Eine Frage der Zeit

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Ryth und andere sich dazu bereit und stark genug fühlten, gegen den sich regenden Widerstand vorzugehen.

Ryth hatte sich einen eigenen neuen Plan erschaffen, der ihm nun doch noch zu mehr Macht und Magie verhelfen sollte. Auch wenn er nun wieder an das Heerlager in Salfurth örtlich gebunden war, so standen ihm hier reichlich Leute zur Verfügung, die ihm und dem neuen königlichen Legaten zu Diensten sein mussten.

Ryth wollte nunmehr das erlangen, was ihm mit dem Tod von Marietta versagt wurde- magische Macht. Denn aus irgendeinem Grund war die Magie, welche in Mariettas sterbenden Körper hätte sein müssen, nicht mehr vorhanden, als der Großmeister Ryth seinen geheimen Absorptionszauber auf die Magie Mariettas anwenden wollte.

Derlei hatte er noch nie vorher gesehen. Ihr Körper gab nichts mehr Preiss. Es war beinahe so, als hätte Marietta all ihre magischen Kräfte vollkommen aufgebraucht gehabt.

Um die Angelegenheit genauer zu prüfen, hatte er den Körper der Toten noch extra hinauf in die Burg schaffen lassen, wo er die Tote in seinem geheimen Labor in der Höhle untersuchte. Doch da war nichts, was nur an Magie in diesem leblosen Körper erinnerte.

Hier schon fasste er seinen neuesten Plan: sollte sich die Tochter als Nutzlos erweisen, so gab es ja immer noch deren Vater, dem man die magische Kraft entziehen konnte.

Begleitet von siebzehn Grafentreuen und einigen Rittern, denen danach war, einen Ketzer aufzuspüren und ihm dem gräflichen Hofmagister zu übergeben, begab er sich eilends nach Bleckenbeck.

Die Scheiben und Tore zerbarsten am Hause Chisto's, denn von allen Seiten drängten die Bewaffneten zeitgleich auf das Anwesen des guten Mannes. Nachdem Chisto dort ergriffen worden war, sah man Flammen züngeln. Das ganze große und schöne Haus sowie die zwei alten Stadttürme gingen in Flammen auf.

Bespukt und mit vielerlei Dingen beworfen, wurde Chisto im offenen Gefängniskarren nach Salfurth geschafft und dort- bei strenger Bewachung in ein Erdloch geworfen. Nur Ryth selbst war gestattet, mit dem Gefangenen zu sprechen- und der Hinweis, dass Chisto ein gefährlicher Zauberer sei, sorgte für zusätzliche Vorsicht und Aufmerksamkeit unter den Wachen.

Ryth genoss den Moment der ersten Vernehmung und Gegenüberstellung. Es stellte für Ryth einen kleinen Triumph dar.

„Mein alter Lehrmeister Chisto, zugleich mein neuester Gefangener."

„Eure Zeit wird schon alsbald vorbei sein, Ryth. Dies wird eine Zeit des Guten und des Jubels anbrechen lassen.", erklärte Ryth sehr standhaft.

„Ich dachte mir schon, dass Euer Vertrauen in diese Schar von Rebellen sehr groß ist. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb ihr Euch heute erneut in Ketten gelegt seht. Wie man munkelt vielerorts, sammeln sich diese Aufsässigen irgendwo. Schon bald werden wir deren genauen Aufenthaltsort kennen und wissen, wohin sich unsere Truppen zu bewegen haben.", gab Ryth sich siegessicher.

„Wozu benötigt ihr mich dann, wenn ihr so viel wisst. Ich kann euch in diesen Dingen nicht sehr hilfreich sein.", sichte Chisto der Sache mit Witz zu begegnen. Insgeheim war er jedoch sehr aufgewühlt über diese Erkenntnisse, denn so waren seine Schüler allesamt in Gefahr. Und nicht nur sie, auch all jene, die sie zu unterstützen suchten. Auch an seine Tochter Marietta, die er immer noch unter den Fliehenden hoffte, dachte er hierbei.

Als wäre nicht genug Schamlosigkeit an diesem Tage mit der erzwungenen Inhaftierung Chisto's für den Bibliothekar erfolgt- die Ankündigung, welche Ryth nun zudem noch gab, brach Meister Chisto Herz und Seele.

