Erster Erfolg
„Da hinten? Unglaublich!"
Simon hatte sich über eine übermannshohe Mischung aus Bodenflechten, Geröll, Ästen und Gebüsch bis an die Oberkante des Pflanzengewirrs durchgekämpft. Dahinter hatte er eine Art Felsennische entdeckt, die für jedes Auge normalerweise verborgen bleiben würde.
Walla, Sina und Gunther standen fassungslos vor dem riesenhaften Berg an Gebüsch, als Simon bekanntgab, dass dahinter noch etwas sei- eine Art Höhle oder tiefe Nische im Felsen- gerade so groß, dass nur einer hineinpassen würde.
Die Drei hatten tatsächlich eine Rune gefunden- halb verwittert und kaum zu lesen. Und doch- dem Hinweis der Rune folgend waren sie an diesen Ort gelangt.
Doch das Hindernis war nicht einfach.
Gunther hatte geraten, sich mit schmalen Bäumen zumindest bis in den hinteren Bereich am Felsen über das Gebüsch vorzuarbeiten- nur um zu sehen, ob dort noch etwas Anderes ist. Und tatsächlich!
Am Bodes um das große Gewirr waren Unmengen von Feuerkäfern zu sehen, welche umtriebig durcheinanderliefen. Sie waren mit Nahrungssuche und Fortpflanzung beschäftigt- doch die vielen Füße sorgten für Unruhe.
Simon rutschte kurz von den als Brücke dienenden schmalen Bäumen ab. Ein Ast knirschte und zerbracht. Simons Fuß rutschte in die Pflanze hinein.
„So ein Mist!"
„Alles gut? Hast du dich verletzt, Junge?", fragte Gunther besorgt.
„Nein. Alles gut. Aber das werden ein paar schöne Kratzer, die da am Bein zurückbleiben.", stammelte Simon und rang mit dem Gebüsch. „Wisst ihr was? Ich probiere es einfach mal, da hinten heran zu kommen. Haben wir ein Seil?"
Gunther hatte anscheinend alles mit und war für jede Gefahr vorbereitet, so schien es.
„Warte!"
Walla hielt ihm den großen Schnürbeutel auf. Gunther hatte wirklich ein Seil- nicht sehr lang, aber ausreichend, um es hinauf zu werfen und noch etwas hinzu geben zu können, wenn nötig.
„Willst Du dich abseilen?", fragte Sina.
„Nein. Das macht keinen Sinn, denke ich. Ich will mir das Seil hier ablegen, um mich nachher wieder heraus ziehen zu lassen aus diesem Loch. Es ist sehr eng hier hinten. So komme ich wenigstens wieder hier rauf- zu den Baumstämmen."
Alle starrten zu ihm, als Simon das Seil über den größeren der Stämme legte, wie um eine Rolle. Dann hielt er kurz inne und sah zu Sina und Walla herunter.
„Und? Spürt ihr es auch? Hier muss es sein- ich bin mir ganz sicher!", verkündete Simon. Kurz darauf sah man Simon hinter dem großen Gebüsch nach unten verschwinden.
In der Tat nahmen auch Walla und Sina die Wirkung der dort verborgen liegenden Kraft bereits wahr. Im Grunde genommen bereits, als sie hier in die Nähe des Kraftortes gekommen waren. Doch nun, da es Simon so direkt ansprach, ließen auch sie sich mit ihren Gedanken schon darauf ein.
Gunther beobachtete ebenfalls, wie Simon hinten zwischen Fels und Gebüsch verschwand. Jedoch als er sich zu seinen zwei Kindern umdrehte, stellte er unerwartet fest, dass die Mädchen sehr ruhig wirkten. Ruhig und in sich gekehrt.
„Und? Was geschieht jetzt?", hinterfragte er.
Walla gab Antwort.
