Gunther

'Trrrt- trrrt- trrrt'.

Dieses wiederkehrende Geräusch im Wald ließ den Holzfäller Gunther seine Arbeit unterbrechen. Das lautstarke und nah klingende Geräusch lenkte seinen Blick hinauf in die umstehenden Bäume.

'Trrrt- trrrt- trrrt'.

Da! Schon wieder erklang dieser Laut eines arbeitswütigen Spechtes in den Bäumen.

Doch der fleißige Geselle war nicht zu erspähen, egal wie oft und nachdrücklich Gunther versuchte, ihn zu sehen.

„Noch so ein fleißiger Waldarbeiter wie ich?", redete der Holzfäller leise vor sich hin- seinen Blick nach oben gerichtet. „Komm. Und zeig dich einmal.", forderte Gunther leise auf.

Und wieder ertönte das Geräusch des zielstrebig nach Nahrung suchenden kleinen Vogels- ohne, dass er gesehen werden konnte.

Gunther wischte sich den Schweiß von der Stirn und besah sein bisheriges Tagwerk.

Drei gute Stämme lagen dahingestreckt am Boden. Zwei waren schon grob von den Ästen befreit, die man im nahen Holzfällerlager nicht verwerten konnte und wollte. Gunther hatte die Äste erst einmal auf einen Haufen geworfen. Aber diese drei Stämme würden einige gute Groschen einbringen und seine Familie wieder ernähren können für einige Tage.

Daher belohnte er seinen ausgelaugten Körper mit einem Becher Wasser aus dem ledernen Schlauch. Einen Moment ausruhen und neue Kraft schöpfen. Er setzte sich auf einen Stamm und schaute sich im Wald um.

Familie. Dieses Wort hatte seit dem Ableben seiner Ehefrau Simona vor vielen Jahren einen neuen Wert gefunden. Seine Töchter Walla und Sina waren nun seine Familie.

Groß hatte er sie bekommen- lange Zeit mehr schlecht als recht- aber die Mädels hatte er durchbekommen. Nun waren seine Mädels sein ein und alles. Auch wenn die beiden gut geratenen Mädels irgendwann eine eigene Familie gründen würden- die jungen Männer werfen schon hier und dort recht begierige Blicke nach ihnen, auch danach würden die Beiden seine Familie sein, und auch für immer bleiben. Sollte ihm doch ein längeres Leben gegeben sein, wer weiß, vielleicht würde Eine der Beiden ihn irgendwann bei sich aufnehmen. Vielleicht gab es auch Enkel, welche man auf den Knien schaukeln konnte, um mit einem gewinnenden und ehrlichen Kinderlachen belohnt zu sein.

'Trrrt- trrrt- trrrt', erklang es erneut.

Der kleine freche Specht schien sich wohl einen Spaß mit Gunther zu erlauben. Wieder war er nirgends zu entdecken, wenngleich er ganz nahe sein musste.

Gunthers größter Helfer hier im Wald war der alte 'Schinder', ein graues altes Pferd mit Kraft in den Beinen und seltsam anmutenden haarigen Zotteln an den Füßen. Er machte sicherlich nicht mehr viel her und besaß keinen großen Wert in klimpernden Münzen mehr, aber für Gunther war 'Schinder' der beste Geselle über eine lange Zeit schon. 'Schinder' zog noch jeden Stamm aus dem Wald- er kannte seine Aufgabe. Stoisch und langsam- fast bedächtig wirkend- trampelte er vor den Stämmen daher und brauchte fast keinen Hieb. Manchmal hatte Gunther sogar das Gefühl, dass 'Schinder' beinahe allein bis zu den Holzsammelpunkten bei Roda und Mittenberg fand. Aber mehr als ein Stamm war auch für 'Schinder' nun nicht mehr zu schaffen.

Dieser Wald, 'Schinder' und er selbst- dies würde sich wohl nicht mehr ändern. Und Gunther wollte auch nichts Anderes für sich. Hier gab es Natur, ein gewisses Maß an Freiheit, sein Haus, seine Familie. Dies musste man nicht ändern.

Sicher, manchmal zog es auch Gunther in die Ansiedlungen. Einfach mal was Anderes sehen, vielleicht hier und dort mal einen Handel oder nur ein Gespräch.

An Liebsten war Gunther der Ort Roda, wenngleich Mittenberg größer war und genausoweit von seiner Hütte im Wald entfernt. In Roda war die Schenke mit einigen bekannten Gesichtern, die Gelegenheit beim Würfeln sich auch einmal abzulenken und sich ein Bier schmecken zu lassen.

