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In der Kathedrale in Santiago de Compostela hatte sie noch mal inständig darum gebetet, dass ihr diese eine Sünde mit Marco in jener Nacht noch mal verziehen werden würde.
Doch da war sie bereits schwanger gewesen.
Sie hatte es noch nicht einmal bemerkt, dass sie ihre Periode nicht bekommen hatte.
So dumm war sie.
Und Marco war zu dem Zeitpunkt auch schon gestorben.
Oh Gott, oh Gott...!
Sie bekreuzigte sich hastig und die Tränen liefen ihr nur wieder in Strömen über das Gesicht und tropften sogar vom Kinn herab. Ihr Magen fühlte sich gar nicht gut an. Er schmerzte so sehr.
Ja...
Der Gedanke an ihre grenzenlose Gedankenlosigkeit schmerzte. Aber wie nur hätte sie das wissen sollen? Hätte sie es denn irgendwie wissen können...?
Sie schniefte laut auf und atmete erneut bewusst tief aus und ein. Sie war heute schließlich rausgegangen, um sich zu fassen, und nicht, um noch fassungsloser zu werden.
Sie hatte Marco schließlich noch nicht einmal gut genug gekannt, um nun so sehr um ihn zu trauern, oder?
Vielleicht war es ja auch dann gar keine Traurigkeit. Vielleicht war es ja auch Zorn und Verzweiflung und Angst vor dieser nun wirklich unglaublich scheußlichen Situation ... und wie sich Marcos Familie nun erst fühlen musste.
- Nach ihrem Anruf.
Denn Marco war gestorben, ... mit schweren Selbstvorwürfen im Herzen ... nur weil sie sich nicht noch mal bei ihm gemeldet hatte.
Oh Marco...
Nein, nein, oh nein!!!
Sie heulte gerade schon wieder los, wie ein Schlosshund.
Es war allein ihre Schuld, dass
Marco keinen Frieden mehr gefunden hatte.
Oma hatte immer gesagt es sei das allerschlimmste mit unerledigten Sachen oder schlechten Gefühlen im Bauch zu gehen, sich auch nie wieder zu melden - und dann plötzlich war derjenige tot, ... so wie Mama damals.
Und genau das war ihr mit Marco nun ebenfalls passiert. Nur weil sie erst mal alles hatte verdrängen müssen.
- Wochenlang.
Nur, um selbst irgendwie damit klar zu kommen, dass sie ihre Jungfräulichkeit im Vollsuff an einen gutaussehenden jungen Spanier verloren hatte.
- So unverantwortlich und abgedroschen.
Davor warnten sogar auch noch die billigsten Groschen-Romane...
Gott.
Sie wischte sich erneut die Tränen ab und blickte kurz zur Straße hin.
Denn da fuhren gerade ein Paar schwarze Autos langsam heran und blieben noch vor der Unterführung in Richtung Innenstadt stehen.
Mehrere Personen stiegen aus. Männer in schwarzen Anzügen ... also... vielleicht eine Hochzeit...?
Ja, oder?
Und nun wollten sie vermutlich Fotos hier unten am Fluss machen.
Oh Mann...
Nichts wie weg hier.
Sie bog abrupt nach links ab und betrat nach weiteren zweihundert Metern seufzend die Brücke um ans andere Ufer zu wechseln, denn dort gab es gerade keinen Verkehr und auch keine Menschen, auf dem viel schmaleren Rad- und Fußgängerweg.
Dabei viel ihr Blick aber auf den heute wirklich schnell fließenden, schlammigen und auch ziemlich stark angeschwollenen Fluss.
Oh Mann...
Das Wasser entsprach gerade genau ihrer bereits vorherrschenden Laune:
Trübe, schmutzig und extrem aufgewühlt...
„Haaach!!!"
Theresa blieb mitten auf der Brücke am Geländer stehen, beugte sich tief durchatmend vor und starrte in die braune, blubbernde Brühe hinab, die auch hier und da noch kleine Wellen schlug, während sie rasch dahin floss.
