Eine verlorene Seele

„Legolas", sprach Tauriel warnend neben mir. Ich hatte die Arme verschränkt und starrte auf die Mauern der dunklen Festung. Meine Schwester war immer noch nicht zurückgekehrt. Ich wusste selbst, dass wir nicht zu lange warten durften, doch mit ihr waren ein Viertel aller Elben gegangen und die durften genauso wenig verschwunden bleiben.
„Was, wenn sie nicht kommt?", fragte meine Freundin sanft und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich kniff meine Augen ein Stück zusammen. Natürlich war ich immer zuerst der Prinz, doch gleichzeitig machte ich mir Sorgen um Ní. Sie würde längst wieder hier sein, wenn es keine Probleme gegeben hätte. Wir hatten viele Leute verloren und auch ihre Gruppe war sicher nicht ohne Verluste ausgekommen, doch, dass alle verschwunden waren?
Wir hatten uns zurückziehen müssen. Die Streitkräfte, die uns erwartet hatten, waren um einiges größer gewesen als angenommen. Doch trotzdem hatten wir sie geschwächt und vielleicht unsere Position klargemacht. Der Kämpf wäre aussichtslos gewesen, wenn ich nicht den Rückzug angeordnet hätte. Wir würden die südlichen Teile nicht zurückerhalten, doch das Leben im Norden war fürs erste gesichert.
Meine Augenbraun hoben sich etwas überrascht, als sich tatsächlich ein paar Elben zu erkennen gaben, die sich näherten. Ich warf Tauriel einen kurzen Blick zu und kam ihnen entgegen. Doch an ihrer Spitze ging nicht meine Schwester, sondern Lagornem.
„Wo ist Níniel?", fragte ich sofort und nickte den anderen zu, dass sie sich dem Rest anschließen sollten. Der Elb senkte den Blick und schüttelte leicht den Kopf. Ich spürte, wie meinem Herz ein Stich versetzt wurde. Das konnte nicht wahr sein!
„Was ist passiert?", fügte ich also hinzu. „Sie wollte unbedingt alleine zu ihrem – Anführer vordringen. Ich weiß nicht, ob sie ihn nur ausspionieren, oder angreifen wollte, doch sie kam nicht zurück und es gab nur einen Weg in beide Richtungen", erzählte er leise und schaffte es nicht Blickkontakt zu halten.
„Vielleicht kommt sie noch?", fragte Tauriel vorsichtig hinter mir, die anscheinend gefolgt war. Ich zögerte kurz und versuchte die Trauer zu verdrängen, sie hatte nun keinen Platz. Ich musste die restlichen Leute sicher nach Hause bringen.
„Sie wird wissen, dass wir uns auf den Weg in den Norden aufgemacht haben", antwortete ich schließlich und wandte mich ab. Dabei konnte ich die beiden überraschten Blicke in meinem Rücken spüren.
Ich konnte mein gebrochenes Herz nicht ganz ignorieren, als ich den Befehl zum Aufbruch erteilte, doch wusste, dass es die richtige Entscheidung war. Falls sie wirklich noch am Leben sein sollte, würde sie uns finden, da war ich mir sicher.

Ich selbst musste an der Spitze bleiben, doch Lagornem hatte sich schnell bereiterklärt den Weg hinter uns im Auge zu behalten. Ihm war es offenbar auch sehr nah gegangen, doch er hatte die Möglichkeit seine Trauer zu zeigen. Alle hier hatten Freunde oder sogar Familie verloren. Man konnte es eindeutig spüren und gerade deswegen musste ich ein Vorbild sein. Wir durften trotz allem nicht vergessen, dass unsere Feinde immer noch – wenngleich sehr geschwächt – hinter uns lagen. Trotzdem waren wir die Geschlagenen, was viel mehr nach sich zog als die verlorenen Leute. Thranduil würde sicher nie wieder jemanden in den Süden schicken, was bedeutete, dass dieser Teil für immer verloren war. Ich konnte mich, wenn ich wollte, noch ganz gut an die Reisen erinnern, die ich hierhin unternommen hatte, als der Wald noch gesund gewesen war, doch meistens verdrängte ich diese Zeiten. Warum sollte ich auch über sie nachdenken? Sie machten nur traurig und als Prinz hatte ich bessere Dinge zu tun, als über die Vergangenheit zu grübeln.

