Dol Guldur
„Versprecht mir, dass ihr beide zurückkehrt", lächelte Thranduil in die Umarmung und drückte uns noch einmal fester. „Das werden wir, ich verspreche es", antwortete Legolas, dessen Stimme ein wenig brüchig geworden war.
„Herrin Níniel, der Spähtrupp ist zurückgekehrt", holte mich eine Wache aus meinem Halbschlaf, in welchem mein Körper weiterhin Wache hielt und bloß meine Gedanken in die Traumwelten abgetaucht waren.
Ich nickte knapp und blinzelte ein paar Mal. Diese Art der Erholung war effektiv, doch ersetzte auf Dauer trotzdem nicht den echten Schlaf. Bis jetzt waren es einige Tage gewesen, die wir in Richtung Süden marschierten Es hatte wenig Probleme gegeben, immerhin trauten sich nur wenig Spinnen eine ganze Armee von Elben in ihrem eigenen Königreich anzugreifen. Inzwischen hatten wir das derzeitige Waldlandreich verlassen, doch auch diese Bereiche wurden einst von uns bewohnt. Ich konnte mich an die Zeit noch ein wenig erinnern, doch ich hatte die meiste Zeit damals im Palast oder komplett woanders verbracht, weshalb ich mich an nichts hiervon erinnern konnte. Legolas war damals ein paar Mal hierhergereist, immerhin war er der Prinz und musste sein späteres Reich kennen, doch wenn er noch Erinnerungen an damals hatte, sprach er nicht darüber. Maltlass war in der Hinsicht schon ein wenig offener. Er erzählte oft und gerne von vergangenen Zeiten, an die er sich nun immer besser zu erinnern schien. Die Geschichten interessierten mich ebenso wie die meisten anderen Elben hier.
Ich war froh, dass Lagornem bei mir war. Maltlass, Belaithcuil und Tauriel waren zwar nicht die schlechtesten Gesprächspartner, doch sie hatten viel zu tun, so wie ich die meiste Zeit. Ich war die Ansprechperson, wenn es um das Verhalten der bösen Kreaturen ging, und wurde zu den kleinen Besprechungen eingeladen. Das Kommandieren selbst, überließ ich gerne den anderen, die sich damit besser auskannten.
„Was gibt es Neues?", fragte ich, als ich zu der kleinen Gruppe dazustieß. Tauriel und Legolas waren schon da. Belaithcuil und Maltlass führten, soweit ich wusste, noch zwei andere Gruppen an, die die Umgebung im Auge behalten sollten.
„Die Festung ist nicht mehr weit entfernt. Ich schätze ein Tagesmarsch", berichtete der braunhaarige Elb an der Spitze und warf mir einen kurzen Blick zu. Legolas nickte verstehend. „Dann werden wir uns morgen noch ein wenig nähern und beginnen Dol Guldur zu beobachten. Welche und wie viele Kreaturen sich dort befinden, ihre Schichten in den Wachabläufen und wo ihre potenziellen Schwächen liegen", befahl er und deutete Tauriel die anderen zu wecken. Es war früh am Morgen.
Die Späher teilten sich wieder auf, um etwas zu essen, bevor sich alle weiterbewegten. „Wir werden nicht lange unentdeckt bleiben, wenn wir ihnen so nah sind", murmelte ich meinem Bruder zu und trat etwas näher. Er nickte zustimmend. „Du hast recht, aber wir können keinen offenen Angriff riskieren. Wir müssen so viel wie möglich über die Festung herausfinden", antwortete er mit einem besorgten Blick und beobachtete, wie die Elben nach und nach erwachten.
„Wo bleibt bloß Maltlass?", murmelte er nachdenklich und sah sich suchend um. Ich runzelte besorgt die Stirn und erkannte etwas weiter hinten Belaithcuil, welcher wohl gerade zurückkehrt war. „Er weiß, dass wir nicht auf ihn warten können", antwortete ich, obwohl ich wusste, dass mein Bruder keine Antwort erwartet hatte.
