Perfektes Timing

„Links und rechts und links und recht. Nein, nein, nein, langsamer.“

Tanzproben, 10 Stunden vor dem Auftritt. 11:00 Uhr Vormittag.

„Wenn sie so weiter macht, werde ich mir vor Angst noch den Fuß brechen.“, flüstert mir mein Tanzpartner zu. Ich will lachen, doch genau in diesem Moment steht Annabell neben mir und starrt mir auf die Füße.

Links und rechts und links und rechts.

Sie nickt und geht weiter. Glück gehabt.

„Sie wird wirklich zu einem Monster, wenn sie nervös ist.“, meldet sich Nick wieder zu Wort.

„Wem sagst du das, ich habe früher gesehen, wie sie einen Schokoriegel verschlingt. Kein schöner Anblick.“ Nick hat weniger Glück dabei, sein Lachen zurück zu halten und prustet los.

„Nick, was ist so lustig?“, fragt ihn Annabell sofort.

„Nichts Annabell, gar nichts.“ Nick stellt sich ganz gerade hin und tut so, als ob er salutiert. Wieder muss ich mir ein Lachen verkneifen, er sieht einfach nur zu lustig aus.

Annabell schaut ihn wütend an, doch sie gibt schließlich auf und wendet sich wieder den anderen zu.

„Du musst aufpassen, sonst wird sie dich noch mit ihren langen Nägeln erstechen.“ Diesmal lacht er leise und dabei wird er rot wie eine Tomate. Dieser Typ ist einfach nur zu süß.

Nach den Proben verlasse ich die Schule, doch jemand folgt mir aus dem Gebäude.

„Junia, warte!“ Sofort bleibe ich stehen. „Willst du noch ins Bagels gehen?“

„Na gut, ich könnte sowieso einen Kaffee gebrauchen.“ Nick hält mir die Tür auf und so gehen wir gemeinsam zu dem netten kleinen Kaffee.

„Bist du aufgeregt?“, sagt er, während wir uns auf meinen Lieblingsplatz setzen.

„Nicht wirklich, ich kenne ja noch fast niemanden.“

„Stimmt, du bist die Neue.“

„Na danke aber auch.“, sage ich gespielt beleidigt. Nick lacht und wir bestellen.

„Wie gefällt es dir hier in Sternat?“

„Es ist toll, wirklich. Ich bin nur froh, dass ich so schnell Freunde gefunden habe. Außerdem habe ich ja meinen Bruder, alleine war ich nie.“

Nick nickt nur und nimmt einen Schluck von seinem Smoothie, dabei schlürft er extra laut.

„Du bist so ein Kind.“

„Gar nicht.“, meint er trotzig.

„Wie war es in deiner früheren Stadt so?“, fragt er mich nach einer Zeit.

„Es war ok, aber im Endeffekt wurde es mir dort zu viel, ein Neuanfang musste her und deswegen sind wir umgezogen.“

Nick fährt durch sein dichtes blondes Haar und schaut mich verständnisvoll an.

„Und der ist dir gelungen?“

„Ja.“

-

Scheiße, bin ich aufgeregt. In drei Stunden fängt es an, dann gibt es kein zurück mehr. Spätestens wenn ich das Kleid anhabe wird es ernst. Gerade als ich Duschen will, bekomme ich eine SMS.

Nachricht von: Jake

Freust du dich? Sehen uns um acht.

Er hat mich genau vor drei Tagen gefragt, ob wir zusammen hingehen. Es war kein romantischer Moment, mit Luftballonen und Herzen wie in den Filmen und Geschichten, doch er hat mich gefragt und ich hätte nie gedacht, dass das je jemand tun wird.

Nachricht an: Jake

Und wie. Bis dann.

Nachdem ich geduscht habe fange ich an Schminke auf mein Gesicht zu klatschen. Zuerst Foundation, dann Puder. Gut, ich sehe wieder aus wie ein Mensch. Dann kommt der Kajal, Lidschatten, Eyeliner und zu guter Letzt ein bisschen Lippenstift. Ok, sieht doch ganz ordentlich aus.

Nachdem ich mein Haar geföhnt habe versuche, und ich betone versuche, ich es in Locken zu drehen.  Nach ein paar Minuten habe ich den Dreh raus und es geht immer besser. Danach nehme ich mein Kleid aus dem Kasten. Der Stoff schmiegt sich an meinen Körper, ich fühle mich gut.

Schuhe, Tasche, Türklingen. Na das nennt man perfektes Timing.

Schnell schaue ich mich im Spiegel an und ein eher fremd-ausschauendes Mädchen lächelt zurück.

Jake öffnet die Tür und ich muss meine Luft anhalten. Der Sprung, den mein Herz gerade gemacht hat, überwältigt mich. Jake steht vor mir, sein schwarzer Anzug steht ihm einfach nur zu gut und betont seine stechenden blauen Augen. Er sieht zum anbeißen aus.