Wir machten erst am späten Abend des folgenden Tages Rast. Ich wollte sichergehen, dass wir auch genug Abstand zwischen uns und diesen bösen Ort gebracht hatten. Es war einer der Plätze, an denen wir auch bei der Hinreise für eine Nacht gehalten hatten.
Mit einer kleinen Handbewegung deutete ich, dass wir hier halten würden. Die Nachricht verbreitete sich bis in die hinteren Reihen und wenngleich niemand etwas sagte, wusste ich, dass sie froh um die Pause waren.
Es wurden nur leise, traurige Lieder angestimmt diese Nacht. Kaum einer schlief oder begab sich wirklich zur Ruhe. Geredet wurde nur wenig, die Trauer wurde im Gesang Preis gegeben. Ich war noch nicht bereit den Tod meiner Schwester zu akzeptieren und hielt mich von den Feuern fern. Sie war immer für mich da gewesen, war die ganze Familie gewesen, die ich kannte. Meine Mutter war nicht mehr als eine flüchtige Erinnerung, Níniel dagegen war wirklich zu meiner Schwester geworden. Natürlich bereute ich die Entscheidung sie alleine gehen zu lassen, doch ich wusste, dass ich gestern die beste und logischste Wahl getroffen hatte, als ich ihr diese Elben anvertraut hatte. Sie wusste, wie man mit solch einer Verantwortung umging, das hatte sie in den letzten hunderten von Jahren zur Genüge bewiesen und sie hatte sicher ihre Gründe gehabt, sich alleine in diese gefährliche Situation zu bringen.
„Legolas", holte mich eine Stimme aus meinen tiefen Gedanken. Ich wusste, dass viele andere Wache hielten und ich musste meinen Kopf für morgen frei bekommen.
Ich sah auf und erkannte etwas überrascht den stämmigen silberhaarigen Elben mit den stechenden grauen Augen, wie Níniel sie hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er bei der Schlacht mitgekämpft hatte, und wenn, dann erst recht nicht auf unserer Seite. Vielleicht war er einer der Gründe unserer Niederlage gewesen?
Doch seine Anwesenheit schien einen ganz anderen Grund zu haben. In seinen Armen lag ein allzu bekannter bewegungsloser Körper. Ich spürte, wie Wut in mir aufkam und sprang auf die Beine. „Ganz ruhig, großer Prinz", murmelte er verächtlich und legte Níniel am Waldboden ab. Meine Hand lag auf dem Schaft meines Schwertes, doch ich versuchte immer noch die Situation abzuschätzen.
„Ihr Körper ist unversehrt, aber sie selbst ist verschwunden. Ich denke du bist ihr die nächste Familie und kannst sie vielleicht zurückholen", erklärte er und blickte nachdenklich auf das entspannte Gesicht unter ihm.
„Was hast du mit ihr gemacht?", knurrte ich einfach und trat einen Schritt näher. Mir war klar, dass er damit vermutlich nichts zu tun hatte, doch ich konnte ihn einfach nicht über dem bewegungslosen Körper meiner Schwester ertragen.
Er sah mich mit einem Todesblick an und richtete sich wieder auf. „Ich hätte sie nicht herbringen müssen", antwortete er gefährlich und kniff die Augen beleidigt zusammen. „Soll das ein Friedensangebot sein?", fragte ich einfach und ließ ihn nicht aus den Augen. „Ich mache das nicht für dich oder mich, sondern für sie, weil sie so einen Tod nicht verdient hat", seufzte er etwas nachdenklich und trat ein paar Schritte zurück. „Warum sollte ich dich nicht umbringen? Níniel hat mir alles erzählt. Dein Tod wäre eine Erleichterung", presste ich bedrohlich hervor und dachte an all die Dinge, die Ní mir letztens erzählt hatte. Es wäre nur gerecht ihren Tod so zu rechen, auch wenn das noch nicht eingetreten war.
