Ein vernichtender Schlag
Ich konnte keine Sekunde länger warten und sprang hinüber. Lagornem direkt hinter mir. Ich warf kurz einen Blick zurück, wo sich die Elben mit kleinen Abständen zu uns gesellten. Ich hoffte bloß, dass sich die kleine Verzögerung nicht fatal auswirken würde.
Doch ich konnte nicht warten. Das Einzige, was ich nun tun konnte, war ihnen einen Vorsprung zu verschaffen mit den Leuten, die schon drüben waren.
Ich rief kurz nach den anderen, damit auch alle bemerkten, dass wir unseren Weg in Richtung Westen fortsetzen würden, und rannte dann los. Mein Bogen lag bereit in meinen Händen. Keine paar Sekunden später, sah ich mich schon den schwarzen Knopfaugen entgegen, die ich ungewohnt lange nicht mehr gesehen hatte.
Mit einer überraschenden Leichtigkeit schoss ich in das grimmige Gesicht und wechselte blitzschnell zu meinem Schwert, um es kontrolliert auf den nächsten Gegner schnellen zu lassen. Um ehrlich zu sein, fühlte es sich richtig an, doch ich wollte es mir noch nicht ganz eingestehen.
Um einen kurzen Überblick über die Situation zu bekommen, vollführte ich eine Drehung, in der ich natürlich weiterkämpfte, wobei meine Augen die Elben hinter mir suchten. Die meisten hatten die Passage über den kranken Fluss gefunden und sich in den Kampf geworfen.
Ich schoss die anrennende Spinne noch schnell mit einem Pfeil ab, um mich ungestört in die Bäume schwingen zu können. Ich wusste, dass die Elben unter mir sich gut verteidigen konnten, jetzt war es erst einmal wichtig die Situation einschätzen zu können und sicherzustellen, dass auch keine Spinne entkam, um Hilfe zu holen.
Mit einem meiner Dolche schnitt ich mich durch die dichten Netze, welche nun halbwegs verlassen dalagen. Es war auf den ersten Blick nichts zu sehen.
„Ní!", rief plötzlich jemand von unten. Verwirrt wer mich hier bei meinem Spitznamen ansprach, blieb ich stehen und sah zu dem grünäugigen Besitzer der Stimme. Es war Lagornem, welcher in eine Richtung zeigte und dann schnell mit seiner freien Hand ausholte, um den Schädel eines Angreifers zu teilen. Alarmiert blickte ich in die von ihm gezeigte Richtung. Weiter hinten bewegte sich etwas Schwarzes von der Schlacht weg.
Ich kniff meine Augen zusammen und lief los. Eigentlich wollte ich meine Leute nicht allzu lang alleine lassen, doch andererseits wussten sie sich zu verteidigen. Also holte ich im Sprung zum nächsten Baum, meinen Bogen hervor und setzte einen genau gezielten Schuss in der Luft ab, welcher auch perfekt den Körper der Spinne durchdrang und sie an einen Stamm pinnte.
Etwas stolz lächelte ich leicht und begab mich auf den Rückweg. Ich hatte mir schon gedacht, dass sie nach Hilfe von dem größeren Nest im Süden von hier rufen würden, nur gut, dass Lagornem sie gesehen hatte.
Wir hatten uns offensichtlich ganz gut geschlagen in der Zeit, in der ich weg gewesen war. Die Spinnen wurden ein wenig zurückgedrängt und bis jetzt hatte ich auch noch keine Verletzten gesehen. Spinnen hatten immerhin auch nur ihre Zähne als Waffen und die konnte man, wenn man erfahren war, leicht abwehren. Schließlich kannten wir die Tiere in und auswendig.
„Herrin Níniel!", rief plötzlich jemand hinter mir, diesmal war es nicht Lagornem, welcher ein wenig weiter mit ein paar anderen Elben gemeinsame Sache machte. Ich drehte mich um und erkannte, dass es eine rothaarige Elbin war, welche von Süden aus angerannt kam. Ich wusste nicht ganz, woher sie kam oder warum sie sich von der Schlacht entfernt hatte, doch sie sah sehr beunruhigt aus.
Durch die vielen schrillen Schreie der Spinnen, musste sie ein wenig näherkommen, um mir, etwas außer Atmen, die schlimmen Neuigkeiten mitzuteilen: „Es sind welche auf dem Weg hierher." Ich sah sie etwas verwirrt an und warf dann einen Blick hinter sie. Noch konnte man nichts sehen, doch wenn sie schon welche sagte und sie sie anscheinend nicht alleine bekämpfen konnte, dann mussten die Spinnen aus dem Süden doch irgendwie von dem Angriff mitbekommen haben.
