Fünf - LISA

Ich kann nicht glauben, dass Anna mich gestern Abend allein gelassen hat. Wären Steven und sein toller Freund Lukas nicht aufgekreuzt, hätten wir eine schöne Zeit miteinander verbracht. Popcorn hatte ich extra gekauft, weil wir noch einen Film schauen wollten. Tja, am Ende hab ich es alleine gegessen und habe alleine einen Film geguckt.

Steven Carter. Ich werde dein Leben zur Hölle machen - wenn du nicht ausziehst. Na ja, und da heute Sonntag ist, weiß ich schon, wie ich damit anfange.

Anna und Steven sind gestern Abend spät wiedergekommen. Anna muss zwar ein wenig mitleiden, aber sie weiß, was Sonntag für ein Tag ist. Steven vermutlich noch nicht. Das wird eine nette Überraschung für ihn.

Ich stehe von dem Stuhl an der Küchentheke auf, an der ich gerade meinen Plan ausgegrübelt habe. Ich öffne die Tür der Abstellkammer, hole meinen gesuchten Gegenstand heraus und schließe diesen an der Steckdose an.

Schnell lasse ich noch einen Blick auf die Uhr am Ofen huschen. 9:13.

Ich glaube, es wird Zeit, dass die beiden Mal aufwachen. 4 Stunden schlaf reicht doch vollkommen. Nimm das, Steven Carter.

Mit meinem Fuß, und einem listigen Grinsen im Gesicht, trete ich auf den An-Knopf und der Staubsauger beginnt zu saugen.

Dieser ist schon etwas älter, weshalb er sehr laut ist, aber bisher sind wir noch nicht dazu gekommen einen Neuen zu kaufen. Immerhin funktioniert er noch, also brauchen wir theoretisch auch kein Geld für einen anderen auszugeben.

Ich laufe den Flur mit dem Staubsauger hoch und runter. Es dauert nicht mal drei Minuten, da geht schon die erste Tür auf.

„Urgh, du bist ja wieder da.", bemerkt Anna und kommt mit ihrem Pyjama und einem schwarzen Morgenmantel aus ihrem Zimmer. Die Party kann man ihr definitiv noch ansehen. Ihre Haare sind total zerzaust und sie hat ihre Mascara nicht abgemacht, da diese etwas um ihren Augen herum verschmiert ist.

„Dir auch einen schönen guten Morgen.", entgegne ich ihr und lächle sie an. Sie gibt mir ein gezwungenes Lächeln, was sich nach 2 Sekunden in ihren gelangweilten und genervten Gesichtsausdruck entwickelt.

Anna geht in die Küche, um sich wahrscheinlich einen Kaffee zu machen, da höre ich auch schon die zweite Tür aufgehen.

„Hast du mal auf die Uhr geguckt?", fragt Steven genervt, der nur in Boxershorts und mit verstrubbelten Haaren im Türrahmen steht.

„Hast du mal gesehen, was für ein Wochentag heute ist?", entgegne ich ihm ebenfalls eine Frage, während ich die Stelle vor meinen Füßen bestimmt schon 20 Mal gerade gesaugt habe.

„Ja, Sonntag!", spricht er klar und deutlich.

Ich lege meinen Kopf schief. „Ganz genau und Sonntag ist Putztag.", sage ich fröhlich und gehe auf sein Zimmer, mit dem Staubsauger, zu.

„Und warum hatten wir dann die letzten Sonntage keinen Putztag?", hakt Steven nach, wobei er sich an seinen Türrahmen lehnt. Da ich jetzt näher an ihm dran bin, kann ich deutlich erkennen, dass er eine sehr kurze Nacht hatte. Tiefe dunkle Augenringe verzieren sein Gesicht.

„Weil das nur Lisa durchzieht.", ruft Anna aus der Küche.

„Und du findest es okay, dass sie Sonntags um 9 Uhr einfach anfängt zu saugen?", ruft er zurück. Seine Augenbrauen ziehen sich grimmig zusammen.

Reden die beiden so, als wäre ich nicht da?

„Glaub mir, ich..." Anna kommt in den Flur und bei Stevens anblickt, beißt sie sich auf die Unterlippe. Sie schaut ihn von oben bis unten an.