„Nun wird jeder von Uns sich dem Kraftort stellen müssen. Niemand kann die Wirkung vorhersehen. Es ist eigentlich kein sehr spektakuläres Ereignis- zumindest war es bislang so, dass man in sich ruhen musste und sich einfach nur über Magie und Natur klar nachzudenken hatte. Wir werden also nicht umherzaubern oder Dinge bewegen. Jeder von Uns muss dahin, wo Simon jetzt gerade ist und dort einfach nur verharren und sich der Magischen Kraftwirkung des Ortes für sich allein stellen."
Gunther nickte. Er schien dankbar für diese kurze Erklärung.
„Und wie lang kann so etwas dauern? Ich will nicht unruhig wirken, hätte aber schon gern gewusst, wie lange ihr Drei vielleicht benötigt?"
„Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben einen Kraftort in Bleckenbeck erlebt, dem man sich wirklich nur kurz stellen konnte- aber das war dann auch schon ausreichend.", flüsterte Walla geheimnisvoll.
Sina öffnete ihre Augen. „Ja, das stimmt. Das war ein wirklich unheimliches Erleben, aber dort reichte wirklich nur ein kurzes Aufnehmen der Kraft. Die magische Energie nahm mich dort sehr schnell und stark ein. Das war unerwartet. Aber dafür ausreichend. Orte von solch finsterer magischer Kraft sollte es besser nicht geben."
Gunther bekam es schon allein von der Schilderung Sinas, mit der Angst und Sorge um seine Mädchen zu schaffen.
Walla bemerkte dies. „Doch keine Sorge, Vater. Hier ist es anders. An diesem Ort scheint sich eine einfache Naturkraft als magisches Bündel gesammelt zu haben. Von ihr sollten keine Gefahren ausgehen- eher etwas Helfendes, Unterstützendes wohnt diesem Ort hier inne. Vielleicht erklärt das auch diese ungewöhnliche Hecke hier, oder die vielen Feuerkäfer."
Simon meldete sich aus seinem nicht einsehbarem Versteck hinter dem Gestrüpp. „Ja. Wie ich es mir dachte. Das ist keine richtige Höhle hier hinten. Eher eine Körpergröße tief. Und seltsamerweise auch nicht zu gewuchert. Man kann hier aber angenehm hocken. Ich würde dann gleich beginnen, wenn ihr damit einverstanden seid? Alles in Ordnung, wenn man erstmal hier drinnen ist."
„Fang einfach an, Simon. Wir warten ab, bis du wieder hervorkriechst."
Es war nun um die Mittagsstunde. Man hörte selbst hier, im Wald zwischen Roda und Wetha, die fern klingenden Glocken der Mittenberger Kapelle.
Simon kam nach geraumer Zeit wieder hervor und wechselte sich mit Sina ab, die nach ihm in diese Felsennische kletterte.
„Ich denke, mich hat dieser Ort erstarken lassen- zumindest fühlt es sich so an. Es wird sich sicherlich erweisen- irgendwann.", gestand Simon ein und klopfte sich Dreck und hängen gebliebenes kleines Kraut von seinen Sachen ab. „Es riecht ein wenig muffig und feucht da drinnen. Aber ich hatte mehr Platz, als ich vermutet hatte."
Das es muffig roch, bemerkte wohl auch Sina zwischenzeitlich.
„Och!", kam es kläglich wetternd aus der kleinen Höhle.
Gunther konnte sich eines kleinen Schmunzelns in Simons Richtung nicht erwehren. Gunther ertappte sich selbst dabei, doch etwas Sympathie für den jungen Mitstreiter seiner Töchter zu empfinden.
„Wie muss ich mir das vorstellen mit diesem Kraftort? Es stärkt Eure Magie, sagt ihr? Könnt ihr da nicht länger verweilen, um noch mehr davon zu erhalten?"
Walla verzog das Gesicht und machte einen spitzen Mund, wie sie es immer tat, wenn sie in Bezug auf etwas unsicher war.
