Prolog 2/2



Sie hatte sich damals irgendwie seltsam friedlich und ruhig gefühlt. Ihr Spanisch fand endlich ein bisschen Anwendung. Auch wenn sie beinweitem nicht alles verstand, was Marco da ab und zu vor sich hinmurmelte. Die kurzen Gespräche zwischen ihnen waren immer ganz einfach gehalten gewesen.
Sie verstand im Grunde auch nur geringfügig mehr, als dass sie sprach.
So wie in Englisch.
Nur die Grundkenntnisse. Genug um sich für einen Normalfall, wie eine Essens-Bestellung, Zimmerreservierung oder einen Einkauf verständlich zu machen. Ja.
Was auch noch ein Grund dafür gewesen war, dass sie sich an jenem Morgen so schnell wieder auf den Weg gemacht hatte, um von dem gutaussehenden Jungen Mann wegzukommen.
Denn ihr hatten schlicht die Worte gefehlt, um sich noch irgendwie tiefsinnig, mit ihm auseinander zu setzen.
Doch, nun musste sie wohl oder übel mit ihm telefonieren. Nein... Sie musste erst mal die Vorwahl von Spanien herausfinden...
Lieber Gott...
Doch immerhin hatte sie seine Karte aufgehoben.
Und er hatte zumindest ein Recht darauf
es zu wissen, ... dass sie von dieser einen Nacht schwanger geworden war.
Sie konnte es ja dann nun mit ihm besprechen.
Das Wörterbuch lag schon auf dem Bett bereit. Und sie hatte sich einige Sätze raus geschrieben und auch noch mal im Internet nachgeschaut, wie man auf Spanisch über Abtreibung sprach. Naja, notfalls konnte sie ins Englische wechseln... und ihn nun einfach danach fragen...
Ob sie nun abtreiben sollte ... oder nicht.
Spanier waren doch eigentlich auch sehr Familienbezogen, oder? Sie waren auch zumeist katholisch.
Doch was, wenn er ihr dann nun Vorwürfe für ihre Pläne machen würde, weil sie das Kind ja nun wirklich nicht gut behalten konnte?
Naja.. vielleicht würde er sie ja nun doch irgendwie unterstützen wollen. Oder vielleicht war ihm das alles nach den vielen Wochen auch nur noch total egal.
Dass sie ihr erstes Mal, mit diesem faszinierenden, gut aussehenden jungen Spanier gehabt hatte, ... was ja eher auch nur ein Unfall gewesen war, statt Absicht. Er hatte wie ein Mädchenschwarm ausgesehen. Doch verhalten hatte er sich wie ein introvertierter Nerd.
Aber vielleicht war das ja auch nur Fake gewesen. Genauso wie diese Nacht.
Vielleicht hatte das ja wirklich nichts für ihn bedeutet. Auch wenn er an jenem Morgen genauso fassungslos gewirkt hatte wie sie selbst.
Aber das hätte er genauso gut auch Schauspielern können, damit sie ihm nun nicht auch noch eine Szene danach machte.
Ja.
Vielleicht war er auch erleichtert gewesen, dass sie so schnell an diesem Morgen davon gelaufen war. Andernfalls wäre er ihr doch sicher wieder gefolgt, oder? Schließlich hatte er doch auch noch bis ganz zum Ende des Jacobsweges gehen wollen ...
Zumindest hatte er das zu ihr gesagt.

Theresa knabberte noch kurz auf ihrem Daumennagel herum, bevor sie schließlich zaudernd ihr Handy nahm, um die Vorwahl von Spanien herauszufinden.
Brauchte sie bei einer Handynummer diese überhaupt?
Da stand aber auch noch eine andere Nummer drauf. Sicherlich Festnetz. Ob sie nicht doch besser diese anrufen sollte? Aber was, wenn dann seine Eltern rangehen würden? Er war ja selber auch noch nicht so alt gewesen.
Er hatte ihr damals erzählt, dass er noch zu Hause wohnte. Dass er einen Bruder hatte, dass er den Jakobsweg ging, um mit sich selbst ins Reine zu kommen, oder? Er hatte von seinem innerem Frieden gesprochen, den er suchte...
Naja
Sie hatten sich eigentlich nie so richtig ausführlich über ihre jeweiligen Gründe unterhalten. Gut, sie hatte ihm bei ihrer letzten Begegnung und dem Picknick von ihrer Oma erzählt. Dass sie gestorben war, und sie deswegen den Weg gehen wollte. Für sie.  Aber darüber hinaus hatte sie sich ihm nicht anvertraut.