Ich nickte bloß kurz und sprang auf den mit schwarzem Blut besudelten Boden. „Lagornem!", rief ich meinen Freund zu mir, welcher durch sein adeliges Blut doch ein wenig Einfluss hatte. Er war vielleicht nicht der größte Anführer, doch ich vertraute ihm doch insofern, dass er meine Befehle befolgen konnte.
Der Elb wandte sich geschickt aus seiner Gruppe hinaus und lief mit wenigen federleichten Schritten auf mich zu. „Es kommt Verstärkung aus dem Süden. Solange wir hier im Vorteil sind, sollten wir das ausnutzen und einige der Leute eine Falle legen lassen. Such welche zusammen, ich werde dann mit ihnen gehen", befahl ich schnell und verschwand auch schon, ohne auf eine Antwort zu warten, in die hinteren Reihen. Wenn meine Befürchtungen wirklich wahr werden würden, so konnten wir dem kaum standhalten.
Ich schnappte mir zwei Elben, welche sich gerade nach ein paar Gegnern umsahen, und zog sie zur Seite. „Ihr geht in den Norden und sucht nach unseren Leuten. Vielleicht sind sie schon auf dem Weg hierher. Sie sollen sich beeilen!", sagte ich eindringlich und zeigte in die Richtung, in der das kleinere Nest lag, welches inzwischen vermutlich bereits besiegt war.
Die beiden nickten und machten sich sofort auf den Weg. Ich war mir nicht so sicher, ob sie wirklich rechtzeitig kommen würden, doch noch war es nicht die Zeit für einen Rückzug.
Also schlug ich mich wieder zu Lagornem durch, welcher bereits mit einigen Kriegern bereitstand. „Du bleibst hier und meldest dich, wenn es Probleme geben sollte", befahl ich ihm im Vorbeigehen und nickte den anderen zu. Mit einem kurzen sorgenvollen Blick zurück zu den letzten Kämpfen hinter uns, führte ich die kleine Gruppe ein wenig weiter in den Süden.
„Versteckt euch und kommt erst auf meinen Befehl heraus!", zischte ich und breitete meine Arme aus, sodass die Elben wieder mit den Bäumen verschmolzen. Ich selbst hockte mich neben die rothaarige Elbin von vorhin, welche ebenfalls dabei war. Meine Ohren lauschten weiterhin aufmerksam den Kampfgeräuschen hinter mir. Dort durfte schließlich auch nicht viel falsch gehen.
„Wie hast du sie entdeckt?", fragte ich leise und starrte weiter nach unten. Sie zögerte sichtlich. „Ihr habt gesagt, dass die Nester miteinander verbunden sind, also habe ich nach Spinnen Ausschau gehalten, die Hilfe holen wollten", erklärte sie, was anscheinend die ganze Erklärung sein sollte. Ich konnte mir den Rest denken: Sie konnte die fliehenden Spinnen, zumindest nicht alle, stoppen.
Schon spürte ich die vielen kleinen Tappser näherkommen. Einige in den Bäumen, einige zu Boden.
Ich wartete, bis ich die ersten sehen konnte und ließ meinen Blick über meine Leute wandern, um sicherzugehen, dass sie sich noch nicht bewegten. Nichts war zu erkennen.
Zufrieden beobachtete ich die ersten Spinnen an uns vorbeirennen. Erst als einige vorbei waren, streckte ich mein Schwert in die Höhe als Zeichen. So konnten wir sie in der Mitte zerreißen, was noch am meisten bringen würde, auch wenn es die Überzahl nicht besser machte.
Bevor ich mich versah, befand ich mich auch schon wieder im Kampf.
„Zurück zu den anderen!", befahl ich laut, als das Überraschungsmoment seine Wirkung verloren hatte. Wir durften auf keinen Fall riskieren von dem Rest unserer Leute abgeschnitten zu werden und auf Dauer in zwei Gruppen zu kämpfen.
Wie befohlen machten sich alle auf den Rückweg, ohne zu vergessen, dass überall um sie herum Gegner nur auf eine unachtsame Sekunde warteten. Ich musste schon sagen, dass ich ziemlich stolz auf sie war, noch hatte ich niemand Verletzten auf dem Boden gesehen, doch das drohte sich jetzt zu ändern.
Kurz spürte ich einen Keim der Erleichterung in mir sprießen, als wir zu den anderen stießen, welche das Nest fast besiegt hatten, doch dieser wurde schnell getilgt, als ich mir der Situation bewusstwurde. Ich hatte die Zusammenarbeit unterschätzt. In kleinen Familien waren diese Spinnen kaum eine Gefahr für uns erfahrene Waldelben, doch nun, da sie miteinander kommunizierten und taktisch vorgingen, war dem nicht mehr so. Das war kaum ein Vergleich zu Orks. Mir wurde bitter bewusst, woran das lag: Ich hatte Tithen ausgebildet, ihn in gewisser Hinsicht wie mein Kind behandelt und nun war er so etwas wie der König meiner Feinde. Natürlich hatten sie damit zumindest ein wenig von der elbischen Schlauheit profitiert.
