen, warum er mich auf solch bitterböse Weise verletzt sehen wollte. Sein demütigendes Lächeln sprach nämlich Bände.

„Du, Alice, warst die Einzige, die Vater je geliebt hat. Die Einzige, die er je akzeptiert und gelobt hat. Mich hingegen hat er in jeder Sekunde meines Daseins gedemütigt, verachtet und als das schwarze Schaf der Familie betrachtet. Nie habe ich auch nur ansatzweise seinen Ansprüchen genügt. Als dann meine Wahl auf Laeticia fiel, hat er laut gelacht und mich angesehen, als ob ich von allen guten Geistern verlassen worden wäre. Er sagte wortwörtlich: ,Mein Sohn, du hast etwas Besseres als diese Laeticia verdient, glaub mir.' Da habe ich mir selbst geschworen, mich von ihm nicht mehr beeinflussen zu lassen, sondern meinen eigenen Weg zu gehen! Koste es, was es wolle."

Erregt überragte er mich jetzt um einen halben Kopf und starrte voller Hass auf mich herab, während er seine Hände zu bedrohlichen Fäusten geballt hatte. Meine Wut sank plötzlich auf ein Minimum herab, als ich hinter dem Hass in seinen Augen eine ungeheure Verletzlichkeit entdeckte, die mein tiefstes Mitleid weckte. Vater hatte ihn geliebt. So sehr, wie nur ein Vater seinen Sohn lieben konnte. Hatte Brian das in all den Jahren nicht begriffen? War er durch seinen Hass blind für die Liebe unseres Vaters geworden? Mit ruhiger, gefasster Stimme wählte mich meine nächsten Worte mit Bedacht.

„Brian, Vater hat Dich immer geliebt. Er hat nur das Beste für dich gewollt und sah Dir nur ungern dabei zu, dass Du Dich nach und nach ins Unglück gestürzt hast. Erinnerst Du Dich an das Geld, das Vater Dir zu deinem 21. Geburtstag schenkte? Und erinnerst Du Dich auch daran, wie Du Dich dann mit deinen Freunden wochenlang in Londons Spielhöllen umhergetrieben hast und mit einem Haufen Schulden im Gepäck reumütig zurückkamst? Vater zahlte all deine Schulden, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Und Du dachtest, Du hättest die Gläubiger an der Nase herumgeführt. Erinnerst Du Dich an den Jagdunfall von Mr. Harris? Vater wusste, dass Du Mr. Harris und seinem Pferd zwischen den Büschen zum Spaß aufgelauert und es erschreckt hattest, sodass Mr. Harris vom Pferd gefallen war. Vater nahm die Schuld auf sich, erwähnte Dich mit keinem Wort und zahlte die Behandlungen des Arztes für Mr. Harris. Kannst Du Dich daran denn nicht mehr erinnern? Natürlich hat Vater mit Dir geschimpft, aber Du musst doch verstehen, dass er sich manchmal nicht anders zu helfen wusste. Unser Vater war kein Mann der vielen Worte, er wusste einfach nicht, wie er zu Dir durchdringen sollte. Mutter hätte dies bestimmt besser ... nun ... verstehst Du es jetzt vielleicht ein wenig besser? Niemand hat Dir je etwas Böses gewollt ..."

Ich näherte mich ihm mit meiner rechten Hand, um ihm zu signalisieren, dass sein Schmerz ein Ende finden könnte. Zu meinem Entsetzen jedoch schlug er die Hand fort und eine verzerrte Maske des Spotts und Hasses entstellte sein Gesicht.

„Schwesterherz, dann erkläre mir mal, weshalb Vater sich so gegen Laeticia und ihre Familie stellte und mir das Einverständnis für die Ehe mit ihr verweigerte, mich ja sogar zu enterben drohte?"

„Brian ..."

„Sag es mir!"

„Brian ... Denk daran, Vater meinte es nur gut mit Dir. Folglich zog er Erkundigungen über Laeticia und ihre Familie ein und kam letztlich zu dem Schluss, dass Laeticia nicht Dich, sondern Dein Geld liebt. Ihr Vater liest ihr geradezu jeden Wunsch von den Lippen ab und hat sich deswegen stark verschuldet. Selbst ihre Mutter verwöhnt dieses Kind bis ins Unermessliche! Brian, hör mich zu, es wird Deinen Ruin bedeuten, wenn Du sie ehelichst!"

Mit seiner darauffolgenden Reaktion hatte ich wahrlich nicht gerechnet. Ein kräftiger Schlag donnerte gegen meine Wange und mein Kopf flog umher. Die Wucht dieser Backpfeife riss mich von den Füßen, doch bevor ich mit dem Boden in Berührung kommen konnte, fingen mich zwei kräftige Arme auf. Und ehe ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, grollte die Stimme eines weiteren Eindringlings unheilvoll durch jeden verfügbaren Zoll Luft dieses Salons.

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