Nur Magie kann fortleben
Ryth beugte sich über den leblosen Körper von Marieta.
„Schafft mir den Leichnam in die Burg! Schnell! Legt ihn im Bierkeller ab! Dann verschwindet. Ich werde mich Ihrer annehmen.", herrschte Ryth seine Leute an.
Doch wo Leben gegangen ist, kann keine Macht der Welt- auch keine magische Macht etwas zurückbringen.
Nur Magie- mit dem Neodomus- Zauber aus freien Stücken an einen frei erwählten Nächsten gegeben im Angesicht des eigenen Endes- kann fortleben.
So hielten es schon die alten großen Meister der Magie.
Einer leichten Feder gleich, zog ein Hauch von Magie derweilen durch die Lüfte der Grafschaft Moorfeld- unerklärbar und willig, das Ziel einer einsamen Reise zu erreichen.
Walla, Sina und Simon waren unbehelligt- doch mit schwerem Gewissen beladen- aus der Stadt entkommen.
Sie passierten bereits auf der Straße nach Huppin die alte Steinbrücke.
Walla und Sina gingen hastig voraus. Simon sah sich noch einmal um in Richtung der Stadt, über der nun ein grauer Wolkenvorhang sich zusammenzog.
„Komm Simon. Wir hätten nichts tun können.", schätzte Sina ein.
In diesem Moment sackte Simon am Ende der Brücke in sich zusammen.
Walla sprang zu ihm.
Simon rang nach Luft.
„Ich kann kaum atmen!", röchelte er. „Ich bekommen keine Luft! Meine Knie...? Keine Kraft!"
Simon ging in die Knie, stützte sich zwar noch mit seinen Armen, legte sich jedoch mit letzter Kraft an die kalte steinerne Brüstung der Brücke auf die Seite. Hilfesuchend blickte er atemlos und verängstigt Walla an, die ihm helfen wollte.
„Sina! Komm her!"
Walla versuchte mit Sinas Hilfe, Simon etwas aufzurichten, wobei Simon immer noch schwach war und nunmehr auch von kaltem Schweiß am ganzen Körper völlige Erschöpfung zeigte. Simon selbst riss sich die Kordeln seines Leinenhemdes auf, als könne er dadurch mehr Luft erhalten.
„Komm! Wir schaffen dich unter die Brücke. Da können wir dich auch mit Wasser etwas frisch machen, bis du wieder zu Atem kommst."
Es war für die zwei Frauen ein schweres Unterfangen, Simon- trotz eines gewissen Maßes seiner Hilfe aus noch vorhandener eigener Kraft- bis unter die Brücke zu zerren, wo sie ihn endlich ablegen konnten.
Walla schob Simons Hemd hoch, streifte es ihm über den Kopf und legte Hemd und Beutel unter Körper und Kopf. Dann holte sie mehrmals Hände mit Wasser aus dem Bach und strich es Simon in Gesicht, Haare und auch über die nackte Brust, auf dass es ihn kühle, denn der Körper schien sehr warm- ja fast heiß, wie von starkem Fieber. Auch Sina tat es ihrer Schwester gleich und holte Wasser mit ihren eigenen Händen herbei, dass sie ebenfalls auf den Kopf und Körper des Mitstreiters abtropfen ließ.
Simon glühte, schien sich jedoch nunmehr etwas zu beruhigen.
„Hattest Du schon einmal solch einen Hitzeanfall? Du kannst es uns ruhig sagen. Man bekommt es ja mit der Angst zu tun, dich so zu sehen.", forderte Walla besorgt und auch irritiert.
Nach Luft ringend, jedoch jetzt wieder gleichmäßiger atmend, schüttelte Simon den Kopf.
„Marietta ist tot.", stammelte er zwischen den Atempausen.
„Das können wir nicht wissen. Sie hat es sicherlich geschafft, da heil heraus zu kommen.", meinte Sina.