Sie hatten uns umzingelt. Wie eine schwarze Masse, die grausam kreischte und ihre Zähne fletschte.
Ich spürte ein wenig Angst in mir aufkommen, doch wusste, dass ich sie nicht zulassen durfte. Nicht nur, weil mir das das Leben kosten könnte, sondern vor allem, weil ich Anführerin war, ich musste ein Vorbild sein. Wenn ich meine Unsicherheit zeigte, würde ich uns niemals zum Sieg führen!
Die Elben hatten sich in der Mitte des Lagers gesammelt und schienen noch abzuwägen, ob sie wirklich angreifen wollten. Doch wir hatten keine Wahl. Nun war auch Rückzug keine Option mehr. Mir kam das Gespräch zwischen meinem Vater und mir wieder in den Sinn. Ich hatte bereits gesagt, dass es große Opfer geben könnte und nun drohte das tatsächlich wahr zu werden. Ich war zweifellos bereit mein Leben für diese Sache zu geben und ich wusste, dass die anderen ebenso empfanden, doch die Frage war, ob es das brachte. Würden selbst mit diesem Opfer die Spinnen gestoppt werden?
„Für den Grünwald!", rief ich einfach, was alle ein wenig in die Realität zurückholte. Ich hatte keine Zeit für große Motivationsreden, doch alleine schon der Name des Waldes, in dem schon unsere Väter und Großväter gelebt hatten, und den wir nun fast gänzlich an diese Biester verloren hatten, schien neue Entschlossenheit hervorzurufen.
Obwohl nun kaum jemand mehr auf mich achtete, streckte ich mein Schwert in die Luft und stürzte mich in den Kampf. Die Spinnen starrten mich kurz mit großen schwarzen Augen an, doch auch sie hatten etwas, wofür sie kämpfen konnten. Ihre Entschlossenheit, war wie die unsrige gewachsen, als sie gesehen hatten, dass sie im Vorteil waren, doch sie waren schwach im Gegensatz zu uns. Jeder einzelne hatte schon unzählige von ihnen auf dem Gewissen. Sie konnten bloß durch Mehrheit punkten, was zwar effektiv war, doch besser kämpfen konnten sie dadurch trotzdem nicht.
Zunächst sah es sogar ganz gut aus, wir drängten sie zurück, wenngleich auch in unseren Reihen der ein oder andere seinen Tribut zahlen musste. Das Kreischen der Spinnen überwog weiterhin. Es war dieser eine Schrei, der durch die Luft schnitt und auf beiden Seiten ein Zögern hervorrief. Ich kannte es nur zu gut. Es war das eines Anführers, eines Königs.
Langsam drehte ich mich zu Tithen um, welcher hoch oben auf einem Ast thronte, neben sich zwei Wachen von ihm, welche einen bewusstlosen Elben halb eingewickelt hatten. Wut durchströmte meinen Körper, als ich das Gesicht erkannte.
Mit zusammengekniffenen Augen hob ich meine Hand, wodurch meine Leute ein wenig Abstand zu den Gegnern einnahmen und sich beruhigten.
„Gut, lass uns reden", knurrte ich und durchbohrte meinen alten Freund mit meinem Blick. Dieser fletschte überheblich seine Zähne und glitt seelenruhig an einem Faden hinab zu uns. Ich beachtete ihn nicht weiter und trat in den Wald hinein.
„Halt ihn da raus, er gehört nicht zum Wald", knurrte ich und verschränkte meine Arme, sobald wir außer Hörweite der anderen gekommen waren. Tithen sah etwas überrascht zu dem schwarzhaarigen Klumpen, der kaum mehr als Elb zu identifizieren war.
„Ich habe gehört, dass Besucher gekommen sind, ich dachte nicht, dass sie diesen Kampf teilen würden", antwortete eher zu sich selber. Es waren seltsame Laute, in denen er sprach, die ich als vermutlich einzige Elbin verstehen konnte.
„Das war auch nicht der Plan. Er hat sich wohl einfach verirrt", sprach ich und sah ihn fest an. Die schwarzen Knopfaugen blickten kalt zurück. „Du weißt, das ist nichts Persönliches. Ich werde meine Leute beschützen, so wie du es mit deinen tust." Ich ließ meinen Blick kurz über die Spinnenarmee wandern. Sie waren weiterhin im Vorteil und ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass wir diesen Kampf gewinnen würden. Natürlich waren einige von ihnen verunsichert, nun da sie die Zeit hatten ihre gefallenen oder verletzten Freunde zu sehen.
