Ein negiertes Nein
Rodric stand auf der Anhöhe des Berges und beobachtete sehr aufmerksam das Schauspiel unten im Tal. Dort machte sich eine Armee auf, einen Krieg zu beginnen. Er hatte sich hinter einen Baum gehockt. Er wollte sehen- ohne selbst gesehen zu werden.
So waren am frühen Morgen zuerst viele Reiter, dann einiges Fußvolk in Richtung der Grenze nach Süden aufgebrochen.
Mehrere Meldereiter kamen nach und nach zurück in das Lager in und um Bleckenbeck. Was diese Meldereiter zu berichten hatten, stimmte wohl die Anführer zuversichtlich.
Noch vor dem Mittag verkündeten viele Hörner und Trommeln den Aufbruch des Herzoges und seiner nahen Getreuen, die sich nun auf den Weg der Sieger machten. Gefolgt wurden die hohen Anführer der Armee von all den vielen kleinen Punkten, die nach und nach aus Bleckenbeck heraus strömten, um sich in breiter Linie auf der Handelsstraße nach Süden in das dortige Grenztal zu begeben.
Zurück im Lager blieben Knechte, Arbeiter und Frauen, die nun emsig damit beschäftigt waren, die Kochstellen, Zelte, Strohmatten abzubauen und einzusammeln. Kisten, Truhen, Stangen und Stoffbahnen wurden auf eine Vielzahl von Wagengespannen verladen. Vieh wurde gefüttert.
Der Widerhall der Hörner und Trommeln war durch die steilen Felsen so lautstark auch an den Bergen noch zu hören, dass die Mädchen und Simon aus der Sicherheit des Stollens heraus kamen. Sie suchten nach Rodric- fanden ihn etwas abseits des Geröllwalles.
"Sie ziehen ab. Wenn ich es bewerten müsste, so haben sie wohl erfolgreich den Grenzposten genommen. dadurch können sie erst einmal vordringen. Wir sind die erstmal los- Bleckenbeck sollte- bis wir dort im Ort angekommen sind- fast wieder frei von Leuten der Armee sein. Dann hätten wir 'freie Hand' für Eure Angelegenheiten. Doch dann werden sich wohl unsere Wege trennen können.", schätzte Rodic ein.
Walla ging nahe zu ihm heran und blickte auf hinunter ins Tal.
"Und du willst uns wirklich nicht weiter begleiten, Rodric? Ich schätze deine Anwesenheit und deinen Schutz. Mein Vater würde deine kräftigen Arme sicherlich auch zu schätzen wissen. Er sucht schon länger einen Helfer für sein Tagewerk."
"Mein Ziel wäre zuerst einmal der Hof meiner Familie in Katzheim. Was danach wird, muss ich sehen. Aber danke für das Angebot. Vielleicht muss ich es annehmen. Das wird die Zeit bringen. Stadtwache werde ich wohl nicht werden. Versprochen!"
Rodric blinzelte lächelnd der jungen Frau zu. Er mochte seine Gefährten allesamt- auch diesen vermutlich unmagischen Tierheiler Simon, der besser Geschichten erzählen, als kochen konnte. Sina würde Sie wohl alle irgendwann an den Strick bringen, so jung und unbedacht, wie sie noch war. Aber Walla war vollkommen anders- besonnen, erwachsen. Sie hatte etwas Besonderes an sich, nahm die Leute für sich ein in einer eigenartigen Weise. Walla hatte die Gabe, sehr großzügig über die kleinen Fehlerhaftigkeiten anderer hinweg sehen zu können- sie sah den wahren Charakter, den ehrlichen Menschen. Das war besonders.
Wie unten im Tal, so wurde auch hier am Stollen alles in die Umhängebeutel und Taschen zurück gestopft, das Feuer abgelöscht und das Schuhwerk fest zugeschnürt.
Die Leute im Tal gingen heraus aus Bleckenbeck- die Vier vom Berg kamen herab nach Bleckenbeck.
Vorsichtig war man beim Abstieg. Rodric wollte wohl wirklich keinerlei Risiken eingehen.
So gingen die Vier auch nicht zur Furth am Fluss Rinter herüber, wo man unter normalen Umständen den Fluss überwunden hätte. Sie gingen auf ihrer Seite des Flusses ein gutes Stück flussaufwärts durch die Auen und kleinere Waldstücken am Fluss- immer die Ortschaft im Auge behaltend. Dann kamen sie an einen lang in den Fluss hineinragenden schmalen Steg, der beide Ufer verband.
Man ließ zwei Kinder den Steg passieren, wann gingen die Vier hinüber nach Bleckenbeck.