Da starre ich ihn in einem Moment an und im anderen habe ich seine Lippen auf meinen. Jake drückt mich gegen die Wand, sanft. Seine Hände halten mein Gesicht und seine Lippen bewegen sich synchron mit meinen.

Herz, du brauchst nicht so viel zu springen, mach eine Pause.

Als Jake sie schließlich wieder zurück lehnt, hat noch immer niemand von uns etwas gesagt. Doch als ich seine geröteten Lippen sehe, sein Mund leicht geöffnet, und meinen Lippenstift auf seiner Oberlippe erblicke, fange ich an zu lachen.

„Du hast da was.“, sage ich und wische es mit meinem Daumen ab, während ich erneut in Gelächter ausbreche.

„Du siehst toll aus.“, flüstert mir Jake ins Ohr, als er mein Handgelenk nimmt und mich zu sich zieht.

„Du auch.“, sage ich und werde plötzlich rot. „Willst du Kuchen?“

Er schaut mich verwirrt an.

„In der Küche gibt’s Kuchen. Dort bekommen wir sicher nichts Gescheites zu Essen.“

Jake nickt und wir gehen in die Küche um den leckeren Schokoladekuchen anzuschneiden.

„Im ernst jetzt, du siehst wirklich toll aus.“, wiederholt Jake nochmal, was mich dazu verleitet noch roter zu werden.

Zwei Kuchenstücke und ein paar peinliche Momente später sitzen wir im Auto und ich versuche vor Aufregung nicht meine Finger zu zerkratzen. Als wir bei der Schule ankommen will ich zuerst gar nicht aussteigen.

„Junia, mach dir keine Sorgen, mit mir an deiner Seite kann gar nichts schief gehen.“

„Du bist so ein Macho, Jake.“

Irgendwann steige ich doch aus und betrete mit Jake die Schule.

FEHLER NUMMER EINS.

Natürlich, wenn die Neue mit dem Player der Schule bei einem Ball aufkreuzt und dieser Player der Schule auch noch so gut in einem Anzug ausschaut, wird  man angestarrt, doch ich bin daran nicht gewöhnt. So gar nicht. Jake nimmt unterstützend meine Hand, was die ganze Sache nur noch schlimmer macht.

Obwohl seine Hand fühlt sich gut an, weich und warm.

„Junia, da bist du ja endlich, wir warten schon alle auf dich.“ Nick zieht mich weg von Jake, der uns ziemlich wütend anschaut. Entschuldigend schaue ich ihn an und hauche „bis gleich“.

Hinter der Bühne stellen wir uns alle in eine Reihe und schon geht es los, anscheinend war ich wirklich ein bisschen zu spät.

Nacheinander betreten wir alle die Bühne und die Musik fängt an zu spielen. Bei meinem Einsatz stehe ich auf und ich und Nick fangen an den Cha-Cha-Cha zu tanzen. Ich sehe Jake, wie er in der ersten Reihe steht. Mark steht neben ihm, Nicki hat ihn wirklich dazu gebracht her zu kommen.

„Was tust du mit Jake Andrews?“, fragt er, als er mich dreht. Ganz leise, so dass nur ich ihn hören kann.

„Wir sind gute Freunde.“, flüstere ich.

„Das hat aber anders ausgeschaut. Ich hab gesehen, dass er deine Hand gehalten hat.“

„Was interessiert es dich überhaupt?“ Ein bisschen genervt lasse ich mich weiter von ihm führen. Die Musik wird immer langsamer, gleich fängt das nächste Lied an.

„Ich kenne Jake, er ist nicht gut für dich.“

„Und woher willst du wissen was gut für mich ist, ich kenne dich kaum“, sage ich etwas zu laut. Die letzten Schritte. Eins, zwei, Cha-Cha-Cha.

„Dazu muss ich dich nicht kennen, sondern ihn. Er ist ein Herzensbrecher und du bist zu gut für ihn.“

Das nächste Lied fängt an, ein Walzer. Fast stolpere ich, doch Nick fängt mich wieder. Langsam werde ich wütend, was erlaubt er sich? Eine Weile lang tanzen wir im Stillen und erst dann bemerke ich, wie viele Leute uns zuschauen. Als sich das Lied dem Ende zuneigt, fällt mir endlich eine passende Frage ein.

„Woher kennst du Jake?“

„Ich kenne ihn halt.“

„Ich verstehe nicht…“

„Hör zu Junia, halte dich einfach von ihm fern, verstanden?“, sagt er, das Lied ist aus. Alle klatschen und ich stehe auf der Bühne, verwirrt wie nie zuvor und suche nach Jake im Publikum, doch er ist verschwunden.

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