Er nickte knapp und warf mir einen eingängigen Blick zu, bevor er sich selbst daran machte seine Sachen zusammenzusuchen. Ich hatte nicht viel mitgenommen, wir hatten beschlossen, dass jeder selbst für seine Proviant zu sorgen hatte, wobei es natürlich noch einige Elben gab, die für den Notfall etwas mehr dabeihatten. So gab es niemanden, der zurücklag und jeder konnte sich selbst einteilen, wann er essen wollte, wodurch gleichzeitig immer jemand Wache hielt. An jedem Lagerplatz brannten einige Feuer, um die die ein oder anderen Elben versammelt waren und Lieder anstimmten. Ich setzte mich hin und wieder dazu, doch zog es vor mit Lagornem zusammen ein wenig die Umgebung zu erkunden, auch wenn das nicht gerne gesehen war. Der Befehl war zusammenzubleiben, doch bis jetzt hatte sich nie jemand wirklich beschwert.
„Guten Morgen, auch wenn man das hier fast gar nicht mehr bemerkt", murrte Lagornem, welcher sich streckte und ein wenig gähnte. Ich lächelte leicht. Wir hatten das Thema seinen Bruder betreffend, vermieden, doch soweit ich das beurteilen konnte, schien er mir nicht mehr allzu böse zu sein. Schließlich war auch er von ihm enttäuscht gewesen und in den letzten Tagen hatte es wichtigere Dinge gegeben.
„Du hast recht, es wird immer düsterer", murmelte ich zurück und sah in die tiefe Schwärze des Waldes. Ich war dankbar für meine elbischen Augen, die es mir erlaubten, auch in solch einer Umgebung zu sehen, doch dafür war ich viel anfälliger für die dunkle Magie, die von der Festung in Wellen ausstrahlte, als zum Beispiel Menschen. Ich spürte sie seit wir das Waldlandreich verlassen hatten. Sie war gewachsen und hatte inzwischen einen beunruhigenden beständigen Platz in meinem Herzen eingenommen. Ich hasste das Gefühl, wie jeder andere hier.
„Hoffentlich haben wir es bald hinter uns", seufzte mein Freund und stellte sich neben mich, von wo aus er ebenfalls die sich zusammen richtenden Elben beobachten konnte.
„Die Festung ist nur noch einen Tagesmarsch entfernt, wir werden schneller ankommen, als du denkst", antwortete ich nachdenklich. Wie viele unserer Freunde würden in dieser Schlacht wohl ihr Leben lassen? Es war immerhin auch möglich, dass an diesem Ort bloß wenige und dafür starke Feinde warteten.
Es dauerte nicht lange, bis wir uns wieder auf den Weg machten. Maltlass war mit seinen Leuten immer noch nicht zurückgekehrt, doch er wusste in welche Richtung wir unterwegs waren und für Elben war es leicht die Spuren einer ganzen Armee zu verfolgen. Falls ihm nichts zugestoßen war, würde er uns wiederfinden. Mich beunruhigte eher, dass er normalerweise ein so pflichtbewusster und erfahrener Elb war, dass er eigentlich wusste, wann und wie er zurückzukehren hatte.
Doch das änderte nichts. Wir durften nicht zu lange an einem Ort verweilen, das war wichtiger als auf die Rückkehr einer kleinen Gruppe zu warten.
Der Wald wurde immer spärlicher und kränklicher. In unserem Teil des ehemaligen Grünwaldes waren trotz des Winterbeginns noch einige Blätter an den Bäumen, von denen hier jegliche Spur fehlte. Auch auf dem Boden war kein Laub zu erkennen, alles war leer und öde, was für uns gleichzeitig wenig Versteckmöglichkeiten bot. Waldelben konnten schnell mithilfe ihrer Kleidung unsichtbar werden, doch so viele Leute an einem solchen Ort, das war schwierig. Vielleicht waren wir längst entdeckt worden und wir wussten einfach noch nichts davon?
