Geschichten über den Bibliothekar von Bleckenbeck
Der Stollen war recht gerade in den Berg getrieben worden- und wohl vor sehr langer Zeit. Es hatte den Anschein, dass der Stollengang schon vor vielen Jahren aufgegeben worden war.
Man getraute sich nicht, sehr viel tiefer hinein zu gehen, als man sehen konnte. Düster wirkte sein Inneres.
"Der 'Lomasit- Stollen'. Bis vor dreißig Jahren einer der wenigen Lieferanten für die Magierkristalle im Land.", erklärte Simon.
"Lomasit? Was ist das, oder wer? Hieß der Betreiber so?", fragte Rodric frei heraus. Auch wenn Rodric aus den Moorfelder Landen stammte, viele der hiesigen Geheimnisse- vor allen wenn es um magische Dinge ging, wusste er nicht.
Simon fühlte sich gefordert, die Sache zu erklären.
"Kristalle aus Lomasit sind das Kernstück eines jeden guten Zauberer- Stabes. Sind Stab und Zauberer mit sich im Reinen, so verstärkt ein guter Lomasit- Kristall im Idealfall den Wirkzauber des Magiers. So kommt es nicht auf die Größe des Kristalles bei Lomasit an. Das Einzige, was zählt, ist die pure Reinheit des Kristalles. Ich weiß darüber nur, es dürfen keine Einschlüsse oder Faltungen erkennbar sein- es muss sich um einen Reinkristall aus Lomasit handeln. Lomasite waren seinerzeit gefragt und auch wertvoll. Allerdings mit den Verboten und Einschränkungen lohnte es sich wohl nicht mehr, diese Mienen zu betreiben."
Am Geröllwall waren im Laufe der Zeit erkennbar schon mehrere Feuerstellen angelegt worden. Doch diese Stellen wollten die Vier bewusst nicht nutzen. So entschieden sich die Reisenden, im Stollen selbst ein kleines Feuer zu machen- nahe dem Ausgang, damit der Rauch entweichen konnte, jedoch weniger aus der Ferne gesehen wurde.
"Solch Lagerplatz ist mir unheimlich!", flüsterte Walla leise in die Runde und blickte dabei in die Tiefe des Stollenschlundes hinein, der irgendwann Licht und Geräusche in einem dunklen Loch verschluckte.
Sina wusste genau, was die Schwester meinte. Sie kuschelte sich an Walla heran.
Simon blieb am Feuer.
Rodric sah sich dort draußen in der aufziehenden Nacht um- wohl aus Sorge, die Soldaten der Armee könnten in den Umlanden von Bleckenbeck zum Plündern ausschwärmen. Er wusste sicherlich, was er tat.
"Simon? Was weißt Du über diesen Magiekundigen? Diesen Bibliothekar? Ich will nur wissen, was Sina vielleicht zu erwarten hat- da unten in der Stadt.", fragte Walla- wohl auch, um sich vom Stollen und ihrer Angst davor abzulenken.
"Lass mich überlegen. Ich selbst erinnere mich nur ein wenig an sein Aussehen. Er sieht gütig aus, hatte freundliche Augen. Graue Haare. Aber nicht dünn, die Haare waren dick- fast wie graue Wolle aussehend. Aber am meisten haben mich wohl diesen großen und kräftigen Hände beeindruckt. Vom Hören- Sagen weiß ich, dass der Bibliothekar ein alter Südländer von der Herkunft ist. Er soll früher ein vermögender Händler gewesen sein. Man sagt, dass er als junger Handelsreisender in Bleckenbeck irgend ein Erlebnis hatte, welches ihn und sein Leben veränderte und dazu bewogen alles zu ändern. Was auch immer es war, was er erlebt hatte: es änderte sein Leben, seine Einstellungen dazu vollständig- ja all sein Betrachten des Kreislaufens von Leben, Natur, Wind, Wasser und Erde. So habe er sich mit all seinem Vermögen entschieden, zwei der kaum noch erhaltenen alten Stadttürme der Vorfahren samt Mauerwerk und allem, was darin und darunter liegt, zu kaufen. Sowie ein weiträumiges Gartenareal an der Mauer dazu gekauft wurde. Er und seine Frau ließen sich nieder in Bleckenbeck. Sie bewirtschaftete Haus und Garten mit liebevoller Hand. Und er? Getrieben von einem inneren Wunsch, die Ursachen mancher Dinge in Erfahrung zu bringen, entschied er sich, den undankbaren Posten des Bibliothekars der altehrwürdigen Bibliothek der Bleckenbecker Stadtarchive anzunehmen, da man ihm den Posten des Bibliothekars am Bleckenbecker Kloster versagte."
Simon gestikulierte, was die erzählte Geschichte um so faszinierender machte.
"Doch seine aufgeflammte Liebe zu Büchern und deren enthaltenem Wissensschatz blieb auch dem Prior des Klosters und den Klosterbewohnern nicht verborgen. So jedoch- wohl auch aus Not und in Ermangelung eines fachlich geeigneten anderen Mönches dafür- wurde aus dem Stadtarchivar und Stadtbibliothekar der Bibliothekar am Kloster Bleckenbeck. Dies war wohl der erste bekannte Fall dieser Art. Und so hortete der Bibliothekar um so mehr Wissen in seinem Geiste. Er sei unersättlich danach gewesen. Und zudem habe er auch das ihm erlangte Wissen der Bibliotheken mit seiner Ehefrau besprochen, die von gleicher Gier nach Wissen um die Alten Geschichten und Lehren getrieben war. Ja, daselbst ihre Tochter war von gleicher Wahl in die Wiege gelegt- einer Last an Wissensdurst aus Büchern, als vererbten Willen, danach zu verlangen. Deren Gier nach alten Wissen war so unstillbar, dass der vormalige obere Magister des Grafen davon erfuhr und sodann mit Auftrag des Vaters des jetzigen Grafen zum Schutze der Leute und des Klosters, die wohl verwunschenen Bibliotheken von Bleckenbeck allesamt schließen ließ. All deren Bücher wurden zur Prüfung durch den Obersten Magister selbst in mehreren bewachten Wagenladungen aus Bleckenbeck weggeschafft. Man vermutet nach der Grafenburg in Moorfeld oder zum Magisterturm in Elvas."
