Die Herzensgabe

„Also ich fahre hinaus auf den Moorsee. Jetzt, wo sich das Unwetter gelegt hat, werden sich viele Fische an der Wasseroberfläche halten und ich habe Zuversicht, volle Netze zu erhalten. Ich werde im Ostteil des Sees anfangen. Mal sehen, wie weit ich dann heute komme. Aber das Heldenmoor wird uns heute sicherlich gut versorgen.", sprach Aethello zuversichtlich zu seiner Frau Martha.

In manchen Momenten ist Aethello von einem sanften und zugänglichen Wesen. Uns so, wie es Martha eben noch dachte, so schnell schlug diese Sanftheit wieder um in eine Missgunst.

„Und Martha? Das Wetter ist gut genug, dass wir diese drei zusätzlichen Mäuler wieder losschicken können. Wenn ich wiederkomme am Nachmittag, dann will ich sie hier nicht mehr haben."

Martha machte diese Launenhaftigkeit ihres Mannes Aethello sehr traurig. Musste er denn wirklich so abweisend sein zu Fremden? Gab es denn da kein Herz mehr? Kein Platz für andere Menschen außer Martha und ihm selbst? Woher kam nur dieser Griesgram? War es das Alter? Der Verlust mancher Wünsche und Hoffnungen? Martha wusste sich darauf keine Antwort.

Aethello stakte das Boor mit einem überlangen Stab vom Ufer ab und winkte noch einmal zum Abschied. Er würde nun über den Tag fischen.

Und Martha?

Sie hatte bereits in diesem Moment einen Entschluss gefasst.

Sina, Walla und Simon halfen am Stallanbau und misteten den Stall als Dank für Aethello und Martha aus freien Stücken aus.

Hatte Simon eigentlich noch gehofft, mit Aethello wegen seines Bootes noch verhandeln zu können, so war dessen Ankündigung, schnell auf den Moorsee zum Fischen zu wollen das Ende einer jeden Suchaktion nach Kristallen für diesen Tag. Dennoch tat man, was man dem Fischerpaar versprochen hatte. Die Frauen schaufelten den Mist auf die Karre, die Simon dann an den Waldrand zum Misthaufen abfuhr. Zu guter Letzt brachte er dann neues Stroh für den Boden des Stalles auf dem anderen Schuppenbau.

Als dann alles erledigt war und auch die Mädchen sich am Wasser des Sees vom Bootssteg aus gewaschen hatten, kamen alle wieder in der Hütte zusammen.

Walla nickte Simon aufmunternd zu, als wollte sie sagen: Na los! Mach schon! Frag doch einfach mal!

So gab sich Simon einen Ruck und ließ bei der alten Fischerin seinen Charm spielen. Mit dem durchdringensten aufgesetzten Lächeln, dass für Simon möglich war, sprach er die Fischersfrau Martha an.

„Gute Frau Martha? Ich frage mich- wir fragen Uns, ob ihr ein Anliegen, welches uns umtreibt, vielleicht freundlich unterstützen würdet? Es wäre auch keine große Angelegenheit, doch könnte die Sache einige Zeit in Anspruch nehmen.", säuselte Simon höflichst und devot vor der Fischersfrau.

„Ich fürchte, daraus wird nichts, Jungchen!", ging Martha in die Gegendebatte- jedwede Hoffnung kurz verscheuchend. „Ich glaube nicht, dass mein Mann Euch sein Boot überlässt. Und gleich gar nicht, wenn er wüsste, dass ihr im Moorsee nach Kristallen suchen wollt."

Simon stand betreten da- wohl auch, weil sein Charm versagt hatte und auch der Plan bereits bekannt war.

„Doch sorgt euch nicht, ihr jungen Leute. Vielleicht kann ich Euch helfen.", ergänzte Martha und schaffte Hoffnung, wo kurzzeitig kaum noch ein Funken Hoffnung glimmte.

Walla und Sina kamen näher hinzu, Neugierde getrieben spitzten auch sie die Ohren.

„Aber ihr müsst mir versprechen, Niemanden davon zu berichten, was ihr seht oder hört! Versprecht es!", forderte Martha – mit für ihre Verhältnisse gestrengem Blick auf jeden.

Nicken und Zustimmung erfuhr die Fischersfrau. Daher begann sie zu erzählen:

„Mein Mann Aethello hat ab und zu auch mal einen Kristall im Netz, doch werden sie im Heldenmoor seltener. Zuweilen nutzt Aethello die Kristalle sogar selbst- ich weiß nicht wieso, aber sie scheinen seine magische Kraft zu verstärken. Damit kann er sich kleine Bereiche des Wassers nutzbar machen und die Fische fast dorthin lenken, wo er sie ins Netz haben möchte."

„Habt ihr deswegen solch gutes Leben? Ich kenne nicht viele Fischer, oder Leute, die nebenher fischen, um sich etwas auf den Tisch zu bringen. Doch denen geht es wesentlich schlechter als Euch, gute Martha.", fragte Simon offen, denn auch ihm war die Pracht der kleinen Hütte nicht entgangen.

