Siebzehn - LISA
Konzentriert versuche ich, mir die aller größte Mühe mit dem Lidschatten zu geben. Die Foundation und Co. sind schon auf meinem Gesicht und nochmal alles von vorne zu beginnen, nur weil ich den schwarzen Lidschatten verhaue.
Zum Glück muss ich mein Make-up nicht komplett neu machen. Das Werk auf meinen Augenlidern sieht zwar nicht genau so aus, wie ich es mir vorgestellt habe, dennoch bin ich zufrieden damit.
Schnell räume ich das ganze Make-up von dem Waschbecken im Bad weg. Auch den Eyeliner, obwohl ich vorhatte diesen zu nutzen, aber ich traue mich dazu nicht. Das ist noch gefährlicher als Lidschatten.
Mascara hole ich zuletzt aus meiner Schminktasche, um die Wimpern zu tuschen, sowie einen roten Lippenstift, der einen guten Kontrast zu den dunklen Augenlidern bringt.
Recht zufrieden sehe ich mich im Spiegel an und hole anschließend den Lockenstab aus der Schublade unter dem Waschbecken.
Wie immer hängen daran braune lange Haare fest, die Anna sich immer auszieht, wenn sie sich diese lockt. So viele Haare, wie ich hier schon vorgefunden habe, dürfte sie gar keine mehr auf dem Kopf haben.
Kopfschüttelnd entferne ich es und beginne mit meinen Haaren, die am Ende leicht wellig sind. Zu doll wollte ich es auch nicht machen, denn Will mag es nicht gerne. Wenn ich bei jemandem einen guten Eindruck hinterlassen möchte, dann bei ihm, also mache ich es ansatzweise, wie es ihm gefällt. Das Make-up könnte schon kritisch sein.
Zurück in meinem Zimmer nehme ich direkt das Kleid für den heutigen Abend, welches ich schon sorgfältig auf den Stuhl gelegt habe. Ganz vorsichtig ziehe ich es an, wobei ich versuche, nicht die Haare oder das Make-up zu ruinieren, da ich es über den Kopf ziehen muss.
Erfolgreich sitzt es nun an meinem Körper. Es ist untenrum nicht zu kurz und nicht zu lang. Die Spaghettiträger sind dünn und zierlich, aber geht der Ausschnitt vorne nicht sehr weit runter. Es entblößt bloß mein Schlüsselbein. Dafür entblößt es fast meinen ganzen Rücken. Generell fällt es locker über meinen Körper. Wenn ich mich bewege, betont es diesen dennoch.
Dieses silberne schirmende Kleid habe ich schon länger in meinem Kleiderschrank, habe es allerdings nie angezogen. Irgendetwas in mir hat mich aber gedrängt, es heute zur Opernnacht anzuziehen.
Für einen Moment lang betrachte ich mich noch in dem großen Spiegel, der an der Wand hängt. Sich so fertig zu machen, ist ganz ungewohnt für mich. Ich wende meinen Blick von dem Spiegel ab und suche nach der kleinen Klatsch, die im selben schirmenden silbernen Ton ist, wie mein Kleid. Viel passt da nicht rein, außer mein Schlüssel, mein Portmonee und mein Handy, aber das reicht mir auch für heute.
Entschlossen, dass ich so weit fertig bin, trete ich aus dem Zimmer und gehe den Flur entlang, als Steven genau vor mir seine Zimmertür öffnet. Wie gebannt bleiben wir beide stehen und ich beobachte seine Augen, die mich von oben bis unten scannen.
Ich weiß nicht wieso, aber etwas in mir verlangt nach einem Kommentar von ihm. Er öffnet seinen Mund, doch aus ihm kommt zuerst nichts raus, bis er sich zusammengefasst hat. „Wow, du siehst..." Auffordernd hebe ich meine Augenbrauen. „Du siehst wirklich... wow..."
„Ich hoffe das ist als Kompliment gemeint.", äußere ich mich und kralle die Finger in meine Klatsch.
„Mmh...", summt Steven, während er mit seinem Kopf zügig nickt. Seine Augen sind immer noch auf meinen Körper gerichtet.
Leicht lachend gehe ich weiter und komme in der Küche an, wo ich schnell ein Glas Wasser trinke. Unsere Wohnungstür bewegt sich und Anna kommt mit einer Einkaufstüte in ihrem Arm herein. Ihr Gesichtsausdruck sieht genervt aus und ich frage mich warum, aber die Frage hat sich sofort geklärt, da Will hinter ihr aufkreuzt und aufgebracht mit ihr redet.