„Stärken ja, aber dauerhaft noch mehr Kraft erhalten? Ich meine mich zu erinnern, die Tochter von Herrn Chisto, Marietta, hat mir gesagt, dass es so nicht geht. Allerdings könne man nach starker magischer Schwächung erneute Kraft schöpfen. Sie hat es wie eine Quelle beschrieben: Ist dein Wasserschlauch leer, kann man ihn nachfüllen. Aber wenn der Wasserschlauch gerade aufgefüllt ist, dann würde nichts mehr nachzufüllen gehen. So hatte sie es mir beschrieben."
„Aha, ich verstehe."
Wieder warteten alle, bis Sina sich am Seil hochzog und über die Baumstämme vom Gebüsch herunterkroch. Sina streckte ihre Zunge hervor, erklärte angewidert zu sein- aber auch irgendwie froh über die neue Erfahrung.
Nun war es an Walla, sich den Weg zu bahnen. Sie kletterte hinauf- sich stetig festhaltend. Auch Walla ließ sich am Seil klammernd hinab. Simon hatte mit dem Seil einen guten Einfall gehabt, wie Walla für sich zugeben musste.
Die kleine Felsnische ließ wirklich nicht viel Platz, war aber ausreichend groß, sich hier aufzuhalten und sich auch darin im Hocken zu drehen. Es roch wirklich sehr feucht und irgendwie modrig.
Walla atmete ruhig. Sie erinnerte sich an die Unterweisungen von Chisto und Marietta. Seltsam spürte sie die Kraft des Ortes. Mit der rechten Handfläche machte Walla kreisende Bewegungen an der Stirn und am Kopf, als würde sie sich selbst die Kopfhaut massieren wollen.
Diese Kraft hier war ähnlich dem Kraftort in Chistos Garten- natürlich irgendwie, als würden wohltuende Kräuter in einem warmen Trank zu sich genommen werden. Um Walla herum schien die Zeit langsamer abzulaufen, sie hatte ein Stück weit das Empfinden das nahe Gebüsch und die Käfer am Boden viel ruhiger und näher betrachten zu können. Dann- nach einer Weile jedoch- ließ dieses Empfinden wieder nach.
War damit die aufzunehmende Kraft erschöpft oder musste Walla hier noch ein wenig länger verweilen? Nein. Es war tief in Wallas Empfindungen so, dass sie jetzt loslassen konnte- alles erreicht war, was der Ort bereit war zu geben.
So musste es sein.
Mit gutem Gefühl rappelte sie sich auf, suchte mit den Augen nach dem Seil. Dort war es.
Noch bevor sie jedoch heraufkletterte, sah Walla an der Felswand ein kleines Zeichen- wie eingeritzt wirkte es. Sie kannte es- wusste es nur noch nicht zuzuordnen in ihrem Geist. Aber was hatte es zu bedeuten? Wenn es wichtig war, hatten Sina und Simon es sicherlich auch gesehen. Sollte sie noch etwas sagen? Das konnte vielleicht auch warten.
Walla merkte sich das Abbild zumindest.
Jetzt erst einmal hinaufkommen.
Fest griff sie nach dem Strick, zog sich hoch und stützte sich an Ästen des Gebüsches und der Felsenwand. Geschafft!
„Bind das Seil wieder ab und wirf es zu Uns herunter.", bat Vater Gunther. „Wenn du sicheren Tritt und Halt gefunden hast, dann schieb auch die Baumstämme weg, um nicht ungewollte Nachahmer auf diesen Ort hinzuweisen."
Walla war froh über diesen Hinweis.
Kraftorte, wie dieser versteckte hier, waren wirklich etwas Besonderes- jeder Einzelne war es wert, beschützt zu sein.
Der Wald war nun etwas dunkler geworden. Wenn Walla sich nicht täuschte, dann waren die Schatten schon sehr weit gewandert. War sie wirklich so lange dort in der Nische gewesen?
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