„Vielleicht zum einen deshalb. Zum anderen verkauft mein Aethello regelmäßig die Kristalle. Er schafft sie zum Grafenhof- an die Burg Moorfeld, wo er einen oder zwei Abnehmer hat, die ihm gutes Silber oder andere Dinge von Wert dafür geben. Aber bitte, verurteilt uns nicht deswegen. Vor vielen Jahren noch ging es uns auch nicht gut. Und auch wir suchten Tag um Tag den Topf und Teller zu füllen mit etwas Essbaren. Und so wie ihr heute danach fragen wolltet, das Boot meines Mannes zu bekommen, so suchte uns damals der Hofmagister Ryth hier auf mit gleicher Forderung- keine Bitte! Mein Mann fuhr ihn mehrere Tage über den See. Magister Ryth starrte nur Löcher ins tiefe Wasser und machte Gesten über der Wasseroberfläche, fand jedoch keinen Kristall. So bot sich ihm mein Mann Aethello an, für ihn nach Kristallen zu suchen. Und schon der Verkauf der ersten kleineren Kristalle an den Herrn Magister löste all unsere Not in Wohlgefallen auf. So viel Silber brachte er an."

Martha beugte sich zu Walla und legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Ihr seid gute Menschen. Und daher hoffe ich, dass ihr auch nur gute Absichten verfolgt, wenn ihr ein Paar dieser Kristalle in die Hände bekommen würdet- ich werde Euch einfach mein Vertrauen dafür in die Hand legen. Ich weiß, wo mein Aethello noch einige Kristalle versteckt hat. Diese werde ich Euch überlassen!"

„Ohne eine Bezahlung?", entgegnete Simon, um sich zu versichern, dass er richtig gehört hatte.

„Ja. Ohne eine Bezahlung! Einfach so- als Vertrauen in Euch und eure gute Absicht. Ich möchte auch nicht wissen, wofür ihr sie nutzen möchtet.", sprach Martha in die Runde.

Walla nahm das Wort an sich. „Doch Martha. Ihr habt- wenn ihr uns diese Geste des Vertrauens gebt- jedes Anrecht darauf, auch zu erfahren, wofür wir die Kristalle benötigen. Wir wollen uns Zauberstäbe schaffen lassen! Daher brauchen wir zumindest recht große Kristallsteine- für die Stäbe benötigen wir sie. Damit wollen wir unsere magische Kraft besser beherrschen lernen- jeder von uns. Und dies ist die ganze Wahrheit dahinter. Wir wollen kein Unrecht schaffen."

„Dann wartet hier. Ich weiß, wo Aethello welche versteckt hält! Und vielleicht sind dort genau die richtigen Steine für Euch dabei.", sprach Martha und schon war sie aus dem Haus heraus- in unbekannter Richtung am östlichen Schilfrand entschwindend.

„Oh, bei allen Göttern!", unterbrach Simon nach etwas vergangener Zeit die Stille in der Hütte. „Unerwartete Fügung! Allen Göttern sei Dank für den Großmut dieser Frau."

„Ob sie da nicht Probleme bekommt? Mit ihrem Mann, diesem Aethello?", fragte Sina nach.

Walla zog die Schultern hoch. „Ich hoffe nicht. Ich glaube ja, dass Martha die Einzige ist, die Aethello die Stirn bieten kann. Für uns hätte er keinen Finger gerührt."

Wieder nach kurzer Zeit knisterten draußen am Schilf die Halme und Martha kam zurück ins Haus.

„So! Hier! Nehmt und denkt irgendwann ab und zu an die gute alte Martha. Doch bitte- zu Keinem ein Wort, wo ihr die Kristalle herhabt. Und nun? Macht Euch auf den Weg- auf zu neuem Abenteuer, nehme ich an?"

Martha lächelte ins Herz eines Jeden.

„Abenteuer? Ich bin mehr für eine ruhige Auslebung meines Schicksalweges.", sagte Walla zum Spaß zurück.

Simon schüttelte ebenfalls den Kopf. „Nein. Auf ABENTEUER...", dies betonte er nachdrücklich, „Auf Abenteuer steht uns nicht der Sinn. Offengestanden suchen wir noch nach all dem Zeck, der hinter all dem Streben steht. Doch verspreche ich, an Euch- gute Frau- zu denken. Daher meinen Dank von Herzen."

„Ich danke Euch ebenfalls. Ihr seid so nett.", gestand Sina ein.

Walla fiel ein Stein vom Herzen. Sie hatten jeder einen großen Kristall als Geschenk erhalten und- Gott sei gedankt, übte Sina hiernach keine offene Kritik an Aethello wegen dessen Gier und seinem Griesgram. Sina war wirklich auf der Reise eine andere Person geworden, wie es Walla schien.

So verabschiedeten sich die Drei- nun wieder in trockenen Sachen- bei besserem beständigen Wetter. Und sogar mit einer freundlichen Herzensgabe von Martha- jeder hatte einen wirklich großen und für einen Zauberstab geeigneten Kristall erhalten.

So setzten sie denn die Reise fort. Sie gingen am Nord- östlichen Ufer des Heldenmoores an der Moorkante entlang- nahe den felsigen Wänden im Rücken.

In Richtung der Ortschaft Mübs und der alten östlichen Grenzstadt Nalbenburg sollte es nun weitergehen. Doch wollten sie dort nicht die Straße nutzen. Östlich von Mübs begann ein großes und tiefes Waldstück, das nördlich von Nalbenburg und dem Grenzort Nalbitz lag und bis in die östlichen Lande guten Schutz bot. 

So würde man nah genug an den nächsten Kraftort an den Nalbenfelsen gelangen- dem nächsten Ziel der langen Reise.

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