„Annabelle, ich meine das ernst! Du hättest euch beiden damit wirklich schaden können. Einen fremden Mann in einer WG nur mit Frauen zu lassen ist supergefährlich! Male dir aus, was alles hätte passieren können-"
„Oh mein Gott, Will, ich hab es verstanden. Es ist gefährlich, bla bla, aber es ist doch nichts passiert, oder?"
Mein Magen dreht sich um. Es ist nichts Gefährliches passiert, aber trotzdem ist etwas passiert.
„Das kannst du ja jetzt noch nicht wissen.", versucht Will sich zu verteidigen.
Anhand Annas wütendem Gesichtsausdruckes nehme ich an, dass sie gleich explodiert, weshalb ich aus der Küche trete, um die beiden zu unterbrechen.
Deren Blicke fokussieren sich auf mich und beide sehen überrascht aus.
„Wer sieht denn da so schnieke aus?", äußert sich Anna, zwinkert einmal und läuft an mir vorbei, um ihren Einkauf in die Küche zu bringen.
Bevor ich ihr antworten kann, kommt Will auf mich zu und beginnt zu reden. „Was trägst du da?"
Verunsichert schaue ich an mir herunter.
„Ein... Kleid? Magst du es nicht?", frage ich, während er sich mein Gesicht ansieht.
Mit zusammengekniffenen Augen fährt er meinen Körper hoch und runter. „Wir gehen zur Oper, nicht in einen Stripclub."
„Für einen Stripclub ist das noch viel zu viel Stoff.", ertönt eine Stimme.
Verwundert drehen ich und Will uns in die Richtung, um Steven zu entdecken, der hinter mir steht und an der Wand zur Küche lehnt. Amüsiert sieht er uns an.
„Wir müssen los.", beschließt mein Freund und legt seinen Arm um mich, wobei er mich nach vorne schiebt.
Ich nehme ein Kichern aus der Küche, von Anna, war, als ich meine silbernen High heels anziehe.
„Immer wieder ein Vergnügen, Will.", ruft Steven uns noch hinterher, ehe wir aus der Tür hinaus sind.
„Ich verstehe nicht, wie du mit diesem Typen leben kannst. Er ist absolut nicht respektvoll.", äußert sich Will im Treppenhaus und schüttelt den Kopf.
Wenigstens hat er mich nicht indirekt als Prostituierte bezeichnet, kommt mir der Gedanke auf, den ich aber weitestgehend ignoriere.
...
An der Oper angekommen treffen wir draußen direkt Wills Freunde, die ich auch schon kenne, aber bisher habe ich noch nicht so viele Wörter mit denen ausgetauscht.
Auf dem Weg zu Ihnen läuft Will stur auf sie zu, ohne auf mich zu achten. In meinem Tempo trotte ich hinter ihm her, bis wir zu den anderen anschließen. Will begrüßt seine Freunde jeweils mit einer Umarmung, während ich einmal in die Runde winke. Dabei entfallen mir nicht die Blicke, die sie mir zuwerfen. Besonders von einer Frau mit einem schwarzen langen Rock und einem ebenfalls schwarzen Blazer. Mit ihrer hochgesteckten Frisur und der Brille sieht sie ziemlich streng aus.
„Ihr erinnert euch noch an meine Freundin, Lisa?", fragt Will in die Runde und stellt mich somit quasi vor. Schüchtern zwinge ich mir ein Lächeln auf die Lippen.
„Auch, du bist das Lisa. Habe dich gar nicht erkannt.", spricht die Frau mit der strengen Erscheinung.
Ahnungslos zucke ich bloß mit meinen Schultern und versuche, dennoch zu lächeln, um nicht weiter über diesen Kommentar nachzudenken.
Anscheinend sind wir ziemlich früh dran, denn die Türen vom Eingang sind noch geschlossen. Frischer Herbstwind fährt durch die Luft und ich beginne allmählich zu zittern. Als es mir zu unangenehm wird, drehe ich mich zu Will, der in der Sekunde aufgehört mit einem Freund zu reden.