Der silberhaarige Elb holte ruhig sein Schwert hervor, von welchem ich wusste, dass es Níniels Mutter gehört hatte. „Sind wir mal ehrlich. Irgendwo weißt auch du, dass ich wirklich ihr Halbbruder bin. Warum sollte ich lügen? Warum sollte ich so interessiert an dieser Waffe sein und sie Nimp nennen?" Ich verschränkte die Arme. „Vielleicht, weil du genau das geplant hattest", antwortete ich misstrauisch, worauf er kurz schnaubte. „Und wo liegt der Vorteil für mich? Ich arbeite offensichtlich nicht mit dem großen Feind im Süden zusammen und mache mir mit meinen Aktionen auch bei euch keine Freunde." Ich musterte ihn prüfend. „Das habe ich mich auch schon gefragt, aber es macht keinen Unterschied. Du bist trotzdem eine Bedrohung für das Waldlandreich", beschloss ich und legte wieder eine Hand an mein Schwert. Mein Gegenüber sah mich abschätzig an. „Du willst riskieren ihren Bruder zu töten?" Ich konnte Angst in seinen Augen erkennen, was mir mehr Befriedung brachte als gedacht. Ich hatte nicht wirklich vor ihn umzubringen, doch ich wollte ihm klarmachen, dass dieses Verhalten nicht in Ordnung war.
„Ich bin ihr Bruder. Sie braucht keinen anderen", zischte ich zurück, doch entspannte mich wieder ein wenig und hockte mich zu meiner Schwester hinunter. Der Elb hob etwas überrascht die Brauen, doch nutzte seine Chance und verschwand ohne ein weiteres Wort.
„Ní? Bist du da?", fragte ich leise und strich ihr eine silberne Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie lag völlig still unter mir. Ich überprüfte kurz ihren Herzschlag und Atmung. Sie waren schwach, doch vorhanden, also warum kehrte sie nicht zurück? Ihr Halbbruder hatte recht gehabt, sie war unverletzt, doch es schien, als ob ihre Seele verschwunden war.
Ich seufzte leise und ließ mich ganz neben ihr nieder. Es beruhigte mich ein wenig, dass ihr Körper noch am Leben war, damit hatten wir noch eine Chance sie zurückzubringen, doch ich wusste nicht wie – noch nicht.
„Ní, bitte komm zurück, ich brauche dich", flüsterte ich leise und nahm ihre kühle Hand. Wieder war keine Regung zu erkennen.

Ich verbrachte die restliche Nacht bei meiner Schwester, doch es änderte nichts. Auch alle Zaubersprüche, die mir zu dem Thema einfielen, waren vergebens. Ich hatte keine andere Wahl, als am nächsten Morgen wieder aufzubrechen und meine Schwester Lagornem anzuvertrauen, der zunächst mehr als froh gewesen war, sie wiederzusehen, doch ebenso schnell verstummte, als er die Situation erkannte. Er übernahm gerne die Aufgabe, sich zumindest während der Märsche um sie zu kümmern. Neben Níniel gab es noch viele andere Verletzte, weshalb wir nicht so schnell vorankamen, als auf dem Hinweg, doch es genügte.
Wir hatten der Festung wohl wirklich ziemlich geschadet, da auch die nächsten Tage von keinem dunklen Wesen eine Spur zu finden war. Die Spinnennetze waren noch da und auch die Krankheit fraß immer noch an den Bäumen, doch wir wurden niemals angegriffen.

Auch, als wir das Waldlandreich wieder betraten, war es überraschend still. Wir teilten uns auf, sodass die Elben aus dem Norden und Westen wieder nach Hause zurückkehren konnten (Belaithcuil führte sie den weiteren Weg). Eine spürbare Last war von allen gefallen bei Übertreten der Grenze. Das Treffen der nächsten Patrouille dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen und langsam, aber sicher, kamen wir auch wieder in die von unserem Zauber geschützten Bereiche.
Damit waren die Spinnen, die anscheinend weiterhin Fuß in unserem Gebiet gefasst hatten, leichter zu erkennen. Die Bäume waren bekannt und es war nicht schwer festzustellen, dass alle Elben sich leichter und etwas sorgloser fortbewegten. Nach den letzten von Trauer durchzogenen Tagen, war das ein schöner Anblick für mich, wäre da nicht meine immer noch bewusstlose Schwester gewesen, die mir im Kopf herumspukte.

Tatsächlich dauerte es nicht lang, bis wir auf einige Elben trafen, die schnell aus ihren Verstecken kamen, als sie Tauriel, ihre Anführerin, erkannten. Wir wechselten nur kurz ein paar Worte mit ihnen, doch alle wollten so schnell wie möglich nach Hause, weshalb wir den Weg fortsetzten. Tauriel entschloss, sich mit ihren Leuten noch zu besprechen und blieb deshalb zurück, was mich nicht groß wunderte. Sie war selten im Palast, so wie ihre Elben wohnte sie im Wald und betrat die großen Hallen nur, um Bericht zu erstatten.
