Frühling kommt ins Tal
Im Norden das ewig vereiste 'Mittengebirge' mit seinen unwirklichen schroffen Felsenriesen, die wohl nie ein Mensch erklimmen würde- im Süden die 'Rodaer Berge' als Teil des 'Bleckengebirges'- von ebenso ungastlichem Erscheinen, wie die nördlichen Felsen, doch weniger bedrohlich und hoch.
Hier- eingerahmt von diesen Gebirgen- erstreckt sich von Westen bei Roda bis zum Osten bei der Grenzfeste Nalbenburg das Moorfelder Land.
Die meisten durchreisenden Händler jedoch werden diese Grafschaft in dieser Ausdehnung nicht kennenlernen- bestenfalls vielleicht noch die Burg oder Stadt Moorfeld noch von Weitem gesehen haben, denn Händler und Reisende zieht es ab dem kleinen Marktplatz Salfurth über den Flusslauf der 'Rinter', dem sie von dort beständig nach Süden hin folgen. Hinter der Stadt Bleckenbeck verlassen sie dann die Grafschaft im Süden.
Hier im Süden warten die reich gesegneten und warmen Ebenen, fruchtbare riesige Felder und viele Handels- und Küstenstädte voller guter Waren.
Grafschaft Moorfeld wird diesen Händlern, Reisenden oder Pilgern nur in Erinnerung gerufen, wenn sie mit anderen Leuten über zu ertragende Zollgebühren sprechen oder harte Betten in den Gasthäusern und Tavernen der Orte an der Haupthandelsroute. Die Leute dort- so werden sie sagen- leben sehr einfach und bescheiden und sind bemüht, über den Tag zu kommen.
Dies war für die einfachen Leute im letzten Winter nicht einfach. Starker Schneefall sorgte für unpassierbare Pässe ins Tal und verschneite Lande. Es wurde beschwerlich, sein Heim zu verlassen oder die Vorräte zu schonen.
Doch nun kam der Frühling auch in die Felsentäler.
Auch der heutige Tag war noch kalt.
Wenn man an den großen Felswänden nach oben blickte, so konnte man deren eisige Spitzen in einem leichten Blauton schimmern sehen, wobei die Berge immer wieder von hellweißen als auch grauen Wolkenfetzen umspielt wurden. Getrieben durch Windbrisen in großen Höhen trieben die Wolken behutsam und gleichwohl forsch durch die Luft.
Walla nahm sich ab und zu die Zeit, auch einmal nach oben zu blicken und dieses Schauspiel der Natur anzusehen. So tat sie es jetzt-sie stremmte sich zudem vorsichtig ins Hohlkreuz durch und atmete die frische, kühle Luft intensiv in ihren Körper. Walla konnte spüren, wie kühle feuchte Luft in den Körper hineinwirkte. Sie empfand dies Spüren des Atem als angenehm- auch die Berge so zu bestaunen, mochte sie.
Kaltes Wasser tropfte von ihren Händen und erinnerte Walla daran, dass sich die Wäsche nicht von selbst im Gebirgsbach reinigen würde.
Als kleines Mädchen hatte sie darauf gehofft, aber die anderen Frauen, die sich hier am Waschplatz zwischen Roda und Mittenberg trafen, haben ihr diese Vorstellung schnell geraubt. Am Waschplatz erfuhr man immer alles Neue aus den Orten. So erzählte man sich, wo Raubtiere Vieh oder Hühner gerissen hatten, welcher Trunkenbold in einem Gasthaus aufgefallen war, welche Gesandtschaften oder Reisenden in den Kaufmannsgeleiten auf der Handelsstraße unterwegs waren.
Ab und zu bekam Walla aber auch Neuigkeiten zu hören, die über die kleinen Orte hinaus ins Gerede kamen.
Noch letzte Woche brachten zwei Mittenberger Waschweiber Informationen mit, die sich um eine seltsame Krankheit im Süden rankten. "Bleckenbecker Wahnsinn" nannten sie diese Krankheit und schienen dabei besorgt, wenn sie darüber sprachen.
Doch die Zeichen stehen gut, diese Seuche des Wahnsinns zu bekämpfen, denn der schwarze Graf von Moorfeld hat seinen Hofmagister höchstselbst nach Bleckenbeck geschickt. Und wenn Magister Ryth sich dieser Sache annimmt, dann wird es schon gelingen, die Seuche einzudämmen-da kann sich das gemeine Volk wie Unsereins schon darauf verlassen.
Magister Ryth habe wohl alle betroffenen Kranken in das abseits liegende alte und verfallene Schloss von Gedesheim schaffen lassen. Dort werde den Erkrankten dann schon angemessen geholfen. Dadurch sind die Straßen nach Süden gleich viel sicherer geworden, wurde berichtet.
Eine Andere wollte in der Taverne von Roda gehört haben, dass sich am westlichen Pass ein Heer bereit mache, durch die hiesigen Lande zu ziehen- hinein in die südlichen Ebenen, um dort die Städte zu plündern und zu erobern. Anführer sei ein Herzog, der wohl in des Königs Auftrag vorgehen soll. Naja.