„Dann lass uns zu einer friedlichen Lösung kommen", schlug ich vor, worauf sich die Spinne ein wenig entspannte und den Kopf schieflegte. „Alle Elben werden sofort diesen Wald verlassen, dann werdet ihr überleben", verlange er seelenruhig. „Wir sind schon hier seit es diesen Wald gibt und ihr erst seit tausend Jahren, was lässt dich denken wir könnten unser Königreich nicht gegen ein paar Spinnen verteidigen? Du bist fünf Monate alt, ich weit über tausend Jahre, ich habe einiges mehr an Erfahrung in Kriegsführung als du", knurrte ich zurück. Meine alte Beziehung zu Tithen war wie davongeweht.
„Wenn ich so unerfahren bin, wie habe ich es dann geschafft so schnell ein ganzes Königreich auf die Beine zu stellen?", fragte er gereizt und hob eines seiner vielen Beine, um auf seine Leute zu zeigen. Ich lachte verächtlich. „Du nennst das Königreich? Ihr seid bloß Eindringlinge, Unkraut, das an den Wurzeln gepackt werden muss. Du willst ein Beispiel, warum du so unerfahren bist? Ich gebe dir eins! Du solltest niemals alleine mit deinem überlegenen Feind reden!", rief ich wütend, hob kurzerhand mein Schwert und ließ es auf meinen überraschten alten Freund niedersausen. Ich unterdrückte den Drang um seinen toten Körper zu trauern, und wechselte sofort zum Bogen, mit welchem ich eine der Spinnen bei Gwilith abschießen konnte. Meine Leute waren offensichtlich nicht so schnell aus dem Konzept zu bringen wie die Spinnen, denn schon in den zwei Sekunden, die sie brauchten, um sich von dem Schock über ihren toten König zu erholen, waren die restlichen Wachen bei dem Prinzen getötet und einige mehr zurückgedrängt. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ich wandte mich, ohne einen weiteren Blick auf die Leiche, ab und rannte zu den anderen zurück. Nun sah ich auch endlich aus dem Augenwinkel, wie mehr Elben zu uns dazustießen, Maltlass natürlich an ihrer Spitze. Er zeigte ohne ein Wort einfach auf die Spinnen und kam dann auf mich zu. Die Leute hinter ihm gesellten sich zu den anderen Kämpfern. Damit war die Schlacht zwar noch nicht vorbei, doch dessen Ende war gewiss.
Ich seufzte schwer und kam ihm ebenfalls ein paar Schritte entgegen. Ich nahm an, dass meine Freundin realisiert hatte, dass sie nicht unbedingt eine Anführerin war und einfach bei den anderen mitkämpfte.
„Scheint, als würden wir genau rechtzeitig kommen", sagte der hochgewachsene Elb ernst und streifte sein Schwert kurz an einem Büschel Gras ab, bevor er es wegsteckte. Ich nickte leicht und sah zu den anderen. „Ich nehme an es ist alles nach Plan gelaufen?", fragte ich und wandte mich ihm wieder etwas verwirrt zu, als er kurz schwieg. Der dunkelhaarige Elb seufzte leise und verschränkte seine Arme.
„Mehr oder weniger. Die Verletzten befinden sich bereits auf dem Weg zum Palast", antwortete er schließlich, doch ich konnte in seinen Augen noch etwas Anderes erkennen. „Was noch?", fragte ich also und musterte ihn misstrauisch. „Calenmîr-", er stockte und suchte nach anderen Worten, „sie ist verletzt." Ich sah etwas überrascht auf, doch ich war die letzte Zeit viel zu sehr in dem Prinzessinnen-modus gewesen, als dass mich diese Nachricht nun richtig erreichen konnte. Ich wollte mich lieber auf die Schlacht konzentrieren, um keinen dummen Fehler zu machen, der vielleicht noch weit mehr als nur meiner Freundin das Leben kosten könnte.
Also nickte ich einfach kurz. „Wir werden auf dem schnellsten Weg zum Palast zurückkehren", antwortete ich und warf wieder einen Blick zu den letzten Kämpfen. „Ich werde mir ein paar Männer nehmen und die letzten Spinnen verfolgen", sprach Maltlass und wartete auf meine Zustimmung. Ich lächelte leicht. Ich mochte es, wenn solche Vorschläge kamen, doch ich hatte schließlich schon gewusst, dass Maltlass ein sehr guter und erfahrener Krieger war.
Ich neigte zustimmend den Kopf, worauf er sich respektvoll verabschiedete und dann zu den anderen ging. Meine Augen suchten automatisch nach meinem anderen Freund, den ich in diese Schlacht mitgenommen hatte. Er befand sich bei dem Prinzen, welcher schon aufgehoben und zu mir gebracht wurde.