„Kannst du mir deinen Blazer geben? Mir ist wirklich kalt.", bitte ich ihn und Tippse auf meinem Platz herum, um mich vergeblich zu wärmen.
Nicht gerade begeister schaut Will mich an. Bei seinem langen Hemd und der dicken Weste darüber wird ihm sein Blazer ja wohl nicht fehlen. „Dann hättest du dich wärmer anziehen sollen."
Meine Kinnlade klappt bei dem Kommentar fast runter, aber mein Unterkiefer ist durch die Kälte angespannt. Bevor er sich wieder abwenden kann, greife ich nach seinem Arm, weshalb er gezwungen ist, mich anzusehen. „Bitte, Will. Nur deinen Blazer."
„Ich glaube, das passt nicht zu deinem so freien Outfit. Was sollen die Leute um uns herum denken? Als wären wir auf einem Date wie wilde Teenager und ich möchte das Cliche des Mannes erfüllen und dir meine Jacke geben.", zischend schüttelt er seinen Kopf. „Außerdem gehört der Blazer mit meinem Outfit zu einem Set."
Perplex von seiner Aussage lasse ich ihn los. Ein entschuldigendes Lächeln wirft mir mein Freund noch zu, bis er sich schließlich seinen Freunden zuwendet. Fassungslos starre ich ihn einfach nur an und lasse die Gänsehaut an meinem Körper weiter ausbreiten.
Für ein paar weitere Minuten muss ich in der Kälte ausharren, bis endlich die Türen geöffnet werden und wir hineingelassen werden. Nachdem die Tickets am Eingang gecheckt wurden, suchen wir als Gruppe die richtige Tür, die zu unseren Sitzplätzen führt.
„Hey.", spricht mich die Frau mit dem schwarzen Outfit an. „Wusstest du, dass wir zur Oper gehen?"
Verwirrt lege ich meinen Kopf schief in ihre Richtung, während wir weiter gehen. „Ja, wieso?" Zögerliche lache ich.
„Ah, okay... nur... mit deinem Outfit stichst du sehr hervor.", sagt sie schließlich, gibt mir ein merkwürdiges Lächeln und konzentriert sich danach auf den Saal, der sich vor uns erstreckt. Mit zusammengekniffenen Augen beobachte ich diesen und finde nicht, dass ich besonders auffalle. Wenn ich auffalle, dann nur in dieser kleinen Runde, in der ich mich befinde.
Wir setzen uns alle auf die Plätze, die auf unserer Karte vorgegeben sind. Ich sitze neben Will, direkt am Anfang der Reihe. Eigentlich mag ich es nicht außen zu sitzen, aber das ist mir lieber, als Wills merkwürdige Freunde neben mir haben zu müssen.
Der Saal füllt sich sekündlich und auch das Getuschel wird immer lauter. Eine Glocke ertönt, die darauf hinweist, dass die Show gleich anfängt und die Türen zum Saal geschlossen werden.
Kurz nach dem Signal setzt sich ein breitgebauter, großer Mann vor mich und versperrt mir die Sicht. Genervt schnaufe ich aus, weil ich absolut nichts von der Bühne mehr erkennen kann.
„Können wir vielleicht Plätze tauschen? Vor mir sitzt eine große Person und ich kann kaum etwas sehen.", bitte ich meinen Freund.
Perplex sieht dieser mich an. „Aber das hier ist mein Platz. Das steht so auf meiner Karte."
„Will, du bist viel größer als ich. Bitte, ich kann nichts sehen. Die checken doch sowieso nicht mehr die Ka-"
„Psst, es geht los.", unterbricht er mich leicht genervt und konzentriert sich auf die Bühne.
Alle beginnen zu applaudieren und Musik beginnt zu spielen, aber ich kann mich nicht konzentrieren. Um mich herum wird es farblos.
In meiner Brust fühle ich einen Knoten, der sich von Sekunde zu Sekunde weiter zuschnürt. Es kommt mir alles so unerträglich vor. Nichts spendet mir wärme. Ich brauche wärme.
Ich muss hier raus, schleicht sich der Gedanke auf einmal in mein Gehirn. Hier bin ich nicht glücklich.
Bevor ich anfangen kann, an diesem Gedanken zu zweifeln, stehe ich schon auf.
„Wohin gehst du?", fragt Will, der mein Handgelenk geschnappt hat, aber mich nicht anguckt. Stattdessen starrt er auf die Darstellung vor uns.
