Fluch und Segen
Agatha, die Baumfrau, deutete auf die Bettkante.
„Dann setzt Euch mal. Und ja- auch ich habe magische Wurzeln in der Blutlinie. Doch für mich waren sie meist mehr Fluch als Segen. Meine Mutter hat die Magische Linie an mich weitervererbt. Vater jedoch sah bis zu seinem Tod im letzten Winter nur etwas Unheilvolles darin. Mutter stammt nicht aus Fürstetten. Sie war die Tochter eines Metzgers aus Mehlbrück, wohin die Fürstetter Bauern gern ihr Vieh brachten. So lernte sie Vater kennen, der Mutter dann hier mit in dieses Tal brachte. In Fürstetten war Mutter die Einzige aus magischer Linie- zumindest dachten das alle. Fürstetten ist nicht grade Magier- freundlich gestellt. Sowohl Mutter, als auch ich, durften nicht darüber sprechen- wer oder was wir sind. Vor Jahren dann interessierte sich der Sohn des größten und reichsten Bauern für mich. Er schwor mir Liebe und Treue. Und naiv, wie ich war, glaubte ich ihm und ließ mich vor der Heirat schon mit ihm ein. Ich wurde schwanger. Eine Schande! Nicht etwa für Thorsten, meinen Verlobten- nein, ich war der Schandfleck im Dorf. Thorsten fügte sich schnell dem Wunsch seiner Familie, denn ich und sein Kind in mir waren auch ihm nicht mehr genehm. Und zu allem Übel verlor ich das Kind auch noch recht früh. Für alle im Dorf ein Zeichen des Himmels, dass ich nicht gesegnet bin und der Himmel selbst die Schande ausmerzen tat. Für mich eine schwere Zeit. Mein Vater sprach kaum noch mit Mutter und mir, aus Scham gegenüber den Anderen. Und als Mutter mich begleitete, um etwas Geld für einen Heiler bei Thorsten und seiner Familie zu erbitten, wurden wir ausgelacht, verhöhnt und weggeschickt- von Thorsten selbst, dem die Familie schon eine neue Braut angedacht hatte. Was dann passierte kann ich nicht erklären- ich fühlte nur Schmerz in mir, war wütend und geriet in Zorn. Es war Magie, mit der ich einen im Hof stehenden Karren in Bewegung setzte. Thorsten stürzte, machte ein entsetztes Gesicht. Sein Bein wurde überrollt. Es ist seither verdreht und schlecht verwachsen. Vater wies mich – wohl auch in erster Rage und unter Druck der Leute- aus dem Haus. So ging ich hierher- an diesen Ort, wo ich in der Kindheit viel spielte und mich wohl fühlte. Erst lagerte ich hier, dann baute ich mir einen Verschlag gegen das Wetter. Und ich spürte, wie mir dieser Ort hier half, selbst besser im Innern zu heilen." Agatha streichelte ihren Unterleib. „Doch Vater kam zur Besinnung. Er und mein Onkel erbauten mir diese Hütte und auch das Bett hat er für mich gezimmert. Mutter schaut häufig vorbei hier. Doch dem Dorf habe ich den Rücken zugekehrt. Dort bin ich als 'Baum- Trude' verschrien, grobe Lügen werden herumerzählt. Hauptsache der reiche Bauer und sein- so löblicher- Erstgeborener Sohn erscheinen im guten Licht."
Agatha rang mit ihren Tränen bei diesen Schilderungen.
Walla ging ihr zur Seite und spendete Trost, streichelte Agathas Rücken. Simon war recht sprachlos, nach all diesen Schilderungen.
Nachdem sich Agatha wieder gefasst hatte, redete Simon ihr zu.
„Für meinen Vater war es sein ganzer Stolz, mich in seinen Fußstapfen als Heiler sehen zu können."
„Unser Vater- du kennst ihn ja- ist da auch anders. Wenn wir unter Uns sind, dann ist es ihm recht. Anderen Ortes jedoch sollen wir nicht unsere Magie zeigen, davor warnte er uns.", warf Sina ein.
Walla verteidigte ihren Vater Gunther sofort- auch gegenüber ihrer Schwester. „Beschützen will er uns- nichts Anderes. Du weißt ja, wie er sagt: Die Leute können schlecht mit denen umgehen, die anders sind."
Agatha gab noch etwas von ihrem Leben preis.