„Er ist noch am Leben, aber sehr schwach", sprach der Elb, der ihn trug, als er bei mir ankam. „Dann bring ihn sofort zum Palast", antwortete ich und ging weiter, um Befehl zu erteilen auch die anderen Verletzten - oder sogar Toten - nach Hause zu bringen. Zusammen mit dem Fakt, dass Elben sehr leicht waren, waren sie genauso sehr stark, was es einfach machte, sie zu tragen.
Ich nickte Lagornem zu, dass er an der Spitze gehen sollte und wartete bis sich alle auf den Weg gemacht hatten. Auf dem Rückweg würde nicht mehr allzu viel passieren.
Ich stand noch einige Sekunden nachdenklich auf dem Schlachtfeld, bis ich meinen Leuten folgte und weiterhin ein achtsames Auge auf dem Wald liegen hatte. Ich spürte, dass eine Menge verschiedener Gefühle in mir durchbrechen wollten, doch das musste noch den Bericht bei meinem Vater abwarten. Trotzdem konnte ich eines nicht verdrängen: die Wut. Wut auf mich selbst, Tithen und vor allem auf Gwilith! Seine Rückkehr war absolut unnötig gewesen! Wegen ihm hätten wir das alles hier verlieren können! Ich konnte schlecht zurückkehren und sagen, dass ich den Prinzen aus einem sehr gut befreundeten Königreich hatte sterben lassen!
Sobald der Palast in Sicht kam, drang die Nachricht über meine Verletzte Freundin auch ein wenig mehr zu mir durch. Ich wollte nach ihr sehen, wissen wie es ihr ging, doch wusste gleichzeitig, dass ich Thranduil Bericht erstatten musste. Außerdem fand dieses Essen vielleicht immer noch statt, auch wenn es inzwischen Abend geworden war. Die beiden Könige konnten viele Stunden reden, wobei mein Bruder es immer irgendwie schaffte die perfekte unauffällige Ausrede zu finden, zu verschwinden, ein Talent, um das ich ihn auf jeden Fall beneidete.
Hinter mir schlossen sich die großen Flügeltüren mit einem Donner. Dieses laute Schließen war zu teils auch Absicht, um Eindringlinge von unserer Größe zu beeindrucken, da das Geräusch manchmal von den riesigen Wänden widerhallte.
Für mich war es bloß ein Zeichen Zuhause angekommen zu sein und Ruhe finden zu können, doch ich war mir nicht so sicher, ob das heute noch der Fall sein würde. Mit diesem erfolgreichen Kampf heute war es noch nicht getan, das war mir bewusst. Außerdem war da noch eine andere Aufgabe, die ich viel zu lang in den Hintergrund gestellt hatte. Die direkten Befehle des Königs waren nun einmal wichtiger als alles andere, doch nach den paar Tagen, die vergangen waren seit dem Vorfall in der Nacht mit Nengwe und Lagornem, wurde es wirklich mal Zeit, dass ich diesen Sirion aufsuchte, von dem der Schüler gesprochen hatte. Doch das würde vermutlich auch erst den Morgen auf sich warten lassen müssen.
Ich machte mich schnell auf den Weg zu dem Besprechungszimmer, das ich vor einigen Stunden Hals über Kopf verlassen hatte, da ich mir ziemlich sicher war, dass mein Vater dort immer noch auf mich wartete.
Ich behielt recht. Als ich die schön verzierte Tür, nach einem Klopfen, öffnete, drehte sich der König langsam zu mir um. Er stand vor einem der großen Fenster, die in die Abenddämmerung blicken ließen.
Ich neigte kurz meinen Kopf als Begrüßung und schloss die Tür hinter mir. „Die Spinnen sind vertrieben", sagte ich bloß, da ich mir nicht ganz sicher war, ob er im Moment mein König oder Vater war.
Thranduil nickte zufrieden und trat ein paar Schritte näher. „Maltlass ist noch mit ein paar Leuten unterwegs, um die letzten zu erwischen", fügte ich noch schnell hinzu. „Ich habe schon viel von ihm gehört. Legolas spricht auch nur gut von ihm. Ich denke er wird ein guter Nachfolger für Coacalina sein", antwortete er und wandte sich wieder von mir ab. Ich sah ihn überrascht an. „Coacalina?", fragte ich verwirrt nach. Sie war die Anführerin der Waldelben im Osten und deckte damit einen ziemlich großen Bereich ab. Ich kannte sie schon seit vielen Jahren, da sie oftmals in Kontakt mit meinem Bruder stand. Sie, Legolas und Tauriel, die Anführerin der Grenzwachen, setzten sich oft zusammen und besprachen die Situation im Osten.