Während die Abende und Nächte manchmal gesungen wurde, verlief der Weg in Totenstille, was an unseren Nerven zerrte, doch notwendig war, um nicht entdeckt zu werden. Vermutlich sagte sich jeder hier, dass es bald vorüber sein würde.
Meine Gedanken waren nur selten zum Palast zurückgewandert. Ich hätte Lothparth und Calenmîr gerne bei mir gehabt, doch wollte sie gleichzeitig nicht der Gefahr aussetzen. Wie es Cúran als alleinerziehender Vater inzwischen wohl ging? Er war mit Sicherheit noch lange nicht über den Tod seiner Frau hinweg. Hatte Mithtân sich Calenmîr wieder genähert oder war sie schlau genug, um sich von ihm fernzuhalten? Fragen, auf die ich gerne eine Antwort gehabt hätte, doch gleichzeitig genoss ich es ein wenig wieder auf Reisen zu sein, wobei diese keine sehr schöne war. Es half mir meinen Kopf freizumachen.
Die Späher hatten recht behalten, es war sogar etwas weniger als ein Tagesmarsch. Die Nachricht hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet und alle noch einmal mehr motiviert dem Ganzen ein Ende zu bereiten.
Die Tageszeit war zwar nicht an der Sonne abzulesen, da diese, wenngleich die Bäume karg und dünn waren, durch den dunklen Zauber nicht zu erkennen war. Es war ein trostloser Ort, von dem ich mir nur schwer vorstellen konnte, dass er jemals wie das Waldlandreich gewesen sein sollte – oder wieder werden sollte.
Sobald die Festung in Sichtweite kam, schlugen wir ein Lager (diesmal ohne Feuer) auf. Die Nacht würde kalt werden, doch das war nicht zu ändern. Man könnte das Licht erkennen und wir durften auf keinen Fall einen Überraschungsangriff unserer Gegner riskieren.
Die Wachen wurden verdoppelt und alle blieben in ihrem elbischen Halbschlaf, der falls nötig für schnellere Reaktionszeiten sorgte. Auch mir fiel es diesmal schwer Ruhe zu finden. Ich liebte es in den Bäumen zu schlafen, doch hier stellten sie selbst für eine Elbin einen sehr unbequemen Schlafplatz dar.
Also beschäftigte ich mich mit dem einzigen, das mir in dieser unendlichen Stille geblieben war: Schnitzen. Mit dem kaum vorhandenen Gepäck gab es auch nicht viele andere Möglichkeiten, die Zeit schneller voranzutreiben. Ich hatte das handliche Stück Holz noch aus den gesunden Waldbereichen mitgenommen und setzte mich immer daran, wenn mir die Realität ein Stück zu nah rückte. Ich wusste, dass die realistische Chance bestand, dass ich verletzt oder gar getötet wurde.
„Langsam kann man ihn erkennen", lächelte Lagornem und ließ sich neben mir nieder. Er hatte ein Lembasbrot in der Hand. Wenngleich seine Stimme ein wenig amüsiert geklungen hatte, so spürte ich dennoch den besorgten Blick auf mir. Er hatte die letzten Tage so viel Zeit mit mir verbracht, dass er wusste, was es bedeutete, wenn ich mal wieder an diesem noch nicht ganz vollendeten Vogel herumwerkelte. Es war ein kleiner Blauhäher, welcher Lothparth immer sehr viel bedeutet hatte. Ich hatte zunächst selbst nicht gewusst, was ich da formen wollte, bis es mir irgendwann doch aufgefallen war. Vielleicht hingen meine Gedanken doch mehr bei ihr fest, als mir bewusst war?