Walla pflichtete ihr bei. „Marietta kann sicher gut auf sich aufpassen. Sie ist klug und geschickt. Sie wird schon einen Weg gefunden haben, dass ihr nichts geschieht. Sollte sie in Gefangenschaft geraten sein, werden wir einen Weg suchen, sie zu befreien."
Doch Simon schüttelte erneut den Kopf.
„Nein. Ihr versteht das nicht. Sie ist tot. Ich weiß es. Wirklich, ich weiß es, sage ich Euch. Fragt nicht warum. Es ist halt so. Gerade als ich oben auf der Brücke zusammengebrochen bin. Es war, als würde sie sich im Tode von mir verabschieden und mir etwas Wichtiges sagen wollen oder mir noch etwas auf den Weg geben wollen. Eine Art Geschenk oder Gabe. Ich kann Euch das auch irgendwie recht schlecht erklären, warum ich es so sicher weiß."
Walla und Sina sahen einander irritiert an. Wie konnte Simon sich da so sicher sein? Und was genau meinte er? Waren die Anstrengungen zu viel für ihn?
„Aber wie kannst du dir da so sicher sein? Wir haben doch nur gesehen, dass dieser Magister Ryth sie zu fassen bekam. Das muss ja noch nicht das Ende sein.", hinterfragte Walla voller Sorge.
„Ich weiß es einfach. Erklären kann ich dieses Empfinden auch nicht."
„Und was redest du da von einem Geschenk an dich?", wollte Sina wissen.
„Kann ich auch schwerlich beschreiben. Etwas ...", rang Simon nach Worten. „Etwas Besonderes, etwas von ihr selbst. Aber nicht so, wie man ein Ding einem anderen Menschen schenkt. Ach, ich weiß auch nicht."
Simons Blick suchte hilflos nach irgendeinem Wort für das, was ihm gerade oben auf der Brücke widerfahren war. Doch man konnte es auch wirklich schlecht beschreiben.
„Wir bleiben über die Nacht hier unten. Hier sucht niemand und wir sind auch nur schwerlich zu sehen für andere. Kommt. Essen wir etwas. Vielleicht benötigen wir nur etwas Stärkung."
Wallas Vorschlag fand Anklang. Sowohl Sina als auch der angeschlagene Simon nickten und begrüßten die Idee.
„ich suche uns ein paar Äste zusammen. Ein Feuer zu machen ist für mich ja eine Kleinigkeit. Nur brennen sollte es danach auch noch ein wenig. Bleib du ruhig bei Simon." Sina hatte nicht vor, hier unter der Brücke zu frieren. Und ein kleineres Feuer würde kaum auffallen, bestenfalls gerochen werden können.
Als Sina nach Oben verschwunden war, holte Walla erneut Wasser, um den Kopf und die Brust damit zu bestreichen und zu kühlen.
„Besser?"
Simon war in sich selbst ruhiger geworden. Die Hitze war noch im Körper, seine Augen rot und geweitet. Doch kam er mehr und mehr zu Atem zurück.
„Ja. Besser."
„Beschreib mir einfach, was du gefühlt hast. Vielleicht kann man sich dann einen Reim darauf machen?", bat Walla mit beruhigender Stimme.
Simon nickte. Er wollte es versuchen.
„Ich laufe euch nach- über die Brücke. Und mit einem Male- als hätte ich eine Fliege verschluckt- war da dieses bedrückende Gefühl in Brust und Körper. Und auch im Kopf! Ich hatte das Gefühl, als würde mir Marietta 'Auf Wiedersehen' sagen. So endgültig 'Auf Wiedersehen'- ein Abschied für immer. Ich spürte Trauer und Schwäche, dann nur Schmerz und Tot. Bedrückend, niederbringend irgendwie. Dann war es vorbei. Ich empfand mit einem Male große Stärkung in mir, doch das Zusammenbrechen und diese Beklemmung am Atmen waren da. Ich weiß es einfach: Marietta ist nicht mehr- sie ist tot. Es war, als wollte sie mich grüßen, ja gar verabschieden im Todeskampf. Und mir etwas mitgeben auf den Weg."