Es war an dem Abend nur kurz mal echt angenehm gewesen, in seiner Gesellschaft zu reisen. Vorher war sie ab und zu mal von anderen Wanderern angesprochen oder auch angemacht worden. Aber als Marco dann an einem Tag als sie jemand anfassen wollte dazu kam, den Spanier wegschickte und dann einfach nur mit zurückhaltendem nicken und kurzem Lächeln in ihrer Nähe blieb, während sie beide einfach jeder weiter für sich wanderten, war das für sie doch eine sehr beruhigende Situation gewesen.
So als hätte sie auf einmal einen stillen Bodyguard in der Nähe, der sie aber nicht störte, nichts sagte und auch gar nichts von ihr verlangte.
Er ließ sie komplett in Ruhe.
Ja... Es war ritterlich und auch sehr nett zu ihr gewesen.
Nichts, womit sie bei einem so gut aussehenden südländischen Typen je gerechnet hätte.
Spanier waren doch eigentlich eher für ihr hitziges Temperament bekannt, also doch eher so Draufgänger immer lustig und Flirtbereit.
Aber Marco war nichts von alldem gewesen.
Nein..
Also, wie hatte es nur so mit ihnen beiden enden können?
War denn die Anziehungskraft wirklich so groß gewesen? Oder hatte sie sich selbst unter Alkoholeinfluss dann letztlich so einsam gefühlt, dass sie es nicht nur zugelassen, sondern vielleicht sogar forciert hatte, in seinen Armen zu landen?
Sie wusste es einfach nicht mehr. Da waren nur noch wenige ganz verschwommene Eindrücke in ihrer Erinnerung zurückgeblieben.
Den Rest hatte der Wein mit sich gerissen.
Gott.

Sie zauderte erneut ein bisschen, bevor sie schließlich die Handynummer auf der Karte anwählte und dann mit heftig klopfendem Herzen wartete.
„Hola?", fragte nach wenigen Sekunden eine tiefe männliche Stimme.
Oh...
War das Marco?
War seine Stimme denn wirklich so tief gewesen?
Sie suchte nach dem ihrem spanischen Vokabular und atmete schließlich zittrig durch
„Äh... Ja, Hola... ist ... da Marco? I... ich bin's, Theresa. Vom Jakobsweg.", sagte sie reichlich dünnstimmig, und eine ganze Weile lang war es am anderen Ende still.
Sie hörte nur das leise aber hörbar angestrengte atmen des Mannes, wusste aber nicht was sie nun tun sollte.
Da plötzlich räusperte sich der Mann der offensichtlich nicht Marco sein konnte und sprach zu ihrer grenzenlosen Verblüffung nun ein lediglich ganz leicht akzentuiertes deutsch mit ihr.
„Verzeih, ich bin gerade etwas überrascht. Nach so vielen Wochen hatte ich nun doch nicht mehr damit gerechnet noch von dir zu hören.
Ich bin Don Miguel Ramírez, Marcos Bruder. Er hat mir noch gesagt, ich sollte unbedingt auf deinen Anruf warten und sein Handy und seine Nummer auch nur dafür behalten.
Es tat ihm sehr Leid, was im Orangenhain bei Gijõn passierte. Er hat so darauf gehofft das du dich später noch einmal bei ihm meldest und seine Karte nicht einfach nur wegwirfst. Er kannte ja noch nicht einmal deinen vollen Namen ..."

Theresa riss die Augen auf und atmete hastig durch. Das hier wollte sie nun garantiert nicht mit Marcos Bruder besprechen ... war schon schlimm genug, dass der ihm überhaupt davon erzählt hatte.
Doch wieso nur?
Um mit seiner Eroberung zu prahlen?
War es das?
Gott!
Aber sie wechselte nun ebenfalls zurück ins deutsche, wenn der Bruder es nun so gut sprach.
„Ver... Verzeihung, ah... ich hatte mich ihm nie richtig vorgestellt ... aber er ja auch nicht. Ich heiße Theresa Singer. U... und was Marco betrifft... bitte verstehen sie das nicht falsch. Wir sind nur eine Weile zusammen gewandert auf dem Jacobsweg. U... und er hat mich einmal vor jemandem beschützt, der ... es wohl auf mich abgesehen hatte oder so. Da ging er dazwischen und blieb dann einfach in meiner Nähe, das war eigentlich alles. Es war wirklich nichts ... also ... Ich meine ..."
Theresa bemerkte das sie ins plappern kam und besann sich wieder auf den Zweck ihres Anrufes. „Sie ... Sie sprechen wirklich gut deutsch, Don Miguel ... A... Aber... Ich brauche keinen Dolmetscher. Bitte! Ich ... möchte bitte nur kurz mit Marco sprechen. - Wenn ich darf! Nur ganz kurz. Ich muss ihm was sagen... U... und mein Spanisch reicht dafür wohl noch aus ... ich meine... das hier ist sehr privat und ... und sehr wichtig. Ich meine... Ihn zu sprechen und nicht... nicht seinen Bruder ...", versuchte sie ihn nun hastig zu überzeugen. Denn offensichtlich beschützte der Bruder ihn nun wohl vor ihr oder so.