Simon lotste die Gruppe gezielt nahe dem Ufer entlang in den nördlichen Bereich der Stadt. Sie schlichen durch die engen Häuserzeilen, wichen entgegenkommenden Leuten aus und standen schon bald nahe dem Nordtor innerhalb der Stadtgrenzen.
"Ich denke, es ist dort hinten- gleich hinter den Häusern verläuft die Straße, wo der Bibliothekar wohnt. Es ist nicht zu übersehen."
"Kommst du nicht mit?", fragte Rodric überrascht.
"Ach. Ich weis nicht so recht. Ich war dort ja schon und ...", stammelte Simon.
"Er hat Angst!", nahm ihn Walla in Schutz.
"Was? Nein! Hab ich nicht."
"Warum solltest Du dann kein Interesse daran haben, dorthin mit Uns zu gehen. Du hast Angst, etwas zu erfahren, was Du vielleicht so nicht hören willst oder erwartest. Stimmst?", kompromittierte Walla den Heiler.
"Pfff.", wiegelte Simon ab. Nach kurzem Überlegen lenkte er ein. "Dann komme ich eben mit und bringe euch zu dem Mann. Mir macht das nichts aus. Ich war ja schon dort."
Es schien aber dennoch so, als wollte sich Simon die Situation schön reden, wenn er ihr schon nicht ausweichen konnte.
Rodric gab das Zeichen. "Los! Die Straße ist frei! Macht langsam und bleibt zusammen!"
Schon gingen die Vier nacheinander und sich aufmerksam umschauend über die Hauptstraße hinüber, um entspannter in der Nebengasse zu verschwinden.
Simon brachte sie das kurze Stück durch die Häuser, bis man vor der ehemaligen Stadtbefestigung stand.
Zwei imposante alte Türme- geschlossene Bauweise jeweils- und beide Türme durch eine riesige Mauer verbunden. Doch in der Mauer waren zwei Fensterrahmen mit Holzläden an den Seiten zu erkennen. An der Unterseite des linken Stadtturmes war eine Tür eingelassen. - Hier wohnte demnach jemand!
"Hier ist es?", fragte Sina.
"Hier ist es!", sicherte Simon zu. "Hier war es, jedenfalls- damals, als ich ein Kind war." Korrigierte er sich, um präzise zu bleiben.
Rodric blickte nach links und rechts. Dann nickte er. Der Weg am Wall war also frei.
Mit wenigen Schritten waren die Vier vor der Tür des linken Turmes.
Eine Glocke war nicht zu sehen, daher wummerte Rodric regelrecht laut und grob mehrfach gegen die Haustür.
Von Walla kam ein vorwurfsvoller kurzer Blick zur Seite, den Rodric jedoch mit Schulterzucken beantworte- sich sodann gleich wieder umsah auf den Wegen.
Nach einer Weile wurde innen an der Tür wohl eine Art Riegel zurück gezogen und die Tür einen Spalt aufgemacht.
Eine junge Frau war hinter der Tür- vorsichtig genug, um sich erst einmal anzusehen, wer da vor der Tür stand und zu sehen, was man wollte.
Sina ergriff ungeduldig das Wort. "Guten Tag. Wir wollen zum dem Mann, den man überall nur als Bibliothekar kennt. Könnt ihr uns bitte zu ihm bringen, oder den Bibliothekar holen?"
"Nein. Er ist nicht da. Und er liest auch nicht mehr vor, falls ihr deswegen gekommen seid."
Die Frau sah sich Sina und Rodric an, dann schien sie sich anzuschicken, die Tür zumachen zu wollen.
"Also auf wiedersehen.", sprach die Frau.
"Wartet!", preschte es aus Walla heraus und sie griff durch sich schließende Tür entschlossen nach dem Arm der jungen Frau. "Wartet bitte! Und lasst Euch kurz erklären."
Die Frau im Haus musterte Walla, dann fiel ihr Blick auf ihren Arm, wo Walla zugegriffen hatte. Entschuldigend löste Walla ihren wohl zu entschlossenen Griff vom Arm der Frau.
"Bitte entschuldigt. Es ist nur so, das wir gehört haben, dass der Bibliothekar meiner Schwester vielleicht ein wenig helfen könnte. Sie ist magisch wohl sehr begabt, wie alle vermuten, die Sina kennen. Und Jemand.."- Walla's Blick fiel auf Simon, der sich nun ebenfalls mit seiner Leinenrobe aus dem Hintergrund zeigte-, "jemand hat Uns versichert, dass der große und bekannte Bibliothekar meiner Schwester in ihrer Unwissenheit helfen könnte zu verstehen, was da mit ihrem Körper geschieht."
Walla hatte wohl die richtigen Worte gefunden- ja sogar geschmeichelt hatte sie dem 'Meister', falls er selbst irgendwo zuhörte hinter der schweren Tür.
