Eine Armee, zwei Verräter und ein Mauseloch

Die Biegung war erreicht- und Sina und ihr Herzensprinz Federkiel waren in Rufweite auf halber Strecke zum Dorf Wetha vor ihnen.

Doch selten ist das Schicksal so unbeschreiblich übellaunig an einem Tage, wie es am heutigen Tag mit Walla, ihrem Vater, mit Sina und manch anderem Menschen in dieser Flur umzuspringen gedachte.

Hinter Sina und Federkiel konnte man eine aus dem Ort Wetha in Marschkolonne herauskommende Masse aus Staub, Metall und Fleisch sehen und einen wohl nach hinten endlosen Lindwurm einer damit entgegenziehenden Armee von vielzähligen Bewaffneten erkennen. Und hier sah man nur einen Teil der Vorhut.

Schwere Wagen, Reiter, Waffenknechte- alles drängte auf dem Handelsweg aus Wetha heraus in Richtung der Biegung, wo Walla und ihr Vater nun wie versteinert standen.

Die Zwei, Sina und der Barde, waren bislang wohl so sehr miteinander und mit dem Flirten zueinander befasst, dass sie eben auch in diesem Moment feststellten, welche militärische Urgewalt dort aus dem kleinen Örtchen Wetha herausquoll und sich auf dem Handelsweg breit machte- ohne Lust, für irgendwen oder irgendetwas zu weichen.

"Sina!", schrie Walla lauthals.

Und sowohl die Schwester als auch der Barde nahmen dies wahr.

Doch ein Jeder auf seine Weise.

Während Sina, soeben noch fröhlich turtelnd, die Schwester und den Vater zur einen Seite hinter sich erkennend wahrnahm, so bedrängte Sina mit Worten den Barden Federkiel zur Umkehr und einem Abwarten des Durchziehens der fremden Armee.

Federkiel indessen sah nur den kräftigen Holzfällersmann Gunther- vermutlich schäumend vor Wut auf ihn und mit einer langstieligen Axt in der Hand, welche er sicherlich zu führen wusste. Er hörte sich Sina's Worte an, hatte aber ihrem Wunsch entgegenstehende Eingebungen.

Während Sina mit weinenden Augen im schnellen Lauf der Familie zustrebte, machte der Barde Federkiel seinen bereits dritten Fehler an diesem Tag. War der erste Fehler die Tochter Gunthers zu rauben, so war der zweite Fehler, Sina jetzt durch spontane Entscheidung in ihre familiäre Obhut gegen Sinas Willen zurück zu schicken. Und der dritte Fehler war es, zu den Truppen eilens entgegen zu laufen und dem Anführenden Hauptmann der Vorhut eine irrwitzige Geschichte zu erzählen und dabei auf Gunther mit der Axt und seine Töchter zu deuten.

So sei Gunther ein verräterischer Spion, der die Armee für die Gegner ausspionieren solle. Er habe es in der Schänke am Vorabend gehört. Die zwei Weiber seine Kinder und bestimmt auch zum Verrat bereit. Er habe versucht, ein Weibsbild zu bekehren, wie es seine Pflicht gegenüber dem König sei- aber sie seinen Unbelehrbar. Jetzt müsse er, also Federkiel, schnell weiter, um dem Oberst Bericht zu geben, der ihn beauftragt habe und wohl weiter hinten in der Armee reiten müsse.

Federkiel war Überlebenskünstler. Aber diese Lüge, von der dieser Hauptmann der Vorhut nur einen Mann mit Axt sah und Spion und Feind verstand, war auch für einen reisenden Barden wie Federkiel etwas dick aufgetragen. Denn diese Lügen hatten folgen- jedoch nur für Gunther, Sina und Walla.

Während sich Federkiel in den Schutz der Armee nach hinten durchschlenzte, war zu erkennen, dass der Hauptmann vier Waffenknechte mit Fingerzeig bestimmte, die er zu Fuß und bewaffnet gegen Gunther und seine Mädchen vorauseilen ließ, ohne den Zug der Armee im Geringsten zu stoppen.

"Los Kinder! Laufen wir. Die haben vor uns festzusetzen- deinem 'Freund' sei dafür gedankt. Schnell ! In Richtung Roda."

Und so liefen die Drei davon- ohne genau zu wissen, weshalb man zu fliehen hatte. Es war deutlich, dass die Bewaffneten sie arrestieren sollten.