„Danke", murmelte ich leise und gab das Schnitzen auf. „Maltlass ist zurückgekehrt", sagte er gedämpft und aß den letzten Bissen der elbischen Wegproviant. Ich sah ihn überrascht an. Eigentlich hatte ich nicht mehr wirklich mit dieser Nachricht gerechnet, doch der verlängerte Ausflug schien Lagornems Gesichtsausdruck zur Folge, nicht ohne Opfer gewesen zu sein.
„Sie haben sich der Festung genähert und wurden angegriffen. Sie wissen nun definitiv, dass wir hier sind. Legolas hat gesagt, dass wir nicht mehr lange warten dürfen", sprach er weiter und sah an mir vorbei in Richtung der dunklen Festung. Ich wandte ebenfalls betroffen den Blick ab. Aus einem Überraschungsangriff würde also nichts werden.
„Er will dich sprechen", fügte er noch hinzu und zog dann seine Beine ein wenig an. Ich hob etwas überrascht meine Augenbrauen und stand auf. Eigentlich sollte ich das erwartet haben, immerhin war es nicht abwegig nun eine Besprechung einzuberufen.
Ohne eine Verabschiedung machte ich mich also auf die Suche nach meinem Bruder, welcher nicht schwer zu finden war. Tauriel, Belaithcuil und Maltlass waren schon bei ihm. Letzteres sah erschöpft aus und hatte einige Schürfwunden.
„Sie haben viele Wachen und ihre Streitkräfte sind tief in der Festung versteckt, es gibt kaum eine Möglichkeit ihre wahre Stärke abzuschätzen", erzählte Maltlass gerade und nickte mir kurz zu. Ich hatte mein Messer und die Figur in meiner Manteltasche verschwinden lassen.
„Wir haben keine Fehler gemacht, sie passen einfach zu gut auf. Ich nehme nicht an, dass wir uns unentdeckt werden nähern können", fuhr er fort. Ich hielt mich zurück und wartete auf einen Kommentar der anderen. „Wir sollten trotzdem versuchen den besten Ort für einen Angriff auszumachen, vielleicht haben sie Fehler in ihrer Wachroutine, die wir ausnutzen können?", antwortete Belaithcuil schließlich ernst und warf Legolas einen Blick zu, welcher nachdenklich zu Boden starrte. Ich wusste, woran er dachte.
„Wir sollten jetzt angreifen", sprach ich also, worauf mich alle, bis auf meinen Bruder, überrascht ansahen. „Unsere Leute sind niemals so schnell mobilisiert", widersprach Belaithcuil und musterte mich argwöhnisch. Er kannte mich nicht sonderlich gut und wusste bloß, dass ich früher nicht viel mit dieser ganzen Verantwortung am Hut haben wollte.
„Wir sind Elben, natürlich sind wir das. Unsere Gegner bereiten sich vor und haben die Wachen sicher schon verstärkt, ich denke kaum, dass wir einen nennenswerten Fehler werden finden können. Legolas?", führte ich meinen Punkt entschlossen aus. Ich wusste nicht wie gut diese Idee wirklich war, doch nun konnte ich nicht mehr davon abweichen. Würde ich die Zustimmung des Prinzen bekommen, konnte ich mir wenigstens sicher sein.
Mein Bruder hob endlich den Blick, doch sah nicht sonderlich begeistert aus. „Sie hat recht", brachte er schließlich heraus und bekam noch Blicke. „Das ist Wahnsinn", antwortete Belaithcuil sofort und breitete aufgebracht seine Arme aus. „Wir sollten noch einiges mehr besprechen, wie wir genau vorgehen werden, was die Signale sind", mischte Tauriel sich auch endlich ein, welche um einiges ruhiger war, doch auch nicht überzeugt zu sein schien.
„Dafür haben wir keine Zeit. Níniel hat recht, sie breiten sich vor und werden damit rechnen, dass wir dasselbe tun", antwortete Legolas und starrte mich dabei direkt an. Ich lächelte leicht als Dank, dass er mich so unterstützte, doch wusste gleichzeitig, dass er das nicht tun würde, wenn er nicht ebenso überzeugt wäre von der Idee. So weit würde er nicht gehen, mich zu verteidigen.