Ich genoss ihre Anwesenheit und hätte sie eigentlich noch den restlichen Weg gern bei mir gehabt, sei es auch nur zur Ablenkung. Maltlass war sehr leise geworden seit dem Angriff. Er kannte seine Pflichten und erfüllte sie kaum schlechter als seine Vorgängerin, doch man merkte, dass ihn die Schlacht verändert hatte.
Deshalb war ich auch um seinetwillen froh, als die Palastmauern in Sicht kamen.
Ein wenig Ruhe würde uns allen guttun und vielleicht würde auch Níniel ihren Weg zurückfinden, wenn sie in bekannten Räumlichkeiten lag?

Ich entließ die Kämpfer mit einer ausholenden Handbewegung und wartete, bis alle ihren Weg in die Zimmer – oder zu Heilern – angetreten hatten. Ich war nicht erpicht darauf, meinem Vater die schlechten Nachrichten zu überbringen, doch hatte kaum eine Wahl. Also begab ich mich mit einem leisen Seufzer auf den Weg in den Thronsaal, in dem er zu dieser Zeit war. Ich wollte ihm zumindest die Nachricht über Níniel nicht übermitteln, wenn die Wachen dabeistanden, also würde ich ihn einfach direkt um ein privates Gespräch bitten.
„Vater", begrüßte ich ihn von der Weiten und stellte damit klar, dass das nicht nur ein Bericht von Prinzen zu König sein würde. Thranduil erhob sich sofort und trat von seinem hohen Thron hinab. „Wir sollten nicht hier sprechen", unterbrach ich ihn schnell, als er zu einer Antwort ansetzte. Der König hob etwas überrascht seine Augenbrauen, doch neigte zustimmend den Kopf.
Schweigend entfernten wir uns von der Plattform, die wie von Geisterhand in der riesigen Halle schwebte. Dies war der höchste Punkt im ganzen Palast.
„Ich nehme an, dass es keine guten Nachrichten gibt?", fragte er, noch bevor die Tür hinter uns geschlossen war. Ich faltete meine Hände hinter dem Rücken und legte mir meine Worte zurecht. Das würde nicht leicht für ihn werden, genauso wie für mich.
„Nein, wir wurden geschlagen, doch haben die Festung ganz offensichtlich geschwächt. Dort sind Kräfte – und ich meine nicht nur die Anzahl der dunklen Kreaturen –, die weit größer als erwartet sind", berichtete ich also und bemühte mich Blickkontakt zu halten. Das Versprechen, das er vor unserer Abreise von mir hören wollte, klang in meinem Kopf nach: „Versprecht mir, dass ihr beide zurückkehrt." Ich wusste, dass er damit unversehrt gemeint hatte.
„Ich denke du weißt, was mein Entschluss ist. Wir werden uns von jetzt an alleine auf das Waldlandreich im Norden konzentrieren. Haltet die Spinnen von hier fern, das ist eure einzige Aufgabe. Ich werde mit Níniel und Tauriel auch noch einmal sprechen", antwortete er ernst und schien nicht sonderlich überrascht zu sein. Trotzdem glaubte ich zu erkennen, dass auch ihm die vielen verlorenen Leben etwas bedeuteten.
„Dazu wollte ich auch noch etwas sagen", seufzte ich leise und wandte nun endlich den Blick ab. „Níniel ist verletzt worden. Körperlich geht es ihr gut, doch ich weiß nicht, ob ihre Seele jemals wieder zurückkehren wird", brachte ich endlich heraus, was meinen Vater doch ein wenig aus der Fassung brachte. Sein Mund öffnete sich ein wenig und kleine Falten bildeten sich auf seiner Stirn.
„Wie ist das passiert?", fragte er ernst und trat einen Schritt näher. „Ich war nicht dabei, sie hat eine der Gruppen angeführt und sich dann von ihr getrennt. Mir wurde gesagt, dass sie den König der Festung angreifen wollte", erklärte ich ruhig und merkte, wie dabei auch mein Herz schwer wurde.