Die Mädchen waren flink. Selbst die verweinte Sina machte schnelle Füße, sich die Tränen mit dem Schmutz der Straße und der Arbeit über die Wangen zu einer Leidensspur verwischend. Walla brachte kein Wort des Vorwurfes heraus, wenngleich sie davon viele vorbereitet hatte für Sina. 'Dumme und einfältige Gans' war da noch das Harmloseste. Nur der Vater war langsam. Dennoch blieb der Vorsprung bis auf die Höhe von Roda in etwa gleich.

Die Verfolger blieben dran, aber einige von Ihnen schienen auch nicht mehr so jung zu sein.

Der Vater hielt inne. "Wir müssen Uns trennen, um sie abzuschütteln. Ihr Zwei lauft hier nach rechts ins Tal und klettert die Rodaer Stiege hinauf. Tut dies, bis ihr sicher seid, dass ihr die Verfolger hinter euch gelassen habt und abgeschüttelt. Dann wartet und geht im weiten Umweg zur Hütte. Ich werde versuchen, nach Roda hinein zu locken. Dem gefährlichen Mann mit Axt werden sie wohl eher folgen als euch Mädchen- so meine Hoffnung. Ich verstecke mich irgendwo- warte ab, bis dieser Zug der Armee durch ist. Aber das kann auch einige Tage andauern, sollten sie rasten. Also lauft! Wir sehen uns- vielleicht auch erst in einer Woche. Los! Flieht!"

Noch während der Vater dies anwies, machte er Andeutungen mit den Händen. 'Kuscht Euch! Macht schnell!', zeigte Gunther an. Dann rannte er- grimmig rufend- hinüber über das Feld in Richtung des Ortes Roda, um abzukürzen.

Die Mädchen liefen in die entgegenliegende Felsenschlucht, die in einem immer engeren Tal zusammenzwängte. An deren Ende lag ein anstrengender Aufstieg in die steile Höhe, der als 'Rodaer Stiege' hierzulande bekannt war.

Kaum jemand nahm diesen Weg hinauf in die Felsenhöhe- schon gar nicht jetzt im Frühling. Eisabbrüche konnte es geben- auch weiter oben noch Lawinen. Die Stiege war in dieser Zeit nicht sicher. Der Weg durch das Tal schon, denn überall waren gute Fichtenwälder, große Geröllbrocken, Moosbewachsene umgestürzte Bäume und sogar kleine Wasserlöcher. Wer sich hier auskannte, der war im Vorteil.

Die vier Verfolger teilten sich auf.

Der ältere Soldat- wohl der Rädelsführer der Vier- gab den Auftrag, dass die Drei dem Mann mit Axt aufzuspüren haben. Er selbst werde es allein mit den Frauen schon aufnehmen können. Binnen kurzer Zeit werde er mit den zwei gefangenen Frauen wieder zur Suche hinzu kommen. Und so, wie es der alte Soldat bestimmt hatte, geschah es dann. Die drei jungen und unerfahrenen Männer gingen dem Mann nach, der Alte erfahrene Soldat folgte den zwei Mädchen in das Felsental hinein.

Walla und auch Sina kauerten hinter einem großen Felsblock, von welchem man den Zugang zum Tal gut einsehen konnte.

"Was hast Du Dir dabei gedacht? Wolltest Du bis ins hohe Alter für die Leute tanzen für ein Paar Groschen? Oder war es die Verlockung, die Kinder von diesem Barden auszutragen, während er Euch Geschichten am Kaminfeuer erzählt?" Walla hatte durchaus die Absicht, Sina ihren Fehler vor Augen zu halten. Das es allerdings doch so hässlich klang und sarkastisch, tat ihr auch schon leid- kaum, dass es ausgesprochen war. Sina war jung- aber sie war nicht dumm.

"Ich kann es Dir nicht sagen. Noch heute morgen waren es seine braun-farbenen Augen und seine tollen Zähne. Gegen Mittag nur noch seine fröhliche Ausstrahlung. Und grade? Grade ist es sein Arsch- es war das letzte, was ich von ihm sah.", antwortete Sina nach einer kleinen Pause.

Walla musste lachen.

Auch Sina stimmte mit einem Grinsen ein. Ja- es war ein Fehler. Darüber war sich nun auch Sina bewusst. Daher musste es nicht ausgesprochen werden.

Doch hoffentlich war dieser Fehler nicht für alle mit bösen Folgen, denn offenbar wurden sie ins Tal verfolgt.

"Einer folgt uns? wo sind die anderen Drei?", stellte Walla fest.

"Sie werden versuchen, Vater zu stellen. So, wie er es gesagt hat."