Wenn sie doch auch einfach nur so wie das Wasser hätte sein können, dachte sie bei sich. Einfach so ohne alle Probleme oder diese verflixte Schwangerschaft ... nur einfach gedankenlos wegfließen, bis hin zum Meer.
Doch am Meer hatte sie ja Marco getroffen.
Den Vater ihres ungeborenen Kindes...
Der nun tot war.
Weshalb sie abtreiben musste.
Shit!
Unwillkürlich schluchzte sie wieder los, vergoss heiß brennde Tränen und legte ihre Hand über ihren noch total flachen Bauch. Da war noch nichts zu sehen und auch nichts zu spüren.
Und sie wollte nun auch nicht mehr darüber nachdenken oder weinen müssen.
Sie hatte in den letzten vier Tagen schon viel zu viel geweint.
Ihre Nase war rot, als wäre sie stark erkältet, ihre Augen waren rot, so als wären sie entzündet. Im kleinen Minimarkt im Ort hatten Sie sie schon besorgt gefragt, ob sie nun krank geworden sei.
Gerade ging wohl auch schon wieder eine neue Variante von Corona herum und keiner wollte sich anstecken.
Sie hatte da nur erklärt, dass ein guter Freund gestorben war, mehr nicht.
Und das genügt dann auch, dass sie unbehelligt ein paar Lebensmittel einkaufen konnte, statt gleich wieder zur Tür hinauskomplimentiert zu werden.
Sie waren hier alle ja so verrückt geworden, seit der Pandemie, - die eigentlich keine war.
Aber niemand wollte sich nun mehr anstecken, weil die Regierung darum nun so eine heiden Panik gemacht hatte.
Tja...
Theresa hielt sich am Geländer fest und wippte leicht daran vor und zurück.
Ihr Dilemma blieb bestehen.
Zwecklos sich kurzzeitig davon Ablenken zu wollen...
Da gackerte plötzlich eine Entenfamilie direkt unter ihr vorbei.
... Uh ... wie schön!
Und das Paar hatte so viele kleine flauschige Küken dabei.
Sie stieg unwillkürlich auf die unterste Sprosse, weil die Enten etwas zu schnell und zu weit rechts in das Gebüsch hinein schwammen und sie aber die Küken noch rasch zählen wollte.
Die kleinen waren so unglaublich süß.
Sie beugte sich unwillkürlich noch etwas weiter vor...
„No! NO!... HAGAS ESO!!!", brüllte plötzlich ein Mann, der von links kommend auf die Brücke rannte und erschreckte sie damit so sehr, dass sie mit der rechten Hand glatt vom Geländer abrutschte und dann auch schon Kopfüber über das Geländer ging ...
Oh... Nö!!!
„Ahhhh...!"
Sie stürzte in den schlammigen Fluss hinein, der sich auch sofort wie ein dunkle, eisige Faust um sie herum schloss ...
Wow!
Ach du ...!!!
Das kalte Wasser war echt ein kleiner Schock. Ebenso die starke Strömung. Ganz kurz wusste sie auch nicht mehr wo nun oben oder unten war, doch etwas oder jemand packte sie bereits am Hemdärmel und riss sie kräftig nach oben.
Sie durchbrach gleich darauf die Wasseroberfläche und schnappte fiep-keuchend nach Luft, derweil der Mann, der ihr wohl über das Geländer nachgesprungen sein musste, sie nun gekonnt auf den Rücken drehte und in einen ihr nur allzu gut bekannten Rettungsgriff nahm.
Eigentlich ganz und gar unnötig, denn sie konnte ja ebenfalls sehr gut schwimmen.
Doch, als sie sich erneut laut aufkeuchend von ihm befreien wollte, ließ er sie einfach nicht los, sondern packte im Gegenteil nur noch fester zu und schwamm mit kräftigen Zügen zum Ufer hin.
Oh du liiiiieber Gott...!
Was ging denn nun schon wieder ab?
Und wer war der Kerl eigentlich?
Sie versuchte kurz, sich zu ihm umzudrehen, sah gebräunte Haut ein weißes nasses Hemd und schwarzes klatschnasses Haar ...
Und dann, als er ganz kurz den Kopf zu ihr hin umwandte ... seine Augen...