„Ja, sie hat mir heute mitgeteilt, dass sie nun dauerhaft zu ihrer Familie in den Norden zurückkehren wird", erklärte er schulterzuckend und musterte mich kurz. Die Elbin war die letzten Wochen fort gewesen, doch warum entschloss sie sich so plötzlich all das aufzugeben, was sie sich hier aufgebaut hatte?
Ich nickte bloß kurz und wandte den Blick ab. Ich wusste, dass Maltlass mehr als nur ein würdiger Nachfolger werden würde, auch wenn es vermutlich etwas unerwartet für ihn kam.
Ein ungewohntes Gefühl überkam mich. Etwas verwirrt sah ich wieder zu den blauen Augen meines Vaters. Sie funkelten stolz über einem sanften Lächeln. Ich wusste, dass er mich niemals mit Worten loben würde, so war er einfach nicht, doch alleine dieser Gesichtsausdruck gab mir schon mehr, als ich erwartet hatte. „Und nun geh und feiere deinen Erfolg", sagte er leise und drehte sich wieder zu seinem Fenster. Etwas perplex neigte ich kurz meinen Kopf und verließ dann den Raum. Ich wusste nicht ganz, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte. Da ich recht wenige Befehle von ihm entgegennahm, kannte ich diesen Blick kaum, doch er fühlte sich wirklich gut an.
Sobald ich nach draußen trat, sah ich mich auch schon dem nächsten Mitglied der Königsfamilie entgegen: meinem Bruder. Er schien auf mich gewartet zu haben. „Und wie liefs?", fragte er mit einem Lächeln und verfolgte mich mit den Augen, während ich an ihm vorbeiging.
„Wir haben gesiegt", antwortete ich bloß und wartete, bis der Prinz zu mir aufschloss und wir den ruhigen Gang entlangschreiten konnten. „Ein paar unserer Freunde haben sich schon zusammengesetzt und-„, erzählte Legolas aufgeregt, doch brach ab, als ich stehenblieb. Ich war nicht wirklich in der Stimmung zu feiern. Das Kämpfen hatte sich zwar irgendwo richtig und gut angefühlt, doch nun, da ich wusste, dass so viele meiner alten Freunde geschlachtet waren und auch noch Calenmîr verletzt war, wollte ich einfach nur meine Ruhe haben und mich mit der ein oder anderen Aufgabe, die noch offenstand, beschäftigen.
„Ich habe noch ziemlich viel zu tun, tut mir leid", murmelte ich schnell und seufzte leicht. Legolas musterte mich besorgt, doch antwortete nicht. „Kannst du mir vielleicht einen Gefallen tun?", fragte ich noch schnell. Ich kannte ihn gut genug, als dass ich wusste, dass ihm dieser eine Abend nicht so viel bedeutete. Er war bei der Schlacht schließlich auch gar nicht dabei gewesen und außerdem feierte er sonst oft genug.
„Natürlich", antwortete er ernst und trat einen Schritt näher zu mir. „Finde einen Schüler namens Sirion, er sollte in einer der Abschlussklassen sein und hol mich, wenn du weißt, wo sein Zimmer liegt", sprach ich etwas unsicher. Es eilte zwar nicht so extrem, doch ich hätte es gerne erledigt, immerhin hatte ich es schon viel zu lange aufgeschoben.
Legolas runzelte etwas verwirrt seine Stirn, doch nickte. „Ich werde im Krankenflügel sein", fügte ich noch hinzu und ging schon an ihm vorbei.
„Ní", hielt er mich noch schnell auf und hielt mich sanft am Arm fest. Ich sah überrascht zurück. „Das hast du echt gut gemacht heute", lächelte er leise und lockerte seinen Griff. Ich spürte, wie sich auch mir ein Lächeln auf die Lippen legte und formte ein tonloses „Danke", bevor ich mich nun doch zum Gehen wandte. Es bedeutete mir viel, dass er das sagte. Er war der bessere Kämpfer und schließlich auch sonst immer der Beauftragte, wenn es um solch ernste Dinge ging. Natürlich war sein Kompliment nicht mehr wert als das des Königs, doch zu seinem Bruder hatte man immer ein anderes Verhältnis.
Im Krankenflügel war, wie ich erwartet hatte,viel los. Zum ersten Mal seit Längerem waren mehrere Räume auf einmal inBetrieb. Die Heiler waren natürlich auch von dem Angriff im Vorfeld informiertworden, sodass sie sich hatten vorbereiten können. Dementsprechend waren zwarviele aufregte Besucher unterwegs, doch diejenigen, die hier ihren Dienstverrichteten, blieben seelenruhig und konzentrierten sich auf ihre Arbeit.