Auch Sina hatte den Fremden gesehen. Wie Walla, so versuchte auch Sina ihre Optionen auf Erfolg zu prüfen.

Das Tal war nicht sehr breit. Doch wollte man aus dieser Mausefalle seitlich flüchten, so würden die Mädchen vor der gleichen Armee stehen, vor der sie soeben davongelaufen waren und wo Beide als Helfer eines spionierenden Holzfällers gelten würden. Der leichte Weg bot also keinen guten Erfolg. Man musste offenbar doch noch tiefer in die Roda- Klamm, dorthin, wo die Rodaer Stiege den letzten Fluchtweg bot. Vielleicht musste man ja nicht hinauf klettern- vielleicht gab der alte Soldat ja auf im Angesicht der steilen Felsen?

Es blieb nur die Stiege- man musste sein Glück dort wagen.

Beide Mädchen nickten sich zu. Geduckt haltend zogen sie sich weiter in das Tal zurück, um vor dem alten Soldat davon zu kommen.

Durch ihre Flucht entging den Mädchen ein kleines Detail, was die Situation hier schon hätte verändern können.

Denn als der alte Soldat sich sicher war, dass seine jungen Mitstreiter in Richtung des Ortes davongegangen waren und er sich mehrfach hinsichtlich weiterer Verfolger am Eingang des Tales umgesehen hatte, war dem alten Soldat eines sehr gelegen: Es war die Chance zu seiner Flucht vor dem kommenden Krieg.

Er zog sich hastig umschauend das übergeworfene Wappenwams mit herzoglichen Farben aus und versteckte es unter einem Stein. Die Stelle überwarf er mit zufällig zu greifender Erde, denn auch für ihn ging es nun um sein Leben.

Rodric, so war der Name des Soldaten, war die Gelegenheit so günstig erschienen, wie keine zweite Chance zur Fahnenflucht. Er hatte sich dem Hauptmann fast aufgedrängt und wenngleich nicht eingeteilt, war er einfach aus seiner Truppe ausgeschert- als wäre er bestimmt worden, den drei Fremden zu folgen. Die Jungspunde war er nun ja losgeworden- nun musste er sich nur noch erinnern, wo der geheime alte Klammweg entlang ging, diese Stiege aufwärts führte.

Rodric wollte auf Umwegen über Bleckenburg und Loda nach Katzheim, wo ein Weib und eine Hütte auf ihn seit mehreren Jahren warteten. Geld und Wohlstand wollte er durch den Waffendienst in den nördlichen landen mitbringen. Geblieben sind ein paar Silberlinge und sein Leben. Nun war es genug- zumindest aus seiner Sicht. Am Abend würde im Heer ein Mann fehlen- vielleicht hatte man sich aber auch nur geirrt bei so vielen Soldaten.

Sina und Walla reichte dieser eine Verfolger jedoch, der -mit wachsendem Abstand zwar- Ihnen aber auf der Spur blieb. Immer weiter hinein ins Tal flohen sie.

Das Tal wurde enger. Dann passierte sie den schmalen Aufstieg, der hinter einer Felswand unmarkiert die 'Rodaer Stiege' aufzeigte. Das Tal ging dahinter noch um einiges weiter, es verlor sich jedoch irgendwann an mehreren Felswänden, die zu steil waren für einen gefahrlosen Aufstieg.

Sie mussten die steile Felsentreppe hinauf- es half nichts. Hatte der Verfolger aufgegeben, so konnte man noch wieder hinab. Doch bevor dies eintrat hieß es klettern- und hoffen, dass man sich gesehen wird.

Sah die Rodaer Stiege anfangs noch aus, wie ein Anstieg aufwärts, so teilte sich die Stiege ab und zu in Felsanstiege, die ein gutes Klettervermögen abforderten. An manchen Stellen hatten die Leute regelrecht kleine Treppenstufen in den Fels gekratzt und Haltelöcher zum Greifen. Ab und an war sogar morsch wirkendes Holz eingeschlagen in den Fels. So ging es aufwärts.

Vier längere Stücken des steilen Aufstieges lagen vor Sina und Walla.

Oberhalb des zweiten Stückes lag eine Höhle, die bei einer Schlecht- Wetter- Passage oder einer notwendigen Übernachtung etwas abseitig lag und Schutz bot. Diese Höhle wollten sie erreichen. Von dort waren die Passagen unterhalb gut einzusehen- und vielleicht gab der Verfolger ja aus Unkenntnis der Berge auf.

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