Thranduil wandte sich nachdenklich ab und schüttelte leicht den Kopf. „Bist du dir sicher, dass sie nicht jemand aus unseren Reihen angegriffen hat?", fragte er leise und sah mich immer noch nicht an. Ich runzelte verwirrt die Stirn. „Warum fragst du?" Es konnte kein Zufall sein, dass er so eine spezielle Frage stellte. „Es gab einen auf mich fokussierten Angriff, während ihr weg wart", erklärte er und warf mir einen kurzen Blick zu. Ich blickte überrascht zurück. „Es wurde ausgenutzt, dass weniger Wachen als normalerweise Dienst hatten. Es war mit Sicherheit eine Insiderinformation. Spinnen sind nicht so intelligent", fuhr er fort und sah mich bedeutungsvoll an.
„Aber ein Elb würde Ní doch umbringen und nicht—", antwortete ich verwirrt. „Vielleicht will sie nicht zurückkehren. Vielleicht hat sie etwas so sehr erschreckt oder schockiert, dass sie damit nicht leben wollte", widersprach er mir sofort. Ich musste unwillkürlich an den silberhaarigen Halbbruder denken. Er hatte definitiv die Mittel für solch einen Schock, als ihr Verwandter.
„Ich werde dem nachgehen", murmelte ich ernst und drehte mich schon um. Ich kannte nur einen Ort, an dem ich ihn finden konnte und es würde mich nicht wundern, wenn ich damit richtig lag.

Ich hatte Lagornem befohlen meine Schwester in ihr Zimmer zu bringen. Ich wusste, dass die Heiler nicht viel ausrichten konnten, doch sobald der größte Ansturm im Heilertrakt vorüber war, würde ich jemanden herholen. Wenn Níniel die letzten Tage noch nicht gestorben war, dann würde sie das jetzt auch nicht tun und außerdem konnte ich inzwischen abschätzen zu was die elbische Medizin befähigt war.
Also klopfte ich an der Tür welche kurz darauf geöffnet wurde. Ich wunderte mich nicht groß, als Calenmîr vor mir stand. Sie sah zutiefst besorgt aus.
„Ist jemand bei dir?", fragte ich und warf einen Blick an ihr vorbei. Sie schüttelte schnell den Kopf, doch ich hatte bereits eine Bewegung hinter ihr wahrgenommen. Mit wütendem Blick schob ich sie einfach zur Seite und trat ein. Tatsächlich war es der hochgewachsene silberhaarige Elb, den ich gesucht hatte.
„Ich dachte du wärst gerade noch schlau genug, dich von ihr fernzuhalten", knurrte ich wütend und stellte mich sofort zwischen meine Schwester und ihn. Er sah mich mit geweiteten Augen an, doch bemühte sich Ruhe zu bewahren.
„Ich wollte nur nach ihr sehen", antwortete er beschwichtigend und hob seine Hände ein wenig. „Ich habe von dem Angriff auf meinen Vater gehört, ich weiß, dass du dahintersteckst", offenbarte ich, was mir auf der Seele brannte. Er seufzte bloß und warf Calenmîr einen Blick zu, die überraschend ruhig blieb.
„Du weißt selbst, wo ich in der Zeit war. Ich musste schließlich deine Schwester retten, die du alleine gelassen hast", schoss er zurück, worauf ich einen wütenden Schritt auf ihn zu machte. Doch zu meiner Verwirrung, trat Calenmîr sofort zwischen uns.
„Er hat nichts damit zu tun –, oder?", fragte sie und warf einen etwas beängstigten Blick über ihre Schulter. „Natürlich nicht, ich kann schließlich nicht fliegen", knurrte er zurück und verschränkte die Arme, wobei er mich weiterhin fixiert hatte.
„Wer sollte sonst Interesse am Tod meines Vaters haben? Er ist schon lange vor deiner Geburt an der Macht gewesen und das wurde niemals in Frage gestellt", zischte ich misstrauisch. Er musste es trotzdem irgendwie geschafft haben. Vielleicht war er doch ein Bündnis mit dem Bösen eingegangen?
„Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich nicht einmal in der Nähe war", antwortete er und gewann etwas mehr von seiner Selbstsicherheit zurück, was mir nicht gefiel.
„Gut, dann wirst du mir jetzt eben sagen, was dein Motiv ist. Ich habe dich schon einmal gehen lassen, weil du meine Schwester zurückgebracht hast, doch diesen Vorteil hast du dir nun verspielt. Du weißt offenbar selbst, dass ich dir überlegen bin, also warum fängst du nicht einfach an zu reden?", knurrte ich und zog mein Schwert, wobei ich Níniels Freundin, die immer noch zwischen uns stand, komplett ignorierte.