„Wir wissen nichts über diese Festung. Sie könnte uns maßlos überlegen sein, zahlenmäßig und auch von der Taktik her. Sie kennen das Gebiet, wir nicht", widersprach nun auch Maltlass, welcher beeindruckend sachlich blieb. „Du hast selbst gesagt, dass es nur wenige Möglichkeiten gibt, mehr über sie herauszufinden und wenn sie sich auf diesen Angriff vorbereiten oder uns, noch schlimmer, hier umzingeln, haben wir gar keine Chance mehr. Wir müssen die Angreifenden sein und das möglichst, wenn sie es nicht erwarten", erklärte mein Bruder und sah ihn an. „Das könnte ein riesiger Fehler sein –, aber er hat recht, wir haben keine andere Wahl", brummte Tauriel grimmig. „Was sagt uns, dass sie nicht einfach denken, dass Maltlass und seine Leute alleine waren?", versuchte es Belaithcuil noch ein letztes Mal. Ich glaubte ein wenig Panik in seinen Augen erkennen zu können, doch das war verständlich, nachdem, was wir hier gerade planten. Es war nicht unbedingt die traditionelle Vorgehensweise.
„So erfahrene Krieger sind nicht einfach auf einer Selbstmordmission unterwegs und sie werden sich alleine schon zur Sicherheit vorbereiten", antwortete ich ernst und sah ihn fest an. Er suchte verzweifelt nach weiteren Argumenten, doch blieb stumm.
„Dann ist es beschlossen, wir greifen jetzt sofort an", seufzte Maltlass, in wessen Augen ebenfalls Unsicherheit zu finden war. Er war besorgt.
Es war die Ruhe vor dem Sturm. Alle Elben teilten sich in vier Gruppen auf. Legolas hatte Maltlass keine eigene zugetraut, da er immer noch leicht verletzt und erschöpft war. Darauf hatte es eine kurze Diskussion gegeben, doch viel war nicht zu machen gewesen. Also blieben die Anführer: Legolas, Tauriel, Belaithcuil und meine Wenigkeit. Ich hatte mich schließlich alleine schon durch den letzten (kleineren) Angriff im Waldlandreich bewiesen.
Wir hatten uns aufgeteilt und jeweils eigene Stellen für einen Angriff gesucht. Meine lag an der Nordseite. Es gab kein Kommando, sodass wir alle gleichzeitig angreifen konnten, es war nur der Befehl, es so schnell wie möglich zu tun. Drinnen würden wir wieder zusammenstoßen.
Da die Gruppen dadurch, dass es ursprünglich eine ganze Armee gewesen war, immer noch groß waren, würden sich die Orks vielleicht mehr auf den ersten bemerkbaren Angriff konzentrieren und die anderen hatten bessere Chancen.
Also beschloss ich nicht länger zu zögern und gab den anderen das Zeichen vorzustoßen. Eine Mauer mit ein paar eingelassenen Fenstern lag vor uns. Für Elben kein Problem. Zuerst sprangen ein paar nach oben und zertrümmerten die Fenster, die am leichtesten zu erreichen waren. In diese konnten dann die anderen nach und nach eindringen.
Der Schein einiger Fackeln empfing uns, zusammen mit einigen wenigen Orks, die so schnell mit Pfeilen abgeschossen wurden, dass sie nicht den leisesten Ton von sich geben konnten. Das Licht hier war kaum mit dem im Palast zu vergleichen, doch dieses war schließlich auch nicht verzaubert und Orks legten nicht den größten Wert auf Einrichtung.
Sobald sich die meisten in dem Raum versammelt hatten, der dem Anschein nach zum Essen diente, öffnete ich die Tür auf den Gang, auf welchem schon mehr los war. Einige Wachen liefen aufgeregt hin und her. Wir hatten offensichtlich recht gehabt, sie waren in Alarmbereitschaft.