„M...Marco!?", keuchte sie sogleich mehr als fassungslos.
„No... Halt still, por favor! - Lo hicimos de inmediato. Keine Angst! Es wird nun alles wieder gut ...", keuchte der Mann während er sie weiter mit sich durch die Strömung zog ...
Das war ... nicht Marco... nein, aber Spanische Worte... und er hatte Marcos Augen...!?
Da erreichte er endlich das Ufer und stand aus dem Wasser auf, zog sie unter den Armen fassend rückwärts mit sich, bis er festen Boden erreicht hatte und sie dann auch nur einfach so auf seine Arme hob und aus dem Wasser heraus und zunächst nur bis zum Ufer-Grasstreifen hinauf trug, sachte absetze und dann sofort ihren Puls am Handgelenk zu messen begann.
Hu?
Gott!!!
Die zitterte vor Kälte und Schock am ganzen Leibe!
Schon umfasste er mit beiden Händen ihr Gesicht und blickte ihr ernsthaft in die Augen.
„Bist du unter Wasser irgendwo angestoßen? Oder mit dem Kopf gegen die Brücke?", fragte er sie akzentlastig, ließ sie aber nicht mal den Kopf schütteln.
Aber immerhin konnte sie ihn jetzt ebenfalls richtig ansehen.
Er... sah wirklich fast genauso so aus wie Marco. Nur ... eine etwas ältere Ausgabe von ihm, oder...?!
War das also...?
- War das ... sein ... Bruder?
Weitere Männer kamen nun spanische Worte schreiend am Ufer angerannt und dann auch gleich den kleinen Abgang hinab gesprungen. Sie wollte erschrocken den Kopf drehen, doch das ließ er wieder nicht zu.
„No! - Sieh mich an, Theresa! Sag etwas! Kannst du gut atmen?", strich er ihr nun auch noch das nass tropfenden Haar aus dem Gesicht zurück und war dabei doch auch selber nun Tropfnass und total zerzaust.
Seine Hand zitterte sogar ... nein, er zitterte ... genauso sehr wie sie selbst auch.
„Lassen ... sie mich bitte los... Ich... Ich will nicht...", wollte sie ihm erklären, dass es ihr unangenehm war von einem Fremden angefasst zu werden, doch da zog er sie auf einmal einfach ganz fest an sich...
- Ach du...!?
„No, no, no, por favor no tengas miedo, no estás sola, pequeña. No tienes que hacer eso...", sagte er wieder hastig und auf spanisch...
Die verstand davon nur ... Du bist nicht allein, Kleines und du musst das nicht tun.
Äh...?!
Was denn?
- Was meinte er damit?
Er sah Marco wirklich so unfassbar ähnlich.
„S...Sie sind D...Don Miguel, nicht wahr?", fragte sie dann einfach mal um Fassung ringend und er hielt nun inne, rückte wieder etwas von ihr ab und umfasste dann nur noch mit einer Hand sachte ihr schmales Gesicht, wobei er ernsthaft nickte ... ganz langsam. Seine Augen wurden nun auch fast schon schwarz vor unterdrückten Emotionen.
„Sí, Theresa... Ich bin Miguel, ... Marcos Bruder. Und ich bin jetzt hier, ... lo entiendes? Du bist nicht mehr allein damit, Niña. Ich verspreche es! Es wird nun alles wieder gut!", sagte er nun mal heftig ein und ausatmend, derweil sie sich nur noch heftig bebend ihre Hand auf ihren Mund presste, um nicht laut los zu heulen.
Denn sie fühlte sich einfach schon wieder nur... Fassungslos.
„T..tut mir leid! Ich hätte nicht anrufen sollen...! Es tut mir so unendlich leid! Sie sind in Trauer ...!", brachte sie nur wieder schluchzend heraus.
„Querido Dios...", zog er sie erneut abrupt an sich und hielt sie im nächsten Augenblick schon wieder fest in seinen Armen und streichelte ihr über das nasse Haar, während sie nun doch wieder in heftiges, haltloses Schluchzen ausbrach.
Denn sie konnte das alles gerade überhaupt nicht mehr begreifen. Marcos Bruder war hier?
In Deutschland?