„Ich hoffe nur, dass ihr uns nützlicher Seid, als eure wertgeschätzte Tochter Marietta, guter Chisto.", züngelte Ryth, einer Schlange gleich.

„Was? Wieso? Wo ist sie? Ist sie hier? Lasst mich auf der Stelle zu ihr!", forderte Chisto- außer sich mit einem Mal. Chisto hatte nur Furcht, dass seine Tochter gefangen und gefoltert sei- von dem, was Ryth noch nicht gesagt hatte, hatte er keine Vorstellung.

„Nein Chisto. Ihr könnt erst zu ihr, wenn ich mit euch fertig bin und bekommen habe, wonach mir verlangt."

„So? Und was sollte das sein, was ihr verlangt? Ihr habt doch schon alles. Lasst mich wenigstens meine Tochter einmal von Angesicht zu Angesicht sehen, damit ich weiß, wie es um sie bestellt ist.", suchte Chisto für sich zu erhandeln.

„Nein. Und nun werft ihn wieder in sein Loch und bewacht ihn gut. Die Zeit wird kommen, da er uns nützlich sein wird als Geisel oder in anderer Hinsicht."

Voller Genuss sah Hofmagister Ryth zu, wie die Wachen den alten Mann wieder in die Grube warfen und das Gitter über dem Loch verschlossen.

Gewahr auf alles, was Magie gegen ihn aufbringen könnte, sprach Ryth dann doch noch die Wahrheit, die jedoch für Chisto schmerzlicher war, als alles andere auf dieser Welt und schlimmer als jede Folter.

„Ich glaube nicht, guter Meister Chisto, dass ihr Eure Tochter in ihrem jetzigen Zustand sehen möchtet, alter Freund. Wir müssten erst ihr kaltes Grab öffnen, welches auf dem Galgenhügel von Moorfeld liegt. Und ich befürchte zudem, dass sie nicht sehr gesprächig mehr zu euch sein wird. Es sei denn, ihr habt gelernt, einem Nekromanten gleich, mit toten Menschen zu sprechen." Ryth zog sich vorsorglich mit seinem Gesicht vom Gitter weg, in Erwartung eines großen Zaubers aus dem Erdloch.

Doch stattdessen kam nur kümmerliches Schluchzen von unten- keine Magie, kein wuthervorgebrachter Zauber oder ähnliches. War Chisto wirklich nur noch ein Schatten dessen, was Ryth sich von ihm erwartete?

In dem anderen Lager im Land wuchsen die Kräfte des Widerstandes. So trafen am heutigen Tag gleich mehrere Freunde ein, denen man Kraft und auch Macht ansehen konnte.

So war es Bowien gelungen, mit Densell zu Ranka und deren Truppen vorzudringen.

Für die selbstbewusste Anführerin der Geistbewahrer war es keine Frage, sich mit all ihren Leuten sofort in Bewegung zum Sammelort zu setzen- gleich, wie viele Leute dort warteten oder wie viel Aussicht auf Erfolg das Unterfangen haben würde: es war aus Ranka's Sicht ein Anfang. Ein Schritt in die richtige Richtung, um die Macht Ryths zu brechen.

Nur Ranka selbst hatte noch einen weiteren Weg zu gehen, bevor auch sie zum Lager in die Huppiner Wälder gehen konnte.

Behände schlich sie sich zur Mühle von Katzheim, wo ein junger Mann namens Jon ein Stück der Wahrheit verdiente, die sie soeben selbst erst erfahren musste aus Densells eigener Schilderung.

„Jon? Wo bist du?"

Ranka war vorsichtig dieser Tage. Es wurde immer schwieriger den vielen Patrouillen auszuweichen, wenngleich sie eher zwischen Moorfeld uns Salfurth ritten.

„Jon?", flüsterte Ranka erneut und sehr nachdrücklich unter dem offenen Fenster.

„Wer ist da?", kam es von innen.

„Eine Freundin! Ranka. Komm schon Jon, zeig dich."

Der Kopf eines jungen sechszehnjährigen Jungen mit wuschelig gelocktem Haar zeigte sich am Fenster. Die Augen des Jungen waren in der Stunde der Dämmerung ohne Licht nicht die besten, doch war er begierig, Neuigkeiten zu erfahren.