Die Frau hinter der Tür überlegte und versuchte die Vier vor der Tür irgendwie einzuschätzen. Bei Simons Anblick verharrte sie einen Moment.
"Kennen wir Uns vielleicht?", fragte die junge Frau.
"Ja, das ist durchaus möglich. Ich war hier schon einmal- vor langer Zeit. Kaum wert einer Erinnerung.", wiegelte Simon fast ab.
"Hast Du mich damals nicht mit nassen Sachen gekleidet durchs Haus gejagt? Der Sohn von diesem Heiler? Aus Spornklamm, richtig?", die Frau schien sich an Simon wohl doch besser zu erinnern, als es Simon tat.
Daher antwortete Walla für Simon, bevor Simon vielleicht diese Chance vergab.
"Ja. Aus Spornklamm. Simon heißt er dort- Simon der Weltenwanderer. Und er war es auch, der meiner Schwester empfohlen hat, sich hier beim Bibliothekar helfen zu lassen- wenngleich wir keinerlei Ahnung haben, in welcher Art und Weise der Bibliothekar Uns helfen könnte. du bist seine Tochter? Nicht war? Simon erzählte Uns von euch."
Walla gab sich wirklich die größte Mühe, die Frau zu überzeugen.
Und es gelang wohl auch mit den letzten flehenden Worten irgendwie.
Die Frau ließ die Vier herein.
Rodric war ungemein erleichtert, von der Straße herunter zu sein. Man fühlte, wie seine Anspannungen abfielen.
Nur Simon fühlte sich unwohl. "Vielleicht sollten wir nicht mit dieser Frau reden und uns gleich zum Bibliothekar bringen lassen.", schlug Simon vor.
"So,so. Simon der Weltenwanderer wird er genannt. Aus Spornklamm?", sprach die Frau und besah sich Simon von oben bis unten. "Meine Mutter hatte damals einen anderen Titel für Dich: Der Junge, der die Teppiche mit Wasser badete!"
"Warum? Hat er Wassermagie angewendet?", fragte Sina.
"Nein? Einen Eimer mit Wasser hat er angewendet. Er jagte mich damit vom Garten bis ins Haus hinein. Dann stellte er mich und übergoss mich mit dem Wasser. Einmal ist vielleicht bei einem Kind entschuldbar. Aber danach weitere drei oder vier Male in gleicher Weise? Das zeugt nicht von viel Verstand. Ich hoffe, er hat sich geändert."
Die Frau hatte die Tür zwischenzeitlich wieder verriegelt und ging eine Treppe hinauf zum Erdgeschoß des Turmes.
Walla fand diese Geschichte irgendwie witzig. Und sie mochte die Frau und ihren trockenen Humor. daher entschloss sich Walla, in gleicher Art und Weise zu antworten.
"Nun eigentlich nicht! Er nutzt auch heutzutage noch das Wasser, um unbescholtene Mädchen zuweilen zu verschrecken."
Rodric lachte lautstark los. "Oh ja. Das kann ich bestätigen."
"Ich auch!", gab Sina zu. "Aber so erschrocken war ich gar nicht! Nur vor seiner Nacktheit."
Die Frau blieb im Gehen auf der Treppe stehen und drehte sich um, wobei sie einen fragenden Blick zu Simon warf.
Simon zog nur seine Schulter hoch und lächelte entwaffnend.
"Frag lieber nicht. Ich kann die die Geschichte einmal erzählen- später vielleicht. Sie ist witzig. Glaub mir.", umschrieb es Walla für die Frau.
"Aha. Ich bin gespannt auf die Schilderung. Lasst da bitte nichts aus.", dann drehte sie sich grinsend zu den Vieren hinter sich auf der Treppe um- und fügte, während sie zu Simon sah, hinzu: "Nicht das kleinste Detail!"
Das war für Sina und Rodric zu viel- beide fingen sofort an, sich auszuschütten vor lachen.
Simon rollte die Augen. "Haha. Noch nie so gelacht, wie jetzt. Schön, dass wir Simon dabei haben. das macht es doch ungemein lustiger für alle."
Walla klopfte Simon auf die Schulter- lächelte dabei.
"Entschuldige. Aber? ..."
Die Frau ging weiter durch zwei schmale Flure, von wo kleinere Kammern und eine Treppe abgingen. Dann waren sie wieder im Freien- auf der anderen Seite der Mauer, wie es schien. Sie standen in einem wirklich großen und weitläufigen Garten.
"Ach übrigens, ich bin Marietta. Meinen Vater findet ihr dort an Weide. Vaters Name ist Chisto. Kommt, ich bringe Euch zu ihm."
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