Sechs - LISA

Durch meinen Wecker werde ich ruckartig wach und ich setze mich direkt auf, nach dem ich diesen ausgestellt habe. Wegen der vielen Haare vor dem Gesicht kann ich kaum etwas sehen, weshalb ich die erstmal zur Seite schiebe. Das war eine sehr unruhige Nacht.

Ich stehe auf, greife nach dem Morgenmantel und trete aus meinem Zimmer. Bisher ist es noch komplett ruhig in der Wohnung.

Anna arbeitet sowieso nicht, außer man zählt ihre YouTube-Karriere, als Arbeit. Sie hat um die 30 Abonnenten und davon sind 25 ihre Freunde, was mich einschließt.

Auf dem Weg zur Küche muss ich gähnen.

Oh man, ich sollte schnell wieder zurück in meinen Schlafrhythmus finden, den ich vor Washington so perfekt eingefädelt hatte. Mein Körper fühlt sich schwer an. Ich brauch dringend Kaffee.

Ohne das Licht in der Küche anzumachen schlendere ich hinein, öffne die Tür vom linken oberen Regal und greife nach einer Tas- Moment mal. Warum fühle ich keine Tasse, sondern nur Luft? Hab ich wirklich das richtige Regal erwischt? Ich wohne hier schon so lange, da weiß ich eigentlich im Schlaf, wo sich alles befindet.

Ich gehe zurück zum Eingang der Küche und drücke auf den Lichtschalter. Das Licht flackert vor sich hin, bis es komplett leuchtet. Automatisch kneife ich meine Augen zu und blinzle hektisch, damit diese sich an das Licht gewöhnen. Vollständig öffne ich sie wieder nach ein paar Sekunden und kann ihnen nicht trauen.

Die ganze Küche ist voll mit dreckigem Geschirr. Was zur Hölle soll das? Gestern Morgen sah es noch nicht so aus.

Wütend balle ich meine Hände zu Fäusten und schnaufe aus. Diese verflixten Mitbewohner!

Anna ist mit mir erst spät wiedergekommen, also kann sie es nicht gewesen sein, oder? Ich bezweifle, dass es Anna war, denn die letzten drei Jahre sah die Küche nie so aus. Aber was ist, wenn Steven einen schlechten Einfluss auf sie hat?

Schnell verwerfe ich wieder meinen Gedanken. Das kann nie und nimmer Anna gewesen sein. Das ist doch bestimmt die Schuld unseres Mitbewohners.

Ich kann Unordnung nicht ausstehen, also tue ich das, was für mich logisch erscheint in diesem Moment. Aufräumen.

Ich räume so viel, wie es geht in den Geschirrspüler, bis dieser komplett voll ist. Trotzdem liegt immer noch Geschirr rum. Also wasche ich diese kurzerhand selbst ab.

Uff, das war anstrengender als erwartet. Ich kann sogar fühlen, wie sich bereits Schweiß auf meiner Haut bildet.

Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich nicht mehr genug Zeit hatte, um mir gemütlich Kaffee und etwas zu essen. Dann muss ich mir halt unterwegs was holen. Immerhin hab ich noch Zeit zum Duschen und um mich fertig zu machen, bis ich zur Arbeit muss.

Ich schnappe mir die Kleidung von meinem Stuhl in meinem Zimmer, da ich diese gestern Abend schon rausgelegt habe, und husche ins Bad. Die Klamotten lege ich auf den Boden, ziehe meinen Pyjama aus und hüpfe unter die Dusche.

Das prasselnde Wasser auf meinem Körper verleiht mir immer sofort einen entspannenden Effekt. Augenblicklich sind alle negativen Gedanken weg und ich bin wieder total energiegeladen.

Ein plötzliches Klopfen an der Tür lässt mich erschrocken zusammenzucken, weshalb ich aus meiner entspannten Welt herausgeholt werde.