Diese Beschreibungen waren Simon schwer über die Zunge gegangen. Sie rührten ihn zu Tränen.
Walla sah dies als den Moment an, Simon vielleicht die Wahrheit zu sagen über Mariettas Gefühle für ihn.
„Simon? Du kannst es nicht wissen- und es ändert auch nichts an den Dingen, die Passiert sind oder nicht- aber ich wollte dir etwas über Marietta sagen, was sie nur mir im Vertrauen mitgeteilt hatte. Marietta empfand viel für dich, Simon. Sie fühlte sich sehr zu dir hingezogen, wollte sich dir eigentlich auch schon bald offenbaren."
Simon zog die Augenbrauen hoch. Dies hatte er nicht gewusst- auch nicht vermutet. Er atmete sehr lange ein und dann auch aus.
„Das wusste ich nicht. Ich habe sie mehr abweisend und kühl mir gegenüber erlebt- aber auch gegenüber dir und Sina."
„Was meinst du damit?"
„Ich meine, dass sie vielleicht merkte, dass ihr Vater von deinem magischen Können sehr überzeugt war. Sie sah dich daher- so wie ich es erlebte- als eine Art Konkurrentin für sich. Und wenn sie wirklich etwas für mich empfunden hat? Vielleicht hat sie auch hier eine Konkurrentin in dir gesehen?"
Walla zog die Augenbrauen tief herunter. Auf was wollte Simon hier anspielen?
Simon schien ihren Gedanken zu erkennen, wie es schien. Er blickte Walla seltsam an, wie sie fand. Dann richtete er sich mühsam in eine Sitzposition auf. Er nahm Wallas Hände, wobei eine Hand immer noch am Verstreichen von kühlendem Wasser auf Simons nackter Brust beschäftigt war, und sah Walla aus nahem Abstand tief in die Augen.
Eine gefühlte Unendlichkeit verging.
Simon hoffte, dass all dies Walla doch nun auf auch auf seine Gefühle für sie aufmerksam machen müsste.
Doch Wallas Eingebung hierzu kam spät- und für sie auch unerwartet.
„Oh!" – mehr brachte sie nicht hervor, wollte gerade anfangen, ihre Hände sacht aus Simons Händen zu entwinden.
„Nein. Warte bitte.", forderte Simon mit sachter Stimme, als wollte er nichts überstürzen. Er hielt Walla in deren Drang, die Hände zurück zu ziehen, auf. Mehr noch. Er hielt ihre Hände zurück mit seinen Händen. „Überleg es dir einfach. Ich habe schon fast aufgehört, dir irgendwelche Zeichen über meine Gefühle für dich senden zu wollen. Du nimmst mich vielleicht auch nur als Freund war, ich weiß es nicht."
Walla wusste nicht viel damit anzufangen. Innerlich? Ja, sie mochte Simons Gegenwart, schätzte seinen Rat, seine Klugheit- auch wenn der Beginn ihres Kennenlernens eher Überraschungen beinhaltete. Wenn sie all die zurückliegende Zeit jetzt betrachten müsste? Ja. Da waren Zeichen. Manche plump, manche auch irritierend für Walla. Doch sie war keine Spurenleserin- schon gar nicht in Herzensdingen. Simon war ein wirklich guter Gefährte gewesen in all der gemeinsamen Zeit. Aber war Simon auch 'der Gefährte'?
Walla endschied, dies herauszufinden. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Sie wollte es sein, die den Anstoß dafür gibt.
Sie kam Simon etwas entgegen. Auch Simon erkannte, wohin Wallas vorsichtiges Annähern führen konnte. Er ließ sich gern darauf ein, kam ihr seinerseits auch achtsam entgegen.
Walla tat den 'letzten Schritt', beugte sich noch etwas vor, dass sich beider Lippen sacht berühren konnten. Es war ihr angenehm, wie sich überraschend herausstellte. Weich und angenehm.