Wieder herrschte kurz angespannte Stille in der Leitung, bis auf mehrere tiefe Atemzüge.
Bis Don Miguel dann aber doch wieder sprach.
„Ich kann dir diesen Wunsch leider nicht mehr erfüllen, Theresa. Bitte sei nicht erschrocken ... Doch so furchtsam und nervös wie du gerade klingst, denke ich das mein Bruder da vielleicht in dieser Nacht doch noch etwas ungeplantes und für dich gerade wohl auch sehr beängstigendes hinterlassen hat. 
Du bist schwanger von ihm ... nicht wahr?", fragte er sie nun ehrlich wahr gerade heraus.
Ach du...!
Theresas Blut gefror ihr fast in den Adern...
Er konnte ihr den Wunsch leider nicht mehr erfüllen? ... Und Hinterlassen?
Warum sagte er das nun so komisch...?
Was wollte er damit sagen?
„I... ich will wirklich nur kurz mit Marco sprechen, ... bitte!", schluchzte sie nun beinahe schon flehendlich.
„Es ... tut mir so leid. Furchtbar leid, Theresa. Aber Marco ist vor etwas mehr als fünf Wochen gestorben. Er ist noch im Orangenhain zusammengebrochen, sonst wäre er dir sicherlich noch gefolgt, zumindest um zu erfahren ob mit dir auch wirklich alles okay ist...
Doch... er hatte einen Hirntumor, war unheilbar krank und auch schon lange im letzten Stadium ...
Deshalb ging er dann auch noch mal alleine den Camino de la Costa, wo er dir dann begegnete..."

Theresa meinte kurz ihr Herz müsste stehen bleiben. Tränen sprangen aus ihren Augen heraus und sie hörte gar nicht mehr was Don Miguel noch weiter zu ihr sagte.
Marco war ... tot...!?
Der lächelnde jedoch auch sehr ernsthafte junge Marco...?!

„... Hörst du mir noch zu?", drang Don Miguels Stimme schließlich durch das Rauschen und piepsen in ihren Ohren hindurch und Theresa kam nun doch wieder zu sich und begriff, das sie nun wirklich ganz alleine mit allem war.

„Ver... verzeihung ... Don Miguel... es tut mir wirklich, wirklich sehr leid ... das zu hören und sie in ihrer Trauer gestört zu haben. - Möge Marco in Frieden ruhen. Er war so freundlich und nett ... in der kurzen Zeit in der ich ihn kannte...  immer so ruhig und ... und freundlich."
„Theresa...! - Halt! Ich möchte nicht das du jetzt einfach auflegst, hörst du...?"
„Nein, nein... es ist schon gut. Don Miguel und I ... Ich bin auch nicht schwanger! Wirklich nicht. Es ist alles in Ordnung. - Danke für die Auskunft. I...Ich bete für Marco und werde mich auch nicht noch einmal bei ihnen melden, fest versprochen...", log sie noch voller Panik und beendete dann rasch das Gespräch, obwohl Don Miguel noch etwas sagte und ihren Namen rief.
Sie aber drückte ihn nur weg und atmete dann extrem scharf zischelnd ein und dann wieder höchst fassungslos aus.
Die Stille im Zimmer dröhnte ihr nun regelrecht in den Ohren.

Oh... oh... lieber ... Gott!

Sie hätte das besser nicht tun sollen.
Nein.
Einfach so bei Marco anrufen...
Im nächsten Moment klingelte dann auch schon ihr Handy. 
Es war natürlich Marcos Nummer.
Sie schaltete ihr Handy daraufhin schnell ganz aus und warf es zusammen mit dem Reiseführer, der Karte und dem Foto in ihre Kiste zurück, so als hätte sie sich gerade dran verbrannt, bevor sie diese dann rasch abschloss und anschließend erst einmal neben den Schreibtisch heftig keuchend zu Boden ging.

Tränen liefen ihr über das Gesicht und tropften von ihrem Kinn hinab zu Boden.
Sie hielt auch noch immer den kleinen Schlüssel fest in der Hand und erzitterte heftig.
Marco war Tod ...
Er hatte einen Hirntumor gehabt ... und sie war nun schwanger ... von einem toten, netten Jungen Mann, der das nun aber gar nicht mehr erfahren würde.
Was, bei allen Heiligen, sollte sie nun tun?
Ja...
- Was nur?

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So ihr Lieben, bis hierhin erst mal
Das war der Einstieg. Wie gefällt es euch?
Ist es lesbar?
Wollt ihr noch mehr?

LG
Bea

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