„Ich dachte Ní hat dir schon alles erzählt?", widersprach er bloß und hob erwartungsvoll seine Brauen. Langsam wurde ich genervt. „Ich meine die Wahrheit. Niemand macht so etwas aus Spaß!" Auf seinen Lippen bildete sich der Ansatz eines bösen Lächelns. „Elben leben sehr lange und mir wurde eben langweilig. Ich dachte mir, es wäre doch mal ganz interessant zu sehen, wie viel ein einziger Elb in einem ganzen Königreich anrichten kann und danach wäre ich einfach nach Lórien gezogen", erklärte er schulterzuckend und legte beruhigend eine Hand auf Calenmîrs Schulter, um sie zur Seite zu schieben.
„Mithtân hat nie jemandem etwas angetan", bekräftigte die Elbin seine Aussage. Ich sah sie vorwurfsvoll an. „Erkläre das mal den Elben, die in Dol Guldur ihr Leben gelassen haben!", fuhr ich sie wütend an. Ich konnte nicht verstehen, warum sie ihn so verteidigte. Steckte sie mit ihm unter einer Decke?
„Ihr habt euch entschieden die Festung anzugreifen, warum ist das jetzt meine Schuld?", fragte Mithtân außer sich. „Was hast du dort überhaupt getan?", fragte ich zurück und bemühte mich etwas ruhiger zu werden. „Euch helfen", antwortete mal wieder Calenmîr an seiner Stelle, was mich wütend schnauben ließ. „Falls deine Loyalität noch dem Waldlandreich gilt, befehle ich dir nun diese Gemächer zu verlassen. Ich kann dich hier nicht gebrauchen", fuhr ich sie mit funkelnden Augen an, worauf sie überrascht zurückzuckte und dann schuldbewusst ihren Blick senkte. Bis sie verschwunden war, schwiegen wir noch kurz. Mich würde wirklich interessieren, wie er sie so beeinflusst hatte, doch das konnte ich ihn später immer noch fragen.
„Ich bin lange vor euch in den Süden gereist. Ich wusste, was euch erwartet und wollte auf Níniel aufpassen, auch wenn du es mir nicht glauben willst", sprach mein Gegenüber schließlich ruhig und sah mich ernst an. „Du sagst immer, dass du Ní helfen willst, aber deine Taten sprechen das Gegenteil. Warum hast du dich mit den Spinnen verbündet, mit ihnen ein Königreich aufgebaut und Gwilith vergiftet. Vermutlich hast du sogar noch ihre beste Freundin umgebracht!", rief ich gereizt. Ich konnte diese ganze Geheimniskrämerei nicht mehr ab.
„Ich habe Lothparth nicht umgebracht! Und all meine anderen Taten waren sorgfältig geplant", antwortete er genauso aufgebracht. „Elben sterben nicht so schnell, unsere Heilkunde ist sehr gut und mit der Schwangerschaft lief bis dahin alles nach Plan, also wie kann sie so plötzlich sterben?" Er kniff die Augen zusammen. „Ich hatte damit wirklich nichts zu tun. Ich habe ihren Tod ausgenutzt, um Calenmîrs Vertrauen zu gewinnen, das gebe ich zu, aber das war auch schon alles", brummte er und sah mich mit einem stechenden Blick an, der keine Widerrede duldete.
„Und warum tust du das? Du sagtest, die Taten wären sorgfältig geplant, geplant für was? Es hilft Níniel doch nicht, wenn du ihr Reich bedrohst!", rief ich außer mir und dachte an den Tag der Schlacht zurück, die meine Schwester angeführt hatte. Damals waren viele Elben verletzt worden, ein paar sogar getötet, also hatte er damit indirekt sehr wohl Tote auf dem Gewissen! Das war auch mein Königreich, auch wenn seine Angriffe nur auf Ní begrenzt wären, so betraf es auch mich!
„Es ist kompliziert und ich werde dir sicher nichts weiter erklären", knurrte er genauso wütend. Auch seine Selbstkontrolle schien an Wirkung zu verlieren.
„Wenn das so ist", zischte ich und zog wieder mein Schwert. Er zuckte etwas zurück, doch tat dasselbe. Ich wusste, dass ich ihm überlegen war, weshalb ich ohne große Bedenken zum ersten Schlag ansetzte.

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