Aber ... wieso war er den hergekommen?
Das konnte doch alles gar nicht wahr sein...
Sirenen erklangen von irgendwoher, derweil ihr von irgendjemandem der herbeigelaufenen Männer eine Decke umgelegt wurde.
Laute Stimmen erklangen vom Weg herab und irgendjemand rief dann plötzlich auf Spanisch...
„Die Ambulanz ist da!"
Don Miguel hob sie schließlich erneut einfach so unter dem Arm und den Knien durchfassend auf und trug sie nun auch noch die restliche Böschung hinauf, bis zur Straße, wo inzwischen ein Krankenwagen eingetroffen war.
Hatten Sie den für sie geholt?
Aber... das war doch absolut unnötig... sie hatte nur ein bisschen Wasser geschluckt, mehr nicht.
Also wieso tat er das nur?
„Ich brauche keinen Arzt! Wirklich! Mir geht es gut...!", sagte sie also, doch keiner hörte auf sie.
„Seien sie bitte vorsichtig mit ihr, por favor...! Ihr Puls ist zu hoch, sie steht unter immensem Stress und ist in der siebten Woche schwanger!", sagte Don Miguel nun ganz ernsthaft und kühl zu dem Sanitäter, während er sie nun auf der Trage ablegte.
„Oh ... N... Nein... Bitte! Das ist doch echt nicht nötig! Es geht mir gut, ich war doch auch nur kurz im Wasser!", wollte sie erneut einwenden, doch der Sanitäter legte ihr bereits eine Manschette um und maß den Blutdruck.
„145/110, Puls 150! - Hypertonie?"
„Sie sagten ihre Freundin ist schwanger. Nimmt sie irgendwelche Medikamente?"
„Sollen wir da vielleicht besser einen Notarzt mit dazu bestellen? - Wurde sie reanimiert?"
„No! Das ist nicht nötig, ich bin Arzt, meine Herren, geben sie mir ein Stethoskop, ich will hören ob sie Wasser in der Lunge hat!
Ihr Name ist Theresa Singer, 19 Jahre, sie wohnt hier in der Nähe... keine Vorerkrankungen bekannt", erklärte er denn Sanitätern nun so routiniert, dass Therasa nur wieder sprachlos der Mund offen stehen blieb.
Denn sein eben noch beschützendes Verhalten war nun tatsächlich zu einer Ärztlichen Untersuchung geworden.
„Sie ist nass und unterkühlt. Wir müssen sie aufwärmen und den Blutdruck senken. Haben sie Metoprolol dabei oder Nifedipin?"
Was immer das auch war ... die Sanitäter hatten es wohl dabei und in den nächsten Minuten zogen sie sie bis auf die Unterwäsche aus, wickelten sie in weiche Decken ein, legten ihr einen Zugang und ihre Beine hoch und verabreichten ihr irgendetwas, das sie dann aber nun ziemlich schnell beruhigte und sogar schläfrig machte.
Oder war es nur der Schock vom Brückensturz, der sie nun so schaffte?
Gott, sie hätte nie damit gerechnet, dass auf einmal Don Miguel hier auftauchen, sie aus dem Fluss fischen und dann auch nicht mehr von ihrer Seite weichen würde, sondern im Gegenteil ihre Hand schon wieder fest in seiner hielt, derweil die Sanitäter nun mit Blaulicht losfuhren.
- Ins Krankenhaus?!
Wieso denn bloß?
Oh, es machte sie irgendwie fertig, dass sie sich ihm gegenüber nun so schwach und fertig zeigte.
Er sollte doch eigentlich gar nicht hier sein.
Er trauerte doch immer noch um Marco und hatte doch auch rein gar nichts mit ihr zu tun.
Denn das hier ... war ja jetzt nur noch ihre eigene Angelegenheit.
Ja...
Nur noch ihre ganz allein!
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Da ich das letzte Mal von euch so gebeten wurde noch mal zwei Kapitel. Denn der Anfang ist ja noch nicht weit fortgeschritten. Ich hoffe es gefällt euch.
Lasst mal einen Kommentar da!
😁🫶🍀✌🏻
LG
Bea
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