Und Gisela? Die Wirtin aus Roda?

Sie möchten einander- das sollte sich sicher auch rumgesprochen haben. Ab und zu auch einmal etwas mehr. Doch Gisela und Gunther gingen dann wieder ihren Aufgaben nach, manchmal sah man sich nach gemeinsamer Nacht auch einmal über eine ganze Woche nicht mehr. Doch so war es für sie Beide in Ordnung bislang.

Der Specht war wohl weitergezogen- zumindest konnte man sein Klopfen nicht mehr hören.

Ein Knacken im hellhörigen Wald kündete von anderen 'Besuchern'.

„Vater?"

Walla's Stimme war wie ein Freudenquell für Gunthers Ohren. Und auch Sina war mit dabei.

„Kinder? Wo kommt ihr denn her? Oh Gott, wenn ich mich reden höre, dann klingt es fast, als hätte ich Eure Rückkehr nicht jeden Tag zehn Male herbeigesehnt. Meine Mädels sind wieder da!", freute sich Gunther.

Nachdem sich die zwei Frauen zu ihrem Vater durch das Buschwerk und die Äste durchgekämpft hatten, war die Begrüßung herzlich. Umarmungen- reichlich waren sie nachzuholen.

Und auch das gute Pferd 'Schinder' bekam einige freundliche Klopfer ab und wurde gestreichelt.

„Und ich alter Mann denke mir noch: Naja, wenn es meine Mädels gut getroffen haben, dann werden sie wohl Beide so schnell nicht wiederkommen."

„Sehnsucht Vater. Es war die Sehnsucht! Fast schon ab dem Moment, da wir Uns bei der Rodaer Klamm getrennt hatten.", sprach Walla freudig strahlend.

„Ach ja, die Klamm. Sina? Bist du vom Barden denn nun geläutert? Sei nicht immer so vorschnell, dein Herz zu vergeben, Mädchen. Der rechte Mann wird sich schon noch zeigen."

Sina vergrub sich in das Fell des Pferdes. Vielleicht aus Scham, vielleicht auch aus Freude.

„Ja. Der Federkiel ist nicht der richtige Mann für mich. So ein Scharlatan. Noch einmal falle ich nicht auf seine süßen Worte herein.", gab Sina zu.

„Gut zu hören, denn er blieb nicht sehr lange im Norden, soll schon nach drei Tagen wiedergesehen worden sein. Naja, ein Hühnchen habe ich dennoch mit ihm zu rupfen. Uns einfach für sein Seelenheil in Gefahr zu bringen? Da soll er auch noch beim nächsten Wiedersehen vor mir schnelle Füße machen.", wetterte Gunther.

„Vater? Wir sind nicht so ganz freiwillig aus Bleckenbeck gegangen. Eher des Nachtens auf und davon, um den guten Mann, der uns lehrte nicht in Gefahr zu sehen.", klärte Walla auf.

„Verstehe. Kommt! Lasst Uns heimgehen. Die Arbeit kann auch einmal warten. Ihr müsst mir alles erzählen- vom Moment bei der Klamm bis heute hat sich doch einiges zugetragen, oder?"

Walla nickte- mit großen Augen.

„Ich nehm den 'Schinder'. Vermisst hab ich ihn." Energisch warf Sina den Führstrick nach vorn und ergriff ihn.

Das gute Ross erkannte die Signale. Folgsam- beruhigt, um nicht noch schwere Last zu ziehen folgte es Sina.

„Und Du?", hakte Walla nach. „Wir waren vorhin zuerst beim Haus. Sieht aus, als habe Dir jemand die Wäsche gemacht und auch obendrein einen Krug Bier mitgebracht. Gisela etwa?"

„Naja, einsam war es schon in meiner Hütte. Die Gisela muss das wohl ähnlichgesehen haben. Vielleicht war sie auch zwei Male bei Uns- nur um nach dem Rechten zu schauen, wo ich jetzt Euch nicht mehr dahatte.", rechtfertigte sich Gunther.

„So so." Walla lächelte zu Sina herüber. „Ein oder zwei male war sie da."

„Da muss sie sich ja furchtbare Sorgen gemacht haben, wenn sie nach dem abendlichen Zusperren der Schenke 'nur aus Sorge um Dich' kurz vorbeischaute.", stellte Sina fest und kicherte.

Gunther rollte die Augen.

Gerade, als er sich weiter rechtfertigen wollte, drückte ihn Walla nochmals.

„Schön, dass es dir gut gegangen ist. Wir waren in Sorge um Dich."

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