Steven bemerkt das, da er sich durch die Haare fährt, wobei er seine Bauchmuskeln anspannt und sie noch mehr zur Geltung bringt.

Flirten die gerade miteinander? Die tun wirklich so, als wäre ich nicht hier.

Ich weiß nicht, wie lange wir hier schon stehe, aber ich räuspere mich, damit diese komische Situation mal aufhört.

Anna richtet ihren Blick von Steven auf mich und kommt aus ihrer Starre heraus.

„Ähm.. Ja, also ich hab das früher schon probiert, aber Madame kannst du da nicht umstimmen. Sei wenigstens froh, dass sie es macht. Sie macht nämlich fast alles alleine."

Meine Güte. Anna soll ihm die Situation nicht schmackhaft verkaufen.

„Aber da wir einen neuen Mitbewohner haben können wir ihn gerne mit einweihen.", füge ich hinzu. Mit einem aufgespielten Lächeln und klimpernden Wimpern sehe ich ihn an. Steven wirkt allerdings nicht so erfreut, er mich mit zugekniffenen Augen ansieht, was mein inneres ich jedoch fröhlich rumhüpfen lässt.

„Okay, pass auf.", er schließt die Augen und atmet tief durch, bis er seine Aufmerksamkeit wieder mir zuwendet. „Wenn du sauber machen willst, dann tu es, aber sauge nicht um 9 Uhr morgens. Ich hatte eine ansträngende Nacht und mein Kopf pocht wie wild, also lass mich bitte Sonntags ausschlafen.", bittet Steven, während er seine Hände flehend vor seine Brust gefaltet hat.

Ich ziehe meine Unterlippe hervor und schaue ihn mit großen Augen an.

„Oh, hat Herr Carter etwa einen Kater?", frage ich, wobei ich mich anstrenge nicht zu lachen, was mir unheimlich schwerfällt. Das war sicherlich der beste Spruch, den ich je gebracht habe.

Stevens bettelnder Gesichtsausdruck hat sich wieder zum zornigen umgewandelt. Laut und deutlich höre ich sein aufgebrachtes Atmen.

Mit langsamen Schritten kommt er auf mich zu, wobei er drohend seinen Finger hochhält.

„Ich wollte nett zu dir sein und dir heute vielleicht sogar noch beim saugen helfen, aber das kannst du jetzt vergessen!"

Er dreht sich um, geht in sein Zimmer und knallt die Tür vor meiner Nase zu. Oh, jetzt hab ich aber Angst.

Ein zufriedenes Lächeln bildet sich auf meinen Lippen.

„Musste das sein?", fragt Anna genervt, die sich nicht von ihrem Fleck gerührt hat.

„Und wie!" Ich drehe mich zu ihr um und grinse sie an. Meine Mitbewohnerin verdreht ihre Augen und geht zurück in die Küche.

Das war doch eine erfolgreiche Aktion.

Mal sehen, wie lange du es noch mit mir aushältst, Steven.

Erschöpft lasse ich mich auf die Couch fallen und blicke auf mein Handy. 15:32. Ich hab mehr als sechs Stunden gebraucht, um die Wohnung zu putzen. Anna hat wohl kein Stück in den letzten Wochen getan, was man besonders an den Katzenhaaren erkennen konnte, die immer noch zahlreich aufzufinden waren, obwohl Sarah mit ihrem Kater schon vor sechs Wochen ausgezogen ist.

Plötzlich erscheint auf meinem Handy ein Anruf. Sarah.

„Hey Sarah! Lange nichts mehr von dir gehört. Wie geht's dir? Wie ist die neue Wohnung? Wie läuft es mit Karl?", überrumpele ich sie. Ein leises Lachen ertönt vom anderen Ende des Hörers.

„Freut mich auch dich zu sprechen, Lisa. Mir geht es gut. Wirklich gut."

„Das ist schön zu hören. Weshalb rufst du an?"

„Ihr meintet doch, ich soll anrufen, so bald alles eingerichtet ist und nach 6 Wochen, denke ich, siehts hier bereits sehr heimisch aus. Hast du und Anna vielleicht Lust, heute vorbeizukommen?"