"Und? Was ist dann geschehen?" Rodric war zurück und hielt sich nun am Stollenzugang auf. auch er war durch die Geschichte in den Banngezogen wurden.
Simon erzählte weiter.
"Um das Paar, den Bibliothekar und seine Frau, ist es hiernach ruhig geworden. Man sah es als erwiesen an, dass der Bibliothekar wohl alten Magien ausgesetzt gewesen sei, welche seine Gier beflügelte. So zahlte man ihn eine geringe Leibrente aus. Dennoch blieben er und seine Familie in Bleckenbeck ansässig. Um das Paar und deren Tochter leben zurückgezogen in ihren alten Stadttürmen und dem großen Garten daran noch bis heute. Der Bibliothekar und seine Tochter leben noch, jedoch die alte Frau des Bibliothekars sei vor Jahren verstorben. An manchen Tagen trifft man Vater und Tochter am Fluss spazierend an."
Simon gestikulierte sehr erfolgreich das Gesagte. Jeder hing an seinen Lippen bei dieser Geschichte, die einer Sage über unglaubliche Dinge glich.
"Waren die Bücher magischen Inhaltes?", wollte Sina wissen.
Ohne Antwort zu geben, zog Simon die Schultern entschuldigend hoch. er ließ diese spannende Frage offen im Raum stehen.
"Ich kann mir dies nicht recht vorstellen, dass die Bücher magischen Inhaltes waren.", gab Rodric in die Runde als Meinung hinein. "Vielleicht hat es den Oberen aus Moorfeld nur nicht gefallen, was der Bibliothekar da vielleicht in den Büchern ergründen konnte. So ist es doch meistens, oder? Wissen ist nur für den gefährlich, der darin etwas erwartet, was seine Machtposition gefährden würde."
"Das klingt zumindest möglich.", räumte Walla ein. "Doch wie verhält sich das, was Du über das testen von magisch Begabten durch den Bibliothekar gesagt hast?"
"Dieses Wissen um die Magie hilft dem Bibliothekar, sich ein Bild über Dich zu machen. Er und seine Frau hatten da so eine Methode- ich kann es dir auch nicht mehr so beschreiben, wie es damals war. Meinem Vater sagte der Bibliothekar jedenfalls, dass er die Kraft einer magischen Wasserlinie in ihm spüre und seine Begabung die eines Heilers und Naturzauberers haben würde."
Simon war augenscheinlich fester Überzeugung seines Erlebten.
"Und du hast diese Linie auch? Diese Kraft der Wasserlinie?", hakte Walla nach.
"Nun- ich denke schon. Ich wurde nie einem Test unterzogen, so glaube ich. Wir waren seinerzeit nur im Haus und Garten mit dem Bibliothekar und dessen Frau unterwegs. Deren Tochter war auch dort, sie spielte mit mir im Garten an einem kleinen See. An mehr erinnere ich mich nicht mehr. Ich war noch ein kleiner Junge damals."
"Dann weißt Du es gar nicht mit Sicherheit, ob Du magische Begabung hast?", warf Rodric irritiert ein.
"Doch, schon. Ich meine, ich spüre wirklich irgend welche Kräfte hier und da.", rechtfertigte sich Simon und versuchte der unbequemen Situation irgendwie entfliehen zu dürfen- fand jedoch kein Schlupfloch.
Nur zu sagen: "Was war das?"- und dabei in den hinteren Stollen erschrocken zu starren, rettete ihn für den Moment vor weiteren Fragen.
Sina starrte nach dem kurzen Schreck müde ins kleine Feuer.
"Ich würde mir wünschen, auch diese Wasserlinien- Magie zu besitzen. Dies klingt freundlich irgendwie. Gefiele mir.", flüsterte Sina müde vor sich hin.
Walla drückte die Schwester an sich heran.
Das sich die Magie der Wasserlinie und Sina's Fähigkeit, einen Feuerzauber magisch zu beschwören, ein wenig gegenseitig ausschließen könnten, daran wollte Walla ihre Schwester lieber nicht ermahnen. Wenn der Bibliothekar angetroffen werden konnte und sich Sina dem Test unterziehen würde, dann hätte sie die Klarheit, welche Sina sich erhoffte.
Doch auch Walla sehnte eine Begegnung mit dem Bibliothekar herbei- im Geheimen jedoch- sie würde sich nicht offen zu erkennen geben mit ihrer magischen Begabung. Und wenn man Sina einem Test unterzog, so würde es ihr sicherlich sehr leicht fallen, im Stillen und nur für sich auch eine Antwort auf die Fragen zu finden, welche auch immer es sind. Und auch sie würde dann- so in ähnlicher Art, wie Simon damals mit seinem Vater, von ihrer Magielinie mehr erfahren können.
Diese sonderbare 'Geschichte über den Bibliothekar' von Simon jedoch beschäftigte Walla sehr- auch in ihren Träumen in dieser Nacht.
Sie spürte Schattenbilder im Traum.
Doch am Morgen hatte sie keine Erinnerungen daran mehr.
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