„Lisa? Bist du da drin?", höre ich Stevens Stimme von der anderen Seite der Tür. Kann er mich nicht einmal in ruhe lassen und nicht nerven? Genervt rolle ich mit den Augen.

„Ja.", antworte ich kurz und knapp und beginne meine Haare zu shampoonieren.

„Kannst du bitte etwas schneller machen? Ich muss auch noch ins Bad.", bittet er.

Gemütlich wasche ich mir das Shampoo aus den Haaren.

„Ich bin gerade erst ins Bad gegangen, also nehme ich mir die Zeit, die ich brauche. Außerdem hätte ich mich nicht duschen müssen, wenn die Küche nicht so aussah, wie sie aussah.", gebe ich wieder und versuche meine Gedanken auf das prasselnde Wasser zu lenken, aber Steven lässt nicht locker.

„Meinst du das Geschirr?"

„Nein, ich meine die Möbel. Natürlich meine ich das Geschirr, was einfach überall in der Küche verstreut war und dreckig war."

„Ich hatte gestern Abend zwei Freunde hier und dann haben wir halt was gegessen und dann ist die Spülmaschine kaputt gegangen. Deshalb hab ich das Geschirr herausgeholt, damit niemand die Spülmaschine anmacht."

Zum Glück hab ich die Spülmaschine nicht angemacht, sondern habe nur die Sachen hinein getan. Das wäre peinlich geworden.

Oh man, eigentlich hatte ich keine Lust, eine neue Spülmaschine zu kaufen. Aber warte - Steven erscheint mir gerade viel zu nett. Das geht so nicht.

„Und warum hast du denn nicht das Geschirr schon gestern Abend sauber gemacht?", hake ich nach und reibe meinen Körper mit dem Duschgel ein.

„Ich hatte gestern Abend keine Lust mehr, okay? Aber das spielt jetzt keine Rolle. Mach mal hinne. Ich muss mich auch mal ins Bad."

Theoretisch wäre ich fertig mit duschen, da ich gerade meinen Körper abdusche, aber den Gefallen will ich ihm nicht tun.

„Wenn du dich nicht bereiterklärst, das dreckige Geschirr zu waschen, dann werde ich auch nicht eher aus dem Bad kommen.", rufe ich, um über das Prasseln des Wassers hörbar zu klingen. Ich lausche, wie sich Steven aufgebracht von der Tür entfernt.

Der denkt doch nicht wirklich, dass ich für ihn meine Badezimmerzeit kürze.

Ich mache die Dusche aus und beginne mir den Körper zu trocknen, sowie meine Haare, und klatsche mir ein wenig Make-up ins Gesicht.

„Lisa es reicht jetzt ernsthaft. Ich muss jetzt ins Bad, oder ich komme zu spät.", ruft Steven nach einiger Zeit und klopft erneut an der Badezimmertür.

Dieser Mistkerl. Wegen ihm hab ich fast meinen Lippenstift verschmiert.

Genüsslich nehme ich mir die Zeit, um mir die rote Farbe dennoch ordentlich auf die Lippen zu ziehen, während er erneut an der Tür klopft.

„Steven, so ist das nun mal, wenn man mit Mädchen in einer WG wohnt. Da musst du dich schon anpassen.", äußere ich mich mit einem umspielten Lächeln und Bürste noch einmal meine blonden Haare, die ich vorhin geföhnt habe.

„Lisa....", stößt er genervt hervor. Ich kann mir gut vorstellen, wie aufgebracht er vor der Tür steht. Oh, so gerne möchte ich das sehen.

Na gut, ich war schon lange im Badezimmer und zu spät möchte ich auch nicht bei meiner Arbeit erscheinen. Vor allem, da es der erste Tag nach der Fortbildung ist. Dann gehe ich meinem inneren Streben nach und werde gleich einem wütenden Steven gegenüber stehen.