Bevor Sarah ihre Frage ausgesprochen hat, bin ich schon von der Couch aufgestanden und bin zu Annas Zimmer gegangen.

„Sarah, magst du kurz dranbleiben?"

„Klar."

Ich lege mein Handy auf meine Brust und klopfe an Annas Tür.

„Ja?", ertönt eine Stimme von der anderen Seite der Tür und ich trete hinein. Anna liegt auf ihrem Bett und schaut eine Serie, die sie pausiert, als sie mich sieht. Mit einem fragenden Gesichtsausdruck setzt sie sich aufrecht hin.

„Hast du Lust, heute zu Sarah zu kommen?"

„Hat sie ihr Haus fertig eingerichtet?", möchte sie wissen, wobei sie mich mit großen Augen ansieht.

„Sieht so aus."

„Dann ja. Wann sollen wir denn bei ihr sein?" Freudig springt Anna vom Bett. Ich halte mein Handy wieder ans Ohr.

„Sarah, wann sollen wir kommen?", frage ich nach.

„Ich habe heute nichts mehr vor, also jeder Zeit."

„Sehr schön. Dann machen wir uns fertig und fahren sofort los."

...

Wir sind bei Sarah angekommen und stehen unglaubwürdig vor ihrem neuen, großen Haus. Im Gegensatz zu unserer Wohnung ist das ein Palast. Das Strahlende weiß hat uns schon direkt am Anfang der Straße geblendet. Mit den riesen Fenstern sieht das geometrische Gebäude noch luxuriöser aus. Man merkt sofort, dass wir außerhalb von New York sind, in den nobleren Gegenden. Eine Zeit lang starren Anna und ich auf das Haus, mit dem perfekten grünen Gras davor und den gut gepflegten Blumen.

Nachdem wir alles gut mit großen Augen begutachtet haben, gehen wir durch das Gartentor, in den Vorgarten, bis zur Tür, an der ich klingele. Die Klingel hat den Sound von Glocken.

„Sind wir hier wirklich richtig?", fragt Anna, die sich den Vorgarten noch weiter anguckt.

Ich wollte gerade antworten, doch da öffnet Sarah schon die Tür.

Wir begrüßen uns alle und gehen in das Weiße Haus hinein. Ich kann kaum glauben, wie es hier drin aussieht. Alles sieht so hochwertig und aufgeräumt aus.

„Gebt mir eure Jacken.", bittet Sarah, was wir tun. Sie geht in die Garderobe, die einen eigenen kleinen Raum hat.

„Das ist wirklich dein Haus?", staune ich. Im Flur, in dem wir uns befinden, führt rechts eine Wendeltreppe hoch.

Sarah lacht ein wenig wegen meiner Frage. „Ja, ist es. Es ist wunderschön oder?"

„Mehr als das!", erwidert Anna, die schon ein Stückchen weiter vor gegangen ist.

„Ich kann euch nachher gerne eine Tour geben, aber wollen wir uns erstmal hinsetzen und einen Kaffee trinken? Ich hab extra Kuchen gebacken."

„Klar.", antworte ich. Bei Kuchen und Kaffee sage ich nie nein.

Gemeinsam biegen wir rechts ab in die Küche. Die Küche ist in Schwarz-Weiß gehalten. Es sieht alles so modern aus.

„Sag mal, wie viel verdient ihr bitte?", fragt Anna einfach heraus.

„Ich weiß, es ist alles sehr modern und schick, aber wir wollen hier schließlich bis zu unserem Lebensende wohnen und unsere Familie hier Gründen. Desalb haben wir direkt nach dem besten der besten Häuser gesucht."

Sarah hat zwei Kaffeetassen in der Hand, die sie zum Esstisch bringt, der sich links neben der Küche befindet, wo auch schon Kuchen und Besteck bereitsteht. Anna und ich setzen uns an den Tisch, welcher aus einer Glasplatte besteht, und ich habe Angst, diese mit einer Berührung zu zerstören.

„Außerdem haben meine und seine Eltern noch was dazu gegeben.", fügt sie noch hinzu. Sie kommt mit einer weiteren Kaffeetasse an den Tisch und setzt sich ebenfalls hin. „Aber genug von mir, was gibt's bei euch? Habt ihr eine neue Mitbewohnerin?"

