Provisorische Trainerin

(Kurzer Disclaimer: Dieses Buch besteht aus ziemlich langen Kapiteln, ich werde es demnächst überarbeiten, aber derzeit ist es vielleicht noch etwas anstrengender zu lesen (es sind ungefähr 3000 Wörter lange Kapitel))

Mein Blick glitt vom Rand des Notizbuches, in dem ich gerade noch geschrieben hatte, als ich ein leises Schleifen vernahm. Es wurde ohne Zweifel von den weichen anpassbaren Sohlen eines Elbenschuhes auf Rinde, erzeugt.
Ich zögerte nicht lange, klappte meine Aufzeichnungen zu und holte in einer blitzschnellen Bewegung meinen Bogen hervor, in welchem ich gleichzeitig einen eingespannten Pfeil liegen hatte. Ich kannte die Einteilung der Patrouillen und wusste, dass in diesen Bereich heute keine Dienst hatte. Außerdem war hier nur äußerst selten jemand unterwegs, was mich zu einer starken Vermutung führte, wer sich da an mich heranschlich.

Als ich in die strahlend blauen Augen blickte, kam ich nicht um ein schadenfreudiges Lächeln herum.
„Da warst du aber schon mal besser", grinste ich und als mein Gegenüber mein Lächeln erwiderte, entspannte ich meine Arme wieder.
„Ich wollte dich nur nicht stören", antwortete er gedämpft und legte den restlichen Weg zu mir mit Leichtigkeit zurück. Wir waren ein Stück in den hohen Bäumen, in denen Elben wie wir uns ohne Probleme fortbewegen konnten. Immerhin wurden wir fast schon in ihnen geboren.
Meine Aufmerksamkeit wandte sich wieder der kleinen Höhle, welche unter Wurzeln versteckt lag, zu. Es war fast schon traurig, dass ich nun wieder einen neuen Platz für meine Beobachtungen finden musste. In letzter Zeit war es immer schwieriger geworden diese kleinen Lager zu finden, solange sie noch nicht zu stark bewacht wurden.

„Und wie lange weißt du schon von diesem Nest?", fragte er und stellte sich neben mich. Ich seufzte bloß leise. Mir war klar, dass es einfach eine seiner Aufgaben war, doch er konnte doch einmal eine Ausnahme machen, oder?
„Langsam frage ich mich schon auf wessen Seite du eigentlich stehst", murmelte mein Ziehbruder und sah kurz hinter sich. "Mir ist schon klar, dass es Vaters Befehl ist, doch es ist so eine gute Möglichkeit mehr über diese Tiere zu lernen", antwortete ich nun doch etwas beleidigt und schaute ihn zum Ende hin wieder mitleidserregend an. Er konnte es noch nie verstehen.

„Wenn sie so schlau sind, wie du sagst, denkst du nicht, dass sie irgendwann dazulernen und dich angreifen?" Ich wandte mich schnell ab und ging um den Baum herum. Wenn er wüsste. Ich wurde schon einige Male heimtückischen Angriffen zum Opfer, doch hatte mich immer zu verteidigen können. Ich wusste, worauf ich mich einließ, wenn ich diese Tiere beobachtete.
„Na, mach schon", seufzte ich stattdessen und ließ mein Buch in meiner Brusttasche verschwinden. Hinter mir konnte ich noch einen genervten Laut vernehmen.
„Eigentlich hatte ich dich gesucht, Ní", gab er schließlich auf und ging mir hinterher. Ní war eine Abkürzung für Níniel, die er nur benutzte, wenn wir alleine waren. Man durfte doch auf keinen Fall mitbekommen, dass jemand dem kalten Prinzen etwas bedeutete.

Also hielt ich an und drehte mich zu ihm um. Ich ergriff jede Chance, die sich mir bot, wenn ich mit meinem Bruder statt dem Prinzen sprechen konnte.
„Vater hat eine neue Aufgabe für dich." Ich hätte um ein Haar meine Augen verdreht. Wenn Thranduil über Legolas Wort sandte, dann war es etwas, das mir nicht gefiel. Sonst hatten wir nämlich ein ziemlich gutes Verhältnis und er würde es mir privat sagen.
„Du kennst doch Lumiel." Ich kniff meine Augen ein wenig zusammen und nickte. Wir waren nicht unbedingt befreundet, doch sie war eine gute Kämpferin und seit langem Trainerin für Schüler, weshalb mir ihr Name ein Begriff war.
„Sie hat sich gestern Abend beim Training verletzt und kann ihre Gruppe heute nicht unterrichten", erklärte er und hatte dabei ein unverhohlenes Grinsen auf den Lippen. Ich lehnte mit einem Seufzer meinen Kopf gegen den Baumstamm und wartete auf die Information, die ich schon kommen sah. Elbische Medizin war sehr weit entwickelt. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass Legolas sie überredet hatte, sich nicht doch noch einen Tag auszuruhen, obwohl das eigentlich nicht nötig gewesen wäre.
„Du bist die qualifizierteste Person, die man auf die Schnelle finden konnte und sollst die bevorstehende Prüfung abnehmen", führte er seinen Satz zu Ende. „Und das hat Vater entschieden?", antwortete ich mit einem ungläubigen Blick. Der große König würde sich niemals mit so lächerlichen Themen beschäftigen.
„Nicht wirklich, ich dachte mir du brauchst mal etwas Besseres zu tun, als den ganzen Tag diese Spinnen zu beobachten." Ich sah ihn genervt an. „Warum auch noch eine Prüfung?", seufzte ich resigniert und drehte mich Richtung Palast zum Gehen. Die Schüler warteten vermutlich bereits auf mich.