„Ich muss aufs Klo.", lüge ich.
Irgendetwas nuschelt Will vor sich hin, wobei er mich loslässt. In Sekunden schnelle gehe ich aus dem großen Saal hinaus, laufe die Treppen hinunter und stoße die massige Tür auf.
Kalter Wind umhüllt meinen Körper und Gänsehaut breitet auf meiner Haut aus. Wo soll ich hin?
Nach Hause, sagt mir eine innere Stimme.
Suchend laufe ich die umliegenden Straßen nach einem Taxi ab, bis ich fündig werde, meine Hand hebe. In New York hat man zum Glück kein Problem Taxen zu finden.
Voller Vorfreude, von der ich mich aber frage, wo die herkommt, steige ich in das Auto ein, gebe dem Fahrer meine Adresse, und er fährt sofort los. Während der Fahrt schreibe ich Will, dass es mir nicht so gut geht und ich nach Hause gegangen bin, ehe er sich noch wundert, wo ich bin.
Bevor ich ihm den wahren Grund nenne, muss ich etwas anderes klären.
Zu Hause angekommen gebe ich dem Fahrer schnell das Geld, welches ich aus meinem Portmonee hole. In der Hektik habe ich ihm ganze 13 Dollar mehr gegeben, aber das beschäftigt mich gerade wenig.
Ich springe aus dem Fahrzeug, wobei ich fast mit meinen Highheels umknicke, weshalb ich diese schließlich ausziehe, um schneller zu sein. Eifrig suche ich nach dem Schlüssel und mache die Eingangstür auf, um danach die Treppe hoch zu sprinten.
Bitte sei zu Hause, wiederhole ich in meinem Kopf, bis ich vor meiner Wohnungstür angekommen bin. Tief atme ich durch, bis ich sie aufschließe und eintrete.
„Hey, was machst du denn schon hier?", begegnet mir direkt Anna, die in der Küche ein Stativ für ihr Handy aufgebaut hat.
„Wo ist Steven?", frage ich, ohne auf ihren vorigen Satz einzugehen.
Anna legt den Kopf schräg, ehe sie mir antwortet. „In seinem Zimmer, weil ich Ruhe brauche für mein What I eat in a day Video für..."
Augenblicklich höre ich ihr nicht mehr zu. Ich schmeiße die Schuhe und die Handtasche auf den Boden und gehe mit großen Schritten auf seine Tür zu. Ohne zu klopfen, mache ich die Tür auf. Steven steht mitten im Zimmer, trägt noch dieselben Klamotten, wie vorhin, und hält sein Handy ans Ohr.
Erschrocken dreht er sich um und sieht mich besorgt an.
„Ja, ja... kannst du kurz warten?", spricht er in sein Handy und entfernt es schließlich von seinem Ohr. „Lisa, was ist los?"
Mit klopfendem Herzen zittrigen Knien gehe ich auf ihn zu, schlinge meine Arme um seinen Hals und lege meine Lippen auf seine. Verwirrt verharrt Steven in seiner Position. Da er nicht auf meinen Kuss reagiert, wie ich es mir gewünscht habe, trenne ich unsere Lippen wieder voneinander. Angst breitet sich in mir aus. War das ein Fehler? Habe ich zu viel in uns interpretiert?
Angespannt starre ich ihn an, während er geschockt die Augen aufreißt. Einen Moment bleiben wir so stehen und ich ziehe langsam meine Arme zurück. Mir ist zum Heulen zumute.
Ungeduldig warte ich darauf, dass er sich bewegt. Schließlich nimmt er sein Handy an sein Ohr. „Ich rufe dich später wieder an.", sagt er monoton und legt ohne weiteres auf. In der Sekunde wirft er sein Handy aufs Bett.
Gespannt und aufgeregt sehe ich in seine dunkelblauen Augen. Mein Atem wird immer schwerer.
Steven schließt die kleine Lücke zwischen uns. Behutsam streicht er meine Haare hinter das rechtes Ohr, bis er mein Kinn mit seinen Fingern anhebt. Ich spüre seinen Atem an meinem Körper. Wir atmen dieselbe Luft.
In Zeitlupe nähern sich unsere Gesichter, bis sich unsere Lippen wieder treffen. Diesmal mit so einer Zaghaftigkeit, dass es mir den Boden unter den Füßen wegreißt.
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