Ich warf kurz einen Blick zurück zu meinen Leuten und nickte kurz, als Zeichen, dass wir uns nun in einen offenen gefährlicheren Kampf werfen würden. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie es am nächsten Morgen gewesen wäre. Nun war es noch dunkel und Vorbereitungen wurden getroffen. Orks mochten das Licht der Sonne zwar nicht, doch hatten trotzdem nicht so gute Augen wie wir.
Ich sprang nach draußen und zückte erst einmal meinen Bogen, mit dem ich die nächsten abschoss und dann zu meinem Schwert wechselte, um ein wenig weiter in dem Gang vorzudringen. Immerhin waren noch mehr Elben hinter mir, die noch aus dem Raum hinausmussten. Es dauerte nicht lange, bis sich einige der hässlichen Kreaturen – die nebenbei gesagt, einen nicht sehr angenehmen Geruch verströmten – aus dem Staub machten, um Bericht zu erstatten und Alarm zu schlagen.
Es war kaum zu vermeiden, dass wir entdeckt wurden, weshalb ich nicht den Fehler beging, mich nur auf die Fliehenden zu konzentrieren. Vor mir waren noch einige weitere, die kein Problem hatten, sich für das Allgemeine Wohl zu opfern und sich damit einfach wortwörtlich auf mich warfen.
Ich musste zugeben, dass ich es ein wenig genoss, endlich dem Bösen mein Schwert in den Ranzen zu rammen. Dem bedrückenden Gefühl in meiner Brust wurde damit kurzfristig Luft gegeben.
„Macht die Fackeln aus, wir können in der Dunkelheit besser sehen", befahl ich und riss selbst einen der lichtspenden Pfähle von der Wand. Orks waren keinesfalls Blind in der Nacht, doch in totaler Schwärze, waren wir immer noch den Vorteil.
„Werden sie es nicht merken, wenn hier plötzlich alle Lichter ausgehen?", murmelte Lagornem mir leise zu und ging knapp neben mir weiter in Richtung Herz der Festung.
„Sie wissen schon längst, dass wir hier sind", antwortete ich eisern und starrte aufmerksam nach vorne, wo sich die Gänge inzwischen ein wenig geleert hatten. Die Nachricht unseres Eindringens hatte sich wohl schnell verbreitet. Irgendwo mussten sie sich sammeln.
Ich warf einen Blick über die Schulter, um mich zu versichern, dass alle hinter mir waren und legte dann einen Zahn zu. Wir mussten versuchen sie vom Rest abzuschneiden, sodass wir in keine Falle liefen.
Mit einer Handbewegung wies ich meine Leute an, in die Räume zu schauen, die von dem Hauptgang abzweigten. Wir durften nicht riskieren in der Mitte auseinandergerissen zu werden.
Damit verlangsamte ich mein Tempo wieder und trat selbst einige der Türen auf. Nur hin und wieder begegneten wir einigen panischen Blicken, deren Besitzer schnell ein Ende fanden. Bis jetzt sah es noch nicht schlecht aus, doch mein Gefühl sagte mir, dass da noch etwas kommen würde. Eine solche Festung war nicht einfach nur von ein paar Orks, Wargen (wolfartigen Wesen) oder Spinnen bewohnt, da wartete noch etwas Anderes auf uns.
Nachdem wir den breiten Gang weiterverfolgt hatten und dabei immer seltener auf Orks trafen, kamen wir schließlich zu zwei großen Flügeltüren, die wohl den Eingang in eine Halle darstellten.
Ich hielt an und wartete, bis alle versammelt waren. Ich meinte bereits das Rasseln der Waffen vor mir vernehmen zu können. Wenn es schon nicht alle dort versammelt waren, so war es trotzdem eine große Zahl, die wir noch nicht abschätzen konnten.
