Gefahrvolle Tiefen
"Komm schon Sina. Du hast Zeit. Konzentriere Dich.", forderte Walla ihre Schwester auf.
"Walla? Das war doch dein Name, ja? Kann ich dich bitte einmal sprechen?" Marietta winkte Walla zu sich herüber. Sie stand nahe am Haus, war aber gut zu hören.
"Ich komme!", rief Walla zurück.
Marietta nickte und ging ins Haus.
Walla hatte das Gefühl, dass Sina keine richtige Lust verspürte, sich auf die Aufgabe des Bibliothekars einzulassen. Sie hatte sich anfangs noch konzentriert, schien jedoch jetzt mehr und mehr durch Langeweile erfüllt und oberflächlich mit dem Auftrag befasst.
Doch jetzt kam der Bibliothekar Chisto lächelnd zu Ihnen Zweien herüber- auch Sina hatte dies bemerkt. Wollte er Sina überprüfen? Walla überlegte, wie sie ihrer Schwester mit dem Bewältigen der Aufgabe zumindest gut aussehen ließ. Ihr als Belohnung eine mögliche Einstufung ihrer Magieform in Aussicht zu stellen, würde wohl weniger helfen, als Sina zu ihrer ursprünglichen inneren Konzentration zurück zu bringen.
"Sina, dann schildere mir einfach einmal, was Du wahrnimmst, wenn du dich konzentrierst.", fragte Walla, um Sina wieder dazu zu veranlassen, ihren Geist zu sammeln.
Dies gelang. Auch Sina hörte an den Schritten, dass Chisto nun bei Ihnen stand- und sie vermutlich prüfend beobachtete.
"Also ich will es sagen- aber ihr musst zuhören, nicht kritisieren.", forderte Sina ihre Schwester und auch Chisto auf, die sich jedoch Beide absolut still verhielten. "Ich spüre da wirklich etwas, wenn ich meine Augen geschlossen halte. Es wirkt, wie ein schlecht zu beschreibendes Ding ohne Kanten, was sich in jede Richtung ausbreiten möchte. Und dieses Ding ist auch keine flache Scheibe- es ist irgendwie auch von einer bestimmten Tiefe- jedoch wohl nur in einer Richtung. Aber es strahlt auch in die anderen Richtungen um sich herum aus. Aber es ist ein angenehmes und frisches Leuchten. Jedenfalls sieht es so oder ähnlich aus."
Sina schilderte wirklich sehr konzentriert, wie Walla fand. Gerade wollte sie ihre Schwester ermutigen, weiter zu machen, da fing Sina von sich aus an, weiter zu reden.
Aber dieses seltsame Ding oder Gefühl mit seinem Strahlen wird nun jedoch von einem anderen, sehr taub wirkenden Strahlen übertroffen, dass auch wohl irgendwo hier ist. Hier im Garten oder im Umfeld. Aber es ist von vollkommen anderer Art irgendwie. Das Erste scheint sich zusammen zu halten, das Zweite will sich nicht zusammenhalten lassen. Es strahlt auch nicht so hell, eher wärmer und - naja, vollkommen anders."
Sina's Konzentration schien wieder zu weichen.
Doch nun fragte der Bibliothekar Chisto mit ruhigem und tiefen Stimmton selbst- ganz sanft fragte er.
"Was kommt dir näher von den Strahlen, von denen du Uns gerade erzählt hast? Sind es diese 'erfrischenden' Empfindungen, die Du zuerst gemerkt hast? Oder sind es diese seltsam dumpfen Empfindungen, welche sich dir danach auch noch zeigten?"
Walla sah Sina an, die sich mit geschlossenen Augen irgendwie jetzt geistig zu orientieren suchte. Ihr Kopf wiegte hin und her. Dann rieb sie unverhofft ihr Gesicht mit beiden Händen und öffnete- spontan für ihre zwei Beobachter- ihre Augen.
"Das seltsam Warme. Aber man konnte es wirklich kaum greifen, auch wenn es an verschiedenen Stellen irgendwie fester war."
Chisto legte beide Hände sanft auf Sina's Schultern kurz ab und lobte sie.
"Das hast Du wirklich sehr gut gemacht. Und ich muss sagen, dass Du mir auch schon sehr geholfen hast- damit ich Dir helfen kann, Sina."
Sina freute sich.
Doch Chisto war damit noch nicht fertig oder bereit, Sina sofort all die Dinge zu verraten, welche sie wohl wissen wollte. Denn Bibliothekar Chisto deutete beiden Frauen an, ihm zu folgen.
"Kommt bitte mal mit, Ihr zwei.", forderte Chisto auf und ging mit beiden in Richtung der Mauer zwischen den Türmen. Hier stand zwischen Sträuchern eine weitere Sitzbank, welche weder Walla noch Sina vorher bemerkt hatten.
"Bitte. Setzt Euch. Alle Zwei- setzt Euch. Am Besten fürs Erste mit ein wenig Abstand zueinander. Und jetzt bitte ich Euch Beide, Euch erneut in gleicher Weise zu konzentrieren.", bat der Bibliothekar mit ruhiger Stimme.