„Mein Vater, der sonst auch zu denen gehört, die nichts von Magie wissen wollen, habe ich nur einmal stolz auf die magischen Linien in der Familie gesehen. Als mein jüngerer Bruder durch den Hof- Magister Ryth des Grafen bei der jährlichen Auswahl eines Kindes mit magischen Fähigkeiten ausgewählt wurde. Magister Ryth hatte meinen Bruder vor gut zehn Jahren in seine Obhut genommen und an der Burg Moorfeld in Magie unterrichtet. Das Studium muss sehr anstrengend sein. Oliver hat sich seither auch nicht mehr bei den Eltern gemeldet, wie es ihm ergeht in Moorfeld. Er wird bestimmt gut sein, vielleicht sogar selbst irgendwann zum Magister des Grafen aufsteigen. Dann wären meine Eltern gewiss gut versorgt."
„Das wäre Euch zu wünschen. Doch man hört, dass Magister Ryth sehr streng mit den Kindern sein soll, welche er jährlich wählt. Doch sollen es allesamt Kinder mit schon gut ausgeformter Magie sein, die er zu sich holt.", erklärte Simon. „Für mich wäre so etwas nichts. Da liebe ich die Freiheit und Natur doch viel zu sehr, als dass ich in einer Hofmagister- Schule eingeengt leben müsste."
Sina hatte einen Ratschlag an Agatha.
„Und wenn ihr weggeht aus dem Dorf? Wenn deine Mutter den Hof verkaufen würde und dich mitnimmt, so könntet ihr irgendwo ein neues Leben anfangen. Vielleicht sogar in der Stadt Moorfeld. Vielleicht siehst du ja dann auch, was aus deinem Bruder geworden ist?"
Agatha überlegte, zuckte mit den Schultern. „Ohne Mutter würde ich nie gehen. Sie ist alles, was ich hierzulande noch habe."
Walla bemerkte, wie die Zeit dahingegangen war. Die Sonne stand schon hoch über dem Wald und warf die Schatten des Mittags in die Hütte.
„Agatha? Würdest Du uns helfen? Kannst Du uns den Weg zu dem Kraftort zeigen?", fragte Walla vorsichtig.
„Es ist dieser breite Baumstumpf dort, worauf ich eine Tischplatte gelegt habe. Wenn ihr die Platte herunternehmt, seht ihr den hohlen Rest eines sehr alten Baumes, der früher einmal hier gestanden hatte, wohl viele hunderte Jahre. Er ist fast steinern. Ich kenne ihn auch nur so. Wenn ich niedergeschlagen bin, dann hilft er mir Kraft zu schöpfen. Aber wundert Euch nicht, ihr werdet viel Zeit brauchen. Für heute kann es sicherlich bis in die Nacht andauern- nur für einen von Euch!"
„So lange? Das habe ich vorher noch nicht erlebt."
Agatha zeigte sich neugierig, wollte wissen, wie es an anderen Kraftorten so vor sich ging.
Während Walla als erste in den hohlen Baumstumpf stieg und sich entspannt zeigte, machten Sina und Agatha einen Spaziergang durch den Wald. Sie suchten Flechten und Kräuter. Simon hielt treu die Wache am Wohnort der Baumfrau- schaute ab und an nach dem kranken Ziegentier. Ihm war jedoch nicht langweilig. Interessiert beobachtete er, wie diese Hütte gebaut war. Sie schien zwar fest an den Bäumen verankert durch Metallkeile und Klauennägel, dennoch- Bäume bewegen sich im Wind. Also wie kann da ein Dach tragen? Die Erbauer dieser seltsamen Hütte hatten auch da an viele Dinge zu denken. Am Abend gab es den Rest der Grütze in einer Gleie aus Getreide vermischt.
Am zweiten Tag war Sina dran, sich am Kraftort zu laben, ab dem Mittag bis zur Nacht dann Simon. Simon merkte spürbar das Heilende dieses Ortes, genau wie von Agatha beschrieben. Dies würde nützlich werden. So starke Naturkraft war an den vorherigen Orten nicht gewesen.
Da Agatha sich gastlich zeigte, halfen alle Drei, wo es nötig schien. Und sie rieten Agatha, doch ihrer Mutter zuzureden und vielleicht Fürstetten zu verlassen, wenn es für alle so erdrückend und belastend war.
Nach zwei Tagen verließen sie die Baumfrau und setzten die Suche weiter oben im Nordtal fort. Nahe dem Ort Befohr- östlich davon musste der nächste Ort magischer Kraft sein.
Die Gespräche mit Agatha gingen keinem der Dreien aus dem Kopf.
Es ist wahr- zuweilen ist diese magische Begabung ein Fluch, an anderen Tagen wieder ein Segen.
Aber an den Schilderungen von Agatha wurde auch eines deutlich: dunkle Magie ist schnell bereit, jeden magiebegabten Menschen in einer Situation zu erfassen. Man durfte sich nicht dazu verleiten lassen, sich trügerisch darauf einzulassen. Genau so hat es der Lehrer und Bibliothekar Chisto ihnen beigebracht.
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