„Ich werde das hier noch schnell erledigen und komme dann nach", rief er mir hinterher, worauf ich nur meinen Kopf schüttelte. Wenn ich sie nur im Unterricht hätte, könnte ich auf irgendeinen Übungsplatz gehen und sie üben lassen, aber jetzt musste ich mich ja richtig konzentrieren.

Ich bemühte mich nicht nach hinten zu lauschen. Die kleine Spinnenfamilie war einfach so perfekt gewesen zum Studieren. Wie sollten wir sie denn jemals endgültig aus dem Wald vertreiben, wenn wir nichts über sie wussten? Doch jetzt galt es erst einmal diesen Tag hinter mich zu bringen. Manchmal hatte es schon seine Nachteile die Ziehschwester des Prinzen zu sein. Es war der Tag der Schlacht gegen die großen Feuerschlangen des Nordens gewesen, an dem nicht nur Thranduils Frau, sondern auch meine Eltern ihr Leben gelassen hatten. Es hatte nur ein paar Tage gedauert, bis der König erkannt hatte, das sich sein Sohn an mich, seine damalige beste Freundin geklammert hatte, da er sich so alleine gelassen gefühlt hatte.

Ich erreichte recht schnell die Halle, in der die vier Schüler warteten. Sofort wurde meiner Motivation ein weiterer Dämpfer verpasst, als ich durch die große Tür trat. Doch für sie war es ein wichtiger Tag, den ich nicht so schnell vermiesen wollte, weshalb ich mich nochmal aufraffte und nähertrat.
Als sie mich kommen sahen, schauten sie überrascht auf und verbeugten sich schnell. Ich gehörte zwar nicht offiziell zur Königsfamilie, doch behandelten mich trotzdem alle hier wie Legolas' echte Schwester, da ich immerhin den gebührenden Einfluss besaß. Früher hatte ich es immer als unpassend empfunden, inzwischen war ich es fast schon gewohnt. Es war schließlich schon einige Zeit her, als ich ein kleines Mädchen gewesen war.
„Guten Morgen. Lumiel hat sich gestern leider verletzt, weshalb ich für heute übernehmen werde", stellte ich mich vor und schaute alle nach der Reihe kurz an. Es war nur eine Elbin unter drei Elben, doch trotzdem ließ sie nicht an ihrer Kraft zweifeln. Ihre Augen sprühten nur so vor Aufregung.
„Werden wir dann trotzdem unsere Prüfung ablegen?", fragte einer der Elben mit eingeflochtenen blonden Haaren und trat einen Schritt vor. Er war der Kleinste, doch schien trotzdem der Mutigste zu sein. Die anderen beiden hatten schnell die Blicke gesenkt und mich noch keines Blickes gewürdigt aus Angst und Respekt.
„Soweit das möglich ist: ja. Ich bin keine ausgebildete Trainerin, doch ich kann mich noch ganz gut an euer Alter erinnern", antwortete ich und log dabei noch nicht einmal so wirklich. Ich hatte bessere Erinnerungen als Legolas an damals. Sogar an seine Mutter konnte ich mich noch schemenhaft erinnern, aber sehr viel war da nicht.

„Also heute wäre eigentlich Schwertkampf auf dem Plan gewesen", erklärte die Elbin und hielt dabei den Blick respektvoll gesenkt. Ich musste ein wenig lächeln. Das war zwar ein wenig zu viel des Guten, doch sie würde sich schon noch ein wenig öffnen im Laufe des Tages.
„Na, dann, eure Waffen habt ihr schon, wie ich sehe. Dann lasst uns in den Wald gehen", befahl ich und drehte mich schon um. Die Schüler zögerten kurz, doch folgten mir dann. Auf dem Weg konnte ich hinter mir leises Geflüster vernehmen, doch ich nahm an, dass sie einfach nur aufgeregt wegen der Prüfung waren. Soweit ich wusste, mussten sie gegeneinander kämpfen und ein paar Fragen von mir beantworten können, von denen ich keine einzige mehr wusste, doch das würde sich schon ergeben.