"Aber ich habe die andere Aufgabe noch nicht gemacht?", wies Walla überrascht hin. "Und ich sollte eigentlich noch zu Ihrer Tochter. Ich sollte ihr ins Haus folgen."
"Nein, das hat doch Zeit. Ich rede mit ihr und bereite das Abendessen vor. Und macht Euch keine Gedanken wegen einem Schlafplatz. Ihr seit heute Nacht unsere Gäste- wir bitten euch darum, zu bleiben. Also sorgt Euch nicht um diese Sachen. Geht bitte lieber noch einmal in Euch- jeder für sich.", forderte Chisto ruhig. Dann wendete er sich zum Gehen und entschwand aus den Blicken- wohl ins Haus hinüber.
Sina und Walla saßen nun also nebeneinander auf der Bank.
"Ja? Er hat dich die erste Prüfung nicht einmal machen lassen? warum eigentlich nicht?", stellte nun auch Sina fest.
"Vielleicht sieht er in dir etwas Anderes an Magie, als in mir.", sagte Walla nur. Dann jedoch hinterfragte sie Sina's Aussagen aus dem Park. "Was Du vorhin gesagt hast- wie deutlich waren deine Wahrnehmungen?"
"Keine Ahnung. Aber wie ich empfand, waren die Eindrücke überraschend deutlich. Das war wirklich seltsam. Es muss einfach auch dieser Ort hier sein- hier, wo der Garten ist."
"Ja. Ich sehe das auch so. Vielleicht sollten wir noch einmal in Ruhe versuchen, Jede für sich jetzt die neue Aufgabe des Bibliothekars zu erledigen oder zu enträtseln?", empfahl Walla. Und um Nachfragen von Sina vorzubeugen, fügte sie noch hinzu: "Auch, wenn ich die erste Aufgabe dann wohl später nachholen muss."
Sina lächelte herüber. Dann schloss sie die Augen und wiegte den Kopf hin und her.
Für Walla war dies das Zeichen ihrer Schwester, dass Sina es zumindest noch einmal versuchen wollte. Daher schloss auch Walla ihre Augen und versuchte, sich zu konzentrieren.
Doch bevor sie dorthin ihre Gedanken richten konnte, grübelte Walla über die Worte ihrer Schwester nach. War es wirklich dieser Garten? Was war mit diesem Ort, was ihn so besonders erschienen ließ? Dies fragte sich Walla nicht nur, da ihre Schwester die gleichen Wahrnehmungen geschildert hatte, die Walla schon beim Betreten des Gartens fühlte. Doch da war noch wesentlich mehr, wie Walla schon deutlich gespürt hatte. Sie wurde nur nicht schlau daraus- es ergab irgendwie für Walla noch keinen Sinn. Dann konzentrierte sich Walla wieder.
Nach geraumer Zeit der Ruhe näherten sich Schritte.
Die Person blieb allerdings wohl mit einigem Abstand abseits der beiden Frauen stehen- beobachtete die zwei 'Tagträumerinnen' wohl in ihrem Tun. Ein kleines Klirren verriet, dass es wohl Rodric wahr. Sein Gürtel machte solch Geräusche, wenn sein Schwert an die Nieten am Gürtel anstieß.
Nicht viel später, kam ein zweites paar Schuhe näher- machte sich aber weniger Gedanken, vielleicht stören zu können.
Es war Simon, bereit die Ruhe mit einer Frage auseinander zu reißen.
"Und?", fragte er wohl zu Rodric. "Wie bekommen wir die Frauen dazu, mit an den gedeckten Tisch in die Küche zu kommen? Außerdem ist die Sonne nun schon verschwunden. Es wird wieder kalt im Tal."
Sina war sofort ganz Ohr und gab ihre 'Konzentrationshaltung' sofort nach der Frage auf.
"Ich denke, ich benötige erst einmal eine kleine Pause von alledem.", stellte sie fest- und ging.
Jemand von den zwei Männern ging ihr wohl nach. Allerdings der Zweite war noch geblieben und starrte sie sicherlich an. Allerdings regte sich die Person nicht.
"Simon?"
Walla öffnete leicht gekniffen eines ihrer Augen, um zu sehen, wer dort stand und starrte.
Und es war tatsächlich Simon. Er wirkte wundernd- aber auch ein wenig interessiert.
"Was auch immer der Bibliothekar in Euch sieht, oder vorhin mit Euch besprochen hat. Diese Sache, die Du und Sina hier gerade machen? Ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, dass ich diese Übung machen sollte, oder vielleicht machen musste. Das scheint wohl neu zu sein.", erklärte sich Simon fast entschuldigend.
"Oder?", überlegte Walla. "Oder es war bei Dir viel einfacher und klarer, sich für Deine Begabung festzulegen. Vielleicht bedeutet es auch gar nichts."
"Danke. Nein, ich danke Dir wirklich. Du scheinst mich mehr erst zu nehmen, als es viele Andere so tun."
"Mag sein." Walla musste lächeln.