Doch dies Gerede lässt die Zeit beim Waschtag schneller dahingehen.
Doch heute war Walla allein am Bach. Ohne Ablenkung blieb nur der stete Kampf mit der schmutzigen Wäsche der Familie.
Familie.
Welch vielsagendes Wort. Es bedeutet Gemeinsamkeit, Zugehörigkeitsgefühl und auch Wärme. Aber auch Verantwortung und Pflicht.
Walla's Vater wird Gunther genannt. Er ist ein Witwer, der seine drei Kinder allein groß ziehen musste. Als verpflichteter Holzfäller reichten die bescheidenen Einkommen dafür kaum allein.
Daher schlug er sich in den Wäldern als Fallensteller und Jäger heimlich durch. Das Wild der Berge lockte Gunther. Dieses Wild und sein Fleisch machten ihn und seine drei Kinder satt, das Fell wärmte im Winter und viele Dinge, die überbleiben, können gut an Wirtshäuser, Gerber oder Müller verkauft werden. Doch von diesem geheimen Nebenerwerb durfte niemand etwas erfahren- es war bei Strafe verboten zu wildern und die Voigte der umliegenden Orte hatten Auftrag, Wilderer einzusperren. Die Strafe war von Auspeitschen über Verlust von Körperteilen bis zum Tod dabei sehr breit gefasst. Daher ergab sich Gunther beim Mittenberger Voigt in großen Höflichkeiten und anbei auch Aufmerksamkeiten in Form Einladungen zum Trinken, einem Gewinnen lassen im Glücksspiel und anderen Dingen.
Walla ist mit 18 Wintern an Alter das mittlere der drei Kinder Gunthers. Ihre Mutter kannten sie nicht. Auch Walla's älterer Bruder Rico hatte nur noch blasse Erinnerungen an die Mutter- Walla und die zwei Winter jüngere Sina erinnern sich nicht mehr.
Vater redet nicht viel über sie. Einige sagen, wie sei gegangen- wegen all der Armut im Haus. Wieder andere wollen sie sogar gesehen haben- mal im Osten, dann wieder im Süden. Doch Vater Gunther hat sie für Tod erklären lassen. Deshalb geht er auch nicht mehr in den gar nicht so weit entfernten Ort Wetha, der südwestlich von Roda an der Handelsroute liegt. Dort leben noch altverwandte Familien von Mutter, die ihm dies sehr übel nehmen.
Rico hingegen hat sein Auskommen. Er wurde von Vater nach Mittenberg zum Zimmermann gegeben, der Rico als Geselle nahm. Mittlerweile kann Rico sein Handwerk schon fast so gut, wie sein alter Meister.
Sina und auch Walla selbst helfen in einer Taverne in Roda aus.
Die Taverne hieß "Blauer Vogel" und wurde von der Wirtin Gisela allein geführt. Auch sie war Witwe. Gisela's verstorbener Mann war irgendwann vor Jahren im Streit mit einem Gast erschlagen worden. Der Gast war vermögend und löste vor Gericht seine Mordschuld in Silber aus. Damit hatte Gisela einen erträglichen Start beim Weiterbetrieb des Gasthauses. Denn es lag zudem abseits am Ortsrand und nicht direkt an der Haupthandelsstraße. Doch Gäste- auch zur Nacht bleibende Besucher- gab es auch hier noch genug.
Gunther erlaubte seinen Mädchen diese Arbeiten nur, wenn die Mädchen immer schön unauffällig im Hintergrund blieben und mit keinem der Gäste ein Wort wechselten. Und wohl auch, weil die Wirtin Gisela ihm schöne Augen machte und er ihr wohl auch zugetan war- als auch dem guten Kellerbier, welches Gisela reichlich im Vorrat hatte.
Wenn Sina oder Walla arbeiteten und Gunther auch in der Taverne war, dann achtete Gisela sehr genau darauf, dass die Mädchen nicht das Essen an die Tische brachten, Bier servierten oder am besetzten Tisch abräumten. So schafften sie sich in den Stuben und in der Küche.
Betrunkene sind unberechenbar- zuweilen sogar zügellos. Gisela hatte als Wirtsfrau da ein dickes Fell und war den Umgang mit den rauen Gesellen oder fremden Handelsreisenden gewohnt- auch einmal rau zu sprechen oder nach der Wache zu schreien, wenn es geboten war.
Walla und Sina hingegen als junge Frauen, sollten all die Wirtshausgrobheit nur ab und zu erleben, wenn es Not in der Wirtschaft gab und alle Hände gebraucht wurden.
Und dafür gab es Mahlzeiten, einen Krug Bier für den Vater mit und auch wenige Silberlinge, die der Familie halfen.
All dies ging Walla hier am Waschplatz so durch den Kopf.
In Gedanken war sie schon beim Zubereiten der Tagesmahlzeit in Form von einfachem Getreidebrei und dem Aussuchen des Hühnerstalles nach Eiern.
Doch dazu sollte es vorerst nicht kommen.
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