Warum verharrt eigentlich jeder darauf, dass wir eine neue Mitbewohnerin haben?

Ich werfe Anna, die gegenüber von mir sitzt einen Blick zu. „Oh ja, das haben wir, aber Anna kann dir da mehr erzählen, als ich."

Fragend sieht Sarah zwischen uns beiden hin und her, bis ihr Blick auf Anna hängen bleibt.

„Meinetwegen.", beginnt Anna und guckt Sarah an. „Wir haben keine Mitbewohnerin, sondern einen Mitbewohner. Er heißt Steven und ist 24 Jahre alt."

„Moment mal... Ein Mann wohnt bei euch?", fragt Sarah skeptisch und schaut mich danach an. „Und für dich ist das okay?"

„Warte, das Beste kommt noch. Anna hat die Entscheidung getroffen, ohne mich zu fragen. Ich kam nach 6 Wochen wieder nach Hause und dann stand da einfach ein halbnackter Mann in unserer Wohnung.", erzähle ich, wobei ich meinen Blick nicht von Anna abwende.

„Die Geschichte wird ja immer besser!", prustet Sarah los, die sich schnell wieder fängt, als sie meinen strengen Blick sieht.

„Er war nett und hat eine Wohnung gesucht. Das ist kein Verbrechen.", sagt Anna und zuckt mit den Schultern.

„Du hast ihn einziehen lassen, weil er gut aussieht und du mit ihm schlafen willst!", sage ich, allerdings etwas zu laut, als ich es eigentlich geplant habe. Sarah verschluckt sich währenddessen fast an ihrem Kaffee.

„Du willst mit ihm schlafen?", fragt Sarah unsere Freundin. Anna geht darauf aber gar nicht ein.

„Ha, du findest ihn also auch gut aussehend?", versucht sie mich zu provozieren.

„Was? Darum geht es hier nicht."

„Worum denn dann?"

„Wegen dir kann meine Zukunft aufs Spiel gesetzt werden. Du weißt, dass mir Will alles bedeutet und dass er meine Zukunft ist. Ich kann nicht glauben, dass du das getan, obwohl ich dir deutlich gesagt habe, dass wir nur Mitbewohnerinnen suchen."

„Warte mal. Will weiß noch nichts davon?", erkundigt sich Sarah.

„Du kennst ihn doch.", antworte ich.

„Ja, aber trotzdem musst du es ihm erzählen."

„Außer er zieht bald aus."

„Lisa, er wird nicht ausziehen!", protestiert Anna.

„Wer wird nicht ausziehen?", fragt Karl, der gerade den Raum betritt.

„Unser neuer Mitbewohner.", beantworte ich ihm seine Frage monton.

„Ihr wohnt mit einem Mann? Weiß Will davon?"

„Nein, weiß er nicht und er wird es nicht wissen, weil unser neuer Mitbewohner schnell wieder verschwinden wird.", sage ich aufgebracht, wobei mir Anna einen ermahnenden Blick zuwirft.

„Du solltest es ihm sagen, Lisa. Das ist nicht richtig, wenn du ihm das vorenthältst. Außerdem kann er nicht dein ganzes Leben kontrollieren."

Unglaubwürdig schaue ich Karl an, der hinter Sarahs Stuhl steht.

„Will kontrolliert mein Leben nicht!", behaupte ich entsetzt. Sarah legt ihre Hand auf meine, welche geballt auf dem Tisch liegt.

„Lisa, ich weiß, du willst es nicht hören, aber durch Will ist dein Leben schon eingeschränkt.", haucht sie leise, sodass ich jedoch jedes Wort noch deutlich verstehe.

Ich rutsche mit dem Stuhl zurück und stehe auf. „Ich muss an die frische Luft.", beschließe ich trocken und versuche es mir nicht anzumerken, wie sehr mich die Meinungen meiner Freunde treffen.

Im Vorgarten angekommen atme ich tief ein und aus. Eine Träne rollt mir die Wange hinunter. Die haben doch keine Ahnung, was meine Beziehung mit Will angeht. Will schränkt mich nicht ein, sondern bereichert mein Leben. Ist doch so, oder?

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