"Kommst Du? Diese Marietta hat so eine Gemüsesuppe zurecht gemacht." Simon zeigte hinter sich in Richtung Haus und Küche.
"Ich komm."
Simon nickte und ging, sich noch einmal nach der allein auf der Gartenbank vor der dicken Mauer sitzenden Walla umsehend.
Als Simon aus Walla's Blickfeld verschwunden war, drehte sich Walla um. Sie blickte zur Mauer- allerdings in deren oberen Teil hinauf. Dorthin, wo oben im linken Turm hinter sich wohl ein kleines Turmzimmer hinter einer Schießscharte vermuten ließ.
Irgend etwas war dort sehr präsent für Walla's Wahrnehmungen.
Und die breite Mauer der Stadt schien noch ein weiteres Geheimnis zu verbergen- schwierig zu beschreiben jedoch war dieses weitere Empfinden.
Walla ging also nun doch erst einmal hinein, denn es fröstelte sie nun doch ein wenig.
Sie schloss die Tür zum Garten, als müsse Sie die Kälte aussperren. Dann ging sie in die große Küche, die linksseitig lag.
"Was war das früher einmal für ein Raum? er sieht so seltsam aus- nicht wie eine Küche, wie ich sie kenne?", fragte Walla in die Runde- erhoffte sich jedoch, dass der Hausherr, Bibliothekar Chisto diese Frage beantwortete.
Das tat er auch, mit gewissem Stolz, wie man sehen konnte. "Dies war in alten Zeiten einmal ein Mannschaftsquartier für die Turmbesatzungen. Die Männer konnten dann links und rechts über die Leitern hinauf gelangen, um Aussicht zu halten oder ihren Dienst durchzuführen. Hier schliefen sie wohl auch. Der Kaminzug stammt noch von damals. Wir hatten unsere Mühe, wieder alles herzurichten - zumal vieles verfallen war."
"Das hat bestimmt viel Arbeit gemacht."
"Ja. Und viele Silberlinge verschlungen.", räumte Chisto ein. "Aber es hat sich gelohnt. Es ist unser Zuhause geworden. Und zudem auch ein ganz besonderer Ort."
Walla nickte zustimmend.
Insbesondere die letzte Aussage des Bibliothekars schien es so zu beschreiben, wie auch Walla den Ort wahrnahm- als besonderen Ort. Doch bevor nicht jemand nachfragte, wollte es Walla dann doch erst einmal auf sich beruhen lassen. Sie waren ja auch nicht wegen ihr hierher gekommen, sondern für Sina. Sina verlangte geradezu danach, endlich Antworten für sich zu bekommen.
Doch wie es jetzt aussah, würde man heute nur noch etwas zu essen bekommen. Walla war entgangen, wie schnell die zeit dahingegangen war, während Sina und sie sich in Konzentrationsübungen befassten. Es wurde bereits dunkel. Hier im Raum brannten- neben dem Kaminfeuer- auch schon Kerzen.
Man aß etwas. Man wurde von Marietta in Schlafräume gebracht, die wohl ungenutzt im oberen Bereich der Mauer fensterlos eingearbeitet waren. Erschöpfung ließ zumindest die Vier heute fest einschlafen.
Chisto und Marietta saßen noch kurz in der Küche zusammen, bevor auch diese beiden zur Nachtruhe übergehen würden.
Chisto nippte an einem Becher mit Wein.
"Und?"
"Sie sind jetzt in den Kammern. Ich denke, sie sind alle sehr froh, sich in dieser Nacht einmal auf einer angenehmen Strohmatte ausstrecken zu können.", sprach die hinzukommende Marietta und stellte die Kerze au den Sims.
"Ich meine, konntest Du noch einmal einen Versuch bei Walla wagen?", hinterfragte Chisto bei seiner Tochter direkt.
"Nein. Leider nicht. Beim Abendessen hab ich die Möglichkeit gehabt- jedoch vertan. Und oben? Da bot sich die Chance nicht. Vielleicht ja morgen? Ich werde es in jedem Fall versuchen.", schätzte Marietta ein.
"Gut. Das muss gelingen. Ich denke, diese Walla hat mehr Potential, als sie weiß und wir glauben. Hättest sehen sollen, wie sie den Ausführungen ihrer Schwester zugehört hat. Sonst sind die nahen Verwandten immer schnell dabei, irgend eine Aussage zu hinterfragen. Doch sie nicht. Als ich dazu kam, habe ich Sina und Walla beobachtet. Ich denke, dass Walla ebenfalls Wahrnehmungen hat- allerdings schneller, viel klarer und geradliniger als Sina, Simon und vielleicht sogar Du mein Kind. Und wir müssen herausfinden und wissen, ob es an dem ist, bevor sie Uns verlassen.", erhoffte sich der Bibliothekar.
"Und Sina? Ihre Schwester?", fragte Marietta. "Wasser? Oder doch Erde?"
"Ich möchte fast sagen 'Erde'. Doch darüber können wir uns morgen noch unterhalten. Ich kann noch einige Prüfungen vornehmen.", entschied Chisto vorerst.
Dann zogen sich auch die Zwei zur Nacht zurück.
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