Ich ließ meinen Blick über die Elben hinter mir wandern und legte meine Hand dann an den eisernen Ring, der die Klinke darstellte. Lagornem, welcher nicht von meiner Seite gewichen war, übernahm den anderen. Auf ein knappes Nicken zogen wir beide gleichzeitig nach innen, worauf sich die schweren eisernen Türen öffneten.
Ich konnte auf den ersten Blick nicht einmal erkennen, wie viele auf uns gewartet hatten. Es waren bloß eine Menge Orks zu erkennen, die sich augenscheinlich gegen die Tür gepresst hatten und sich nun, ohne zu zögern, auf uns stürzten. Ich war zwar größer als so ziemlich alle von ihnen, doch trotzdem hatte ich einfach nicht die Zeit einen Blick in die Halle zu werfen. Ich hatte alle Hände voll damit zu tun, die auf uns einströmenden Orks zu bekämpfen. Alleine die toten Körper, die sich schnell vor uns türmten, waren ein Problem. Es würde lange dauern einen Weg um die Halle herum zu finden, doch nun mit Gewalt gegen diese Massen anzukämpfen, war auch aussichtslos.
„Níniel!", rief mein Freund über die Schreie und schlug sich zu mir durch. Ich mochte es zwar nicht, mich von der Schlacht zu entfernen, doch er hätte mich nicht gerufen, wenn es nicht sehr wichtig gewesen wäre. Also kam ich ihm entgegen. „Ich habe in dieser Halle eine Tür gesehen. Sie sieht aus, als würde sie zu etwas sehr Wichtigem führen!", erklärte er mit lauter Stimme. Ich nickte knapp und bemühte mich wieder nach vorne zu gelangen. Ohne große Notiz von den Kämpfen um mich herum zu nehmen, kletterte ich über die toten Körper – die nicht nur von den Orks herrührten – und versuchte einen Blick auf besagte Tür zu erhaschen.
Lagornem hatte recht, sie war kaum zu übersehen: riesig und rot-schwarz angestrichen, verziert mit ein wenig Gold am Rand. Ich wusste zwar nicht, was sie zu bedeuten hatte, doch spürte, dass sie wichtig war.
Ich drehte mich um und erkannte, dass mein Freund mir halb gefolgt war. „Ihr dort, mitkommen", befahl ich den drei nächsten Kämpfern bei mir und deutete Lagornem ebenfalls, dass er mir folgen sollte. Wir würden niemals mit allen Leuten, die sich inzwischen nicht einmal so schlecht schlugen, durchgelangen. Durch die toten Körper würde bald eine unüberwindbare Barriere entstehen, die sie schützte, weshalb ich mir nicht allzu große Sorgen machte. Wir waren im Krieg, da gab es Opfer, darüber durfte man während einer Schlacht nicht nachdenken.
Es tat mir im Herzen weh, sie zurückzulassen, doch das hatte Priorität, ein König konnte während einer Schlacht auch nicht immer alle Leute im Blick haben. Sie würden auch ohne mich zurechtkommen.
Sobald die vier bei mir angekommen waren, sprang ich vom Boden ab und begann auf Schilden, Schädeln oder Helmen meinen Weg zu dieser Tür fortzusetzen. Damit waren wir zwar von allen Seiten der riesigen Halle, welche voller dunkler Kreaturen war, zu sehen, doch anders war das kaum möglich gewesen.
Sobald wir in die Nähe der Tür kamen, sprang ich wieder zu Boden und vollführte eine Drehung mit meinen Dolchen zur Seite gestreckt, um etwas Raum zu bekommen. Die drei Kämpfer und Lagornem wussten was sie zu tun hatten und bildeten einen Halbkreis um mich, während ich versuchte die Tür zu öffnen. Sie war natürlich gesichert mit einem Vorhängeschloss. Ich holte mein Schwert hervor und schob dessen Spitze so hinein, sodass ich es mit einer Menge Kraft und Hebelwirkung aufbrechen konnte.