„Ranka? Ja. Du bist es wirklich. Schön, dich u sehen. Und? Gibt es Neues von Pippa zu berichten? Wie geht es ihr?", Fragen über Fragen sprudelten aus dem jungen Sohn des Katzenheimer Müllers heraus.

„Hast Du einen Moment? Kannst du kurz zum Brunnen kommen?", bat Ranka.

„Bin gleich da. Kannst schon gehen. Ich komme gleich."

Ranke schlich über den Hof der Mühle, am Lager für die Säcke vorbei, die hier schon auf Abholung warteten.

Hinter dem Lagergebäude war ein spitz zum Wasserlauf von Mühle und Bach zulaufender Garten, in dem sogar ein Brunnenschacht angelegt war. Soweit Ranka von Pippa erfahren hatte, war dies ein Ort, an dem sich die junge Bauerntochter Pippa oft mit dem Müllersohn Jon schon seit Kindertagen getroffen hatte. Hier hatte Jon auch Pippa seine Liebe gestanden.

Ranka setzte sich auf eine Bank an der Rückseite des Schuppens. Von hier konnte man den Garten gut einsehen.

Nach kurzer Zeit kam Jon hinzu.

Der junge Mann war trotz seines Alters etwas kleiner als die erwachsene Kämpferin. Er setzte sich zu Ranka.

„Und? Gibt es Neues von Pippa?", fragte der Bursche.

Ranka musste mit den Tränen kämpfen, als sie dem jungen Mann zunicken musste auf diese Frage hin.

„Ja. Wir haben Neuigkeiten, Jon. Doch leider...", Ranka schniefte hoch, bevor sie weitersprechen konnte. „Wir haben Gewissheit. Sie wurde in Gedesheim inhaftiert. Hauptmann Torgyff hat sie im Gefängnis zu Tode gefoltert. Deine Pippa- unsere liebe Pippa, sie ist nicht mehr."

Jon sagte nichts. Er stützte seine Ellenbogen auf seine Knie und verbarg sein Gesicht und seine Augen hinter seinen Müllerhänden.

Ranka hatte den Wunsch, Jon wenigstens zu sagen, dass man mit ihm fühlte. All das junge Glück, was sich Pippa und Jon noch im Leben erhofft hatten- dahin mit dieser Nachricht.

„Torgyff, sagst du? Ist dies gewiss?", hinterfragte Jon nach einiger Zeit des Schweigens.

Ranka nickte. „Densell wurde mit ihr gefasst und in Haft genommen. Er war es auch, der die schreckliche Nachricht nunmehr mitbrachte. Densell konnte mit einigen Anderen fliehen. Sie wollen sich gegen Ryth und auch Torgyff stellen- auch mit Waffengewalt, wenn es denn sein muss."

„Und wo? Wo treffen sich diese Leute?", wollte Jon wissen.

„Ich kann und darf es dir nicht sagen- noch nicht. Doch ich gehe jetzt dorthin. Ich wollte dich fragen, ob du dich anschließen willst. Dort sind aber dann viele, die noch eine Rechnung mit Torgyff und Ryth offen haben. Kann sein, dass wir Zwei uns dann hintenanstellen müssten?", erklärte Ranka offen und ehrlich.

„Kann sein! Aber vielleicht lässt man mich einige Plätze in der Schlange vorrücken, wenn ich meine Geschichte erzählen durfte: eine Geschichte von Liebe und von Trauer." Jon gab sich kämpferisch. „Ich komme mit dir. Ich schnüre nur meinen Beutel- nehme, was ich tragen kann."

Ranka nickte. „Ich war mir fast sicher, dass du diesen Weg mit mir gehen willst."

„Wie sicher?"

„Ein Stück weit jedenfalls. Doch du hast zumindest die Wahrheit verdient. Das war ich Pippa schuldig!"

Jon dankte Ranka für diese Ehrlichkeit mit einem Handschlag.

„Gut. Dann warte einen Moment."

Etwas später huschten zwei Gestalten nahe der Katzheimer Mühle in Richtung Norden davon- den Huppiner Wäldern entgegen.

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