Ich steuerte einen Trainingsplatz nicht weit von den Mauern des Palastes entfernt an, auf welchem ich selbst oft geübt hatte. Legolas und ich trainierten immer noch regelmäßig, um nicht aus der Übung zu kommen.
„Ihr könnt euch aufwärmen", befahl ich und sah mich kurz um. Dieser Teil in der Nähe des Palasts war noch nicht so schlimm befallen von den dunklen Wesen, doch mit der Verantwortung für die Elben vor mir, war ich trotzdem etwas aufmerksamer als sonst. Während sich meine Schützlinge wie befohlen aufwärmten, ließ ich meinen Blick durch die Bäume schweifen. Irgendwas saß da in meinem Hinterkopf, das keine Ruhe geben wollte, es beunruhigte mich, doch ich konnte nicht ganz sagen was es war.

„Gut, dann lasst mal sehen", lenkte ich mich selbst schnell ab und nickte ihnen zu. Ich nahm an, dass sie die Gruppen, in denen sie am besten kämpften, selbst kannten, womit ich auch richtig lag.
Wortlos machten sie sich schnell aus wer anfing, bis sich die Elbin und der kleine Elb gegenüber aufstellten und ihre Schwerter zogen. Ich kam um ein leises Zucken meiner Mundwinkel nicht herum, als sie einige Sekunden so dastanden und sich sammelten, bevor sie die ersten Schläge austauschten. Als ob das in Wirklichkeit jemals so ablaufen würde. Doch es würde noch ein paar Jahre dauern, bis sie ernsthaft kämpfen würden, also machte ich mir vorerst keine Sorgen.
Sie kämpften nicht einmal so schlecht, doch ich kam nicht umhin, zu bemerken, dass die meisten Abläufe eingeübt waren, auch wenn sie es überspielen wollten. Sie hatten sich das vermutlich schon vorher ausgemacht. Das war allerdings nicht der Sinn dieser Prüfung.
„Stopp", unterbrach ich sie also und trat näher. „Schön, dass ihr so viel geübt habt, doch ihr sollt euch auch gegen einen Gegner wehren können, von dem ihr nichts wisst", erklärte ich und streckte dem Elben auffordernd meine Hand entgegen. Er schaute kurz etwas verwirrt auf, doch legte dann sein Schwert hinein.
„Ich weiß, dass das ein wenig unkonventionell ist, aber ich bin schließlich auch keine echte Trainerin. Greif mich an", forderte ich die Elbin auf und stellte mich ihr gegenüber. Ihr Mund öffnete sich ein wenig und ein etwas überforderter Ausdruck machte sich auf ihrem Gesicht breit.
„Ich kann dich auch durchfallen lassen", sagte ich und zuckte leicht mit meinen Schultern, worauf sie sich zu sammeln schien und dann ihr Schwert hob. Ich rief mir noch einmal in Erinnerung, dass sie nur eine Schülerin war und noch nicht einmal mit ihrer Ausbildung fertig, bevor ich den ersten Schlag parierte.
Ihre Bewegungen waren vorhersehbar, langsam und schwach. Ich konnte zunächst nicht wirklich beurteilen auf welchem Level sie sein sollten, doch verglich es einfach mit dem Kampf, den ich zuvor gesehen hatte, wobei ich dabei die Messlatte auch noch einmal ein wenig tiefer legte. Schließlich waren diese Bewegungen einstudiert gewesen.

Ich musste mich zurückhalten ihr keine Tipps zu geben. Das hier war schließlich kein Unterricht und es war ihre Verantwortung gewesen zu üben. Das Schwert war auch nicht unbedingt eine Standartwaffe, doch über die Jahre hatte ich gelernt mit jeder Art von Schwertern, Dolchen oder Bögen umzugehen. Es war kurz und von leichterem, brüchigerem Material. Auch ließ es an seiner Tötlichkeit zweifeln, falls sie mich erwischen würde.

Der Kampf dauerte nicht lange an, bis ich im Hintergrund meinen Bruder erkannte und meine freie Hand um ihr rechtes Handgelenk legte, um ihre Bewegung aufzuhalten. Sie versuchte sich zu befreien und nahm es offensichtlich als Teil des Kampfes auf, worauf ich kurz lächelte und meinen Kopf schüttelte.
„Schon gut", sagte ich und ließ sie los. Etwas verwirrt sah sie zu ihren Freunden hinüber, welche Legolas ebenfalls bereits bemerkt hatten. Ich ging knapp an ihr vorbei auf ihn zu. An seinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er nicht nur hier war, um sich über mich lustig zu machen. Auch, als ich näherkam, lag in seinem Blick eine Ernsthaftigkeit, die ich nicht ganz zuordnen konnte.

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