Gerade als ich es entfernte, vernahm ich neben mir einen erstickten Laut. Ich schloss kurz meine Augen und stemmte mich einfach gegen das schwere Metall vor mir. Ich wollte es nicht sehen. Vom Gefühl her, war es nicht Lagornem gewesen, wenngleich das, bei dem Lärm hinter uns, kaum herauszuhören war.
Die Tür öffnete sich tatsächlich und überraschend kühle, frische Luft strömte mir entgegen. Ich war kurz benommen und stolperte ins Freie.
„Schließt die Tür, schnell", befahl ich und drehte mich um. Lagornem und ein anderer Elb, der überlebt hatte, folgten mir sofort und führten den Befehl gut möglichst aus, doch es hatten sich bereits welche in die Tür gepresst und schlugen wild mit ihren primitiven Schwertern nach uns.
Ich schoss sie mit einem Pfeil ab und drückte die toten Körper mit meinem Fuß nach drinnen. Ich hatte nicht vor diese hässlichen Kreaturen freiwillig zu berühren.
Lagornem und der andere setzten sofort zu Zaubersprüchen an, als die Tür endlich ins Schloss fiel. Ich dagegen drehte mich wieder um und merkte, dass wir auf einer Art Brücke standen, welche zu einer Plattform hoch oben in der Luft führte.
„Bleibt hier und bewacht die Tür", befahl ich noch und setzte den Weg in der kühlen Nachtluft fort. Ich erhielt keine Antwort, doch wusste, dass sie mich gehört hatten. Ich wollte nicht riskieren, dass die Orks letztendlich doch zu uns durchbrachen.
Schnell wurde alles totenstill. Die Geräusche hinter mir wurden immer leiser und wenngleich das Licht der Fackeln aus den Fenstern der Festung, nicht ausreichten, um den Weg vor mir zu erleuchten, hatte ich das Gefühl, dass ein dämmriges Licht um mich herum lag.
Das schlechte Gefühl in meiner Brust schwoll um einiges an, sodass mir schon fast schlecht davon wurde. Trotzdem ging ich weiter, bis ich fast auf der Plattform angekommen war.
Ich fasste mir verwirrt an den Kopf und merkte, wie mir schwindlig wurde. Ich war nicht verletzt worden und es war nicht wirklich meine Art einfach so ohnmächtig zu werden.
Ein Geräusch wie ein Donner grollte plötzlich über hinweg und das dämmerige Licht verschwand wieder.
Mit schnellem Atem versuchte ich mich umzusehen, doch alles war dunkel, die Festung war von einem schwarzen Nebel eingeschlossen und selbst der Boden unter meinen Füßen schien von schwarzen Fäden überzogen zu sein.
Wie ein Stachel durchzog mich plötzlich ein Schmerz, den ich in dieser Intensität noch nie gespürt hatte. Es war nicht, wie eine normale Verletzung, es war viel tiefgehender, als ob mir meine Seele entzogen werden würde.
„Nimp! Níniel! Nein!", rief plötzlich jemand wie von weit her, doch ich konnte die Worte nicht wahrnehmen oder verstehen. Ich spürte, wie ich vom Boden abhob und von diesen schwarzen Fäden umwoben wurde. Ich konnte mich nicht wehren, war energielos, fast als wäre ich außerhalb meines Körpers.
Das Donnergrollen klingelte in meinen Ohren. Nun kam auch noch etwas wie eine tiefe Stimme dazu, doch ich konnte nichts davon verstehen, was sie sagte, wenn sie es denn überhaupt tat, es klang mehr wie ein Knurren und Grummeln.
Plötzlich durchschnitt ein grelles, weißes Licht die Luft. Ich holte tief Luft und merkte, wie ich hart auf dem Boden aufkam. Doch es war zu spät, ich war viel zu schwach und wusste nicht mehr, wie ich meinen Körper zu steuern hatte, war verloren in den Tiefen meiner selbst.
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