Vorher ziehe ich noch den langen, engen schwarzen Rock zurecht, der mir bis zu den Knien geht. Ich stecke mir meine weiße Bluse nochmal vernünftig in diesen hinein und richte den Blaser, ehe ich meine alten Klamotten schnappe und die Tür öffne.

Wie ich es mir schon bildlich vorgestellt habe, steht Steven vor der Tür, mal wieder ohne T-Shirt, hat die Hände zu Fäusten geballt und atmet schwer. Ein zufriedenes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.

Er beobachtet mich von oben bis unten, ehe sein Blick sich wieder auf mein Gesicht konzentriert.

„Und dafür hast du so lange gebraucht, Lisa?", fragt er frech und gereizt. Fast fällt mir die Kinnlade herunter. Was bildet er sich ein, so etwas zu sagen?

„Weißt du, Steven, mir ist aufgefallen, dass du immer meinen Namen in Sätzen benutzt. Woran liegt das? Fühlst du dich eingeschüchtert von mir und musst mir so deine Gnade erweisen?" Ich ziehe einen mitleidigen Gesichtsausdruck.

Sein Blick verfinstert sich. „Das wünscht du dir wohl und jetzt geh' mir aus dem Weg. Im Gegensatz zu dir möchte ich nämlich gut aussehen."

Er geht an mir vorbei, schließt die Tür hinter sich und lässt mich mit offenem Mund im Flur stehen.

Argh! Dieser Typ bringt mir noch meinen frühzeitigen Tod.

...

„Hey Lisa! Wie war es bei der Fortbildung?", möchte Maya, meine Kollegin, wissen und wendet sich somit von ihrem Computer ab. Ich stelle den Kaffee und die Tüte auf meinen Schreibtisch ab und gehe auf ihren Tisch zu, welcher sich gegenüber von meinem befindet, um sie zu umarmen.

„Na! Sehr gut! Es gab vieles neues zu lernen und die Leute waren auch echt nett.", erzähle ich und setze mich an meinen Schreibtisch. Auf einmal fängt mein Magen laut an zu knurren und entschuldigend lächle ich Maya an.

„Hast du noch nicht gefrühstückt?", fragt sie lachend und ich schüttele den Kopf. „Das sieht der strukturierten Lisa aber gar nicht ähnlich."

„Ich weiß und es kotzt mich selber an, aber leider spielt das Leben nicht immer so, wie ich es gerne hätte.", erwidere ich, hole meine Bretzel aus der Tüte und beiße ein großes Stück ab.

„Wieso? Was ist denn los?"

Einen Augenblick braucht es, bis ich das trockene Stück hinuntergeschluckt habe, aber dann beginne ich ihr von der Story mit Steven und Anna zu erzählen. Angestrengt sieht mich Maya dabei an, da sie versucht, mir zu folgen. Ich sprudel wie ein Wasserfall.

„... und jetzt muss ich mit diesem Idioten leben.", beende ich die aufgebrachte Rede und beiße frustriert in mein Essen.

Mit großen Augen sieht mich meine Arbeitskollegin an. „Weißt du was? Ich werde dir helfen, ihn loszuwerden!"

„Wirklich? Wie?", frage ich freudig, während mein Mund noch voll ist. Neugierig schaue ich sie an und setze mich aufrecht hin.

„Ich habe drei Brüder. Ich weiß, wie man Jungs auf die Palme bringt. Mein einer Bruder ist sogar schon zwei Tage nach seinem 18ten Geburtstag ausgezogen, weil ich ihn so genervt habe. Am Ende hab ich dann sein altes Zimmer bekommen, was doppelt so groß war, wie mein damaliges.", erklärt sie mit einem stolzen Grinsen im Gesicht. Sie lehnt sich entspannt zurück in ihren bequemen Bürostuhl.

Warum sollte ich es nicht so probieren? Immerhin habe ich wirklich nichts zu verlieren.

„Deal! Aber wir müssen das gut anstellen. Steven kann nämlich leider mehr ertragen, als mir lieb ist." 

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