Hin und wieder wurde auch mal jemand aus einem der Heilerräume geschmissen, dazu viele drinnen waren und nicht richtig behandelt werden konnte. Ich wolltenicht unbedingt als einzige keine Beschränkungen haben, da alle, die hierstanden, Geliebte hatten, die verletzt waren, also warf ich einen Blick überdie Köpfe, in der Hoffnung eine der Wachen zu erkennen, die mir Auskunft gebenkonnte. Zu meiner Erleichterung bemerkte ich, dass Lothparths Mann unter ihnenwar. Er kannte Calenmîr natürlich und war durch die Schwangerschaft seiner Fraunicht bei dem Angriff dabei gewesen. Er würde wissen, wo sie war und wie es ihrging.
Rücksichtsvoll drängte ich mich zu ihm durch. Sobald er mich kommen sah,murmelte er der Wache neben sich etwas zu und führte mich dann ein wenig ausdem Tumult.
„Ich schätze du bist wegen Calenmîr hier?", fragte er, wobei er weiterhin einwachsames Auge auf die Situation hinter uns, hatte. „Und Prinz Gwilith", fügteich noch hinzu, da mir der aufdringliche Elb gerade wieder in den Sinn gekommenwar. Ich hatte ihn über all die anderen Dinge in meinem Kopf, wohl vergessen.Zuteil hatte ich ihn vermutlich auch verdrängt, weil es mich immer noch wütendmachte, wenn ich daran dachte, dass er uns alle in den Tod hätte führen können,doch das war jetzt nicht mehr wichtig.
„Also der Prinz ist noch in Behandlung und irgendwo anders, wo ich nicht soschnell hinkomme. Calenmîr dagegen geht es schon besser. Ich kann dich zu ihrbringen", bot er an, worauf ich erfreut nickte. Vermutlich war sie in einem derErholräume, wo der Eintritt nicht so streng überwacht wurde.
Der blonde Elb führte mich wieder durch einige der Besucher und in einengrößeren, hellen Raum mit vielen Fenstern, in welchem ein paar Betten standen.Viele davon belegt.
„Dort", sagte er noch und zeigte auf eines von ihnen. Ich nickte ihm dankendzu, worauf er sich wieder auf seinen Posten begab und ich mich meiner Freundinnähern konnte. Sie rieb sich gerade ihre Augen und bemerkte mich ernst, als ichbei ihr angekommen war.
„Wie geht es dir?", fragte ich besorgt und setzte mich auf den Stuhl neben ihr.Sie spielte nervös mit ihren Fingern. „Ganz in Ordnung. Ich schätze Maltlasshat dir erzählt was passiert ist?", antwortete sie leise und sah mir dabeinicht in die Augen. Ich runzelte verwirrt meine Stirn.
„Er hat bloß gesagt, dass du dich verletzt hast?", fragte ich nach und dachtekurz an den Gesichtsausdruck und das Stottern zurück, das er beim Überbringender Nachricht gehabt hatte.
Meine Freundin lachte kopfschüttelnd. „Er ist wirklich ehrenhaft", murmelte sieleise und zog sich ein wenig auf. „Ich hätte um ein Haar alles vermasselt",erklärte sie schließlich und sah mich dabei nur flüchtig an. „Wäre Maltlassnicht gewesen - ich hab von Anfang an gesagt, dass ich keine Anführerin bin."Ich lächelte sanft. „Und ich habe dir von Anfang an gesagt, dass du auch keinesein sollst. So etwas passiert und schließlich hat sich letztendlich alles zumGuten gewandt", beschwichtigte ich sie und legte meine Hand auf ihren Unterarm.Sie lächelte bitter und seufzte leicht. Ich wollte gerade etwas hinzufügen, alssie aufmerksam ihren Kopf hob, fast so, als hätte sie ein Geräusch gehört, dassmir verborgen geblieben war.
„Was tust du denn hier?", fragte sie erfreut, wobei sie ihre Finger kaummerkbar in das Bettlaken grub. In ihren Augen war ein Glänzen, das ich sofortzuordnen konnte. Ich hob leicht verächtlich meine Brauen und erhob mich.Tatsächlich war es mein Bruder, welcher unbeeindruckt hinter mir stand. AlsCalenmîrs Freundin sollte ich eigentlich versuchen die beiden zumindest anzufreunden,doch Legolas war ein Prinz und auch, wenn er nur den Ansatz von Gefühlen ihrgegenüber hätte, würde es nicht funktionieren.