Der sachte Kuss wurde mit beiderseitigem wortlosem Einverständnis etwas verlängert, dann erneut verlängert und auch etwas heftiger.
Kleine Äste fielen zu Boden. In Vielzahl.
Das Ende des langen Kusses.
Sina hatte die Äste einfach zu Boden fallen lassen- nicht aus Entsetzen darüber, dass sich die zwei nun wohl gefunden hatten- es war ihr einfach innerlich ein Bedürfnis wahrgenommen zu werden, bevor sich die zwei vielleicht noch mehr aufeinander einlassen. Sie wurde ja nicht einmal bemerkt, als sie an der Brücke die Böschung herunterkam. Das hätte ebenso gut auch jeder andere sein können.
Walla entriss ihre Hände von Simon und legte die Hände sittsam in ihren Schoß auf den Rock. Wie ertappt sah sie ihre Schwester Sina an.
„Stehst du schon lange da?"
Sina zog die Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Lange genug."
Simon angelte sich sein vom Wasser und auch Schweiß durchdrängtes Hemd. Er war augenscheinlich kräftig genug, Walla den Kopf zu verdrehen- also wohl auch kräftig genug, sich hochzurappeln und sein Hemd im Bach auszuwaschen. Er zog es wohl vor, sich auch am Bach abzukühlen und die Schwestern kurz unter sich im Rücken zu haben.
„Bin dann mal-da drüben?", entpflichtete er sich höflich und plump.
Sina kostete den Moment aus. Noch nie hatte sie ihre Schwester in solch einer Situation erlebt- sie war ihr nun ausgeliefert, im wahrsten Sinn des Wortes.
„Und?"
„Was- Und?"
„Wie lange geht das schon so? Mit Euch?", bohrte Sina in der noch frischen Beziehung herum.
„Erster Kuss!"- Walla antwortete sofort. Zudem bedeuteten ihre aufgeregten Hände, dass es wohl tatsächlich an dem war, was sie sagte. „Wirklich! Erster Kuss."
Zufrieden darüber gab Sina ihre komfortable, überlegene Stellung des zufälligen Zeugen auf. Viel zu schnell aus Sicht ihrer Schwester.
„Na gut."
„Na gut?"
„Ja."
Walla war selbst von sich überrascht- es war zudem der erste Kuss eines Mannes in ihrem Leben- Vater- Tochter- Küsse ausgenommen. Und dann musste sie auch ertappt werden? Von Sina, die ihr Herz sehr schnell zu verschenken schafft? Er war ihr peinlich.
„Ja." , wiederholte sich Sina. „Ist in Ordnung. Erster Kuss. Mit Simon. Ist in Ordnung."
„Wirklich?"
„Ja. Ist es.", räumte Sina ein. „Und der kleine Zusammenbruch von Simon? War echt? Oder wolltet ihr nur einmal..."
Jetzt mischte sich Simon dann doch noch ein, obwohl ihm dies nicht behagte.
„War echt. Das- oben auf der Brücke- war echt. Leider. Und sehr beängstigend! Und ja: Ich weiß, dass Marietta gestorben ist. Und mit mir ist da oben irgendetwas seltsames geschehen. Und bevor du noch weiter fragst: Ja! Es war auch für mich das erste Mal! Küssen, meine ich. Das war auch mein erstes Mal."
Aufgewühlt schlenkerte Simon sein Hemd im Bach mehrere Male hin und her, dann holte er es heraus und wrang das Hemd mehrfach aus.
Sina musste grinsen- auch wenn die noch im Raum stehende Nachricht über Mariettas Tod eher traurig war. Die Sache mit dem Kuss war hingegen überraschend und aus ihrer Sicht witzig.
„Dann wäre ja alles geklärt.", stellte Sina fest, um all das Erlebte vorerst abzuschließen.
In Simons Brust jedoch schien eine eigenartigeseltsame Kraft erweckt worden zu sein. Die Magie schien sehr erstarkt. Aber wiewar dies zu erklären?
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