„Ich habe ihn gefunden", sprach er bloß und nickte der Verletzten nur kurz alsBegrüßung zu. Ich sah ihn erwartungsvoll an, da er eine Pause einlegte. „Er istnicht unbedingt einer der vorbildlichsten Schüler", murmelte er leise und hieltmir ein gefaltetes Stück Papier hin. Ich nickte kurz und nahm es an.
„Ní", rief mich plötzlich jemand vom Eingang. Ich lehnte mich ein wenig zurSeite, um an Legolas vorbeizusehen. Es war wieder Lothparths Mann, welchen ichinzwischen natürlich gut genug kannte, als dass er mich bei meinem Spitznamennennen durfte.
„Prinz Gwilith ist gerade aufgewacht und will dich unbedingt sprechen", teilteer mir mit und sah mich eindringlich an. Legolas dagegen drehte sich überraschtum. „Der Prinz?", zischte er leise etwas schockiert. „Ich komme", antworteteder Wache, warf meinem Bruder einen kurzen Blick zu und ging Richtung Tür. „Ní,was hat er da getan?", fragte Legolas gedämpft, welcher mir schnell folgte. „Dasversuche ich gerade herauszufinden", antwortete ich genauso leise. „Wenn KönigBadhron davon erfährt, bekommen wir vielleicht Probleme", fügte er noch schnellhinzu, bevor in Hörweite des wartenden Elben kamen. Ich blieb kurz stehen. „Ichhabe ihm zwei Mal gesagt, dass er unbedingt im Palast bleiben soll, wenn ersich entgegen meines Befehls in die Schlacht schleicht und dann natürlichverletzt wird, ist das nicht im geringsten meine Schuld", zischte ich wütendund rauschte dann schnell davon. Eigentlich wollte ich gerne alleine mit ihmreden.
Mein Bruder folgte mir zum Glück nicht, wodurch ich wie erhofft ohne Störung zumPrinzen kam, welcher von zwei Heilern gebändigt werden musste.
„Ist ja schon gut! Ich muss mit Ní sprechen!", rief er genervt und hob seineHände. Die beiden Elben sahen sich unsicher an, doch ließen ihn langsam los.Ich faltete meine Hände hinter meinem Rücken zusammen und trat zu dem Bett.Gwilith blickte die Heiler auffordernd an, dass sie endlich den Raum verlassensollten, was sie auf ein Nicken von mir auch endlich taten.
„Wie geht es dir?", fragte ich erst einmal und trat neben sein Bett. „Ganz gut.Es geht eigentlich darum, warum ich zwei Mal trotzdem mit zur Schlacht gekommenbin, obwohl ich das nicht durfte", antwortete er, wobei man ihm ansah, dass esihm ganz und gar nicht gut ging. Er war blass und unter seinen Kleidernschauten einige Verbände hervor. Schweiß stand auf seiner Stirn und seine Händezitterten leicht, doch die Entschlossenheit in seinen Augen warunbeeinträchtigt.
„Das würde ich auch ganz gerne wissen", antwortete ich und sah ihn fest an. Damusste eine wirklich gute Erklärung kommen. „Als wir gestern auf der Anreiseeine Pause im Wald gemacht haben, habe ich mich (entgegen den Befehlen meinesVaters) ein wenig abseits der sicheren Wege umgeschaut. Natürlich wusste ichaus Geschichten, dass der Düsterwald von dunklen Wesen befallen ist, doch sorichtig kannte ich mich damit nicht aus. Also habe ich es nicht hinterfragt,als ich einen einzelnen Elben gesehen hatte, welcher mit einer der Spinnensprach. Erst heute, als du losgezogen bist, ist mir die Begegnung wiedereingefallen. Ich wollte es dir noch erzählen und bin dir gefolgt, als ich ihnauf dem Weg wieder gesehen habe. Ich konnte nicht anders, als ihn bis zurSchlacht zu beobachten. Ich denke ihr habt einen Verräter im Palast", erzählteer ernst und sah mich beunruhigt an. Ich schwieg einige Sekunden. „Wie sah derElb aus? Du hast gesagt du hast ihn wiedererkannt?", fragte ich schließlich. Erwürde schon wissen, wovon er da sprach, schließlich war auch er nicht erst seitgestern ein Prinz.
„Das habe ich vielleicht schlecht ausgedrückt, ich meinte nur, dass ich wiedereinen Elben gesehen habe, der mit einer der Spinnen gesprochen und sievorgewarnt hat. Dadurch war die Verstärkung auch so schnell dort", antworteteer und zog sich ein wenig auf, was ihm offensichtlich Schmerzen bereitete. Ichkräuselte nachdenklich meine Lippen und wandte kurz den Blick ab.
"Ich werde darüber nachdenken", versprach ich langsam. Ich konnte undwollte nicht mit ihm über meine weiteren Pläne sprechen. Diese Nachricht kamdoch etwas unerwartet.
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